Bei GNU/Linux.ch gehen viele Pressemitteilungen ein, bei denen es zu entscheiden gilt, ob wir darüber schreiben oder nicht. Am letzten Freitag erreichte uns die Meldung von Volla Systems über deren neuen Volla Messenger. Die deutsche Firma, die für ihre Volla-Phones bekannt ist, schickt ihren Messenger bis Mitte Juni 2025 in den Beta-Test. Falls ihr euch dafür interessiert, probiert es aus.
You got me at "Dezentral durch Holochain: Effizienter als Blockchain".
Falls sich jemand aus der Comnunity damit beschäftigen möchte: nur zu. Wir freuen uns über einen Testbericht zum Volla Messenger. Ich habe am Freitag eine Weile mit Lioh darüber diskutiert, weshalb es in diesem Artikel nicht um den Volla Messenger, sondern um Delta Chat geht.
Schon wieder Messenger?
Über Messenger haben wir schon viel geschrieben, ohne zu einem Konsens zu kommen. Dafür gibt es drei Gründe:
- Es gibt kein allgemein anerkanntes Protokoll für Messenger.
- Es gibt keinen allgemein anerkannten Standard für Ende-zu-Ende-Verschlüsselung für Messenger.
- Der Netzwerk-Effekt verhindert den Durchbruch eines Messengers, bzw. befördert die Falschen.
Schaut man mit der Community-Lupe auf die Messenger, so gibt es wiederum drei Empfehlungen:
- Signal
- Threema
- Matrix (Element)
Warum Delta Chat?
Bisher habe ich Delta Chat (DC) als dumme Idee abgetan. Was soll man mit einem Messenger anfangen, der auf das 39 Jahre alte IMAP-Protokoll setzt? Warum soll man der 25 Jahre alten GPG-Verschlüsselung von Werner Koch vertrauen? Die Antwort ist sehr einfach: weil sich diese Protokolle und Algorithmen seit Jahrzehnten bewiesen haben, von abertausenden Testern bewertet und von ebenso vielen Entwicklern verbessert wurden. Das ist gut abgehangene Technik.
Delta Chat ist ein quelloffenes Gemeinschaftsprojekt. Verantwortlich für den Inhalt der DC Webseiten ist die:
merlinux GmbH, Reichsgrafenstr. 20, 79102 Freiburg, Deutschland
Installation
Delta Chat (DC) gibt es für alle Plattformen: Webbrowser, Desktop, Android, iOS. Leider handelt es sich um eine Electron-Anwendung, womit ihr euch Chromium einfangt. Das ist bei den übrigen Messengern auch nicht besser. Für diesen Testbericht habe ich Delta Chat auf Android über den F-Droid Store installiert. Auf dem Desktop habe ich das native Arch-Paket verwendet; den Messenger gibt es auch als Flatpak. Kurzum, die Installation ist kein Problem; DC gibt es überall und für alles.
Beim ersten Start auf dem Desktop seht ihr das:
Falls ihr das Ding vorher bereits auf dem Smartphone installiert habt, wählt ihr "Ich habe bereits ein Profil". Ansonsten klickt ihr auf "Neues Profil erstellen".
Dann gebt ihr euch einen Namen und ein Avatar-Bild. Nun könnt ihr ein E-Mail-Konto auf einem Delta Chat Server anlegen oder ein anderes E-Mail-Konto angeben. Wenn ihr ein eigenes E-Mail-Konto für DC verwenden möchtet, solltet ihr nicht eines eurer normalen Konten verwenden, sondern ein neues E-Mail-Konto für diesen Zweck anlegen. Für meinen Test habe ich (mit "Einverstanden & Profil erstellen") ein Konto bei "nine.testrun.org" erzeugen lassen, so wie es vorgeschlagen wird.
