Doch hinter der glänzenden Fassade der technischen Neuerungen verbirgt sich ein System von Fragestellungen, das von NutzerInnen mit zunehmender Skepsis betrachtet wird. Die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Aspekten beider Netzwerke zeigt eine klare Kluft zwischen funktionaler Attraktivität und den ethischen Bedenken, die der Umgang mit Identitäten und Daten aufwirft.
Bluesky: Die Schatten der Zentralisierung
Bluesky wurde mit dem ambitionierten Ziel gegründet, ein Netzwerk zu schaffen, das auf einem offenen Protokoll basiert und die Vorteile der Föderation mit einer besseren Benutzererfahrung kombiniert. Doch diese Absicht steht im Widerspruch zu einer fundamentalen Wahrheit: Bluesky wird von einer gewinnorientierten, amerikanischen Firma betrieben. Das bedeutet, dass die primäre Verantwortung des Unternehmens nicht bei den NutzerInnen liegt, sondern bei den Aktionären. Trotz der vermeintlichen Fortschritte in der Technologie und des Versprechens, eine bessere Kontrolle über Identitäten zu ermöglichen, bleibt die Frage der Machtverhältnisse ungelöst. Wer garantiert den NutzerInnen, dass ihre Daten sicher sind, wenn ein Unternehmen mit rein kommerziellen Zielen über die gesamte Infrastruktur und damit auch über die Daten bestimmt?
Besonders problematisch ist der Umgang mit der Identität: Derzeit ist es schwierig, die eigene Identität unabhängig von der Bluesky-Plattform zu führen. Zwar gibt es die Möglichkeit, eine benutzerdefinierte Domain zu verwenden, doch diese Lösung ist (noch) nicht narrensicher. Die Kontrolle über die eigene Identität ist weiterhin in der Hand von Bluesky, das Migrationen nur dann zulässt, wenn es dies selbst genehmigt. Ein „Rug Pull“, also das plötzliche Ausscheren einer Plattform, könnte für NutzerInnen verheerende Folgen haben, da sie ihre Inhalte und Follower verlieren würden, wenn Bluesky sich entschließt, sie auszuschließen.
Ein weiteres Problem betrifft die Tatsache, dass Bluesky gegenwärtig auf ein zentrales Relay setzt, das die gesamte Kommunikation leitet. Dies bedeutet, dass alle Inhalte letztlich über eine einzige Quelle laufen, die unter der Kontrolle eines profitgetriebenen Unternehmens steht. Die Idee einer globalen, offenen Plattform wird so ad absurdum geführt – der Weg zu einer echten Dezentralisierung bleibt ein frommer Wunsch.
Mastodon: Föderation, aber auf wackeligem Fundament
Mastodon ist einer der Vorreiter in der Welt der föderierten sozialen Netzwerke und bietet seinen NutzerInnen die Möglichkeit, eigene Instanzen zu betreiben. Doch diese Dezentralisierung bringt ihre eigenen Probleme mit sich. Zwar wird Mastodon von einer Non-Profit-Organisation betrieben, was für ein gewisses Maß an Vertrauen sorgt, doch das System ist in vielerlei Hinsicht nach wie vor fragil.
Ein zentrales Problem bleibt die Federation: Die NutzerInnen sind an die Instanz gebunden, auf der sie sich registriert haben. Zwar gibt es die Möglichkeit, die Instanz zu wechseln, doch dieser Vorgang ist nicht immer problemlos. Instanzen können verschwinden, ohne dass die NutzerInnen eine Möglichkeit haben, ihre Identität und Inhalte an einen neuen Ort zu migrieren. Zwar bietet Mastodon die theoretische Möglichkeit der „Instanzmigration“, doch diese funktioniert nur, wenn die ursprüngliche Instanz noch existiert und bereit ist, die Migration zu unterstützen. In der Praxis bedeutet dies, dass NutzerIn bei einem Instanzwechsel auf die Gnade der Instanzbetreiber angewiesen sind.
Das eigentliche Problem, das sowohl Bluesky als auch Mastodon betrifft, ist die mangelnde Kontrolle der NutzerInne über ihre Identität. Mastodon mag in technischer Hinsicht dezentraler sein, aber das System ist durch die Abhängigkeit von Instanzen stark fragmentiert. NutzerInnen wissen oft nicht, in welchem Teil des Fediverse sie sich befinden, und ihre Erfahrung hängt stark von der Wahl der Instanz ab. Instanzen blockieren bestimmte andere Instanzen und somit bleibt es für die NutzerIn intransparent was vom Fediverse sie sieht.
Das ungelöste Problem der globalen Sicht
Ein weiteres zentrales Problem beider Plattformen betrifft die Frage der globalen Sicht und Indexierung. Bluesky hat es geschafft, ein zentrales Relay zu etablieren, das eine globale Sicht auf die Inhalte ermöglicht. Diese Lösung hat jedoch den Nachteil der Rezentralisierung. Mastodon verfolgt einen dezentrale Ansatz, bei dem jede Instanz ihre eigene Sicht auf das Fediverse hat. Doch diese Lösung ist in vielerlei Hinsicht problematisch, da sie zu einer Fragmentierung der sozialen Erfahrung führt. NutzerInnen wissen nicht, welche Teile des Fediverse sie tatsächlich sehen, und sind bei der Federation auf die Instanzen angewiesen.
Die fehlende universelle Sicht auf die Inhalte bedeutet, dass die NutzerInnen nicht die vollständige Kontrolle über das haben, was sie sehen. Sie sind auf die Konfiguration ihrer Instanz angewiesen, die in vielen Fällen nicht ausreichend transparent ist. Die Suche nach einem besseren globalen Index ist eine der größten Herausforderungen, die beide Plattformen noch nicht lösen konnten.
Fazit: Ein „Wählen des Übels“
In der Gesamtbetrachtung stellt sich die Wahl zwischen Mastodon und Bluesky als „Wählen des Übels“ dar. Mastodon bietet ein gewisses Maß an Dezentralisierung, aber mit der Gefahr einer unzureichenden Nutzerautonomie und einer unklaren globalen Sicht. Bluesky hingegen präsentiert eine funktionale Lösung mit einer globalen Sicht, jedoch auf Kosten einer Rezentralisierung unter einem profitgetriebenen Unternehmen.
Die Lösung liegt nicht in einer der beiden Plattformen allein. Es braucht eine Weiterentwicklung des Modells, das beide Konzepte miteinander kombiniert: eine echte Dezentralisierung, die den NutzerInnen die Kontrolle über ihre Identität und Inhalte gibt, gepaart mit einer globalen Sicht, die es ermöglicht, das Fediverse als Ganzes zu verstehen. Bis dahin bleibt die Frage nach der „richtigen“ Plattform offen und die Unsicherheit über die Zukunft des digitalen sozialen Raums bestehen.
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