Lenmus - ein Paradebeispiel für ein freies Musiktheorieprogramm (ohne Zukunft?)

  Daniel Schär   Lesezeit: 6 Minuten  🗪 4 Kommentare

Wie so oft, werden Open-Source-Projekt, die eine Nische bedienen, im Alleingang betrieben. Warum dies bei Lenmus der Fall war und wie es damit weitergeht erfährst du hier.

lenmus - ein paradebeispiel für ein freies musiktheorieprogramm (ohne zukunft?)

Letzten Samstag hat Cecile Salmeron die Version 6.0.0 von Lenmus, einem freien Musiklern-Programm veröffentlicht. Dieses hat die einzigartige Eigenschaft, dass es angehenden Profis wie auch Hobbymusikern einen umfassende Lernumgebung mit Integration von Texten, Partituren und Übungen enthält, welche selbstgesteuertes Lernen ermöglichen. Hinzu kommen automatische Übungsgeneratoren, womit Übungen nie wiederholt werden und es implementiert Lehralgorithmen (Leitner-Methode), um die Lernzeit zu optimieren. Das Programm ist in C++ geschrieben und findet weltweite Verbreitung mit Downloads aus mehr als 136 Ländern und wurde in 10 Sprachen übersetzt, einschliesslich Chinesisch. 

Die Liste der letzten Änderungen seit der Version 5.6.1 ist nicht sehr umfangreich. Dennoch gibt es einige:

  • Eine neue Einstiegsseite, um einen direkten Zugriff auf alle Inhalte zu ermöglichen und neuen Benutzern das Auffinden der Inhalte zu erleichtern.
  • Zwei vorkonfigurierte Levels für die Übungen
  • Viele Fehlerkorrekturen, vor allem im Zusammenhang mit dem Metronom und den Noten, die bei einigen Notenleseübungen erzeugt werden.
  • Zwei neue Kapitel wurden zu den Büchern hinzugefügt: eines über den Anacrux-Start und ein weiteres über Akkorde. Die Notenleseübungen beinhalten nun den Anacrux-Start.

Cecilio Salmeron schrieb mir in einer persönlichen Mail dazu: Das Projekt ist tot. LenMus habe 2011 sein maximales Publikum erreicht. Ein Höhepunkt war, als es von der australischen Regierung in die Softwareauswahl aufgenommen wurde für die Laptops, die allen zehnjährigen Kindern in den Schulen zur Verfügung gestellt werden (das Projekt "Digitale Bildungsrevolution"). 

Er habe das Projekt im November 2002 begonnen, als er Musik studierte und ein Tool fürs Gehörtraining brauchte. Aber das Projekt habe nie Mitwirkende angezogen. Seiner Meinung nach ist dies auf zwei Faktoren zurückzuführen:

1. IT-Leute sind nicht an dieser Art von Projekten interessiert. Für junge Programmierer ist Musik kein attraktives Feld. Sie bevorzugen KI, Data Mining, Spiele, virtuelle Realität, Robotik, Animation, eine Website, um reich zu werden, oder sehr technische Aufgaben bei Infrastrukturprojekten.

2. Und Musiklehrer, die gerne einen Beitrag leisten würden, haben keine Ahnung vom Programmieren, und die Kommunikation mit ihnen ist frustrierend.

Das Ergebnis war, dass er nie Teammitglieder hatte, die ihm bei Programmier- und Designaufgaben helfen und mit ihm über neue Übungen, Ansätze usw. sprechen konnten mit Ausnahme der Übersetzer. Bis 2011 hatte er eine organisierte Gruppe von Übersetzern, die regelmässig dazu beitrugen, die Übersetzungen zu pflegen, als weitere Funktionen hinzukamen.

"Im Jahr 2012 war ich ausgebrannt. Als die einfachsten Übungen vorhanden waren, ging es darum neue komplexere Übungen und Materialien zu implementieren. Das Schreiben von Texten mit den Musiklektionen sei keine Aufgabe für mich, da ich kein Musiker bin und mein Englisch nicht gut genug ist, um ausgefeilte Texte zu schreiben, die Infrastruktur und der Server kosteten Geld, ich musste alles machen: Programmieren, Bücher schreiben, Übungen entwerfen, mir Gedanken über Schwierigkeitsstufen und Anpassungen zu machen, E-Mails beantworten, die Website pflegen, Installationsprogramme für alle Plattformen erstellen, usw. und das alles in meiner Freizeit!"

Schliesslich beschloss er aufzuhören und stellte das Projekt 2012 ein. Aber die Downloads hätten nie aufgehört und die Leute schrieben ihm weiterhin von Zeit zu Zeit, um sich zu bedanken und um Korrekturen oder weitere Funktionen zu bitten. Also habe er das Projekt wieder gestartet, aber nur im Wartungsmodus: keine weiteren Funktionen, keine Änderungen, nur Korrekturen. Das war die Situation bis 2018, als ein Professor einer Universität ihn kontaktierte, weil er das Programm benutzte und einige Änderungen wünschte.

