Reanimierung eines 15 Jahre alten Desktop-PC

  Frank   Lesezeit: 8 Minuten  🗪 6 Kommentare

Wie sich ein alter Rechner auch 2024 unter Linux aufgrund der hoch getakteten Prozessoren noch für einfache Anwendungsfälle nutzen lässt.

reanimierung eines 15 jahre alten desktop-pc

Motivation

Ein Atelco 4office! Desktop PC aus dem Jahr 2009 mit 4 GB Hauptspeicher sieht noch aus wie neu und verhält sich im Betrieb relativ leise. Muss ein solcher Rechner 2024 weggeworfen werden? Das folgende Vorgehen ist nicht als wissenschaftlich (Messwerte) oder wirtschaftlich (Zeitaufwand) anzusehen, eher als Spaßprojekt mit Unterhaltungswert (zumindest für den Autor). Sichtbar werden aber einige Irrungen und Wirrungen der Hardware-/Softwareindustrie, die mit Linux ignoriert oder umgangen werden können.

"Wer billig kauft …"

Motherboard

Das Motherboard MSI K9N6PGM2-V stellt das Herz und gleichzeitig die Schwachstelle des Systems dar. Der Datendurchsatz ist gefühlt sehr gering, der Rechner glänzt aber mit 6 USB Schnittstellen (2 vorne, 4 hinten) und einem Multi-Kartenleser, allerdings nur auf Basis von USB2. Von der Homepage des Herstellers: 'MSI Reminds you :Because of the limitations of chipset, this MB does not support Win98/ME'. Die Netzwerkkarte hat lediglich einen Durchsatz von 100 MBit und es gibt neben SATA tatsächlich noch eine IDE-Schnittstelle.

https://www.msi.com/Motherboard/K9N6PGM2V/support

BIOS Update

Da es vier aktuellere BIOS-Versionen gab, wurde ein Update vorgenommen. Hierfür wurde ein USB-Stick mit FreeDOS erstellt, von dem der Rechner nach einigen Fummeleien im BIOS auch startete. Allerdings funktionierte dann die USB-Tastatur unter DOS nicht, diese wurde im nächsten Versuch über einen Adapter an die PS/2 Schnittstelle angeschlossen. Jetzt konnte über ein DOS-Programm das letzte BIOS aufgespielt werden. Das Gesamtsystem fühlte sich nach dem Update schneller an, es sollte erfahrungsgemäß immer das letzte BIOS aufgespielt werden, um möglichst viele Fehler zu beheben.

PS/2 Adapter "Den braucht man doch nie wieder."

Prozessor / Lüfter

Der AMD Athlon X2 7550 https://www.techpowerup.com/cpu-specs/athlon-x2-7550.c593 ist mit 2.5 Ghz getaktet und durch zwei Kerne tatsächlich schnell genug für einfache Arbeiten am PC. Der Lüfter hat nur einen dreipoligen Stecker, obwohl der Anschluss auf dem Motherboard vierpolig ist. Möglicherweise könnte der Betrieb noch leiser realisiert werden.

Betriebssystem

Das System soll weiter als Arbeitsgerät verwendet werden, als Kompromiss zwischen Komfort und Geschwindigkeit wurde Linux Mint Xfce 21.3 auf einer 120 GB SSD installiert. Backups, Disaster Recovery sowie die Versorgung mit Updates konnten mit wenigen Mausklicks automatisiert werden.

Startvorgang

Die größte Enttäuschung: der Startvorgang vom Bootmanager Grub zum Login dauert mit 57 Sekunden fast eine Minute lang. Der Login bis zum Desktop dauert ca. 7 Sekunden und ist akzeptabel, im eigentlichen Betrieb fallen die Ladezeiten von der SSD nicht stark auf. Auch automatisierte Backups und das Disaster Recovery (Timeshift) sowie das Einspielen von Updates führen nicht dazu, dass der Rechner unbenutzbar wird. Schade, dass der Start so lange dauert. Andere Distributionen, die weniger Ressourcen benötigen, wurden nicht getestet. Das Kommando 'systemd-analyze blame' ergab (TOP 15):

  • 10.45s gpu-manager.service
  • 9.952s plymouth-quit-wait.service
  • 2.173s dev-sda3.device
  • 2.163s systemd-random-seed.service
  • 1.922s systemd-udev-settle.service
  • 887ms networkd-dispatcher.service
  • 740ms udisks2.service
  • 733ms accounts-daemon.service
  • 672ms ubuntu-system-adjustments.service
  • 665ms NetworkManager-wait-online.service
  • 479ms avahi-daemon.service
  • 469ms polkit.service
  • 445ms systemd-resolved.service
  • 436ms NetworkManager.service

Browser / Surfen im Internet

Viel besser als erwartet läuft das Surfen im Internet: nach der Installation der Erweiterungen "Ublock Origin" und "LocalCDN" sind die Browser schnell genug für das Internet und benötigen ca. 4 Sekunden für den Start.