Falls ihr DC auf einem weiteren Gerät installieren möchtet, empfehle ich, auf dem Erstgerät ein Backup zu erstellen: Einstellungen → Chats und Medien → Backup exportieren. Diese Backup-Datei könnt ihr beim Anmelden auf dem neuen Gerät verwenden, um den bisherigen Chatverlauf zu importieren.
Erster Eindruck
Zu Beginn sieht man einen Chat mit Systemnachrichten, in dem nützliche Informationen für die ersten Schritte mit Delta Chat erklärt werden. Darin werden auch Neuerungen bekannt gegeben. Ausserdem gibt es den Chat "Gespeicherte Notizen". Das gefällt mir gut; bei anderen Messengern gibt es das nicht. Die meisten Anwender kommen gar nicht erst auf die Idee, einen Chat-Raum als Ablage zu verwenden. So sieht das Hauptfenster aus:
Was sieht man hier? Ganz links gibt es eine Leiste, in der mehrere Konten erscheinen können. Somit ist DC Mandanten-fähig. Das kann man grob mit den Spaces bei Matrix (Element) vergleichen, wobei es bei DC tatsächlich getrennte E-Mail-Konten sind. In der Mitte seht ihr die persönlichen und Gruppen-Chats. Ich habe nicht herausgefunden, wie man beide optisch voneinander unterscheiden kann. Beide sind mit GPG Ende-zu-Ende verschlüsselt.
Für einen Chat, bzw. eine Chat-Gruppe, gibt es diese Funktionen:
Auf der rechten Seite erscheint der Chat-Verlauf in gewohnter Weise. Dort werden angezeigt:
- Verschlüsselungsstatus (das Schloss-Symbol)
- Zeitanzeige
- Haken für Versendet und Gelesen
Zu einem einzelnen Chateintrage gibt es diese Funktionen:
- Emoji-Reaktionen
- Antwort
- Weiterleiten
- Reagieren
- Bearbeiten (nur bei eigenen Posts)
- Speichern
- Text kopieren
- Erneut senden
- Info
- Nachricht löschen
Teilnehmende hinzufügen
Delta Chat funktioniert ohne persönliche Angaben. Man kann einen beliebigen Namen wählen, und das Hinzufügen einer Telefonnummer ist weder möglich noch nötig. Es gibt weder einen zentralen noch dezentrale Server. Für einen Teilnehmenden fungieren ein oder mehrere E-Mail-Konten als "Server".
Möchte man den Chat mit einer Person oder Gruppe beginnen, wird der Austausch eines Zugangscodes benötigt. Diesen gibt es in Form eines QR-Codes oder eines Links. Entweder lässt man sich diesen Code über einen anderen Kanal schicken, oder man verschickt ihn selbst an eine Person. Dafür klickt ihr entweder auf das Plus-Zeichen (im mittleren Bereich, ganz unten) oder auf das QR-Code-Symbol ganz oben neben dem Suchfeld. Dann erscheint ein Dialog in dem man entweder den eigenen Code sieht oder den Code der anderen Person oder Gruppe scannen kann:
Wer möchte, kann das ausprobieren. Der oben gezeigte QR-Code ist mein echter Test-Account. Falls ihr der SpaceFun-gruppe bei Delta Chat beitreten möchtet, könnt ihr diesen Link verwenden.
Multimedia und Sonstiges
Wie ihr im Screenshot des Hauptfensters sehen könnt, gibt es im Chat-Bereich unten eine Büroklammer, hinter der sich verschiedene Formate verbergen. Was "Bild" und "Datei" bedeuten, muss ich nicht erklären. Die Option für einen Video-Chat gibt es erst, nachdem man in den Einstellungen einen Jitsi-Link hinterlegt hat. Das macht man bei: Einstellungen (Zahnrad) → Erweitert → Videochat. Dort kann man z. B. diesen Server eintragen: https://jitsi.sp-codes.de/$ROOM. Es werden auch zwei Vorgabe-Server angeboten. Startet man einen Videochat, so öffnet sich Jitsi im Webbrowser oder einer dedizierten Jitsi-Anwendung. Auch hier sieht man, dass Delta Chat das Rad nicht neu erfindet, sondern auf bewährte Technik (WebRTC) setzt.
