Wenn es um das Thema Medienpädagogik, digitale Medien und Medienbildung geht, laufen an Schulen die Prozesse oft in unterschiedlichste Richtungen. Gerade an Schulen in freier Trägerschaft, wie an unserer Freien Waldorfschule an der beschaulichen Ostsee, kommt man dann aber auch schnell von den grundsätzlichen Fragen zu einer pädagogischen Fragestellung: Wie soll das geplante Medienkonzept umgesetzt werden? Da wir frei von den staatlichen Vorgaben zur Verwendung bestimmter Lehrpläne und Anwendungen sind, dürfen wir selbst unser Medienkonzept und seine Ausgestaltung bestimmen. Das heißt jedoch auch: Wir müssen uns frei von Vorgaben oder Beschaffungsplänen um Inhalte und Ausstattung komplett selbst kümmern.
Und von den pädagogischen Fragestellungen landet man dann sehr schnell bei den richtig konkreten Fragen: Mit welchen Geräten, mit welcher Software wollen wir arbeiten? Wollen wir den Weg gehen, den die meisten Oberstufenschüler:innen über kurz oder lang genervt einschlagen und uns mit Tablets (inklusive ihrer Handschrifterkennung) ausstatten? Haben wir genug Geld für iPads? Oder doch lieber Android-Tablets? Und wie sieht es da eigentlich mit den Updates für die Geräte aus? Oder wollen wir, in Vorbereitung auf die zukünftige Arbeitswelt und auf das Drängen einiger Eltern, die Schüler:innen in der Anwendung von Windows und Microsoft Office schulen?
Mit solch konkreten Fragestellungen setzen wir uns in unserer Arbeitsgruppe Medienpädagogik an der Schule auseinander. Zugute kam uns hierbei eine bereits seit längerer Zeit bestehende Kooperation mit einer Softwarefirma vor Ort. Diese befasst sich neben Systemadministration auch mit Linux in der Schule. Mithilfe dieses Unternehmens bauten wir ein Netzwerk mit Gerätepools für Lehrer und Schüler auf, mit dessen Hilfe wir vor mehreren Jahren in die Medienbildung eingestiegen waren. Ein Vorteil: In Problemfällen kann ein Partner vor Ort kurzfristig und niederschwellig Support leisten. Daneben gab es mehrere Gründe, die uns dazu bewegt hatten, bei der Auswahl unserer IT-Dienste auf eine Open-Source-Strategie zu bauen.
Ein wichtiger Aspekt bei der Auswahl des Betriebssystems und der Anwendungen, mit denen wir im Unterricht arbeiten wollen, war unter anderem der soziale Bildungsauftrag der Schulen. Schulen haben den Auftrag, Schüler:innen darin zu unterstützen, Bürger einer starken, fähigen, unabhängigen, zusammenarbeitenden und freien Gesellschaft zu sein. Durch die Nutzung freier Software, die nicht nur kostenlos erhältlich ist, sondern die auch jederzeit an eigene Bedürfnisse angepasst, verändert und verteilt werden darf, unterstützen wir junge Menschen, sich der Marktmacht einzelner großer Konzerne oder Anbieter zu entziehen. Dann können sie eigene, selbstbestimmte Wege gehen. Durch die Vorbildfunktion, die wir als Schulen haben, prägen wir das Bild davon, wie und mit welchen Software-Instrumenten wir mit dem Medium Computer interagieren.
Keine Werbung an Schulen zulassen
Durch das Verteilen kostenloser Lizenzen an Schulen, das Verknüpfen von Betriebssystemlizenzen mit gekauften Geräten oder durch das zur Verfügung stellen kostenloser Software für Schulen durch große kommerzielle Anbieter wie Apple oder Microsoft werden Schüler:innen bereits in jungen Jahren nachhaltig geprägt. So findet mit der Zeit ein sogenannter Lock-In Effekt statt. Anwender:innen werden auf bestimmte Anbieter von Betriebssystemen oder Anwendungen wie Bürosoftware, Schnittprogrammen und Webbrowsern einengt. Das liegt daran, dass sie sich mit diesen am besten auskennen und Anwendungen teilweise nur für bestimmte Plattformen zur Verfügung stehen. Durch den Einsatz von Open-Source-Software und einem offenen Betriebssystem auf GNU/Linux-Basis mit ihren offenen Formaten lässt sich eine Interoperabilität zwischen Geräten und Anwendungen unterschiedlichster Anbieter herstellen.
