Gute Gründe für Debian

Mo, 21. Februar 2022, Fabian Schaar

Das ist ein Meinungsartikel

Wer sich ein wenig mit der GNU/Linux-Welt auseinandersetzt, hat sicher schon einmal von „Linux is all about choice“ gehört, zu deutsch „Linux dreht sich um [persönliche] Entscheidungen“. Mit diesem Artikel möchte ich auf eine der wichtigsten Entscheidungen eingehen, die alle, die GNU/Linux einsetzen möchten, früher oder später treffen müssen: die Wahl der Distribution. Dieser Artikel bezieht sich allerdings nicht auf eine technische Ebene, sondern viel mehr auf etwas vollkommen anderes: Philosophie.


Was ist eigentlich wichtig?

Sicher, welche Distribution eingesetzt wird, kann heute schnell hinfällig werden: Die verschiedenen Desktopumgebungen funktionieren ohnehin auf allen Distros gleichermaßen (zumindest in der Regel), und wenn es nur um das Look-and-Feel des Desktops geht, reicht es theoretisch auch Dotfiles hin- und herzukopieren.


Einmal eingerichtet wird jede*r sicher früher oder später mit so gut wie allen Distributionen klarkommen. Im Grunde funktionieren sie ja fast alle sehr ähnlich. Software lässt sich unter Debian ebenso installieren wie unter OpenSuse. Sicherlich gibt es hier und da Feinheiten, was die Terminalbefehle, die Systemverwaltung oder sonstige Gepflogenheiten der Distribution angeht. Und ja, es gibt auch Ausnahmen von der Norm, beispielsweise Slackware, wo das "Angebot" zusätzlicher Software ziemlich stark von der Community abhängt (Slackbuilds usw.) und das System eher von Grund auf verstanden werden sollte.

Riesengroße Unterschiede finden sich zwischen den Distributionen im Mainstream, wenn es so etwas in der Linux-Szenen überhaupt gibt, meist nur in bestimmten Punkten: Wie händeln die Distributionen Releases (statisch oder rollend), wie werden Desktop-Oberflächen ausgeliefert? Natürlich sind das Fragen, die sich auf das Erlebnis der Nutzer*innen mit der Distro auswirken. Aber im Grunde genommen sind die auch nicht zu tragisch.

Debian bietet neben den stabilen Versionen auch das aktuellere Testing bzw. das rollende "Sid". OpenSuse spaltet sich in Tumbleweed (rolling) oder Leap (abgehangen) und Fedora veröffentlicht derartig schnell, dass die Aktualität der statischen Releases oftmals auf dem Stand einer rollenden Distro sind.
 
Und wenn es nur auf die Benutzeroberfläche und deren Konfiguration ankommt, sollte die Distro ohnehin hinfällig sein. Xfce beispielsweise kann überall gleich aussehen, Gnome lässt ohnehin kaum Konfigurationen zu und Cinnamon als integraler Bestandteil von Linux Mint lässt sich auch sonst wo installieren.
 
Um einen wirklichen Unterschied zwischen den Distributionen feststellen zu können, braucht es meiner Ansicht nach eine andere Kategorie, die häufig außen vor gelassen wird: Philosophie.


Nein, ich rede nicht von der Entwicklungsphilosophie, sondern von der gesellschaftspolitischen Rolle der jeweiligen Distribution. Um einen Unterschied festmachen zu können, halte ich es für falsch, rein technisch zu argumentieren. Ich glaube, es ist wichtiger, sich auf konkrete Standpunkte zu konzentrieren.