Über Kontakt kann man die Referenz zu einer (in Delta Chat) bekannten Person einfügen. Durch einen Klick auf diese Referenz ist es möglich, einen Chat mit dieser Person zu starten. Dann gibt es noch die Apps. Dahinter verbergen sich ca. 50 Kleinanwendungen, die in einen Chatverlauf integriert werden können. Hier sind einige Beispiele:
- Konfetti-Regen senden
- Umfrage
- Einkaufsliste
- Spiele: Minesweeper, 2048, Sudoku, Schach, Snake, Tetris, ...
- Zeiterfassung
- Einfache Zeichnungen
- To-do Liste
- Kalender
- Event Planer
- Taschenrechner
- und ausgerechnet der Würfel fehlt 🙄
Sicherheit und Privatsphäre
Da ich diese beiden Aspekte nicht gut genug beurteilen kann, verweise ich auf einen Beitrag von Mike Kuketz. Bitte beachtet, dass dieser Beitrag schon fünf Jahre alt ist. Zwischenzeitlich wurde bei Delta Chat einiges verbessert. Grundsätzlich fällt Mikes Urteil ganz gut aus. Da DC nichts neu erfindet, sondern auf bewährte Technik setzt, richten sich die Kritikpunkte auf diese bewährte Technik:
- Es fallen unverschlüsselte Meta-Daten bei E-Mails an.
- Das Chatten mit nicht verifizierten Kontakten sollte unbedingt vermieden werden (auf den grünen Haken achten).
- Abstreitbarkeit noch Folgenlosigkeit (Perfect Forward Secrecy) sind mit OpenPGP nicht erreichbar.
Damit das nicht zu negativ herüberkommt: Kuketz zählt auch viele positive Punkte auf, die ich hier nicht wiederhole. Er schreibt dann noch:
Nach meiner Auffassung eignet sich die E-Mail-Infrastruktur (Push-IMAP etc.) nicht für das Versenden bzw. Empfangen von Kurznachrichten.
Das dachte ich bisher auch, ohne es begründen zu können. Warum eigentlich nicht? Es lohnt sich, einen Blick in die FAQ von Delta Chat zu werfen.
Fazit
Nach diesem Test bin ich positiv überrascht von Delta Chat. Mein grösstes Vorurteil war, dass E-Mail nicht für einen modernen Messenger geeignet ist. Meine Annahme war, dass DC aufgrund des IMAP-Protokoll sehr langsam sein müsse. Das Gegenteil ist richtig; die Synchronisation von Chats über mehrere Geräte hinweg erfolgt instantan.
Was mich ausserdem beeindruckt hat, sind die mit Liebe gestalteten Clients, sowohl auf dem Desktop als auch auf dem Smartphone. Das Projekt hat eine gute Balance zwischen Bedienbarkeit und Funktionsreichtum gefunden. Man spürt, dass der Schutz der Privatsphäre den Macher:innen am Herzen liegt: keine Telefonnummer, kein privates E-Mail-Konto, kein Zugriff auf die Handy-Kontakte. Die Anwendung ist wirklich angenehm zu bedienen. Im Vergleich zu meinen anderen Messengern (Telegram, Matrix/Element, Signal, Threema) erreicht Delta Chat für meine Bedürfnisse eine hohe Punktzahl.
- Telegram ist funktional völlig überfrachtet und ohnehin kein sicherer Messenger
- Matrix/Element ist mein Favorit, doch nur für Fortgeschrittene zu empfehlen
- Signal nervt ständig mit PIN-Abfragen und läuft auf US-Servern
- Threema finde ich gut, aber der Desktop-Client ist eine Zumutung
Die Installation und den Onboarding-Prozess habe ich als sehr einfach und benutzerfreundlich empfunden. Auch das Hinzufügen neuer Kontakte, bzw. das Beitreten zu bestehenden Gruppen, ist so einfach, wie es unter den gegebenen Umständen (kein Zugriff auf eure Handy-Kontakte) sein kann.