Gleiche Chancen für alle
Open-Source-Software und freie Betriebssysteme auf GNU/Linux-Basis haben darüber hinaus den unbestreitbaren Vorteil, dass sie kostenlos erhältlich sind und von den Schulen auch selbst aktiv und kostenlos verteilt werden dürfen. Dadurch lässt sich an den Schulen eine gewisse soziale Gerechtigkeit im Umgang mit digitalen Anwendungen herstellen. Denn nicht immer können sich alle Elternhäuser die neuesten und teils sehr teuren Geräte der großen Anbieter leisten. Auch kostenpflichtige Online-Abonnements für Software gehen schnell ins Geld, wenn mehrere Geräte im Haushalt versorgt werden müssen. Nach anfänglichen kostenlosen Angeboten für Schüler:innen werden diese nach Beenden der Schulzeit schnell kostenpflichtig. Sie erscheinen, mangels bekannter Wahlmöglichkeiten, als alternativlos. GNU/Linux-Bestriebssysteme laufen auch durch ihren sparsamen Einsatz von Ressourcen auch auf älterer Hardware noch problemlos. So sind bei uns an der Schule noch Geräte mit einem Alter von deutlich über zehn Jahren im täglichen produktiven Einsatz. Solche Geräte sind auch von hochwertigen Herstellern günstig über den Gebrauchtmarkt erhältlich, bei auf Gebrauchtgeräte spezialisierten Händlern sogar mit Gewährleistung. Da man bei der Auswahl seiner Geräte freie Hand hat und nicht an einen bestimmten Anbieter gebunden ist, kann man Hardware auswählen, die sich auch in Zukunft noch durch Upgrades und Reparaturen weiterverwenden lässt.
Ressourcenschonung
Durch den bewussten Einsatz von Geräten, den sorgsamen Umgang mit diesen und die lange Nutzungsdauer durch den Einsatz von GNU/Linux-Betriebssystemen kann der Ressourcenverbrauch spürbar gesenkt werden. Da man sich von den Software-Zyklen der Anbieter wie Microsoft, Google oder Apple entkoppeln kann, ist man nicht mehr gezwungen, auch deren Updatezyklen für Hardware zu folgen. Bei diesen wird häufig mit Einführung eines neuen Betriebssystems die Unterstützung für ältere Geräte gestrichen, auch wenn diese von den Leistungsdaten her den Anforderungen noch genügen würden. Setzt man hingegen auf Open-Source-Betriebssysteme gibt es eine große Auswahl an guten Systemen, die auch auf älteren Rechnern noch problemlos laufen und die Geräte nicht durch künstliche Maßnahmen obsolet machen. Durch die Nutzung freier Software lässt sich folglich auch der Umweltschutzaspekt nennen, der für die Einführung einer Open-Source-Strategie an Schulen spricht.
Anpassen, Verändern und Einblicke gewinnen
Freie Software bietet darüber hinaus auch noch die Möglichkeit, Anpassungen vorzunehmen, die zu den jeweiligen Anwendungszwecken passen. So kann man eine automatische Abmeldung für vergessliche Schüler:innen (oder Kolleg:innen) einbauen, die verhindert, dass angemeldete Benutzer ein Arbeitsgerät blockieren, wenn das Abmelden von der Arbeitsumgebung einmal vergessen worden sein sollte. Auch eine Anpassung der Benutzeroberfläche, die über einen speziellen Desktophintergrund hinaus gehen, lassen sich vornehmen. So lassen sich Arbeitsumgebung und Aussehen von Anwendungen z.B. über entsprechende Themen an das Corporate-Design einer Einrichtung anpassen oder das Angebot an Software für bestimmte Klassenstufen einschränken. Interessant ist für neugierige Oberstufenschüler:innen sicherlich auch die Möglichkeit, benutzte Software gezielt zu verändern, oder durch die Beschäftigung mit dem frei einsehbaren Code Einblicke in die Funktionsweise von Programmen zu erhalten. Im Rahmen von Programmierkursen oder Software-Arbeitsgemeinschaften lassen sich so eventuell auch gemeinsam Verbesserungen an, oder Fehlerberichterstattung zu verwendeter Software organisieren.
