Es sieht so aus, als hätte Red Hat/IBM zurzeit keinen guten Lauf. Zuerst das Desaster mit den RHEL-Quellen, und jetzt wird für Fedora 40 Opt-out Telemetrie geplant. Wer seinen Ruf in der Community nachhaltig schädigen möchte, der lässt einem Desaster das nächste folgen. Das ist der Moment, in dem sich Larry Ellison die Hände reibt, wenn er Aufwind sieht.
Über die Geschichte mit den Red Hat-Quellen habe ich bereits vor einer Woche geschrieben. Während Canonical und SUSE noch an den Sektkorken drehen, präsentiert IBM den nächsten Downer und Oracle stellt den Kaviar kalt. Alma-Linux hält immer noch die Füsse still; wohingegen Rocky schon längst in den Boxring gestiegen ist und nach alternativen Quellen sucht.
Doch kümmern wir uns um den 'double down' von IBM:
In einem überraschenden Vorschlag, der viele Diskussionen ausgelöst hat, hat das Fedora-Projekt seine Absicht bekannt gegeben, ein Telemetrie-Tool in die kommende Fedora 40 Workstation-Edition aufzunehmen, die Ende April nächsten Jahres erscheinen soll. Das Red Hat Display Systems Team (das den Desktop entwickelt) schlägt vor, eine begrenzte Datenerfassung von anonymen Nutzungsmetriken der Fedora Workstation zu ermöglichen.
Die Initianten des Vorschlags sind der Meinung, dass es wichtig ist, dass die Fedora-Gemeinschaft die letzte Kontrolle über die Sammlung von Metriken hat. Die Kontrolle der Gemeinschaft ist notwendig, um das Vertrauen der Benutzer zu erhalten. Wenn dieser Änderungsvorschlag angenommen wird, dann brauchen wir neue Richtlinien und Verfahren, um die Kontrolle der Gemeinschaft über die Metriksammlung zu gewährleisten und sicherzustellen, dass Fedora-Benutzer darauf vertrauen können, dass unsere Metriksammlung ihre Privatsphäre nicht verletzt.
Telemetrie, eine Technologie, die üblicherweise mit Datenerfassung und Nutzungsanalyse in Verbindung gebracht wird, ist seit langem ein Streitpunkt in der Tech-Welt aufgrund von Bedenken bezüglich des Datenschutzes und der Zustimmung der Benutzer. Ihr erinnert euch bestimmt daran, als Canonical die Telemetrie bei Ubuntu eingeführt hat, was zu einem grossen Aufschrei in der Community führte. Das Problem ist, dass "Telemetrie" und "Open Source" nicht im selben Satz vorkommen können. Aber das gilt nicht für Red Hat.
Fedora will bei der Datenerfassung auf Azafea, das Endless OS Metrics System, setzen. Natürlich wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass keine persönlichen Daten gesammelt werden, sondern nur Informationen darüber, wie das Betriebssystem genutzt wird. Eine andere Frage ist, ob sich eine Linux-Benutzer:in dadurch wohler fühlen wird.
Doch Red Hat argumentiert weiter:
Eines der Hauptziele der Metriksammlung ist es, zu analysieren, ob Red Hat sein Ziel erreicht, Fedora Workstation zur führenden Entwicklerplattform für die Entwicklung von Cloud-Software zu machen. Dementsprechend wollen wir z.B. wissen, welche IDEs bei unseren Benutzern am beliebtesten sind und welche Laufzeiten zur Erstellung von Containern mit Toolbx verwendet werden.
Metriken können auch dazu verwendet werden, Entscheidungen über die Gestaltung der Benutzeroberfläche zu treffen. Zum Beispiel wollen wir die Klickrate der empfohlenen Software-Banner in GNOME Software erfassen, um zu beurteilen, welche Banner für die Benutzer tatsächlich nützlich sind. Wir wollen auch wissen, wie häufig die Panels in gnome-control-center besucht werden, um festzustellen, welche Panels konsolidiert oder entfernt werden könnten.
Fedora plant, eine neue Einstellung zum Sammeln von Metriken auf der Datenschutzseite der Ersteinrichtung und im GNOME-Kontrollzentrum hinzuzufügen. Es wird versprochen, dass keine Daten ohne das Wissen und die Zustimmung des Benutzers automatisch an Fedora gesendet werden. Ob das als Opt-out oder Opt-in implementiert werden wird, erschliesst sich mir noch nicht. Da Fedora sich also auf eine datengesteuerte Zukunft ausrichtet, stellt sich die Frage, ob dieser Schritt die Benutzererfahrung verbessern oder die langjährigen Prinzipien der Offenheit und Benutzerkontrolle, für die das Fedora-Projekt bekannt ist, aushöhlen wird. Es ist noch nicht klar, ob der Vorschlag des Fedora Engineering Steering Committees tatsächlich so umgesetzt wird.
