Lehrkräfte wissen es: Die letzten Wochen vor den Ferien können sehr zäh sein. Die letzten Klausuren und Klassenarbeiten sind geschrieben, die Luft ist einfach raus. Unsere Schule (ein deutsches Gymnasium) hat sich daher dazu entschieden, kurz vor den Ferien noch eine Projektwoche zu veranstalten. Inhaltliche Vorgaben gab es nicht, also absolute Freiheit für mich!
Eigentlich habe ich keine wirkliche Ahnung von IT, ich unterrichte Chemie und Physik, aber freie Software ist trotzdem für mich eine Herzensangelegenheit. Dabei habe ich erst während der Corona-Pandemie ernsthaft begonnen, mich mit freier Software zu beschäftigen. Diskussionen über die Corona-Warnapp, deren Veröffentlichung mit einer freien Lizenz und der Datenschutz waren der Ausgangspunkt. Von Linux hatte ich zwar schon gehört, aber was die Besonderheit eines freien Betriebssystems ist, war mir bis dahin noch nicht klar. Also habe ich mir auf meinem Desktoprechner Linux installiert, damals Zorin OS. Was soll ich sagen: Ich war begeistert! Kein aufdringliches Betriebssystem, keine Bloatware, einfach ein funktionierendes Arbeitsgerät.
Für den Einsatz in der Schule musste dann noch OneDrive gegen Nextcloud und MS-Office gegen LibreOffice getauscht werden, aber seit über zwei Jahren nutze ich nun auch im Unterricht ausschließlich GNU/Linux, zunächst Mint, dann Ubuntu, jetzt Debian.
Da Linux inzwischen auch für Normalsterbliche installierbar und nutzbar ist, wollte ich das Experiment auch einmal mit Schülerinnen und Schülern wagen. Das Projekt wurde also unter dem etwas nichtssagenden Titel "Computer-Upcycling" ausgeschrieben.
Der Plan
Vielen von Euch geht es vermutlich ähnlich wie mir, man kann kaum einen Schrank öffnen, ohne dass einem irgendwelche alte Hardware in die Hände fällt. Also bin ich natürlich davon ausgegangen, dass das in anderen Haushalten auch so ist (Okay, die Annahme war, wie sich später herausstellte, etwas naiv). Der Plan sah vor, so viele, nicht Windows 11-fähige Rechner zu sammeln wie möglich. Diese sollten dann ein bisschen gereinigt und mit einer leichten Linux-Distribution neu aufgesetzt werden. Anschließend wollte ich Rechner gegen eine kleine Spende für den guten Zweck auf dem Schulfest verkaufen. Natürlich sollten die Schülerinnen und Schüler am Ende auch einen eigenen Linux-Rechner behalten.
Im Vorfeld sollten mir alle Schülerinnen und Schüler einen USB-Stick abgeben, damit ich für alle ein Live-System vorbereiten konnte. Daran sollten erst einmal alle ihre ersten Gehversuche mit Linux unternehmen.
Die Realität
Letztendlich hatte ich eine sehr gemischte Gruppe zwischen der 7. und 11. Klasse, mit völlig unterschiedlichen Vorerfahrungen. Die wenigsten kamen bisher mit Linux in Berührung und nur eine Handvoll hatte je einen Rechner aufgeschraubt, dann meistens Desktoprechner.
Positiv formuliert: Ein guter Ausgangspunkt, um viel Neues lernen zu können.
Leider konnten weder die Schüler (und die zwei Schülerinnen, die ich dabei hatte) noch ich eine größere Anzahl an Rechnern für das Projekt auftreiben. Zum Glück hatten wir noch diverse alte Laptops in der Schule, einige älter als so manche Teilnehmende. Diese durfte ich nach Belieben verwenden, da es sich eigentlich um vergessenen Elektroschrott handelte.
Arbeit mit dem Live-System
Linux-Live-Systeme sind schon eine tolle Sache, wenn man sie gebootet bekommt. Das größte Hindernis war dabei der Windows-Schnellstart, der den Zugriff auf das BIOS unnötig erschwerte. Welcher kranke Geist hat diese Funktion eigentlich so tief in den Einstellungen versteckt? Besonders schlecht ist es, wenn man keinen Zugriff auf das Adminkonto hat. Nachdem wir dann auch für alle Rechner herausgefunden hatten, wie man in die BIOS-Einstellungen oder die Wahl des Startmediums erreicht, konnten alle Rechner unter Linux starten. Als System hatte ich Linux Mint Xfce gewählt, da es verhältnismäßig wenige Ressourcen benötigt und von Windows-Usern recht intuitiv bedient werden kann. Für besonders schwache Rechner hatte ich noch einen Stick mit Lubuntu in der Hinterhand. Im Terminal haben wir dann über neofetch erst einmal die wichtigsten Daten der Systeme ausgelesen und notiert.
