Bluesky und Mastodon: Eine kritische Betrachtung der Föderation und Identitätsverwaltung

  Udo M.   Lesezeit: 5 Minuten  🗪 11 Kommentare Auf Mastodon ansehen

Die sozialen Netzwerke Bluesky und Mastodon sind im digitalen Raum von wachsendem Interesse, wobei beide Systeme _im_Prinzip_ auf das Prinzip der Dezentralisierung setzen.

bluesky und mastodon: eine kritische betrachtung der föderation und identitätsverwaltung

Doch hinter der glänzenden Fassade der technischen Neuerungen verbirgt sich ein System von Fragestellungen, das von NutzerInnen mit zunehmender Skepsis betrachtet wird. Die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Aspekten beider Netzwerke zeigt eine klare Kluft zwischen funktionaler Attraktivität und den ethischen Bedenken, die der Umgang mit Identitäten und Daten aufwirft.

Bluesky: Die Schatten der Zentralisierung

Bluesky wurde mit dem ambitionierten Ziel gegründet, ein Netzwerk zu schaffen, das auf einem offenen Protokoll basiert und die Vorteile der Föderation mit einer besseren Benutzererfahrung kombiniert. Doch diese Absicht steht im Widerspruch zu einer fundamentalen Wahrheit: Bluesky wird von einer gewinnorientierten, amerikanischen Firma betrieben. Das bedeutet, dass die primäre Verantwortung des Unternehmens nicht bei den NutzerInnen liegt, sondern bei den Aktionären. Trotz der vermeintlichen Fortschritte in der Technologie und des Versprechens, eine bessere Kontrolle über Identitäten zu ermöglichen, bleibt die Frage der Machtverhältnisse ungelöst. Wer garantiert den NutzerInnen, dass ihre Daten sicher sind, wenn ein Unternehmen mit rein kommerziellen Zielen über die gesamte Infrastruktur und damit auch über die Daten bestimmt?

Besonders problematisch ist der Umgang mit der Identität: Derzeit ist es schwierig, die eigene Identität unabhängig von der Bluesky-Plattform zu führen. Zwar gibt es die Möglichkeit, eine benutzerdefinierte Domain zu verwenden, doch diese Lösung ist (noch) nicht narrensicher. Die Kontrolle über die eigene Identität ist weiterhin in der Hand von Bluesky, das Migrationen nur dann zulässt, wenn es dies selbst genehmigt. Ein „Rug Pull“, also das plötzliche Ausscheren einer Plattform, könnte für NutzerInnen verheerende Folgen haben, da sie ihre Inhalte und Follower verlieren würden, wenn Bluesky sich entschließt, sie auszuschließen.

Ein weiteres Problem betrifft die Tatsache, dass Bluesky gegenwärtig auf ein zentrales Relay setzt, das die gesamte Kommunikation leitet. Dies bedeutet, dass alle Inhalte letztlich über eine einzige Quelle laufen, die unter der Kontrolle eines profitgetriebenen Unternehmens steht. Die Idee einer globalen, offenen Plattform wird so ad absurdum geführt – der Weg zu einer echten Dezentralisierung bleibt ein frommer Wunsch.

Mastodon: Föderation, aber auf wackeligem Fundament

Mastodon ist einer der Vorreiter in der Welt der föderierten sozialen Netzwerke und bietet seinen NutzerInnen die Möglichkeit, eigene Instanzen zu betreiben. Doch diese Dezentralisierung bringt ihre eigenen Probleme mit sich. Zwar wird Mastodon von einer Non-Profit-Organisation betrieben, was für ein gewisses Maß an Vertrauen sorgt, doch das System ist in vielerlei Hinsicht nach wie vor fragil.

Ein zentrales Problem bleibt die Federation: Die NutzerInnen sind an die Instanz gebunden, auf der sie sich registriert haben. Zwar gibt es die Möglichkeit, die Instanz zu wechseln, doch dieser Vorgang ist nicht immer problemlos. Instanzen können verschwinden, ohne dass die NutzerInnen eine Möglichkeit haben, ihre Identität und Inhalte an einen neuen Ort zu migrieren. Zwar bietet Mastodon die theoretische Möglichkeit der „Instanzmigration“, doch diese funktioniert nur, wenn die ursprüngliche Instanz noch existiert und bereit ist, die Migration zu unterstützen. In der Praxis bedeutet dies, dass NutzerIn bei einem Instanzwechsel auf die Gnade der Instanzbetreiber angewiesen sind.

Das eigentliche Problem, das sowohl Bluesky als auch Mastodon betrifft, ist die mangelnde Kontrolle der NutzerInne über ihre Identität. Mastodon mag in technischer Hinsicht dezentraler sein, aber das System ist durch die Abhängigkeit von Instanzen stark fragmentiert. NutzerInnen wissen oft nicht, in welchem Teil des Fediverse sie sich befinden, und ihre Erfahrung hängt stark von der Wahl der Instanz ab. Instanzen blockieren bestimmte andere Instanzen und somit bleibt es für die NutzerIn intransparent was vom Fediverse sie sieht.