Doch wartet, es kommt noch besser, sobald Oracle in den Ring steigt. In einer Pressemitteilung äusserten sich Edward Screven (Chief Corporate Architect) und Wim Coekaerts (Leiter der Oracle Linux-Entwicklung) gestern unter dem Titel:
Linux offen und frei halten - wir können es uns nicht leisten, es nicht zu tun.
Ich habe mir überlegt, die Pressemitteilung zusammenzufassen, damit ihr nicht so viel lesen müsst. Schlussendlich habe ich mich dafür entschieden, den Text als Übersetzung hier im Wortlaut wiederzugeben, damit ihr euch nicht durch das Englische quälen müsst. Damit habe ich zwar keine journalistische Schöpfungshöhe bewiesen, sondern lasse dem Original den Vorrang vor meiner Interpretation. Hier ist der vollständige Text der Oracle-Pressemitteilung:
"Oracle ist seit 25 Jahren Teil der Linux-Gemeinschaft. Unser Ziel ist in all diesen Jahren dasselbe geblieben: Wir wollen Linux zum besten Server-Betriebssystem für alle machen, das für alle frei verfügbar ist und denjenigen, die es brauchen, hochwertigen und kostengünstigen Support bietet.
Unser Linux-Entwicklungsteam leistet wichtige Beiträge zum Kernel, den Dateisystemen und den Tools. Wir geben diese Arbeit an die Mainline weiter, sodass jede Linux-Distribution sie enthalten kann. Wir sind stolz darauf, dass diese Beiträge mit ein Grund dafür sind, dass Linux heute so leistungsfähig ist und nicht nur Oracle-Kunden, sondern allen Benutzern zugutekommt.
Im Jahr 2006 brachten wir das heutige Oracle Linux auf den Markt, eine RHEL-kompatible Distribution und ein Support-Angebot, das weit verbreitet ist und die technischen Systeme von Oracle sowie unsere Cloud-Infrastruktur unterstützt. Wir haben uns für die RHEL-Kompatibilität entschieden, weil wir die Linux-Community nicht fragmentieren wollten. Unser Bestreben, kompatibel zu bleiben, war enorm erfolgreich. In all den Jahren seit der Markteinführung wurden fast keine Kompatibilitätsfehler gemeldet. Kunden und ISVs können von RHEL zu Oracle Linux wechseln, ohne ihre Anwendungen ändern zu müssen, und wir zertifizieren Oracle-Softwareprodukte für RHEL, obwohl sie nur für Oracle Linux entwickelt und getestet wurden und niemals für RHEL.
Obwohl Oracle und IBM kompatible Linux-Distributionen anbieten, haben wir sehr unterschiedliche Vorstellungen von unserer Verantwortung als Open-Source-Verantwortliche und vom Betrieb unter der GPLv2. Oracle hat die Binärdateien und den Quellcode von Oracle Linux immer für alle frei zugänglich gemacht. Wir haben keine Subskriptionsvereinbarungen, die in die Rechte eines Abonnenten zur Weitergabe von Oracle Linux eingreifen. Andererseits ist in den IBM-Abonnementverträgen festgelegt, dass Sie gegen die GPLv2 verstossen, wenn Sie diese Abonnementdienste nutzen, um Ihre GPLv2-Rechte auszuüben. Und seit dem 21. Juni veröffentlicht IBM den Quellcode von RHEL nicht mehr.
Warum hat IBM diese Änderung vorgenommen? Nun, wenn Sie den IBM-Blog lesen, in dem IBM versucht, seine Beweggründe zu erklären, läuft es auf Folgendes hinaus:
"Bei Red Hat verbringen Tausende von Menschen ihre Zeit damit, Code zu schreiben, um neue Funktionen zu ermöglichen, Fehler zu beheben, verschiedene Pakete zu integrieren und diese Arbeit dann für eine lange Zeit zu unterstützen ... Wir müssen die Leute dafür bezahlen, diese Arbeit zu machen."
Interessant. IBM will den Quellcode von RHEL nicht weiter veröffentlichen, weil es seine Ingenieure bezahlen muss? Das erscheint seltsam, wenn man bedenkt, dass Red Hat als erfolgreiches, unabhängiges Open-Source-Unternehmen den RHEL-Quellcode öffentlich zugänglich gemacht und seine Ingenieure viele Jahre lang bezahlt hat, bevor IBM Red Hat 2019 für 34 Milliarden Dollar übernommen hat.
In dem Blog wird auch CentOS erwähnt. Es ist keine Überraschung, dass CentOS für den Autor bei dem Versuch, die Zurückhaltung des RHEL-Quellcodes zu rechtfertigen, an erster Stelle stand. CentOS war eine sehr beliebte, freie, mit RHEL kompatible Distribution. Im Dezember 2020 wurde es von IBM als freie Alternative zu RHEL praktisch abgeschafft. Zwei neue Alternativen zu RHEL sind anstelle von CentOS entstanden: AlmaLinux und Rocky Linux. Durch die Zurückhaltung des RHEL-Quellcodes hat IBM sie nun direkt angegriffen.