Ein Beispiel für eine wichtige politische Frage in der GNU/Linux-Welt ist die Freiheit von Software. Vermutlich sind alle, die irgendwie über diesen Artikel gestolpert sind, mit den Grundsätzen der Freien-Software-Bewegung vertraut, die vor Dekaden von Richard Stallman ins Leben gerufen wurde. Nun übertrage ich diese Frage nach der Freiheit mal auf Debian GNU/Linux:

Debian hat sich der Softwarefreiheit meiner Ansicht nach wie kaum eine andere der bedeutenden Distributionen verschrieben. In der offiziellen Ausgabe finden sich nur freie Pakete, auch die unfreien Repositories sind standardmäßig deaktiviert. Somit hat sich Debian GNU/Linux klar positioniert - und diese Position auch im Gesellschaftsvertrag des Projekts festgeschrieben. Das ist eine Entscheidung, die ich persönlich sehr zu schätzen weiß:

Debian weiß von den politischen Hintergründen und gibt mir persönlich einen handfesten Grund, nicht nur die Distro, sondern auch GNU/Linux allgemein zu nutzen: Soziale Freiheit im Digitalen. Während andere Distributionen "Willkommen bei der Freiheit" rufen (ich meine hier im Speziellen Fedora), dann aber standardmäßig unfreie Firmware mitinstallieren, ist Debian konsequent. Und das ist auch gut so.

Ein anderer Punkt, der Distributionen meiner Ansicht nach unterscheidbar macht, ist die Rolle von kommerziellen Akteuren. Community-Projekte wie Fedora oder OpenSuse sind zwar auf dem Papier unabhängig, hängen aber mehr oder weniger am finanziellen Tropf eines kapitalistischen Unternehmens, in dem Fall Redhat oder Suse. Noch schlimmer ist das ganze bei Ubuntu, das Unternehmen Canonical ist hier der Herrscher über eine viel genutzte Distribution.

Debian hingegen ist das Community-Projekt schlechthin. Sicher, auch Debian hat Sponsoren, die nicht immer die sympathischsten sind - aber diese Sponsoren stehen auf Augenhöhe mit Entwickler*innen und Nutzer*innen. Meiner Ansicht nach ist und bleibt Debian die einzige der großen Distros, die um soziale Aspekte der Entwicklung weiß und ist weniger abhängig als so manch andere.

Damit möchte ich zum letzten Punkt dieses Beitrags kommen: Innere Demokratie und Nutzereinbindung. Hier gibt es deutliche Unterschiede. Bei Community-Projekten, die von Redhat abhängen, hat die Firma im Zweifel das letzte Wort, jüngst gesehen bei den Entwicklungen um CentOS, die einigen in der Community wirklich gegen den Strich gingen.

OpenSuse ist, wie im Wikipediaeintrag treffend dargelegt wird eine "do-ocracy", folglich entscheiden im Zweifel die Entwickler (wenn nicht Geldgeber Suse) was beispielsweise mit Paketen passiert. Für den/die ein oder andere*n mag das nicht so schlimm sein, dennoch wird hier die Entscheidung aus der Hand der Nutzenden genommen, was meiner Meinung nach einen tiefen Einschnitt in die Distro-interne Demokratie darstellt.
 
Debian vertritt im Gegensatz dazu einen basisdemokratischen Ansatz, der mir sehr viel mehr zusagt. Gerade, wenn es um öffentliche Positionierungen geht, macht das Debian-Projekt lieber eine Abstimmung. Die Koordination des Projektes wird gewählt - und die Community der Nutzenden scheint eine Rolle zu spielen.
Auf technischer Ebene werden zumeist die Standardkonfigurationen der Desktops und Pakete ausgeliefert, was den Nutzer*innen die Möglichkeit gibt, die Form der Software zu erleben, die die jeweiligen Entwickler vorgesehen haben. Da gibt es Schlimmeres, vermute ich.

Zum Ende möchte ich eines festhalten: Natürlich ist die Wahl der Distro, der Oberfläche, der Programme und so weiter am Ende eine persönliche Entscheidung. Mit diesem Artikel möchte ich nicht etwa andere Projekte in den Dreck ziehen, sondern viel mehr auf den interessanten politischen Ansatz von Debian aufmerksam machen. Debian bleibt für mich im Anbetracht der politischen Positionen die erste Wahl. Und ja, auch Debian ist in dieser Hinsicht nicht perfekt, einige nennen das Projekt zu bürokratisch. Ich nicht. Debian hat klare gesellschaftspolitische Positionen, und deren Wert gilt es zu erkennen.

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Debian, GNU, Linux, Distributionen, OpenSuse, Suse, Desktop