Das ungelöste Problem der globalen Sicht

Ein weiteres zentrales Problem beider Plattformen betrifft die Frage der globalen Sicht und Indexierung. Bluesky hat es geschafft, ein zentrales Relay zu etablieren, das eine globale Sicht auf die Inhalte ermöglicht. Diese Lösung hat jedoch den Nachteil der Rezentralisierung. Mastodon verfolgt einen dezentrale Ansatz, bei dem jede Instanz ihre eigene Sicht auf das Fediverse hat. Doch diese Lösung ist in vielerlei Hinsicht problematisch, da sie zu einer Fragmentierung der sozialen Erfahrung führt. NutzerInnen wissen nicht, welche Teile des Fediverse sie tatsächlich sehen, und sind bei der Federation auf die Instanzen angewiesen.

Die fehlende universelle Sicht auf die Inhalte bedeutet, dass die NutzerInnen nicht die vollständige Kontrolle über das haben, was sie sehen. Sie sind auf die Konfiguration ihrer Instanz angewiesen, die in vielen Fällen nicht ausreichend transparent ist. Die Suche nach einem besseren globalen Index ist eine der größten Herausforderungen, die beide Plattformen noch nicht lösen konnten.

Fazit: Ein „Wählen des Übels“

In der Gesamtbetrachtung stellt sich die Wahl zwischen Mastodon und Bluesky als „Wählen des Übels“ dar. Mastodon bietet ein gewisses Maß an Dezentralisierung, aber mit der Gefahr einer unzureichenden Nutzerautonomie und einer unklaren globalen Sicht. Bluesky hingegen präsentiert eine funktionale Lösung mit einer globalen Sicht, jedoch auf Kosten einer Rezentralisierung unter einem profitgetriebenen Unternehmen.

Die Lösung liegt nicht in einer der beiden Plattformen allein. Es braucht eine Weiterentwicklung des Modells, das beide Konzepte miteinander kombiniert: eine echte Dezentralisierung, die den NutzerInnen die Kontrolle über ihre Identität und Inhalte gibt, gepaart mit einer globalen Sicht, die es ermöglicht, das Fediverse als Ganzes zu verstehen. Bis dahin bleibt die Frage nach der „richtigen“ Plattform offen und die Unsicherheit über die Zukunft des digitalen sozialen Raums bestehen.

Update: In den Kommentaren gibt es sehr lesenswerte Berichtigungen und Anmerkungen. 

Quelle Bild: Mastodon image - Free stock photo - Public Domain photo - CC0 Images goodfreephotos.com

Björn
Geschrieben von Björn am 18. März 2025 um 16:40

Sorry; kein Musk, kein Der Dorsey. Lieber ein verknotkstes Mastodon/Fediverse

Chris
Geschrieben von Chris am 18. März 2025 um 18:03

Der Vergleich sollte lauten : Bluesky und Fediverse.... und dann würden auch Apps im Fediverse zählen können die das exportieren der Identität und einen Umzug mit allem Content ermöglichen. Diese Möglichkeit bietet Hubzilla seit 2015 und Forte nun als reine AP App seit 2025 - man muß es nur nutzen und nicht au den dicksten Elefanten im Raum setzen.

Eine „globalen Ansicht“ auf ein Netzwerk wird es nie ohne zentrale Indexierung geben können – von daher paßt dies einfach nicht zu einem dezentralen Netzwerk. Entweder oder

Udo M.
Geschrieben von Udo M. am 20. März 2025 um 11:46

Das sehe ich anders, eine Lösung für einen globalen Index wäre zwar aufwendig, aber mit moderner Serverarchitektur auch nicht unmöglich. Das Betreiben wäre aber wahrscheinlich sehr teuer. Wenn die einzelnen Instanzen mithelfen würden, dann wäre es sicher günstiger.

Man muss das nur bauen und umsetzen wollen. Meine Hoffnung ist ja ein "Fediverse Rewrite" in Rust. Was wäre höchstwahrscheinlich alles viel schneller und resourcenschonender und auch sicherer.

Tim Schlotfeldt
Geschrieben von Tim Schlotfeldt am 18. März 2025 um 18:18

Zur Lösung dieses Problems hatte Mike Macgirvin das Konzept der nomadischen Identität in Hubzilla realisiert (beziehungsweise dem darunterliegenden Protokoll Zot6. [https://fediversity.site/channel/mikedev?mid=https://fediversity.site/item/b69ce5a0-0c22-4933-8393-dce7100f4584](Gerade hat Mike gepostet, dass er die nomadische Identität für AcitivityPub realisiert hat):

> Forte is the first fediverse platform to provide full nomadic identity (with near realtime sync of your cloned fediverse instances) completely over ActivityPub, using no other nomadic support protocols. > > All of your content and media and settings and connections are migrated in near real time to the different instances of your identity, so you can switch to an alternate server at any time -- and if your original server comes back online after whatever bad thing happened, all your changes and recent posts and uploads will be sync'd back again. > > Forte is compatible with Mastodon and all your other favourite fediverse platforms, but being based on the legendary streams repository - goes far beyond the Twitter experience with contained conversations, groups, integrated cloud storage, events, locations services, and more. We use it for instance to replace email, due to the wide range of features and lack of spam. We also like the way it handles fediverse identity management so that you can aggregate different fediverse tools and push content from all of them from a single fediverse account.

