Zum Wochenende: Wenn man's weiss ist alles ganz einfach!

  Fabian Schaar   Lesezeit: 10 Minuten  🗪 4 Kommentare

Probleme hat jeder mal, zum Beispiel mit GNU/Linux. Dabei lernen gerade diejenigen, die nicht direkt aufgeben.

zum wochenende: wenn man's weiss ist alles ganz einfach!

Jede/r hat mal Probleme mit der geliebten Technik, das bleibt auch unter GNU/Linux nicht aus. Der Unterschied, der freie Betriebssysteme von ihren proprietären Mitbewerbern abhebt ist und bleibt aber unschlagbar: Bei einem freien Betriebssystem wird jeder Versuch, ein Problem zu lösen, zu einer Fortbildung im Selbststudium. Das ist ein Erfahrungsbericht.

Der Verlauf

Rückblickend klingt mein Problemchen gar nicht so dramatisch, und doch bin ich monatelang nicht auf die einfachste der einfachsten Lösungen gekommen: Nachdem ich mal wieder ein System neu aufgesetzt hatte, fing es plötzlich an: Anstatt die integrierten Lautsprecher meines Laptops zu erkennen, schaltete das Soundsystem der entsprechenden Distribution auf den Kopfhörerausgang, obwohl der gar nicht belegt war.

So etwas ist natürlich unschön, gerade wenn der Rechner zu Multimedia-Zwecken genutzt werden soll, dementsprechend wollte ich das Problem natürlich lösen, und zwar so schnell wie möglich: In Zeiten, in denen von heute auf morgen Präsenzveranstaltungen ins Digitale verlegt werden können, ist ein funktionierendes Audiosystem doch relativ wichtig.

Meine erste Idee erscheint mir im Nachhinein doch ganz schön naiv: Warum nicht andere Distributionen ausprobieren und auf das beste hoffen? Warum nicht eine aktuellere Distro mit aktuelleren Versionsständen auf die Platte werfen und fertig? Der Rest wird sich schon geben, mit der Zeit, dachte ich.

Dann ging das Distrohoppen los: Von Debian Stable aus zu Fedora, openSUSE, Arch, Slackware, Kanotix, MX, AntiX bin ich gefühlt einmal durch die halbe GNU/Linux-Welt gewechselt, nur um nach einiger Zeit zu dem Schluss zu kommen, dass das vielleicht doch wenig gebracht hat.

An dem Punkt war ich dann schon etwas ratlos, immerhin liefern die unterschiedlichen Distros teils vollkommen verschiedene Audio-Implementationen aus, Debian 11 kommt mit PulseAudio, Fedora und openSUSE mit Pipewire und AntiX mit einem blossen ALSA-System.

Dementsprechend schwierig gestaltete sich dann auch die notwendige Websuche: Erfahrungsgemäss haben die allermeisten kein Problem für sich allein, irgendjemand hat sich sicherlich schoneinmal im Forum beschwert -- davon bin ich zumindest bis jetzt ausgegangen.

Ist man dann einmal selbst von einem schier unlösbaren Problem betroffen, können einen schon die kleinsten Abweichungen in den Forenthreads, die kleinsten Versionssprünge zur Weissglut treiben. Was nützt mir ein Thread, in dem jemand genau das Problem beschreibt, das ich auch habe, am besten noch mit der selben Hardware, dieses aber zu Zeiten von Uralt-Ubuntu gelöst bekommen hat?

Um das Problem zu lösen, taten sich je weiter ich recherchiert habe, auch immer mehr Lösungsvorschläge auf: Warum nicht die ALSA-Konfiguration restoren, warum nicht den PulseAudio-Daemon starten, warum nicht den Kernel aktualisieren, warum nicht gleich die Distro wechseln, warum nicht Firmware XY installieren -- ich könnte ewig so weiter machen, Problem ist nur: Das alles hat zu wirklich nichts geführt.

Nachdem die ersten Wochen vergangen und die Festplatte so ziemlich alle bekannten Distributionen (bis auf Gentoo, so viel Zeit habe ich dann doch nicht) gesehen hatte, kam bei mir langsam Frust auf: Irgendwie muss das doch gehen!

Anstatt einmal ganz kurz nachzudenken und den vielleicht offensichtlichsten Lösungsansatz einzubeziehen, habe ich mir dann überlegt, dass ich zumindest zeitweise ein funktionierendes System brauche; ein Workaround musste her.

Das im Hinterkopf habe ich mich dafür entschieden, ersteinmal in Foren nachzufragen, kann ja nicht sein, dass ich der Einzige mit einem solchen Problem bin...

