Ubuntu 23.10: Ohne Batterien?

  Ralf Hersel   Lesezeit: 7 Minuten  🗪 12 Kommentare

Welche Optionen für die vorinstallierten Anwendungen soll eine Distribution anbieten? Was wird den Bedürfnissen am ehesten gerecht?

ubuntu 23.10: ohne batterien?

Das ist ein Meinungsartikel.

Ubuntu ist nach wie vor einer der beliebtesten GNU/Linux-Distributionen, insbesondere für Ein- und Umsteiger. Am 12. Oktober erwartet die Community das Herbst-Release der Canonical-Distro Ubuntu 23.10 "Mantic Minotaur". Wer sich die Daily Builds anschaut, sieht, dass die Anzahl der vorinstallierten Anwendungen verringert wurde. Da stellt sich die Frage, was eine Distribution ausmacht.

Darstellung des Todes des Minotauros

Zumindest in den Daily Builds werden viele Anwendungsfälle nicht mehr unterstützt. Es nicht möglich, Office-Dateien zu öffnen, Dokumente können nicht gescannt werden, Fotos können nicht bearbeitet werden, man weiss nicht, ob die Webcam funktioniert, der Disk-Space kann nicht analysiert werden, für MP3-Dateien gibt es keinen Audio-Player, usw.

In diesem Artikel geht es nicht um Ubuntu 23.10, sondern darum, was Anwender:innen von einer Distribution erwarten. "Mantic Minotaur" ist nur der Auslöser für die generelle Frage nach dem Selbstverständnis einer Distribution.

Ich kann mir vorstellen, dass viele Leser:innen von Tech-Blogs wie unserem und vielen anderen, diese Entwicklung begrüssen werden: "Eine GNU/Linux-Distribution soll mir nicht vorschreiben, welche Anwendungen für mich die besten sind." Das kann man so sehen, es ist jedoch eine Haltung von Personen, die genügend Erfahrung mit verschiedenen Distributionen gesammelt haben. Für diese Zielgruppe bieten manche Distributionen eine "minimale Installation" an.

Was ist eine Distribution?

Zu dieser Frage gibt es mehrere Antworten und Definitionen. Ich breche es darauf hinunter: Eine GNU/Linux-Distribution ist eine Zusammenstellung von Betriebssystem, systemrelevanten Diensten, Anwendungen, ein oder mehreren Benutzeroberflächen, ein Konzept für das Paketmanagement, ein Release-Modell und einem Ökosystem mit einer Community, welches die Distribution unterstützt. Oder, um es aus der Perspektive einer Anwender:in zu sagen: Alles, was mir das Arbeiten mit meinem Computer ermöglicht und erleichtert.

Ein Grund, warum es Hunderte von GNU/Linux-Distributionen gibt, ist das Differenzierungspotenzial. Es gibt ganz unterschiedliche Anwendungsfälle für Distros: Server, nur Webbrowser, alles Offline, hohe Sicherheit, hohe Stabilität, immer das Neuste, Gaming first, Multimedia first, Null-Acht-Fünfzehn, Release-Modell, unterstützte Benutzeroberflächen und vieles mehr. Die Alleinstellungsmerkmale der Distros sind ihre Vorteile gegenüber MacOS und MS Windows, bei denen man nur den Einheitsbrei erhält.

Die Tatsache, dass bei vielen Distributionen, die Batterien mitgeliefert werden, ist insbesondere für Ein- und Umsteiger:innen ein grosser Vorteil. Nach der Installation einer Distribution bist Du fertig, weil alles läuft: Deine Hardware wird unterstützt, die Software wird aktuell gehalten, Deine Anwendungsfälle werden durch die kuratierte Software-Auswahl unterstützt. Das ist es, was man von einer GNU/Linux-Distribution erwartet.

Die Standard-Variante einer Distribution sollte meiner Meinung nach, nie eine Minimalinstallation sein, sondern eine gut abgestimmte Mischung von Einstellungen, Erscheinungsbild und Anwendungen, die die Anforderungen des Zielpublikums bestmöglich unterstützen.