Ralf, Hand aufs Herz! Wird Delta Chat jetzt dein Haupt-Messenger. Nein, ich bleibe bei meinen zwei Haupt-Messengern: Matrix für die Community und Telegram für Familie und Freunde. Telegram möchte ich loswerden, wobei Threema oder Delta Chat die Alternativen wären.
Titelbild modifiziert: https://linuxiac.b-cdn.net/wp-content/uploads/2021/08/delta-chat.png
Quellen:
https://gnulinux.ch/delta-chat-der-sichere-messenger-auf-e-mail-basis
https://www.kuketz-blog.de/delta-chat-messaging-ueber-die-e-mail-infrastruktur-messenger-teil5/
Danke für den Test und die Darstellung.
Tja, jetzt müssten nur alle meine, deine, und eure Kontakte zu Delta Chat wechseln, da liegt leider das Problem. Ich wäre sofort dabei.
Übrigens, > Ausserdem gibt es den Chat "Gespeicherte Notizen". Das gefällt mir gut; bei anderen Messengern gibt es das nicht. Die meisten Anwender kommen gar nicht erst auf die Idee, einen Chat-Raum als Ablage zu verwenden.
das gibt es in anderen Messengern auch, bei Signal "Notiz an mich", bei WhatsApp "Nachricht an dich selbst". Bei Threema muss tatsächlich erst eine Gruppe dafür erstellt werden.
Und Vorreiter für "Gespeichertes" war Telegram. Lange bevor andere nachgezogen haben.
Vielleicht noch diese nützliche Information hinzufügen? https://providers.delta.chat/
"2. Es gibt keinen allgemein anerkannten Standard für Ende-zu-Ende-Verschlüsselung für Messenger." ??
DOCH - sogar WhatsApp & Facebook Messenger benutzen das: https://de.wikipedia.org/wiki/Signal-Protokoll
Zur Gewährleistung einer »abhörsicheren« Kommunikation setzt Signal auf die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung (E2EE) der Nachrichteninhalte. Dazu nutzt der Messenger das Signal-Protokoll (ehemals Axolotl-Protokoll), das in der Kryptoszene als »Goldstandard« angesehen wird. Das Protokoll wurde 2013 von Trevor Perrin und Moxie Marlinspike entwickelt und ermöglicht eine verschlüsselte Kommunikation unter den Teilnehmern auch dann, wenn diese nicht gleichzeitig online sind. Ein entscheidender Unterschied zum bis dato verwendeten OTR-Protokoll. https://www.kuketz-blog.de/signal-hohe-sicherheit-und-zero-knowledge-prinzip-messenger-teil9/
Sogar der Vorläufer https://de.wikipedia.org/wiki/Off-the-Record_Messaging#Fester_Bestandteil kam schon und kommt immer noch in einer ganzen Reihe von Anwendungen zum Einsatz.
Wenn man statt einem Chatmail Server einen normalen Mail Server als benutzt kann man neue Chats auch manuell durch Eingabe der Zieladresse erstellen.
Allerdings ist dann erst nach dem Schlüsseltausch die 3. Nachricht verschlüsselt.
Für die Familie definitiv geeignet. Da ich mich den üblichen Messengern verweigere, aber eine Multi-Device-Lösung brauche (Signal geht nur auf einem Smartphone!), musste sich der Rest der Familie beugen ;-)
Bemerkenswert ist die Stabilität und der seit Jahren kontinuierliche, monatliche Update-Intervall. Und die dezentrale eMail-Serverstruktur bietet die allerbeste Voraussetzung für eine hohe Widerstandsfähigkeit gegenüber Zensurbestrebungen.
Fazit: Tolles Projekt, zuverlässiges Team - sehr empfehlenswert.