Zum Wochenende: Kahlschlag bei der FOSS-Förderung

  Ralf Hersel   Lesezeit: 11 Minuten  🗪 1 Kommentar Auf Mastodon ansehen

Die deutsche Bundesregierung will die Unterstützung von Open-Source-Projekten im Haushalt 2025 massiv kürzen. Dagegen baut sich Widerstand auf.

zum wochenende: kahlschlag bei der foss-förderung

Es ist schon spät an diesem Freitagabend. Dennoch gibt es den Artikel "Zum Wochenende" aka. das "Wort zum Sonntag". Da wir bei GNU/Linux.ch das Weltliche vom Geistigen trennen, möchte ich nicht näher darauf eingehen, ob die Weisheiten der Weltreligionen viele Ratschläge für die Politik zu bieten haben. Jetzt habe ich es geschafft, in den ersten zwei Sätzen dieser Einleitung gegen zwei unserer Regeln zu verstossen: Religion und Politik haben bei GNU/Linux.ch nichts zu suchen; oder doch?

Der Trigger für diesen Beitrag war eine Nachricht der Open Source Business Alliance (OSBA) über die Kürzungen von FOSS-Projekten im deutschen Haushalt für 2025. Zu diesem Thema gibt es eine Protestaktion der Firma Feilner IT (Markus Feilner), die sich nach eigenem Bekunden seit 20 Jahren für Open Source einsetzt. Da ich diese Aktion für angemessen halte, gebe ich den Text des offenen Briefes hier wieder, um möglichst viele Unterstützer dafür zu gewinnen.

Der Text vom 12. September 2024 von Markus Feilner lautet:

Open-Source-Förderung gestrichen – Offener Brief an die Mitglieder des Bundestags

Im geplanten Haushalt für 2025 hat die deutsche Bundesregierung die Mittel für Open-Source-Förderung massiv zusammengestrichen. Obwohl Deutschland internationaler Vorreiter bei der Anwendung und Förderung freier Software war und sich eine höchstinnovative Branche darauf aufbauend entwickelt hat, sind im neuen Haushalt keine Mittel mehr vorgesehen, während gleichzeitig Milliarden für proprietäre Softwarelizenzen an Microsoft, Oracle, VMware und andere Betreiber überwiesen werden.

Wir haben einen offenen Brief erstellt, mit dem wir und auch Sie dagegen protestieren können, dass hier unsere Steuergelder ins Ausland überwiesen werden, anstatt europäische, mittelständische IT-Unternehmen zu fördern.

Hier liegt der Brief als Libre-Office-Dateivorlage, hier als PDF. Nehmen Sie ihn, passen Sie ihn an und schicken Sie ihn an Ihre Abgeordnete, auch im Europaparlament. Im Folgenden zitieren wir den vollen Wortlaut.

Offener Brief an die Mitglieder des deutschen Bundestages

Der geplante Haushalt 2025 vernachlässigt Open Source und schädigt die mittelständische IT-Wirtschaft

Absender: Deine Adresse

Sehr geehrtes Mitglied des Bundestags,
Sehr geehrtes Mitglied des Europaparlaments,

Ich schreibe Ihnen heute diesen offenen Brief aufgrund der in den nächsten Wochen und Monaten laufenden Haushaltsverhandlungen im Deutschen Bundestag und aktuellen Entwicklungen im Europaparlament. Rund um das Thema Finanzierung von Open Source, freier Software und der digitalen Souveränität Europas und Deutschlands sehen wir bedrohliche Entwicklungen: Entgegen den Vereinbarungen des Koalitionsvertrages beabsichtigt die deutsche Regierung massive Etatkürzungen, die schweren Schaden in der deutschen Wirtschaft und starke Beeinträchtigungen für uns Bürger verursachen.

Haushalt 2025: Versäumnisse und Lippenbekenntnisse gefährden Standortvorteil für deutschen Mittelstand

Noch sind Deutschland und Europa führend in Sachen digitaler Souveränität, digitaler Nachhaltigkeit und Open-Source-Software – doch die aktuelle Politik in Berlin und Brüssel bedroht diesen Standortvorteil massiv. Wir fordern die Mitglieder des Deutschen Bundestags und des Europaparlaments auf, hier aktiv zu werden und sich einzusetzen für eine nachhaltige und dauerhafte Förderung von europäischen Unternehmen und Open-Source-Software, ohne die weder Erfolge in KI, Cloud oder generell in der IT möglich wären.

Raus aus der Abhängigkeit anstatt sie verstärken!