Argumente

  • Kenner
    • Pro: Kenner bevorzugen eine minimale Installation, weil sie selbst wissen, welche Anwendungen sie installieren möchten.
    • Contra: Kenner können selbst entscheiden, was sie installieren oder deinstallieren möchten. Umsteiger oder Einsteiger können das nicht, sondern freuen sich über eine kuratierte Anwendungsauswahl.
  • Webdienste
    • Pro: Die meisten Anwender:innen verwenden nur noch online Dienste im Webbrowser für ihre Anwendungsfälle.
    • Contra: Wer sich für eine GNU/Linux-Distribution entscheidet, legt Wert auf Selbstbestimmtheit und digitale Souveränität. Webdienste sind fast immer proprietäre Dienste, die keine Rücksicht auf Selbstbestimmtheit legen.
  • How to ...?
    • Pro: Wenn ich wissen will, welche Anwendung ich brauche, frage ich Google.
    • Contra: Wenn Deine Distribution die wesentlichen Anwendungsfälle unterstützt, musst Du nicht im Internet nach einer Lösung suchen, die Dich meistens zu einer unfreien Anwendung führt.
  • Die Qual der Wahl
    • Pro: Der App-Store bietet mir alles, was ich brauche.
    • Contra: Die Anwendungsverwaltung bietet Dir eine Vielzahl von Anwendungen, die Du nicht alle ausprobieren möchtest (ausser, Du hast Zeit im Überfluss).
  • Installationsgeschwindigkeit
    • Pro: Die Installation ist viel schneller, wenn nicht Hunderte Anwendungen installiert werden.
    • Contra: Es dauert viel länger, um selbst alle notwendigen Anwendungen zu installieren.
  • Freie Software
    • Pro: Du installierst nachträglich, was Du willst, ohne Rücksicht auf die Lizenzen der Anwendungen.
    • Contra: Eine kuratierte Auswahl von Anwendungen, die die Maintainer einer Distribution für Dich treffen, stellt sicher, dass Du mit Freier Software arbeiten kannst.

Der Elefant im Raum

Wenn ihr diesen Artikel lest, bewegt ihr euch vermutlich in der Freien Software Blase. Ihr habt genügend Erfahrung mit GNU/Linux-Distribution gesammelt, um selbst entscheiden zu können, was für euch gut und richtig ist. Umsteigern oder Einsteigerinnen fehlt diese Erfahrung. Sie hören von GNU/Linux-Distributionen als mögliche Alternative zu MS Windows und MacOS. Sie haben ein paar Artikel gelesen und trauen sich an eine Installation heran. Sie machen die ersten Schritte mit ihrer Installation. Sie sind enttäuscht, weil Ubuntu 23.10 ihnen keinen augenscheinlichen Vorteil gegenüber MS Windows oder MacOS bietet.

Anna: "Ich kann kein einziges Office-Dokument öffnen. Bilder kann ich auch nicht bearbeiten. Ich habe schon genug Mühe damit, mich an dieses Linux zu gewöhnen. Wo ist der Vorteil für mich, wenn die einfachsten Aufgaben nicht funktionieren?

Diese fiktive Aussage einer Umsteigerin, zeigt deutlich, worin der Wettbewerbsvorteil von GNU/Linux-Distributionen liegt: Die Batterien müssen mitgeliefert werden. Für Ein- und Umsteiger:innen gibt es nichts Besseres, als eine gute Auswahl an vorinstallierten Anwendungen. Damit stösst man keinen Linux-Guru vor den Kopf, weil solche Leute sowieso wissen, wie sie ihre Distro nach eigenen Vorstellungen konfigurieren können.

Fazit

GNU/Linux-Distribution sollten sich ihrer Verantwortung für Anwender:innen bewusst sein. Eine gut abgestimmte Distro ist das Alleinstellungsmerkmal, welches für Installationswillige ausschlaggebend ist. Kenner:innen wissen, wie sie sich selbst helfen können. Einstieger:innen wissen es nicht; sie sind von den guten Ideen der Distro-Maintainer abhängig.