Forte ist in PHP programmiert, aber das Protokoll sollte sich jetzt auch mit anderen Programmiersprachen realisieren lassen.

Hier ist ein Artikel von Sean Tilley, in dem er die Idee der nomadischen Identität erläutert: [https://wedistribute.org/2024/03/activitypub-nomadic-identity/](Oh, Zot! Nomadic Identity is Coming to ActivityPub).

Udo M.
Geschrieben von Udo M. am 19. März 2025 um 13:12

Sehr interessant.

V wie Vendetta
Geschrieben von V wie Vendetta am 19. März 2025 um 13:18

Wow! Ich habe schon lange nichts mehr von HubZilla und MacGirvin gehört. Haut der einfach Zot11/Nomad raus und revolutioniert das Fediverse! Forte schaue ich mir mal an.

Daniel
Geschrieben von Daniel "PepeCyb" am 18. März 2025 um 18:30

Hat sich der Verfasser der Zeilen eigentlich einmal mit dem Fediverse befasst? Wäre wünschenswert gewesen.

Es fängt schon beim Titel an. Hier wird das Bluesky-Netzwerk mit einem "Mastodon-Netzwerk" verglichen. Es gibt aber gar kein Mastodon-Netzwerk: Es gibt KEIN Mastodon-Netzwerk!

Der Vergleich müsste also eigentlich zwischen Bluesky und dem Fediverse erfolgen. Und da gibt es dann einige Aspekte, die den Aussagen des Autors entgegenstehen.

Es mag sein, dass Mastodon keine elegante Möglichkeit aufweist, reibungslos auf eine andere Instanz zu migrieren. Aber Mastodon ist nicht das Fediverse. Es gibt bereits seit 13 Jahren eine Fediverse-Software, die genau das vereinfacht und es sogar möglich macht, seine eindeutige(!) Identität parallel auf mehreren Instanzen zu haben, wobei diese automatisch synchronisiert werden. Nennt sich nomadische Identität und ist integraler Bestandteil von der Fediverse-Software Hubzilla. Ein weiterer Vertreter ist die Fediverse-Plattform (streams), die leider sehr unbekannt und ein wenig verwaist ist. Seit nicht so langer Zeit ist die nomadische Identität sogar nativ mit ActivityPub möglich. Implementiert in den Plattformen Forte und Mitra.

Wenn Mastodon keine Anstalten macht, diese Funktionalität im eigenen System zu implementieren, dann ist es tatsächlich eine Schwäche von Mastodon, aber definitiv keine Schwäche des Fediverse ("-Netzwerks").

Udo M.
Geschrieben von Udo M. am 19. März 2025 um 13:09

Hallo Daniel,

der Artikel ist leider etwas überhastet online gegangen. Ich habe schon lange nichts mehr geschrieben und das Backend hat sich etwas geändert. Manche Leute sind etwas simpel gestrickt und Fehler passieren :-). Sorry. Bei deiner Kritik hast natürlich recht, aber dafür sind Kommentare auch da. Wenn Du etwas dazu schreiben möchtest, unsere Seite steht auch Dir zur Verfügung ;-)

MaM
Geschrieben von MaM am 19. März 2025 um 12:20

Hi, hab vielen Dank für deinen Artikel! Bezüglich der globalen Sicht, habe ich für mich persönlich im Laufe des letzten Jahr(zehnts) herausgefunden, dass das für den Einzelnen vielleicht gar nicht sooo dramatisch ist. Socialmedia ist schnellebig und die Wahrscheinlichkeit wirklich wichtige Dinge zu verpassen eher gering. Umgekehrt geht man bei dem (ungefilterten) Informationsstrom fast unter. Also nur ein (unfreiwilliger) Filter? Damals bei dezentraler Suche (yacy) empfand ich das als etwas problematischer, aber für reale Dezentralisierung ist das IMHO für SM durchaus zu verschmerzen :-) Aus meiner Sicht ein wichtiger Schritt, den das fediverse und Mastodon gemacht haben (ich war früher bei Diaspora D*, wo das immer der langersehnte Traum war , aber leider nur sehr selten funktioniert hat ...)

Udo M.
Geschrieben von Udo M. am 19. März 2025 um 13:26

Interessante Sichtweise. Wahrscheinlich hast Du recht, aber ich habe wahrscheinlich FOMO, wenn ich etwas vielleicht nicht sehe ;-)

Peter
Geschrieben von Peter am 19. März 2025 um 20:52

Eine interessante Sicht, herzlichen Dank!