Fazit
Der Einsatz von freier Software an Schulen bietet nicht nur für die Institutionen, sondern letztlich auch für die Anwender in Form von Lehrkräften und Schüler:innen eine Vielzahl von Vorteilen. Sicherlich ist hier an der ein oder anderen Stelle Überzeugungsarbeit zu leisten. Es sprechen jedoch viele gute Argumente für den Einsatz freier Software an Schulen und die Vorteile überwiegen letztlich. Gemeinsam mit einem Partner, der die Umsetzung begleitet (und den man in der Regel auch für gewöhnliche, kommerzielle Produkte benötigt), lassen sich hier meist schnell und unkompliziert gute und stabile Lösungen finden. Wir können allen Schulen nur Mut machen, sich auf diesen Weg zu begeben - es lohnt sich!
Anwendungsbeispiele
Grundlegende Architektur
Debian Skolelinux mit der Mate-Arbeitsumgebung für die Arbeitsgeräte (Schülerlaptops, Roaming Workstation; Lehrergeräte als Workstation), die Lernplattform "ILIAS" für den pädagogischen Einsatz, gepaart mit BigBlueButton als Videokonferenzsystem und Seafile als Dateiserver für das Kollegium: Das bildet bei uns die Software-Basis.
Beispielhafte Anwendungen
Wir arbeiten im Unterricht beispielhaft mit einer Vielzahl der in Debian Skolelinux mitgelieferten Anwendungen, ergänzt um eigene Pakete, die sich im Alltagsgebrauch als nützlich erwiesen haben. Eine kleine Auswahl soll an dieser Stelle einmal vorgestellt werden.
LibreOffice
Das Softwarepaket LibreOffice wird im Unterricht hauptsächlich mit seinen Modulen Writer, Calc und Impress genutzt. Writer wird für die Erstellung von größeren und kleineren Texten genutzt, für digitale Epochenhefte und Lebensläufe. In Calc werden Grundlagen der Tabellenkalkulation erlernt, Grafiken und Formulare erstellt. Mit Impress werden Präsentationen für den Unterricht vorbereitet. Die Schüler:innen erhalten dabei zu Beginn durch einen Crashkurs Einblicke in die grundsätzliche Bedienung sowie die Formatierungsmöglichkeiten, die im folgenden durch einzelne Projekte gefestigt werden. Im Kolleg:innenkreis werden auch die Module Math zur Erstellung von Arbeitsblättern im Mathematikunterricht und Draw für Schaubilder und den Umgang mit PDF-Dateien genutzt.
Minder
Das kleine Hilfsprogramm Minder wird zur Erstellung von Mindmaps genutzt. Dazu erhalten die Schüler:innen eine kurze Einführung bzw. je nach Klasse eine Wiederholung in die Methodik des Mindmapping. Im Anschluss erarbeiten sie sich eigene Mindmaps. Das Gestalten der Maps wird dabei ebenso behandelt wie der anschließende Export in verschiedene Formate wie PDF und Bild für die weitere Verwendung in anderen Programmen.
PDF-Arranger
Mit der Software PDF-Arranger lassen sich PDFs in Grundzügen bearbeiten. Neben dem Anzeigen von PDFs kann die Software auch einzelne Seiten aus einem PDF-Dokument löschen oder bestimmte Seiten als neue Datei exportieren.
Atril, Foliate und Calibre
Für den Umgang mit eBooks in unterschiedlichen Formaten (EPUB, PDF) benutzen wir hauptsächlich die Software Atril, die als Standardanwendung zur Betrachtung von PDF-Dokumenten in unserem Debian vorinstalliert ist. Sie kann auch mit EPUB-Dateien umgehen und diese anzeigen. Die Software Foliate erweitert die Möglichkeiten um das Anlegen von Lesezeichen und Notizen. Letztere lassen sich auch als Markdown oder Textdateien zur weiteren Verwendung exportieren. Für die umfangreiche Bearbeitung, das Umwandeln in unterschiedliche Formate oder das Verwalten größerer Bestände an eBooks nutzen wir die ebenfalls vorinstallierte Anwendung Calibre. Hier bleiben keine Wünsche offen, durch die vielen Möglichkeiten überfordert sie jedoch auch schnell einmal die Schüler:innen. Für das reine Lesen verwenden wir daher meist eine einfachere Anwendung.