Anschließend wurde auf den Rechnern zunächst Linux Mint installiert. Mit den mitgelieferten Installern war das auch kein Problem. Bei den Updates zeigte sich dann schnell unser größtes Problem in der Woche: Zusammen mit dem benachbarten Minecraft-Projekt haben wir unseren Access-Point in die Knie gezwungen und mussten mit extrem geringer Bandbreite auskommen, was Updates und Installationen unerträglich langsam machte. Programme haben wir sowohl über das Software-Center, als auch über das Terminal installiert.
Linux und freie Software
Ausgestattet mit "neuen" Rechnern gab es dann eine Rechercheaufgabe. Die Schülerinnen und Schüler sollten herausfinden, was es mit freier Software, insbesondere den zugehörigen Freiheiten, auf sich hat. Zu Linux sollte ebenfalls recherchiert werden, welche gängigen Distributionen und Desktopumgebungen es gibt und welche Vor- und Nachteile diese mit sich bringen. Dies sollte anschließend helfen, die passende Distribution für die eigenen Bedürfnisse zu finden.
Ergänzend dazu habe ich gezeigt, wie man einen Linux-Live-Stick erstellt (ihr könnt Euch die Downloadzeiten vorstellen). Wir haben dabei den vorinstallierten Startmedienersteller verwendet. So konnten verschiedene Distros mal ausprobiert werden. In diesem Zusammenhang habe ich auch die Webseite https://distrosea.com vorgestellt. Hier kann man online einige gängige Distributionen testen.
Hardware
In der nächsten Einheit ging es um die Hardware, hier durften nach Herzenslust Laptops auseinander geschraubt werden. Primär ging es darum, Zugriff auf Festplatte und Arbeitsspeicher zu bekommen, um die Rechner etwas aufrüsten zu können. Gerne durften auch CPU und GPU etwas Wärmeleitpaste spendiert werden. Dabei erlangten wir dann auch die Erkenntnis, dass es sehr anspruchsvoll bis unmöglich ist, einen vollständig zerlegten Laptop wieder komplett zusammenzubekommen. Wie man es in der Produktion geschafft hat, die winzigen Flachkabel einzustecken, ist mit auch heute noch ein Rätsel. In jedem Fall war es eine tolle Erfahrung für die Teilnehmenden. Jetzt wissen auch alle, dass man, bevor ein Rechner in den Schrott kommt, die Festplatte und die Akkus ausbaut, das bekommen nun auch alle hin.
Abschluss
Zum Schluss haben alle "ihren" Rechner mit einer selbst gewählten Distribution bespielt. Einem alten Netbook haben wir noch eine SSD und etwas mehr Arbeitsspeicher spendiert, in Kombination mit MX-Linux lief das Ding danach richtig gut.
Natürlich durften bei der ganzen Arbeit auch eine gemeinsame Runde Supertuxkart und Minetest im lokalen Netzwerk nicht fehlen. Siehe da, der Spielspaß steht vergleichbaren proprietären Spielen in nichts nach.
Am Schulfest haben wir dann doch noch einen Rechner für 20 € verkauft, also ein voller Erfolg. 😁
Fazit
Ob das Projekt wirklich nachhaltig war, kann ich noch nicht sagen. In jedem Fall haben ein paar Rechner noch eine Gnadenfrist bekommen. Die Teilnehmenden haben das Projekt in jedem Fall positiv aufgenommen. Linux kennenzulernen und mal einen Laptop von innen zu sehen, war für fast alle eine neue Erfahrung und es bleibt die Hoffnung, dass sie im kommenden Jahr noch dem einen oder anderen "veralteten" Rechner eine zweite Chance geben werden.
Zum Glück hatte ich immer mal wieder die Unterstützung von kompetenten Kollegen, sonst wäre ich in einer Gruppe von 20 Personen immer wieder ziemlich ins Schleudern geraten.
Eingangs hatte ich über den Titel "Computer-Upcycling" gesprochen: Dass der Titel für schrottreife Rechner passt, die mit Linux wieder laufen, liegt auf der Hand, aber die geneigte Leserschaft gibt mit vielleicht recht: Jeder Rechner, der von Windows auf Linux umgestellt wird, erfährt doch eigentlich ein Upcycling.
Quellen:
https://www.canalys.com/insights/end-of-windows-10-support-could-turn-240-million-pcs-into-e-waste
https://www.heise.de/tipps-tricks/Windows-10-Schnellstart-deaktivieren-aktivieren-4000088.html
> Von Linux hatte ich zwar schon gehört, aber was die Besonderheit eines freien Betriebssystems ist, war mir bis dahin noch nicht klar. Also habe ich mir auf meinem Desktoprechner Linux installiert, damals Zorin OS.
