Methodenfreiheit
Lehrpersonen geniessen zumindest an Schweizer Gymnasien weitgehende Methodenfreiheit, was die Wahl von Lehrmitteln und Methoden für den Unterricht zum Zwecke der Umsetzung des Lehrplans für das entsprechende Fach angeht. Auch bei der Wahl von Software zur Unterstützung des Unterrichts greift grundsätzlich die Methodenfreiheit. Selbst wenn Kantone und Schulleitungen durch die Bereitstellung von bestimmten Software-Produkten die Wahl der Lehrpersonen zumindest stark beeinflussen, ist es in den meisten Fällen letztlich die Lehrperson, welche die Entscheidung für oder gegen bestimmte Software-Produkte im Unterricht trifft. Dies betrifft sowohl Mittel zur Vorbereitung und Durchführung des Unterrichts als auch eingesetzte Plattformen, um Unterrichtsunterlagen den Schüler:innen zur Verfügung zu stellen. Eingehalten müssen dabei gewisse gesetzliche Vorgaben, etwa bzgl. Urheberrecht und Datenschutz.
Die Qual der Wahl
Wer die Wahl hat, hat die Qual. Es gibt eine Fülle von Software-Produkten, mit denen sich der Unterricht vorbereiten und gestalten lässt. Wie soll man sich hier als Lehrer:in entscheiden? Es lohnt sich durchaus, die Wahl sorgfältig zu treffen, denn gerade die Erschaffung eigener Unterrichtsmaterialien ist sehr zeitaufwendig und umfangreich und bildet letztlich nebst der fachlichen und pädagogisch-/didaktischen Kompetenz das grösste Kapital einer erfahrenen Lehrperson. Es gibt nichts Ärgerlicheres, als wenn Unterrichtsmaterialien weggeworfen werden müssen, nicht weil sie veraltet sind, sondern weil sie sich nicht mehr korrekt öffnen und bearbeiten lassen. Dabei sind die Zeitfenster im Lehrerberuf aussergewöhnlich gross. Sind Lehrpersonen mal fest angestellt, bleiben sie oft bis zur Pensionierung im Lehrerberuf, in vielen Fällen sogar an derselben Schule. Unterrichtsmaterialien werden oft über Jahre oder gar Jahrzehnte hin weiterentwickelt und eingesetzt. Sie müssen ändernden Gegebenheiten angepasst werden, etwa an den Kenntnisstand und das Niveau einer Klasse oder längerfristig bei Lehrplanänderungen, neuen Absprachen in der Fachschaft oder Vorgaben der Schulleitung. Es ist meist weniger zeitaufwendig, bestehende eigene Unterrichtsmaterialien anzupassen, als sie komplett neu zu erschaffen.
Natürlich gibt es auch fix-fertige Lehrbücher, die sich für den Unterricht einsetzen lassen. Diese decken aber häufig nicht alles ab, was die Lehrperson im Unterricht behandeln möchte oder sollte, sind zum Teil nicht gemäss des Lehrplans aufgebaut und sie lassen sich vor allem auch nicht beliebig anpassen. Lehrpersonen erzeugen zudem teils vertrauliche Daten, seien es etwa Leistungsbeurteilungen, Notizen zum psychischen und physischen Wohlergehen von Schüler:innen oder zu Disziplinarischem. Sollen diese Daten etwa in die Hände von Parteien gelangen, welche diese Daten an Interessierte verkaufen, seien es Werbemacher, potenzielle zukünftige Arbeitgeber, Versicherungen, Finanzinstitute oder dergleichen? Die Antwort ist ein klares Nein.
Ansprüche
Aus obigen Überlegungen heraus formuliere ich nun einige Ansprüche, die für den Unterricht taugliche Software möglichst weitgehend erfüllen soll:
- Funktionalität: Die eingesetzte Software sollte stabil funktionieren und für möglichst wenig unliebsame Überraschungen im Unterricht sorgen.
- Anpassbarkeit: Die mit der Software erstellen Inhalte sollen sich gut auf wechselnde Gegebenheiten anpassen lassen.
- Langfristigkeit: Die mit der Software erstellten Inhalte sollen sich auch nach Jahren und Jahrzehnten noch öffnen und bearbeiten lassen. Im Minimum sollten sie in ein gebräuchliches, langfristig unterstütztes Datenformat exportiert werden können, sodass sie mit anderer Software weiterverwendet werden kann.