"Ich erklärte ihnen die Situation und dass es mir nicht möglich war, die Entwicklung fortzusetzen. Sie boten mir Unterstützung an, indem sie mir einen Stipendiaten mit Programmierkenntnissen zur Seite stellten und mir halfen, Texte zu schreiben und neue Übungen zu besprechen. In einer letzten Anstrengung, das Projekt wieder in Gang zu bringen und ein Team zu bilden, das das Projekt nach meiner Pensionierung fortsetzen könnte, habe ich mich bereit erklärt, eine neue Version ohne neue Materialien und Übungen herauszugeben, die lediglich die von ihnen festgestellten Probleme mit der Benutzerfreundlichkeit behebt und einige kleinere Änderungen vornimmt. Ich habe viele Aktivitäten unternommen, um ein Team zu bilden, von Konferenzen an Universitäten bis zu Anfragen in Foren, aber es war unmöglich, Leute zu finden. Dann kam das covid19 und alles hörte auf. Im September 2019 änderten sich die Studenten und die Umstände an der Universität, und sie boten kaum noch Unterstützung an."

Nichtsdestotrotz sei er glücklich mit dem, was er erreicht habe. Das Ziel sei nie gewesen, Geld damit zu verdienen, weil gerade bezahlte Arbeit einem viele Pflichten auferlegt. Und eine bezahlte Arbeit hatte er ja schon. Für ihn sei es einfach immer ein Hobby gewesen, zu lernen und gleichzeitig etwas Nützliches für andere zu kreieren. Er habe viele Anekdoten zu erzählen, sein Programm werde weitherum geschätzt und habe viel positives Feedback erhalten. Alle seine Ziele seien erreicht worden, mit Ausnahme dieses einen Ziels: dass es weitergeführt werde, wenn er einmal nicht mehr könne.

Was denkst du darüber? Ist die Nische für ein Musiktheorieprogramm zu unattraktiv und einfach zu klein? Wird Lenmus deshalb wie GNUSolfege und Jalmus in einen 1000-jährigen Dornröschenschlaf verfallen, oder kommt vorher ein Prinz und küsst den Code wach?

Quelle:

http://lenmus.org/en/paginas/answers#history

http://lenmus.org/en/phonascus/release_notes

Tags

Lenmus, Projekt, Übungen, neue, Anacrux-Start, Übung, Salmeron, Musiktheorieprogramm

Tim
Geschrieben von Tim am 16. Februar 2022 um 12:29

Moin,

dass ist ein grundsätzliches Problem. OpenSource existiert durch interessierte. Es reicht im Umfang soweit das persönliche Interesse reicht oder Eigendynamik durch kommerzielles Intersesse entsteht. Da ist Blender ein Paradebeispiel.

Dann gibt es Freecad. Ein guter Modellierer von Einzelteilen. Wird von vielen 3D-Drucker Makern eingesetzt. Sobald es an Baugruppenkonstruktion, Parametrisierung, Teilemanagement, Wiederverwendung etc. geht ist nichts mehr. Weil es nicht akut gebraucht wird. Da gibt es immer mal wieder Plugins die bestimmte usecases abdecken, die werden aber nie serienreif. Das schleift seit gefühlt 5 Jahren an der Grenze dahin.

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Geschrieben von 👓 am 17. Februar 2022 um 06:57

Ich denke Freecad ist da wirklich ein gutes Beispiel.

Ich zabe da mal ein Tutorial für Parametrisches Modellieren gemacht. War ganz Brauchbar. Kaum habe ich nur etwas anders gemacht ist die Software abgestürzt.

Ein bekannter konvertiert damit seine IFC BIM Dateien nach step. Geht sehr gut. Sobald die Daten aber nur etwas anders oder grösser sind. Stürzt es aber ab.

Freecad wird laut Github insights sehr aktiv entwickelt, aber es scheint hier nicht die Usability zu sein.

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Geschrieben von 👓 am 17. Februar 2022 um 07:04

Vermutlich wäre es gut, die Software würde mit einem anderen Softwarepaket fusionieren. Irgend ein Paket das sich auch ums lernen dreht. Ist halt Spartensoftware. Wenn man mehrere Sparten zusammenlegt, kriegt man vielleicht eine gute Suite.

Eine Suite mag nicht perfekt für die Entwicklung einzelner Bereiche sein kann aber durch synergie arbeitskraft sparen und ein out-of-the-box Denken bieten.

Daniel Schär
Geschrieben von Daniel Schär am 19. Februar 2022 um 10:39

Da hast du bestimmt recht. Das Zusammenlegen muss aber eben jemand in die Hand nehmen. Ich bin nicht Programmierer, aber sehe, dass es leider auch ein Grundproblem ist, dass viele Programmierer lieber ein neues Projekt starten, statt bestehendes weiter entwickeln zu wollen. Ich fände es grossartig, (wenn das halt niemand machen will), dass man eine (natürlich Open-Source) AI darauf trainieren würde, Code zusammenzutragen oder Programme und daraus zu bauen oder zumindest in irgendeiner Form Synergien zu generieren. Zukunftsmusik? Ich kann es nicht abschätzen. Aber sicherlich würde das einen grossen Schub auslösen.