Im (grossartigen) Debianforum.de konnte man mir dann tatsächlich weiterhelfen, auch, wenn es bis zur eigentlichen Lösung des Problems noch mal zwei Monate dauern sollte. Der erste Tipp war tatsächlich notwendig und unterm Strich vermutlich das Erfolgserlebnis, weswegen ich an dem Problem dran geblieben bin:

Um überhaupt Töne aus dem zu diesem Zeitpunkt installierten Debian 11 zu bekommen, musste ich zunächst einmal die Automute-Optionen im Alsamixer deaktivieren -- also Änderungen auf einer Konfigurationsebene vornehmen, die auf den ersten Blick nichts mit den Einstellungen von PulseAudio zu tun zu haben schien.

Nachdem die Automute-Optionen ausgeschaltet waren, blieben unter Debian 11 nur noch die widerwilligen Gewohnheiten von PulseAudio auszuräumen. Ohne besseres Wissen habe ich dann erst einmal das PulseAudio-Modul, was für den Wechsel zu einem verfügbaren Ausgangs-Port (also zum Beispiel zu den Kopfhörern oder den Lautsprechern) aus dem System ausgesperrt.

Gut eigentlich muss ich es gar nicht so dramatisch sagen, immerhin muss nur die entsprechende Zeile in der Datei /etc/pulse/default.pa bzw. im entsprechenden Gegenstück im Home-Verzeichnis auskommentiert werden. Dann noch ein dediziert festgelegter Ausgangsport in die Datei geschrieben und: fertig ist der Workaround.

So weit so gut. Für einen Abend habe ich mich dann schon sehr gefreut, doch dann hat mich der technische Fortschritt in Frage gestellt: In den allermeisten Distributionen, vermutlich sogar unter BSD, wird sich die neue Multimedia-Implementierung Pipewire durchsetzen; ist das noch nicht der Fall, so ist es zumindest absehbar.

Debian plant für Version 12 die Integration von Pipewire in das System, wer momentan Sid installiert, bekommt dieses Soundsystem direkt auf die Platte. Unter Arch, openSUSE und Fedora ist Pipewire schon längst der Standard, auch in den Slackware-Repos finden sich mittlerweile Pipewire-Pakete.

Bevor ich hier wieder losschimpfe muss ich zugeben: Das ist wirklich nicht schlecht: Pipewire verbindet so etwa PulseAudio und Jack, bietet dementsprechend auch weitreichendere Konfigurationsoptionen, gerade im Vergleich zu Pulseaudio. Ausserdem geht das Gerücht um, dass Pipewire die Soundqualität von Bluetooth-Kopfhörern massgeblich verbessern kann: Den Siegeszug von Pipewire möchte ich gar nicht aufhalten, als mein Problem noch nicht gelöst war tat sich aber ein relativ grosses Loch auf:

Wie soll ich denn mit Pipewire einen Workaround umsetzen, der hauptsächlich darauf basiert, PulseAudio zu einer ungewöhnlichen Konfiguration zu zwingen. Die Antwort war, gerade als ich festgestellt habe, dass Pipewire nun wirklich nicht auf so etwas ausgelegt zu sein scheint, ganz einfach: Vergiss es!

Mit der bösen Vorahnung, dass ich in ein paar Monaten wieder vor einem System ohne Audio zu sitzen, hatte ich dann wirklich keine Lust mehr auf Workarounds, ich wollte das Problem ein für alle mal lösen.

Dementsprechend habe ich wieder recherchiert. Nur so viel: Wenn sich der scheinbar einzige verfügbare Conexant-Chip-Codec des Kernels in der Versionsnummer komplett von der laut HP verbauten Hardware unterscheidet, hinterlässt das schon ein mulmiges Gefühl.

Und was macht man, wenn man ein mulmiges Gefühl bekommt: Ab in's Forum, wie auch sonst. Jede/r, der die Beiträge, die ich bezüglich dieses Problems hier, hier, dort oder auch im GNU/Linux.ch Help-Channel gelesen hat, hat möglicherweise die latente Verzweiflung mitbekommen, die dieses blöde Problem über die Monate erzeugt hat.

Warum eigentlich dieser Beitrag?

So, an diesem Punkt habe ich vermutlich alle Lesenden mit einem schrecklich persönlichen Einzelfall genervt und sicherlich nicht nur einmal die Frage aufgeworfen, was diese wirren Schilderungen eigentlich sollen. Vielleicht sollte ich diese erst einmal beantworten, bevor ich zum Schluss komme.

Ich für meinen Teil kann nur sagen: Das Problem hat mich zwar Monate lang immer weiter verfolgt und wollte scheinbar nicht enden. Nachdem ich mehrere Abende am Rechner verzweifelt bin, weil einfach kein Lösungsvorschlag zu funktionieren schien, fällt mir jetzt aber ein, wie viel mir das eigentlich gebracht hat.