Und vielleicht ist das die eigentliche Antwort auf die Frage nach dem Warum: Konkurrenten ausschalten. Weniger Konkurrenten bedeuten mehr Umsatzmöglichkeiten für IBM.
Was Oracle betrifft, so werden wir unser Ziel für Linux weiterhin so transparent und offen verfolgen, wie wir es immer getan haben, und dabei die Fragmentierung minimieren. Wir werden unsere Softwareprodukte weiterhin auf Oracle Linux entwickeln und testen. Oracle Linux wird weiterhin RHEL-kompatibel sein, soweit wir es möglich machen können. In der Vergangenheit war der Zugang von Oracle zu den veröffentlichten RHEL-Quellen wichtig für die Aufrechterhaltung dieser Kompatibilität. Aus praktischer Sicht gehen wir davon aus, dass Oracle Linux bis zur Version 9.2 so kompatibel bleiben wird wie bisher, aber danach kann die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kompatibilitätsproblem auftritt, grösser sein. Sollte ein Kunde oder ISV von einer Inkompatibilität betroffen sein, wird Oracle daran arbeiten, das Problem zu beheben.
Wir möchten Linux-Entwicklern, Linux-Kunden und Linux-Distributoren gegenüber betonen, dass Oracle sich für die Freiheit von Linux einsetzt. Oracle gibt folgendes Versprechen: Solange Oracle Linux vertreibt, wird Oracle die Binärdateien und den Quellcode für diese Distribution öffentlich und frei verfügbar machen. Darüber hinaus begrüsst Oracle Downstream-Distributionen jeder Art, ob Community oder kommerziell. Wir freuen uns, mit Distributoren zusammenzuarbeiten, um diesen Prozess zu vereinfachen, gemeinsam an den Inhalten von Oracle Linux zu arbeiten und sicherzustellen, dass Oracle-Softwareprodukte für Ihre Distribution zertifiziert sind.
Übrigens, wenn Sie ein Linux-Entwickler sind, der mit dem Vorgehen von IBM nicht einverstanden ist, und Sie genauso wie wir an die Freiheit von Linux glauben, stellen wir Sie gerne ein.
Eine Anmerkung für ISVs: Das Vorgehen von IBM ist nicht in Ihrem Interesse. Indem sie CentOS als RHEL-Alternative abschafft und AlmaLinux und Rocky Linux angreift, eliminiert IBM eine Möglichkeit für Ihre Kunden, Geld zu sparen und Ihnen einen grösseren Teil ihres Geldbeutels zur Verfügung zu stellen. Wenn Sie Ihr Produkt noch nicht auf Oracle Linux unterstützen, zeigen wir Ihnen gerne, wie einfach das ist. Geben Sie Ihren Kunden mehr Auswahl.
Abschliessend möchte ich IBM noch einen Vorschlag machen. Sie sagen, dass Sie nicht all diese RHEL-Entwickler bezahlen wollen? Hier ist eine Möglichkeit, wie Sie Geld sparen können: Ziehen Sie einfach von uns ab. Werden Sie ein nachgelagerter Distributor von Oracle Linux. Wir nehmen Ihnen die Last gerne ab."
Ich hoffe, ihr konntet den Zynismus aus dieser Pressemitteilung herausdestillieren. Seien wir gespannt, wie sich der Wettstreit der Giganten weiter entwickelt.
Quellen:
https://lists.fedoraproject.org/archives/list/devel@lists.fedoraproject.org/thread/55H3DT5CCL73HLMQJ6DK63KCAHZWO7SX/
https://www.oracle.com/news/announcement/blog/keep-linux-open-and-free-2023-07-10/
Bildquelle: https://www.charterworld.com/news/wp-content/uploads/2012/04/Team-ORACLE-Racing.jpg
Ohne Zweifel, ein ziemlich guter Move von Oracle!
Andererseits sollte man auch nicht ausblenden bzw. nie vergessen wie sie sich bei SUN Microsystems verhalten haben und was mit deren Produkten passierte. Nicht gerade aus unwichtigen Gründen heraus enstand damals aus Java -> OpenJDK / aus Openoffice -> LibreOffice / aus MySQL -> MariaDB / aus OpenSolaris -> OpenIndiana und aus ZFS -> OpenZFS! Oracle ist schon ein wenig der berühmte Wolf im Schafspelz...
Und SUSE legt noch einen drauf und will forken: https://www.suse.com/news/SUSE-Preserves-Choice-in-Enterprise-Linux/
Interessant – dabei dachte ich, RH mache nun nur (ungefähr), was SUSE schon immer gemacht hat (einen einfachen exakten Rebuild schwieriger).
@Robert Da hast du allerdings Recht. Man solle dieses offene Bekenntnis zur freien Software dazu nutzen und Oracle aufzufordern das dumme Spiel mit OpenOffice endlich aufzugeben.
Was hat das dumme Spiel mit OpenOffice mit dem Bekenntnis zu freier Software zu tun? OpenOffice ist doch freie Software, oder?
Die sicher nicht – vielleicht das Erlebnis ;) … das vermutlich auch nicht.