Zum Wochenende: Zwei Fragen

  Ralf Hersel   Lesezeit: 4 Minuten  🗪 14 Kommentare Auf Mastodon ansehen

Aktuelle Vorkommnisse werfen die Fragen auf, ob man FOSS zu jedem Zweck und von jedem Anbieter verwenden soll, wenn der Zweck oder die Herkunft fragwürdig ist.

zum wochenende: zwei fragen

Ein Unterschied zwischen Open Source und Freier Software, ist der gesellschaftliche Aspekt. Während die Quelloffenheit überwiegend diesen technischen Aspekt im Focus hat, bezieht FOSS auch die Auswirkungen von Software auf die Gesellschaft ein. Und wo die Gesellschaft beteiligt ist, ist auch die Politik nicht mehr weit entfernt.

Der Titel dieses Artikels lautet "Zwei Fragen". Die zwei Fragen lauten:

  1. Darf Freie Software für alle Zwecke verwendet werden?
  2. Spielt die Herkunft Freier Software eine Rolle?

Es versteht sich, dass ich den Begriff "Freie Software" im Sinne von FOSS oder FLOSS verwende, so wie es die FSFE definiert. Transparenzhinweis: Der Autor ist aktives Mitglied der FSFE.

Darf Freie Software für alle Zwecke verwendet werden?

Die Antwort auf diese Frage ist einfach, wenn man auf die Definition von Freier Software schaut. Die vier Freiheiten der GPL (General Public License) besagen:

Bei der Freiheit Nummer 0 (ja, sie wird 0 und nicht 1 genannt) erhalten wir eine eindeutige Antwort: "Für jeden Zweck" und "frei von Einschränkungen". Damit darf ich die Verwaltung des Foltergefängnisses im Iran betreiben oder die Steuerung russischer Raketenangriffe auf die Ukraine steuern. Warum? Weil FOSS ansonsten ihren eigenen Freiheitsbegriff ad absurdum führen würde. Es gab Bestrebungen, schwarze Listen einzuführen, um unethischen oder menschenrechtsfeindlichen Einsatz von FOSS einzuschränken. Diese Bestrebungen haben sich nicht durchgesetzt, weil die GPL keine politischen Entscheidungen beeinflussen darf. Freie Software ist nicht politisch, aber gesellschaftlich.

Freie Software betreibt keine Politik. Sie entscheidet nicht über Wohl und Wehe. FOSS ist neutral. Freie Software findet auf einem höheren OSI-Level statt. FOSS befindet sich auf OSI-Level 8 und 9 (die es nicht gibt, und vom Autor erfunden wurden). Das ISO/OSI-Referenzmodell regelt Schichten auf einer technischen Ebene. Damit sind wir wieder beim Unterschied zwischen Open Source und Freier Software angekommen. In einem Gedankenspiel könnte man dieses Modell mit weiteren Ebenen aufstocken, um gesellschaftliche und politische Relevanz hinzuzufügen:

  • OSI-Level 8: Anwender:innen
  • OSI-Level 9: Verwendungszweck

Spielt die Herkunft Freier Software eine Rolle?

Freie Software wird überall auf dieser Welt entwickelt. Daran sind Millionen von Freiwilligen beteiligt, sei es bei der Programmierung, Pflege, bei der Übersetzung, dem Projektmanagement, Community-Building, beim Fundraising und nicht zuletzt bei GNU/Linux.ch, wenn es um Information, Hilfe und Beteiligung geht.

Nicht erst seit heute, aber vermehrt geraten Projekte, Firmen oder Einzelpersonen in die Kritik der Community, da sie durch problematisches Verhalten auffallen.

Ein bekanntes Beispiel ist die Office-Suite ONLYOFFICE. So schreibt die Johannes Gutenberg Universität Mainz (JGU):

Hinter OnlyOffice steht das Unternehmen Ascensio System SIA mit Sitz in Riga (Lettland) und London (Großbritannien). Das Unternehmen ist jedoch russisch. Aus diesem Grund fällt OnlyOffice unter die Sanktionen, die Deutschland gemeinsam mit der EU gegen Russland verhängt hat. Die JGU stellt daher alle Geschäftsbeziehungen mit OnlyOffice ein. Mit der kostenlosen Open-Source-Version von OnlyOffice fließt kein Geld mehr nach Russland.

Auch in der englischen Wikipedia findet sich ein entsprechender Eintrag.

