Hinweis: Dies ist ein Meinungsartikel. Ich stelle bewusst eine These auf, ohne diese zu belegen. Das ganze soll lediglich zum Nachdenken anregen. Auch werde ich keine Beispielprojekte nennen, um niemanden an den Pranger zu stellen.
In Software-Projekten gibt es die verschiedensten Arbeiten zu erledigen. Sei es Code zu produzieren, Dokumentation oder Übersetzungen anzufertigen oder Arbeit an Themen wie Design, UI, UX oder auch Marketing. Die Aufgaben sind so vielfältig, dass unwahrscheinlich ist, dass eine einzelne Person sich in allen Bereichen gut auskennt.
In der "heilen" Welt der Freien Software wird diese unterschiedliche Arbeit von unterschiedlichen Freiwilligen übernommen. Jede/r ist willkommen, mit anzupacken und das Projekt voranzubringen. Selbst wenn die Arbeit nur darin besteht, Ideen, Anregungen oder Verbesserungsvorschläge einzureichen, ohne selbst Hand anzulegen, sind die Projekte dankbar für jeglichen Input. Als beitragende Person fühlt man sich willkommen und erfährt Wertschätzung.
Nun, ich kenne viele Projekte, in denen das genau so läuft. Darunter würde ich auch meine eigenen zählen. Diese Projekte werden meist von einzelnen Personen oder kleinen Teams weiterentwickelt und haben eine überschaubare Nutzerzahl bzw. Community. Natürlich gibt es hier auch Ausnahmen. Seien es verwaiste Projekte oder Einzelkämpfer:innen, die sich absolut nicht in ihr Projekt "reinreden" lassen wollen. Aber das sind, wie gesagt, zumindest in meiner Wahrnehmung, eher die Ausnahmen.
Aber dann gibt es halt noch diese andere Klasse von Projekten. In meinen Augen sind dies meist größere Projekt, hinter denen eine größere Community steht und die in der Regel von mehreren Personen maßgeblich vorangetrieben wird. Häufig auch getrieben durch eine oder mehrere Organisationen, die Zeit und Geld investieren. Dort stößt man meist eben nicht mehr auf diese Willkommens-Kultur. Eingebrachte Vorschläge oder auch abgegebene Arbeit wird nicht wirklich Wert geschätzt. Als (neue) beitragende Person geht man als kleiner Fisch im Teich unter oder bekommt sogar Gegenwind. Punkte werden ewig diskutiert oder ohne (gute) Begründung einfach abgelehnt. Auch finden sich häufig Arroganz und/oder Überheblichkeit im Unterton oder auch ganz direkt in den Antworten wieder. Ob begründet oder nicht, es werden freiwilligen Helfern einfach Steine in den Weg gelegt. Das ist nicht nur frustrierend, sondern kann dem Projekt schaden, wenn dadurch engagierte und fähige Personen abgeschreckt werden. Im Endeffekt schadet es sogar der ganzen Szene rund um Freie Software, wenn solch ein Verhalten seine Schatten wirft und dadurch den Projekten, die auf freiwillige Mitarbeit angewiesen sind, die Unterstützung ausbleibt.
Mir ist durchaus bewusst, dass es bei größeren Projekten mehrere Faktoren gibt, die schlussendlich zu diesem Ergebnis führen. Ab einer gewissen Größe kann ich absolut nachvollziehen, dass es sinnvoll ist, eine fokussierte Roadmap zu haben und auch die Organisation im Projekt hierarchisch zu gestalten. Bei einer großen Nutzerzahl wird es wohl auch nötig, einige Qualitätsanforderungen und andere Regeln festzulegen. Das alles sind Dinge, die den Einstieg in ein Projekt erschweren. Muss dies aber zwangsläufig zu einer elitären Kultur führen? Lässt sich nicht trotzdem auf Augenhöhe miteinander kommunizieren? Selbst wenn ein Vorschlag mal nicht ins Konzept oder zu festgelegten Regeln passt, so lässt sich dies doch in einem anständigen Ton erläutern. Ich bin der Meinung, dass dies das Minimum an Respekt ist, was dem/der Freiwilligen entgegengebracht werden muss. Ein nettes Wort zum Dank würde das Ganze dann noch abrunden. Da ist die Energie doch besser aufgehoben als in endlosen Diskussionen über Details. Dies gilt sicherlich auch für andere Projektarten im Freien Kontext, nicht nur für Software.
Es gibt natürlich nicht nur Ausnahmen bei den kleinen Projekten. GNU/Linux.ch würde ich zum Beispiel als sehr einladendes Projekt sehen, wo Mitarbeit hochgeschätzt wird, obwohl hier eine größere Community dahintersteht und auch schon organisatorische Maßnahmen (CORE-Team, ...) und Regeln definiert wurden. In der Historie finden wir aber auch Projekte, die viele Gemeinsamkeiten mit GNU/Linux.ch haben oder hatten, bei denen aber genau der oben beschriebene Effekt eingetreten ist.
Mich würde interessieren, wie ihr das seht. Habt ihr einen ähnlichen Eindruck und ähnliche Erfahrungen gemacht? Bin ich da bisher nur an die falschen Projekte geraten und die Realität sieht ganz anders aus? Habt ihr Ratschläge für freiwillige Helfer oder wachsende Projekte? Schreibt es gerne in die Kommentare.