Idealerweise bietet eine Distribution bei der Installation eine Auswahl an:

  • Minimale Installation: Du kannst später selbst entscheiden, welche Anwendungen Du installieren möchtest.
  • Standard Installation: Es werden nützliche Anwendungen installiert, die Dich in fast allen Fällen unterstützten.
  • Individuelle Installation: Du kannst während der Installation auswählen, welche Anwendungen installiert werden.

Tags

Vorinstalliert, Distribution, Standardanwendung, Einsteiger, Umsteiger

Torsten
Geschrieben von Torsten am 7. September 2023 um 10:19

Meiner Meinung nach könnte man beiden Fraktionen gerecht werden, wenn die Distributionen bei der Installation die Option einer „Minimalinstallation“ und einer kuratierten „Vollinstallation“ anbieten.

John
Geschrieben von John am 7. September 2023 um 11:18

Wie wäre es denn mit einem Mittelweg?

Bei der Installation wird Kennern die Möglichkeit gegeben, für sie nicht relevante Pakete abzuwählen oder die Paketauswahl zu ändern, siehe z.B. openSUSE Installer.

Für Einsteiger bleibt es bei der kuratierten Standardauswahl und somit könnten beide Ziele erreicht werden.

Ludmilla
Geschrieben von Ludmilla am 7. September 2023 um 12:16

Zumindest vor einigen Jahren fand ich "LUBUNTU" in solchen Dingen perfekt.

LXDE war/ist -warum auch immer- im Auslieferungszustand "häßlich wie die Nacht", es war aber stets –auf einer CD– "ALLES" dabei: Es gab ein Mailprogramm, simplescan, Abiword und Gnumeric, und sehr leicht nachinstallieren ließen sich weitergehende Dinge (firefox, libreoffice..), zur Not per Skript.

Heute nehme ich, falls ich mal installieren muss, Debian "netinstall", wähle erst mal alles zur Auswahl ab, um dann wahlweise bei openbox, lxde oder lxqt, und dann noch bei "Standardsoftware" einen Haken zu setzen. Danach sind natürlich immer noch einige Kleinigkeiten, kleinere Tools u.s.w. nachzurüsten.

Aktuellere "Ubuntus" kenne ich nicht mehr, aber ich vermute zumindest, dass sie früher schon mal weiter waren. Falls ich mal in die Verlegenheit käme, "wine" installieren zu müssen, wüßte ich aber noch immer nicht, welches Paket da optimal wäre 😜️

Daniel
Geschrieben von Daniel am 7. September 2023 um 16:50

Auf ein neues... Ein Sturm der Entrüstung weht durch die Community weil ein "daily build" einer Beta-Version einer kurzzeitunterstützten Version von Ubuntu einen möglichen Hinweis liefert auf etwas was so vielleicht nie eintrift... Man arbeitet sich hier an einer mehr oder weniger belanglosen zwischen- und Testversion ab. Zumindest ist 23.10 nix was man Einsteigern empfiehlt. Die Betreiber von gefühlt allen deutschsprachigen Linux-Blogs kopieren und verlinken sich gegenseitig.... (beinahe 1:1 findet sich dieser Text in LinuxNews.de und anderen). Ich kann nicht beurteilen die allenthalben verlinkten und kopierten Befürchtungen eintrefffen. Aber falls doch bin ich mir sicher dass Canonical es dem geneigten Einsteiger mit 24.4 möglichst einfach macht via "Ubnuntu-Software / SNAP" jedes Bedürfnis sehr einfach abzudecken.

Bluelupo
Geschrieben von Bluelupo am 7. September 2023 um 21:54

Ich finde Distros die es allen Anwendern recht machen wollen und alle Anwendungsfälle in ihre Installationsroutine quetschen wollen völlig unbrauchbar. Sinnvollerweise definiert eine Linuxdistribution seine Zielanwender von vorne herein möglichst genau und bietet diesen Anwender eine optimal abgestimmte Paketauswahl an. Nicht mehr aber auch nicht weniger.