Ein Beispiel aus der jüngsten Zeit ist die Firma Framework, ein Hersteller modularer Computer. In die Kritik geriet Framework als Gold-Sponsor des Hyprland-Projekts. Der leitende Entwickler von Hyprland, Vaxry, wurde zuvor aufgrund der Art und Weise, wie die Moderation auf dem Discord-Server von Hyprland erfolgt, von der Mitarbeit an freedesktop ausgeschlossen. Dies führt auch dazu, dass linksgerichtete Menschen das Hyprland-Projekt nicht mögen. Der X-Account von Framework twitterte einen Witz, dass Omarchy Linux (entwickelt von David Heinemeier Hansson (DHH)) der Ersatz für Windows 11 sei. Dies verärgerte diejenigen, die DHH und seine rechtsgerichteten Ansichten nicht mögen, noch mehr. Und so wurde das Community-Forum von Framework zu einem Ort hitziger Diskussionen.

DHH ist dafür bekannt, dass er mit seiner Meinung kein Blatt vor den Mund nimmt, weshalb er oft als Rechtsgerichteter bezeichnet wird. In Verbindung mit der Ankündigung von Hyprland veranlasste dieser Tweet viele Menschen dazu, die Absichten von Framework und die Beweggründe für das Sponsoring infrage zu stellen.

Ich könnte noch weitere Beispiele nennen, bei denen Projekte oder Mitarbeitende in die Kritik der Community geraten sind. Mir geht es hier nicht darum, ob ich das gut oder schlecht finde, sondern einzig um die Frage, ob missliebiges Verhalten einen Einfluss auf die Verwendung der Software haben soll oder nicht.

Deshalb stelle ich euch die zwei Fragen zum Wochenende:

  1. Darf Freie Software für alle Zwecke verwendet werden?
  2. Spielt die Herkunft Freier Software eine Rolle?

Titelbild: https://pixabay.com/illustrations/smiley-emoticon-question-mark-fun-681575/

Quellen:

https://fsfe.org/freesoftware/freesoftware.de.html

https://www.en-zdv.uni-mainz.de/2023/05/30/software-onlyoffice-will-be-switched-to-the-open-source-version/

https://en.wikipedia.org/wiki/OnlyOffice#Organization

https://news.itsfoss.com/framework-hyprland-sponsorship/

https://community.frame.work/t/framework-supporting-far-right-racists/75986

https://en.wikipedia.org/wiki/David_Heinemeier_Hansson#Political_views

https://tedium.co/2025/10/13/omarchy-linux-distro-commentary/

Tags

Freie Software, Ethik, Herkunft, Verhalten

David
Geschrieben von David am 17. Oktober 2025 um 17:46

IMHO sollte die Herkunft freier Software vollkommen egal sein. Wenn es freie Software ist UND der Source Code vorliegt, gibt es keinen einzigen vernüftigen und schon gar keinen technischen Grund eine Software zu boykottieren. Ebenso problematisch und vollkommen unpassend empfinde ich regelmässig die Tatsache wenn bei irgendwelchen Sport- oder sonstigen Eventveranstaltungen (Olympia / Eurovision / Weltmeisterschaften) Länder komplett ausgeschlossen werden.

  • Erstens: Man sollte Sport, Entertainment und Technik nicht mit Politik vermischen. Das passt nie zusammen!
  • Zweitens: Was genau bitte haben (Leistungs-)Sportler, die Sänger oder die Programmierer mit der Regierung oder dem Staatssystem ihres Landes zu tun?? Der einzige der dann einen Nachteil hat, ist der einzelne Betroffene und nicht etwa die Regierung!
  • Drittens: Diese Art von "Diskriminierung Unbeteiligter" hat noch nie irgendetwas bewegt oder verändert außer der Benachteiligung von Künstlern, Sportlern oder eben hier Programmierern. Das nur Sippenhaft und bringt keine neuen Erkenntnisse.

Zur Frage: Darf Freie Software für alle Zwecke verwendet werden? Das ist wie mit jedem anderen Werkzeug auch: Solange damit keine bösen Dinge angestellt werden, also z.B. um damit andere schädigen, kann sie für alle Zwecke ohne Bechränkungen benutzt werden.

Im Artikel wird von "problematischen Verhalten" gesprochen und das Ganze mit "rechts" & "links" illustriert. Dabei wird IMHO vollkommen vergessen und übersehen, dass alleine die Frage nach der Herkunft von Software für sich selbst eine faschistoide Haltung ist! Wen interessiert denn, ob die Software ein Chinese, Afrikaner oder Eskimo programmiert hat? Weiß man das etwa bei Microsoft oder IBM ... Nein, also !!