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Wenn ein Projekt unter freier Lizenz steht, braucht man nicht zu erwarten, dass es deshalb eine Demokratie ist, bei der jede Meinung gleich gewichtet wird. Es kann sogar etwas Gutes sein, wenn die Projektleitung ihre Meinung durchsetzt, auch bei Gegenwind.
Denn erstens wurde das Projekt in vielen Fällen mit einer mehr oder weniger klaren Vision gestartet, wohin es gehen soll. Da kann man es nicht jedem recht machen, und sollte es auch gar nicht erst versuchen. Sonst wird das Ziel aus den Augen verloren.
Zweitens hat, wer mehr der Arbeit im Projekt bisher gemacht, auch eine tendenziell fundiertere Meinung zu potentiellen Änderungen. Ich sage hier bewusst nicht "bessere" oder gar "richtigere" - das mag anders aussehen - aber eine fundiertere, da er mehr Erfahrung mit der Codebase hat, bereits aus mehr Fehlern im Kontext dieses Projektes gelernt hat, das Projekt überhaupt erst geplant hat (oder wenigstens in die Planung jüngerer Iterationen involviert war).
Nur, weil jeder den Code lesen kann, heißt das nicht, dass der Unterschied zwischen Entwickler und Nutzer wegfällt. Freie Lizenzen räumen dem Nutzer Rechte ein. Aber sie stellen keine Verpflichtung des Entwicklers dar, sich irgendwie dem Willen seiner Nutzer zu beugen.
Wer Software unter freier Lizenz veröffentlicht, macht der Allgemeinheit ein Geschenk. "The software is provided as is". Ob der Entwickler dann Antwortgeschenke der User annimmt und einpflegt, oder nicht oder nur ausgewählt, ist seine Entscheidung, seine allein und das ist gut so. Diese Freiheit sollte er haben.
Wenn der Nutzer eine andere, teils entgegengesetzte Vision hat, die dem Entwickler nicht zusagt, ist es äußerst undankbar, gegen den Geber des oben beschriebenen Geschenks zu stänkern als eigensinnig o.Ä. Wenn ich ein Kochbuch zum Geburtstag bekomme, reagiere ich nicht mit "ich will lieber eins über Geographie". Meine schlimmste Reaktion darf nur sein, es im Regal verstauben zu lassen oder nach etwas Zeit weiterzuverschenken.
Wer etwas wesentlich anders haben will als der Entwickler, soll forken. Das klingt erstmal harsch, ist aber begründet: Zunächst einmal ist das die Freiheit, die die Lizenz gibt, freie Lizenzen existieren überhaupt um dieses Zweckes willen.
Desweiteren schafft man so jedem Nutzer die Wahl zwischen den beiden Projekten. Jeder kann das wählen, dem er mehr zustimmt. Und: wer forkt, qualifiziert sich. Er zeigt, dass er sich tatsächlich zu Genüge mit der Software auseinandergesetzt hat, um sie zu maintainen und im eigenen Sinn auszubauen.
Ein Positivbeispiel dafür sind Vim und Neovim. Beide haben etwas unterschiedliche Ziele (oder unterschiedliche Ansätze, mit welchen Mitteln das Ziel zu erreichen ist, (das ist eine Perspektivfrage, ist ja auch egal)). Fork und Original werden von beiderseits sehr kompetenten Leuten geleitet. Beide tauschen mWn. sogar immer noch Patches aus. Beide haben ihre Nutzerschaft, Unterschiede, Vor- und Nachteile. Ich bin froh, dass beide existieren.
Wie es nicht laufen sollte, ist dass Leute sich verbal die Köpfe einschlagen. Wenn zwischen Teilen der Nutzerschaft und Entwicklern Konflikte sind, müssen natürlich beide respektvoll bleiben. Beide!
Fazit: Wenn ein Entwickler A will, ein Nutzer will B und der Entwickler entscheidet, bei A zu bleiben, dann ist der Entwickler im Recht. Freie-Software-Lizenzen sind da, um dem Nutzer das Forken zu ermöglichen, nicht um den Entwickler zur Patchannahme zu verpflichten. Nur bleibt bitte alle recht freundlich!
Es gibt freie Softwareprojekte, die über einen von kommerziellen Unternehmen bezahlten Entwicklerstamm verfügen. Das ist an und für sich überhaupt nichts Schlechtes, sondern vielleicht eher im Gegenteil, aber es enthält natürlich ein gewisses systemisches Konfliktpotential zwischen den Entwicklern, die das als Job machen und Community-Mitgliedern, die dafür ihre Freizeit opfern. Um es zu betonen: sehr oft (und natürlicherweise) ist der Beitrag der bezahlten Entwickler (pro Person) zu dem Projekt natürlich viel größer. Aber es besteht dann schon eine gewisse inhärente Tendenz zu einer Zweiklassengesellschaft. Vielleicht unvermeidbar. Da ist dann wohl der Umgang miteinander sehr entscheidend.
Naja dazu gibt es da Konzept eines Mentors.
Wer ernsthaft mitmachen will sollte bei grossen Projekten vermutlich nach eben so einem fragen mit der Angabe wo er oder sie sich einbringen möchte.