- Teilbarkeit: Sind die Inhalte zum Teilen (mit Schüler:innen oder anderen Lehrpersonen) gedacht, so sollen sie auf möglichst allen eingesetzten Geräten geöffnet (und eventuell gar bearbeitet) werden können.
- Datenschutz: Was mit den Daten passiert, soll gut nachvollziehbar sein und schützenswerte Daten sollen unter keinen Umständen in die Hände von Parteien gelangen, welche die Daten für unlautere Interessen missbrauchen.
- Kontrolle: Was die Software auf dem eigenen Gerät tut und mit den Daten anstellt, soll möglichst einer kollektiven Kontrolle unterliegen.
- Unabhängigkeit: Der Einsatz der Software sollte in der Kontrolle des Benutzers liegen und nicht von aussen diktiert werden können. Die Software sollte unabhängig vom Software-Hersteller weiterverwendet werden können.
- Erweiterbarkeit: Die Software selbst sollte idealerweise individuell erweiterbar sein, sodass sich anspruchsvollere individuelle Ziele mit gewissem Aufwand realisieren lassen.
- Kosten: Die eingesetzte Software sollte nicht zu unangemessen hohen Kosten führen; dabei sind auch Folgekosten durch einen Lock-in-Effekt wie auch eventuelle Preisanpassungen seitens der Software-Herstellerin zu berücksichtigen.
Wo freie Software glänzt
Bei diversen der oben genannten Ansprüchen glänzt freie Software und hebt sich deutlich von proprietärer Software ab. Offene Formate und quelloffene Software sorgen für Langfristigkeit. Welche Lehrperson kennt nicht die Kolleg:in, welche ihre mit einer alten M$ Word-Version erstellten Unterrichtsmaterialien nach einem Update oder auf einem neuen Gerät nicht mehr öffnen kann? Das wäre nicht passiert, hätte diese Kolleg:in ein quelloffenes Format verwendet. Freie Software ist zudem oft (wenn auch nicht automatisch) systemübergreifend einsetzbar, was die Teilbarkeit unterstützt. Während proprietäre Anbieter ihre Produkte oft nur für bestimmte Windows- oder MacOS-Versionen entwickeln (Adobe grüsst) und sich scheinbar kaum gewahr sind, dass es z.B. auch noch Linux gibt, streben freie Software Projekte oft die Benutzbarkeit auf möglichst vielen Plattformen an. Die Kontrolle liegt nicht bei einer Firma oder einem Konzern, sondern bei der grossen Gemeinschaft von Anwender:innen und potenziellen Anwender:innen.
Der Datenschutz ist in der Welt der freien Software ein hohes Gut. Daten ungefragt abzugreifen ist ein No-No und würde umgehend zu grossen Verwerfungen innerhalb des Projekts führen. Nicht so bei proprietären Anbietern, wo das Abgreifen der Daten geradezu zum Geschäftsmodell gehört. Freie Software kann zudem schon gemäss den Grundfreiheiten (Verwenden, Verstehen, Verbreiten, Verbessern) beliebig an die eigenen Bedürfnisse angepasst werden und ist meist komplett unabhängig vom Entwickler-Team einsetzbar. Zudem sind auch Plugin-Systeme verbreitet, bei welcher die Grundfunktionalität durch eigene Skripte (etwa in Python oder Lua) erweitert werden kann. Auch bei den Kosten steht freie Software gut da. Oft (aber nicht notwendigerweise) ist freie Software sogar gratis. Kosten können zudem nicht beliebig von einzelnen Interessenten in die Höhe getrieben werden. Schliesslich kann freie Software immer auch geklont und mit einem neuen Entwicklungsteam vorangetrieben werden.
Fazit
Für den Einsatz in der Vorbereitung oder Durchführung von Unterricht gibt es eine Reihe von Anforderungen, welche sich zum Teil vom Alltagsgebrauch oder dem Gebrauch in anderen Berufssparten unterscheidet. Im Versuch, diese Ansprüche aufzulisten, kam zum Vorschein, dass freie Software in einigen wichtigen Punkten deutlich besser als proprietäre Software dasteht. Die Entscheidung für oder gegen bestimmte Software-Produkte liegt in der Regel bei der Lehrperson. Diese sollte sorgfältig abgewogen werden, gerade auch wegen der Langfristigkeit, welche Unterrichtsunterlagen zukommen sollte.