Stellarium
Für den Astronomieunterricht eignet sich das digitale Planetarium Stellarium hervorragend. Hier kann der Sternenhimmel zu beliebigen Zeitpunkten betrachtet, Sternbilder können angezeigt und Simulationen und Präsentationen erstellt werden. Zur Vorbereitung von Beobachtungen in der echten Welt ist sie ebenso geeignet wie für ausgeprägte Schlechtwetterphasen mit dauerhaft bewölktem Himmel.
Inkscape, Krita und GIMP
Für den kreativen, künstlerischen Umgang mit Bildern nutzen wir die Grafikprogramme GIMP, Inkscape und Krita. Hierbei entstehen sowohl Collagen, Vorschaubilder für Medienbeiträge (Thumbnails) oder komplett eigenständige künstlerische Arbeiten, bei denen Stift und Farbe durch Maus oder Grafiktabletts ersetzt werden.
Scribus
Um den Umgang mit Desktop-Publishing Anwendungen zu üben, führen wir in der Oberstufe die Software Scribus ein und gestalten damit Flyer, Einladungen, Poster und Publikationen. Geplant ist auch eine Schülerzeitung. Diese soll neben der Online-Präsenz um eine regelmäßig erscheinende Print-Ausgabe ergänzt werden.
Audacity und Ardour
Mit der Audiobearbeitungssoftware Audacity werden Interviews und Podcasts erstellt, die im Rahmen der Unterrichte angefertigt werden. Auch aufwändigere Audioproduktionen lassen sich mit Audacity gestalten, wenn auch in Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern gerne auf die Software Ardour zurückgegriffen wird.
Kdenlive und SimpleScreenRecorder
Kleine Tutorials und Erklärvideos lassen sich mit der Videoschnittsoftware Kdenlive bearbeiten. Häufig genügt für kleinere Projekte auch bereits die Verwendung eines Programms wie SimpleScreenRecorder zur Aufnahme des Bildschirms, meist in Verbindung mit einem Headset oder einem Mikrofon zur direkten Vertonung der Erklärungen genutzt.
Weiterführende Inhalte und Quellen:
https://digitalcourage.de/kinder-und-jugendliche/schulen
https://www.gnu.org/education/edu-schools#content
https://fsfe.org/
https://blends.debian.org/edu/
https://lernenwiedieprofis.ch/
https://gnulinux.ch/ciw044-podcast
Danke für den Artikel ! Seid Ihr auch im "Netzwerk Freie Schulsoftware"? https://digitalcourage.de/netzwerk-freie-schulsoftware
Vielen herzlichen Dank für den wundervollen Artikel. Ich wünschte mir, dass so die Arbeit an Schulen aussehe, und das flächendeckend im ganzen Bundesgebiet. Da aber in Deutschland jedes Bundesland sein eigenes Süppchen kocht, wird es wohl ein Traum bleiben, das flächendeckend zu sehen. Nur mit so einer Arbeit kann man Firmen mit Monopolstellung zerschlagen. Solange aber Abgesandte dieser Firmen mit Geldkoffer im ganzen Bundesgebiet unterwegs sind, um das Geld an der richtigen Stelle zu verteilen, wird sich an dieser Situation leider nichts ändern. Siehe München? Warum läuft es in Schwäbisch Hall? Ein Schelm, der Böses dabei denkt!
Euch wünsche ich auch weiterhin viel Erfolg auf dem Weg, den ihr eingeschlagen habt.
Gruß Wolfgang Kobel
Vielen Dank für diesen Artikel mit vielen Argumentationshilfen. An unserer Waldorfschule ist leider die IT für die Lehrer in der Hand der Geschfäftsführung. Da sitzt ein MS-Verfechter. Alles ist komplett auf MS 365 abgestelllt. (Argument: Datenschutz, damit die Lehrer nichts auf ihren Geräten speichern) Zum Glück kann ich für den Unterricht selbst entscheiden was ich mache. Wir nutzen das "Linuxmuster" mit Tuxedo Laptops auf denen dann PopOS läuft. Auch wir haben hier sehr kompetente Hilfe eines Dienstleisters. Für den Distatnz-Unterricht zu Coronazeiten haben wir uns (nicht ohne Kampf gegen den genannten Kreis) für eine Lösung aus dem Haus TK-Schulsoftware entschieden und waren damit in kürzester Zeit Online. Dabei wird auf BBB und Nextcloud gesetzt.