Gleichzeitig müssen europäische Werte und Grundrechte wie Datenschutz, Sicherheit und Souveränität aufrechterhalten werden. Dies gelingt nicht durch massive und teure Softwareimporte. Zu Recht findet sich im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung ein starkes Commitment zur Förderung von Open Source in der Bundesverwaltung [1]. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik [2], Datenschützer und NGOs sind sich sicher: Nur mit freier, Open-Source-Software ist es machbar, bestmögliche Sicherheit und Qualität in der Informationstechnik zu erreichen. Doch leider werden in der aktuellen Politik der Bundesregierung Tendenzen stärker, die Übermacht von US-Softwarefirmen weiter auszubauen. Wie vor wenigen Jahren beim russischen Gas verbleibt Deutschland weiter in einer Abhängigkeit, die es früher oder später zu lösen gilt.
Millionen für Mittelstand statt Milliarden an US-Konzerne

Entgegen aller Warnungen streicht die Ampelregierung jedoch auch im Haushalt 2025 [3], [4] die Fördermittel für diesen durch Innovation herausragenden, überwiegend von mittelständischen Unternehmen getragenen Bereich jedes Jahr aufs Neue zusammen. Und erneut, auch 2025 müssen Behörden und Projekte um ihr Budget bangen. Das betrifft gerade diejenigen, deren Aufgabe es ist, Open-Source-Entwicklungen und -Software beispielsweise in und für Behörden zu fördern.

Meist erst nach großen Widerständen, erst im allerletzten Nachgang bewilligt, standen so 2023 noch 50 Millionen Euro für das Zentrum für digitale Souveränität bereit, ein Jahr später halbiert, jetzt nur noch gut zweieinhalb Millionen, versteckt in einem Einzeltitel auf den hinteren Seiten des unübersichtlichen Bundeshaushalts ([5], Seite 627, Titel 532 13-042).

Public Money Public Code – Die FSFE kämpft in Brüssel

Gleichzeitig streicht auch die EU die NGI-Finanzierung zusammen. Wie die FSFE berichtet [6], sollen 27 Millionen Euro für das „Next Generation Internet“ eingespart werden. „Die nachhaltige und langfristige Förderung von Projekten, die unser aller digitale Souveränität und Handlungsfähigkeit sicherstellen, ist damit massivst gefährdet.“, sagt Alexander Sander und erneuert die FSFE-Forderung „Public Money, Public Code“ – Jedweder Code der vom Staat direkt oder mittelbar finanziert wird, sollte allgemein zugänglich und frei verfügbar sein. Es ist niemandem gedient, wenn hier ausschließlich US-amerikanische Softwarekonzerne von unseren Steuergeldern profitieren, die keine Einsichtnahme und Mitgestaltung im Sinne von Open Source Software gestatten.

OSBA warnt: Open Source werden Mittel gestrichen

„Open-Source-Projekten der Bundesregierung werden die Mittel gestrichen“, warnt auch die Open Source Business Alliance in einer Pressemitteilung [7]. Die OSBA vertritt eine Branche mit Milliardenumsätzen, überwiegend in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Doch die, so die PR werden nicht angemessen berücksichtigt, wenn es um öffentliche Projekte geht.

Gerade in den letzten Monaten wurden immer wieder Milliarden an Steuergeldern in „Softwareimporte“ investiert, also in Überweisungen für Lizenzzahlungen an Microsoft [8], Oracle [9], VMware [10] und andere US-Konzerne mit datenschutzrechtlich fragwürdigen Rechtsräumen, nur für eine Nutzungserlaubnis, ohne Eigentumserwerb, ohne Kontributionsmöglichkeiten, Souveränität und Garantie der Rechts- oder datenschutzkonformen Nutzbarkeit oder gesellschaftlichen Mehrwert.

Ein weltweites Vorbild unter Beschuss?

Besonders betroffen in Deutschland ist beispielsweise das Zentrum für digitale Souveränität – eine Initiative des Bundesinnenministeriums und beauftragt damit, Open-Source-Software für Verwaltungen zu koordinieren und zu fördern. Die Arbeit des von CEO Andreas Reckert-Lodde in den letzten beiden Jahren aufgebauten Teams sorgte unlängst für weltweites Aufsehen, die Mitarbeiter wurden gar nach New York eingeladen, um vor der UNO [11] genau das zu schildern, was die Weltorganisation erst noch plant und das Team des ZenDiS bereits umgesetzt hat: Ein Repository für Open-Source-Software (Open CoDE, [12]) und einen Desktop für die Verwaltung (openDesk, [13]).
Streichkonzert zulasten von Bürgern und Wirtschaft

Gekostet hat das nur ein Tausendstel dessen, was Deutschland trotz Open-Source-Strategie jedes Jahr an Konzerne überweist: wenige Millionen Euro. Doch selbst die sollen nun klammheimlich zusammengestrichen werden – zum Leidwesen der deutschen Industrie, der Bürger, der Verwaltungsdigitalisierung und der digitalen Souveränität der Anwender. Über 5000 Anwender nutzen Open CoDE, Hunderte meist mittelständische Softwarehersteller sind dabei, tausende Benutzer testen und verbessern openDesk – ein Modell, das unlängst auch Frankreich für sich übernahm. Soll wieder einmal eine deutsche Vorreiterrolle durch politische Entscheidungen gefährdet sein?