Hätte ich kein solches Problem gehabt, wüsste ich jetzt vermutlich viel weniger von PulseAudio, ALSA und Pipewire. Wenn ich kein solches Problem gehabt hätte, wüsste ich jetzt nichts über die Stärken und Schwächen der Soundimplementierungen unter GNU/Linux. Unterm Strich habe ich so viel gelernt, dass ich doch ganz gut über die zeitweisen Situationen der Ratlosigkeit hinwegsehen kann.

Selbst wenn morgen wieder alles kaputt geht und das, was ich für die Lösung gehalten habe sich als grosser Zufall, als ein grosser Schein herausstellt, würde dieser Beitrag vermutlich nicht an Gültigkeit verlieren.

Neben den ganzen technischen Details weiss ich jetzt auch von den vielen netten Leuten in den diversen GNU/Linux-Foren, die vor allem deswegen dort sind, weil sie anderen helfen, und womöglich etwas an die Community zurückgeben wollen.

Unentgeltlich einiges an Zeit zu opfern, nur um gemeinsam mit Betroffenen an ihren technischen Problemen herum zu rätseln ist doch etwas sehr ehrenwertes, tatsächlich ehrenamtliches.

Wer sich über die gegebenenfalls rauen Antworten in einem Forum beschwert, hat natürlich einen Punkt. Natürlich bringt es keinen weiter, wenn eine der beteiligten Parteien unfreundlich zur anderen ist. Und doch sollte man verstehen: Wer in einem Forum um Hilfe bittet, sollte versuchen, ein paar Gepflogenheiten einzuhalten:

Wenn ein Forenthread nur aus drei Zeilen besteht, ist nunmal zu erwarten, dass diejenigen, die einem eigentlich helfen wollen, statt einem Lösungsansatz vorzuschlagen nur die Forderung nach genaueren Informationen stellen.

Nach den ganzen Verstrickungen um dieses eine Problem hat sich meine Herangehensweise an derartige Ansätze der Problemlösung auch geändert: Es ist nicht gesagt, dass das Problem schon im ersten Thread gelöst wird.

Meistens sind die Probleme, die bei einem GNU/Linux-Betriebssystem auftreten vielschichtig und doch verständlich. Wenn die Lösung aus dem Forum also nur aus "tipp' das ein" besteht, ist einem Betroffenen auf lange Sicht vermutlich wenig geholfen.

Bevor man in einem Forum nachfragt, lohnt es sich, selbst zu recherchieren, das habe ich auch bei meinem Problem gemacht und nur so die Gründe verstanden. Ein Forum ist unterm Strich besonders gut, um die Ergebnisse der eigenen Recherchen mit der Hilfe anderer zu einer Lösung zusammen zu binden.

Apropos Lösung...

Wenn man's weiss, ist alles einfach! Die Frage ist bloss, wann man es dann mal weiss. Nachdem ich Ewigkeiten gesucht, lange Forenthreads angefangen, Firmware installiert, Distributionen gewechselt und sogar das BIOS aktualisiert habe, war die Lösung ganz einfach: Die Kopfhörerbuchse war innen verstaubt oder verschmutzt, obwohl das von aussen gar nicht zu erkennen war.

Nach einer sehr simplen Säuberung hat dann das funktioniert, was ich seit Monaten wollte: Der Rechner macht wieder Krach!

Bild: Lauschendes Gnu (Nevrax-Design-Team) <https://www.gnu.org/graphics/listen.html>
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Tags

Audio, Probleme, Lernen, Wochenende

Daniel
Geschrieben von Daniel am 21. Oktober 2022 um 20:17

Kleine, völlig unerwartete, nervenzerreisende Ursache, große Wirkung!

Ich kann es fühlen....

Joe
Geschrieben von Joe am 21. Oktober 2022 um 22:26

Ich bin embedded Hardware Entwickler (Steuergeräte für Autos). Auf die Lösung bin ich beim Lesen nicht gekommen. Mein geschätzter Software Kollege sagt immer, es liegt an der Hardware; die Software macht immer das Gleiche. Wenn es mal geht und dann mal nicht, hat sich die Hardware geändert. Am Anfang wollte ich es nicht glauben. Über die Jahre habe ich es schätzen gelernt.

Herr_Dyyhl
Geschrieben von Herr_Dyyhl am 22. Oktober 2022 um 21:35

Kann man sich echt nicht ausdenken. :-D

Danke für den Artikel, ich hatte viel Freude beim Lesen.

UbIx
Geschrieben von UbIx am 25. Oktober 2022 um 06:54

Komisch, schon nach dem lesen der ersten Zeilen, war mir der Gedanke nach einer verschmutzten oder defekten Klinkenbuchse gekommen. Liegt evtl. daran das ich immer wieder mit Stecker und elektrischen sowie mechanischen Problemen beschäftigen muss.