Nächster Schritt: Das wirklich freie Betriebssystem OpenBSD, das - anders als die meisten Linuxdistributionen - keine proprietären Treiber hat. :)
Toller artikel, musste mehrfach schmunzeln. 😁 Erschreckend wie viele in der "MS-Blase" leben 😳 Von daher ist es eigentlich egal wie hoch die Nachhaltigkeit (Hardware) ist, viel wichtiger ist doch die Leute aus der Blase zu holen bez. sie auf das Risiko hinzuweisen. 👍
Tolles Projekt! Wäre schön, wenn es so was auch an anderen Schulen geben würde!
Schmunzeln musste ich bei "Netbook". Tatsächlich schreibe ich hier auf einem Netbook (2011 angeschafft, verkauft mit "Meego", N570 und 2GB RAM), zunächst betrieben mit Lubuntu, dann mit Debian und LXDE.
Eine SSD einzubauen, habe ich mich da bislang nicht getraut, weil man das Ding komplett zerlegen muss, und die Flachbandkäbelchen wahrscheinlich schon beim Hinsehen zerfallen ;)
Bei meinen Eltern habe ich ein Aldilaptop von ca. 2005 mit Debian beglückt (64bit!). Das ist aber wirklich nur ein Notfallgerät (auch mit 2GB), und auch vom Stromverbrauch her ist es vermutlich ein Desaster.
Meine Eltern betreiben einerseits eine -ebenfalls recht alte- Windows 10 Kiste, sowie ein Macbook Pro, das ebenfalls keine aktuelle Software mehr erhält, halt im Gegensatz zur Windows 10 Kiste – Derzeit noch!
Meine Mutter wird ein Debian mit LXQt erhalten. Eine SSD angeschafft haben wir auch, nur muss sie erst noch ihre Dateien sortieren, was leider ein "längeres Werk" werden dürfte: Danke für NICHTS, Apple!!! 🍐️
Rundum tolle Aktion!
Ein Tipp für alte Rechner: Ich nutze privat im Alltag und mit voller Zufriedenheit ein Lenovo R500 mit 2GB und SSD. Wenn meine Sway Komposition serienreif ist, werde ich sie dann auch hier einmal vorstellen. Sway ist so klein, dass der Rechner auch mit mehreren geladen Anwendungen und Browser schnurrt. Die Bedienung gleicht bei mir der von GUIs mit Panel mit Maus oder Tastaturbedienung und dürfte recht intuitiv sein. Ziel war es, den alten Rechner reagiebel betreiben zu können ohne bei alten Rechnern extra den RAM aufrüsten zu müssen.
Alle MARKTGIGANTEN, MICROSOFT, APPLE, GOOGLE usw. "wünschen keine KONKURRENZ " deshalb; erfolgreich die heutigen und zukünftigen Schüler-innen mit LINUX zu begeistern. Danke für den interessanten Artikel.
Super Sache/Projekt! Grossartig! Obwohl ich in keinster Weise eine Lehrperson bin inspiriert mich dieser Artikel und dieses Engagement etwas in diese Richtung zu lancieren. Vielleicht liest man in Zukunft auch einmal einen Erfahrungsbericht von mir - wer weiss...
Ganz toller Artikel hier!
Vor allem viel Respekt für dich, Markus, dass du als nicht-IT-ler den Mut und das Engagement aufbringst dich mit den Schülern auf ungewohntes Terrain zu begeben. Ich bin IT-ler und erlebe seit jeher eine riesen große Verschwendung von noch tauglicher Hardware, die irgendwie nicht mehr ins Raster passt. Das kommende Windows 10 Support Ende ist dabei ein riesen Desaster. Hier müssen einwandfrei laufende Geräte aussortiert, und mit massivem finanziellen Mitteln, die eigentlich gar nicht da sind, ausgetauscht werden. In meinen Augen eine total Katastrophe. Aber den Linux Desktop im Business Umfeld einzuführen kommt der nächsten Mammut Aufgabe gleich, die nicht mal eben zu stämmen ist. Es ist halt alles sehr Microsoft lastig und man steckt in deren Ökosystem fest.
Ein Weg aus dem Teufelskreise, wäre ja eben den Schülerinnen und Schülern in der Schule Linux und Open Source Software näher bringen. Irgendwann kommen auch diese Leute in Positionen, wo sie sich dann für die Freiheit, digitale Souveränität und Selbstbestimmtheit und strategische Verantwortung entscheiden können und gegen Abhängigkeit, Überwachung, Vendor-Lockin,...
Was die Bandbreite betrifft: Da ja (fast) alle Geräte die gleiche (debianbasierte) Distri erhalten, wäre apt-cacher-ng vielleicht eine Hilfe gewesen. Da braucht jedes Paket nur einmal heruntergeladen zu werden. Naja, vielleicht habt Ihr heruntergeladene Pakete (.deb-Dateien) ja auch von Hand verteilt. Jedenfalls ein prima Projekt! Gerade auch das Kennenlernen des Innenlebens halte ich für große Klasse! Und ein toller Artikel!