Ralf Hersel Admin
Geschrieben von Ralf Hersel am 17. Oktober 2025 um 19:51

David, vielen Dank für deinen Kommentar. Deinen Satz: "... dass alleine die Frage nach der Herkunft von Software für sich selbst eine faschistoide Haltung ist!", missbillige ich. Begründung:

Das ist eine rhetorische Übertreibung, die zwar Aufmerksamkeit erzeugt, argumentativ aber problematisch ist. Eine solche Aussage:

  • entwertet berechtigte Diskussionen über Sicherheits‑, Datenschutz‑ und Lieferkettenfragen, die sich ebenfalls auf Herkunft beziehen können,
  • nutzt eine politisch und moralisch extrem aufgeladene Sprache („faschistoid“), wodurch eine sachliche Auseinandersetzung erschwert wird,
  • kann als Versuch gesehen werden, moralischen Druck aufzubauen, statt Argumente auszutauschen.

Dein Satz will offenbar ein starkes moralisches Statement setzen, verliert dabei aber an analytischer Präzision und öffnet Missverständnissen Tür und Tor.

David
Geschrieben von David am 17. Oktober 2025 um 20:33

Du selbst sprichst von "linksgerichteten" und "rechtsgerichteten" die aneinander geraten. In dem Wikipedia-Link zu David Heinemeier Hansson sehe ich jetzt keine wie von dir behauptete (oder von Wikipedia in "unrialiable sources" erfundene) "rechtsgerichtete Ansichten". Und da sind wir wieder bei einem alten, leider sehr großen, Problem: Jede andere Meinung ist rechts.

Fragt man nach der Herkunft von Menschen ist man automatisch rechts, fragt man jedoch nach der Herkunft von Software dann ist man nur berechtigt besorgt, bleibt sachlich und ist ohne moralischen Druck ... Ernsthaft? Genau deshalb wollte ich dir mit deiner Frage nach der Herkunft von Software mal den Spiegel vorhalten. Ja, provokant ... rhetorische Übertreibung, problematisch NEIN. Wieso denn? Lies mal bitte nochmal deine (KI?) Argumente und alles was du findest ist nur der eigene Spiegel in den du blickst.

Trotzdem Danke für den durchaus informativen Gedankenaustausch.

Ralf Hersel Admin
Geschrieben von Ralf Hersel am 17. Oktober 2025 um 21:21

Das ist (ausnahmsweise) kein Meinungsartikel. Der Artikel spiegelt nicht meine Meinung wider, sondern stellt zwei Fragen; nicht mehr und nicht weniger. Ich spreche nicht von links- oder rechtsgerichtet, die Quellen sprechen davon. Deine Aussage, dass "jede andere Meinung rechts ist", stimmt nicht. Insbesondere nicht meine. Du könntest genauso gut sagen, dass "jede andere Meinung links ist". Das führt nirgendwohin und hat nichts mit dem Zweck des Artikels zu tun. Du brauchst mir keinen Spiegel vorhalten; das empfinde ich als übergriffig und in diesem Kontext als nicht angemessen. Der Artikel hat nichts mit meiner Meinung zu tun.

DxU
Geschrieben von DxU am 17. Oktober 2025 um 21:01

Ich bin zum eigentlichen Thema voll bei David, halte aber auch die Bezeichnung "faschistoid" für völlig unangebracht.
Man sollte sich mal mit dem Wort näher befassen, bevor man es inflationär gebraucht. Und das gilt nicht nur für David und nicht nur für GLN.
Man kann moralisch auf einen so hohen Baum klettern, dass die Luft da oben knapp wird und man irgendwann vereinsamt oder erstickt.
Ansonsten werde ich mir auch künftig nicht die Arbeit machen, bei einer Software, den Lebenslauf des Programmierers zu studieren. Da ich im übrigen immer was zu meckern habe, hätte ich wohl bald keine Software mehr.
Free & OpenSource ist eine gute Entscheidung um auch künftig in diesem Sinne agieren zu können.

Ralf Hersel Admin
Geschrieben von Ralf Hersel am 17. Oktober 2025 um 21:27

Du schreibst: "Und das gilt nicht nur für David und nicht nur für GLN." GNU/Linux.ch verwendet den Begriff "faschistoid" nicht; David hat ihn verwendet, nicht ich. Der Artikel klettert auf gar keinen Baum, sondern stellt lediglich zwei Fragen.

Frank
Geschrieben von Frank am 18. Oktober 2025 um 08:49

Hallo Ralf, David, DxU,

abseits der Fragestellungen möchte ich euch für diesen Thread danken. Es sind super interessante Argumente drin und aber eben auch dieses überzogene Reizwort, welches in der heutigen Zeit bekanntermaßen sehr schnell in zwei Lager führt und eskaliert... Trotzdem seid ihr alle weiterhin sachlich geblieben und sauber und kontrolliert zu Ende diskutiert. Das fällt im Vergleich zu anderen Foren wirklich wohlwollend auf und dafür gilt euch mein Dank :-)

Anm.: Besonders schön finde ich Ralfs erste Antwort, welche ich mir für ähnliche potentielle Eskalation gleich mal copy&pasten werde... Und auch der bildliche Vergleich mit dem Baum hochklettern und dünner Luft ist wunderbar! Vielen Dank