Wolfgang
Geschrieben von Wolfgang am 8. September 2023 um 07:37

Wie sieht es eigentlich mit dem umgekehrten Prozess aus? Zunächst die Standardinstallation nehmen und dann gezielt die Anwendungen löschen die man nicht benötigt. Das wird nur selten betrachtet in den Diskussionen.

Sven
Geschrieben von Sven am 8. September 2023 um 17:30

Nein, es ist nicht die Aufgabe einer Distribution, ein Wucher an vorinstallierter Software zu präsentieren. Eine erleichterte Installation des Betriebssystems und der vorhandenen Hardware ist die Kernaufgabe. Ob Anna jetzt, in einem Windowsystem, eine Office Datei öffnen kann, ist mehr oder weniger davon abhängig, wie sie zuvor einkaufen war. Dinge,, die auf Windowssystemen, sehr nervig sind, sollten vielleicht nicht unbedingt in einer Linux Distribution wieder zu finden sein. Das ist allerdings ein typisches Ubuntu-Problem(gewesen?).

chris_blues
Geschrieben von chris_blues am 9. September 2023 um 09:21

Ist es denn heutzutage so, daß Windows mit einem Office-Paket vorinstalliert daher kommt? Das war zumindest bis Win7 nicht so. Windows war auch im Grunde ein "minimales" OS. Ohne viel Software dazu. Das mußte man sich alles schön selber besorgen und installieren.

Ich glaube, da sind die Linuxnutzer:innen einfach nur verwöhnte Gören, die sich gar nicht mehr vorstellen können, daß ein OS ohne viel Software daher kommt.

Auch finde ich die Gedanken von Ferdinand dazu interessant. Vllt ist das ja nur ein Ausgangspunkt, um alles anders zu machen. Z.Bsp. immutable oder sowas.

GSe
Geschrieben von GSe am 9. September 2023 um 10:40

Also eine DailyBuild ist halt ein DailyBuild und halt eigentlich nur zum Testen da und nicht zum Einsatz für "normale" Anwender. Ich glaube kein Einsteiger würde sich ein DailyBuild sich runterladen, der würde doch sich ein fertiges Image sich schnappen. Bei Ubuntu hab ich das Problem, das soviele Programme vorinstalliert sind, die ich gar nicht nutzte. Daher wäre mein erste Handlung das runterschmeissen einiger Programme und dann das installiere meiner LieblingsAnwendungen ;D Eine Linux Dist sollte das nötigste dabei haben, eine Editor, ein Grafikprogramm, Webbrowser +MailClienten und vielleicht ein Office Paket. Den rest sollte man auch als Einsteiger sich installieren können, aber neue User machen sich meist gar nicht mal die Mühe Linux richtig kennen zu lernen, weil sie halt von Windows verwöhnt sind. Diese sollten aber im klaren sein, das halt Linux anders ist als Windows Punkt Finde diese Diskussion unnötig, ist halt ein Siommerloch Thema, da gibt es bestimmt dringendene Themen, wie unterstützung von neuer Hardware oder die Sicherheit.

GoToKde
Geschrieben von GoToKde am 10. September 2023 um 09:48

Es geht ja heute nicht nur noch darum was vorinstalliert ist . Es geht bei vielen auch darum , in welchem Format . Sprich : Packetquellen / Flatpak / Snap / Appimage / oder vielleicht ja auch als Electron . Und klar , diese frage stellt man sich als Einsteiger eher nicht und nimmt wie es kommt ......

Conrad
Geschrieben von Conrad am 11. September 2023 um 16:04

Für Anfänger empfehlen sich sowieso die LTS Versionen - die Zwischenversionen verfallen sowieso zu schnell um damit längerfristig arbeiten zu wollen. Sie dienen zum Testen und Evaluieren - also das was Nerds machen. Man sollte vielleicht diesen Umstand noch einmal klarer zum Ausdruck bringen. LTS Versionsionen sind nicht vom Abspecken betroffen.

EhSo
Geschrieben von EhSo am 11. September 2023 um 19:07

Von was für Batterien wird hier dauernd gefaselt?