Open Source braucht Planungssicherheit

Die Planungssicherheit für Institutionen wie das ZenDiS und andere Open-Source-Institutionen sind eine Seite des Problems, doch der scheidende CEO weiß, es geht um mehr: Reckert-Lodde fordert seit Monaten: „Es wäre so einfach: Würde man festlegen, dass 20 Prozent der IT-Ausgaben für Open-Source ausgegeben werden müssen, wären viele Probleme gelöst. Und das würde keine Kosten verursachen.“ Wie auch immer, ein Anfang für eine langfristige Strategie muss gemacht werden.

Vermutlich wird im Bundeshaushalt Anfang Januar eine größere Summe stehen als jetzt. In Brüssel wird sich die FSFE vehement dafür einsetzen, dass die Open-Source-Förderung ausgebaut statt eingestampft wird. Aber beides ist kein Selbstläufer.

Liebe Abgeordnete, wir Wähler, Bürger, Unternehmer und Anwender forden Sie auf:

  • Bitte bringen Sie sich ein, stimmen sie für mehr Förderung für freie, unabhängige Open-Source-Software in Deutschland und Europa.
  • Sagen Sie Nein zu einem Haushalt, der die Mittel für Open-Source und digitale Souveränität massiv kürzt. Setzen Sie sich für langfristige Förderung von langfristig wirksamen Projekten ein.
  • Setzen Sie sich für den Vorschlag ein, 20 Prozent aller IT-Ausgaben der öffentlichen Hand sollten für Open-Source und nachvollziehbar digital souveräne Projekte ausgegeben werden.
  • Lassen Sie es nicht zu, dass Milliarden Euro für Software-Lizenzen bedenkenlos überwiesen werden, während Millionen für sinnvolle Projekte gestrichen werden.
  • Die Digitale Unabhängigkeit, Souveränität und Nachhaltigkeit Deutschlands und Europas erfordert Planungssicherheit auf Jahre hinaus. Alljährliches Zittern um Budgets ist dabei nicht hilfreich. Software und Bodenschätze wie Gas unterscheiden sich: Gas kann man schnell von einem anderen Anbieter beziehen, Software nicht. Wir müssen hier auch durch klare Verpflichtungen beweisen, dass die im Koalitionsvertrag definierte Open-Source-Strategie kein Lippenbekenntnis ist.

Bitte setzen Sie sich noch stärker für den deutschen Mittelstand, die europäische IT-Industrie unsere Werte und Grundrechte ein. Stärken Sie den Standort Deutschland und Europa, indem Sie für die Förderung von sicherer, stabiler und datenschutzkonformer, freier Software stimmen.

Ich möchte Ihnen an dieser Stelle ein Gespräch anbieten und freue mich über jedes Feedback.

Vielen Dank, ich verbleibe mit freundlichen Grüßen,

Deine Unterschrift

Das ist der Text von Markus Feilner, mit einigen Rechtschreibkorrekturen meinerseits, die nichts an der Aussage verändern. Falls ihr dem Inhalt dieses Briefes zustimmt, könnt ihr ihn an eure parlamentarischen Vertreter:innen schicken. Als Schweizer Staatsbürger habe ich diese Möglichkeit leider nicht.

Ich wünsche euch ein entspanntes Wochenende.

Quellen:

https://osb-alliance.de/featured/bundeshaushalt-die-digitale-zukunftsfaehigkeit-wird-wider-besseres-wissen-demontiert

https://feilner-it.net/2024/09/12/open-source-forderung-gestrichen-offener-brief-an-die-mitglieder-des-bundestags/

https://commission.europa.eu/about-european-commission/departments-and-executive-agencies/digital-services/open-source-software-strategy_en

https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/koalitionsvertrag-2021-1990800

Tags

FOSS, Haushalt, Bundeshaushalt, Förderung, Unterstützung

Christian Störig
Geschrieben von Christian Störig am 16. September 2024 um 11:03

Letztendlich eine sehr ernüchternde Meldung und diese Entwicklung ist objektiv gesehen nicht nachvollziehbar. Hier wird doch sehr risikofreudig auf Kosten anderer "mit dem Feuer gespielt". Dies kann als Versuch interpretiert werden, jedewede Bemühungen im Keim - interessengeleitet - zu ersticken - um die Vormachtstellung am Markt zu zementieren. Leider ist das "Spiel hinter den Kulissen" wenig bis gar nicht transparent und die Big Techs haben sicherlich viele Mittel für Lobbyarbeit und Einflussname zur Verfügung. Apropos Marktmacht: Wie war das nochmal mit Marx und den Produktionsmitteln?!

P.S.: Die Grundidee von FOSS ist durchgehend politisch - und dies lässt sich auch nicht aufgrund von selbst selbstauferlegten Regeln ausblenden. Die angemerkten Regeln wurden m. E. primär zur Moderation/präventiven Deeskalation in den Chat-- und Social Media-Kanälen von GNULinux aufgestellt. Natürlich sollten diese Regeln beherzigt werden. Trotzdem/Aber: Als rebellischer FOSS-Anhänger fällt mir der Spruch ein "Man muss die Regeln kennen, um sie brechen zu können." - was wiederum impliziert, dass man dies hin und wieder tun muss... Aber das ist eine streitbare Aussage...