Grüße, Frank

Stefan
Geschrieben von Stefan am 17. Oktober 2025 um 18:05
  1. Ja
  2. Ja
Roland
Geschrieben von Roland am 17. Oktober 2025 um 19:20
  1. Ja, darf sie. Ethische Überlegungen müssen separat betrachtet werden.
  2. Ja, die Herkunft spielt eine Rolle, insofern der Benutzer der Software ja auch vertrauen können muss, was sicher einerseits durch das Studium des Quellcodes ermöglicht wird, aber andererseits auch teils durch die Vertrauenswürdigkeit der Entwickler:innen beurteilt werden kann.
Farnz
Geschrieben von Farnz am 17. Oktober 2025 um 20:52

Eine Anmerkung, die nicht wirklich mit der Fragestelleung zu tun hat. Interessante Auswahl der Beispiele im ersten Abschnitt. Es wäre ja auch möglich, die Verwaltung der US-Foltergefängnisse oder die Steuerung der völkerrechtswiedriger Bombardierung des Libanons als Beispiel heranzuziehen.

Gruss

Tim
Geschrieben von Tim am 17. Oktober 2025 um 22:03
  1. Ja Wenn der Entwickler nicht will, dass es irgendwann irgendwelche Einschränkungen geben soll, soll er (oder sie) es nicht als "frei" veröffentlichen. Tut er/sie es, muss damit gelebt werden. Eine Frage der Verlässlichkeit.

  2. Nein Für mich spielt lediglich die technische Komponente eine Rolle. Darüber zu jammern, der oder die im Team hat mal xy gemacht oder getan ist für mich übergriffig und hat mit der Software selber nichts zu tun. Wer entscheidet denn, ob wer gut oder schlecht ist? Wonach soll denn entschieden werden? Ein Arschloch, der seine Frau daheim schlägt, mit seinem Unternehmen aber ein Krebsmedikament zum fairen Preis anbietet, welches Leiden für viele Menschen lindert - soll man deshalb auf das Medikament verzichten? Sehen das die Haltungsmenschen genauso wie die Medikamentempfänger? (Nicht dass ich das Misshandeln deshalb gutheisse, aber wir Menschen haben durchaus verschiedene Facetten und Ansprüche)

Ich finde, wir leben irgendwie in einer Gesellschaft, wo ein falsches Wort, ein "anderes" Handeln sofort in einem Shitstorm endet. Oder auch anders herum, auf einmal ist man der Held, weil xy. Oftmals aufgrund einer Interpretation oder Überempfindlichkeit. Was heuite gut ist ist morgen schon falsch, übermorgen aber schon wieder hip. Für mich soll jeder selber entscheiden, ob er ein Produkt nutzen möchte, wenn ihm der Entwickler nicht passt. Daraus eine Art Gruppenzwang zu machen, halte ich falsch. Der Nutzer stimmt mit seinem Nutzen/Nichtnutzen der Software ab und wenn eine Software gut ankommt, man selber aber der Meinung ist, der Entwickler ist blöd - tja, dann ist dies ein persönliches Problem, nicht das der Software. Wenn man dieses hinterfragen und Ausschliessen konsequent durchziehen wollte, dürfte man z.B. nichts mehr in den Geschäften kaufen, das Internet nicht nutzen, da im Grunde alles irgendwie Dreck am Stecken hat. Daher bin ich der Meinung, die Herkunft soll keine Rolle spielen.

Stefan
Geschrieben von Stefan am 17. Oktober 2025 um 23:54

Ich finde das interessant, dass Du auf Frage 2 mit einem klaren Nein antwortest, dafür aber eine Begründung gibst, die ich als klares Ja interpretieren würde: > Für mich soll jeder selber entscheiden, ob er ein Produkt nutzen möchte, wenn ihm der > Entwickler nicht passt. Daraus eine Art Gruppenzwang zu machen, halte ich falsch. In der Frage von Ralf finde ich nicht den geringsten Anhaltspunkt für irgendetwas Weitergehenderes als einen ganz persönlichen Boykott.

Max
Geschrieben von Max am 17. Oktober 2025 um 23:46
  1. Ja
  2. Nein

Only the code matters.

Felli
Geschrieben von Felli am 18. Oktober 2025 um 01:38

Zu Frage 1: Ja. Alles andere wäre unfrei. Und auch ja, der Preis der Freiheit geht manchmal mit höchst unangenehmen Nebenwirkungen einher.

Zu Frage 2: Nein. Wüsste auch nicht, wie ich das mit Ja beantworten könnte, ohne gleichzeitig die Freiheit infrage zu stellen, oder gar aufzugeben.