USB

Eine einfache USB3-Steckkarte für den PCIe Steckplatz hebt den externen Datendurchsatz auf ein modernes Level. Damit wäre auch ein 1000 Mbit Netzwerkbetrieb über USB möglich und externe Festplatten können effizient angebunden werden. Dennoch dauert es vom Einstecken eines Speichermediums an allen Schnittstellen 8-9 Sekunden, bis der Dateimanager erscheint, das macht keinen Spaß.

USB3 zum Nachrüsten mit geringem Mehrwert

Grafikkarte / Monitor

Das Motherboard enthält neben VGA keinen digitalen Bildausgang und keine 3D-Beschleunigung, daher wurde eine Grafikkarte nachgerüstet. Die NVIDIA G98 - GeForce 8400 GS mit 512 MByte RAM kann maximal eine Auflösung von 1920x1200 über DVI ansteuern, ermöglicht also den Betrieb am 24 Zoll Monitor und/oder einen Zweischirmbetrieb über einen weiteren VGA-Ausgang. Leider blockiert der Kühlkörper einen der beiden PCI Steckplätze. https://www.techpowerup.com/gpu-specs/geforce-8400-gs.c205

Betrieb am 24 Zoll Monitor 1920x1200

Das Streaming von Videoplattformen ist auf 720p begrenzt, sonst ruckelt es. Supertuxkart schafft lediglich 15 FPS in der geringsten Auflösung im Vollbildmodus. Spielen geht nur mit sehr (sehr) geringer 3D-Leistung.

DVD-Brenner LG GH22NS50

Was könnte es hier zu berichten geben? Wenn kein Medium eingelegt ist, simuliert die Firmware ein virtuelles Laufwerk mit u.A. einer Datei 'Bluebird.exe' für die Brennerintegration unter Windows und leitet damit immer einen Autostart bzw. -mount ein. Der Hersteller LG bot 2010 ein Firmware Update über ein Windows-Tool an, dass diese unbeliebte 'Funktion' entfernt. Mittels Wine unter Linux konnte das Programm gestartet und die Firmware aktualisiert werden. Damit verschwand das simulierte Laufwerk mit den *.exe Dateien. https://www.file.net/prozess/bluebirds.exe.html

Automount als ständiges Ärgernis

Sound

Die Soundkarte auf dem Motherboard taugt nur wenig. Durch den Wegfall der PCI-Steckplätze in modernen Motherboards sind viele teure (semi-)professionelle Soundkarten (= Audio Interface) für diese Schnittstelle obsolet geworden, wenn die Treiberunterstützung sogar nicht schon vorher eingestellt wurde. Durch den Einbau einer PCI M-Audio Audiophile 2496 aus der Kellerschublade verfügt der Rechner über professionelle analoge und digitale (SPDIF) Ein- sowie Ausgänge und ein MIDI Interface für Musiker. Soundtechnisch bleibt da kaum etwas zu wünschen übrig, Linux unterstützt die Karten auch weiterhin.

Profi-Sound auf alter Hardware

Fazit: Hui und Pfui

Der Kauf billiger Motherboards ist keine gute Idee. Der Rechner lässt sich dennoch auch 2024 unter Linux aufgrund der hoch getakteten Prozessoren noch für einfache Anwendungsfälle gut nutzen. Auch lassen sich hochwertige PCI-Komponenten weiter betreiben. Ärgerlich ist das lange Hochfahren, denn ein Dauerbetrieb ist aufgrund des Stromverbrauchs nicht zu empfehlen.

Tags

Hardware, Alter, Retro, motherboard, ALT

Naja
Geschrieben von Naja am 25. April 2024 um 10:04

9.952s plymouth-quit-wait.service

Das könntest du sparen, indem du plymouth deinstallierst

kamome
Geschrieben von kamome am 25. April 2024 um 10:06

> denn ein Dauerbetrieb ist aufgrund des Stromverbrauchs nicht zu empfehlen

Standby geht nicht? Leider ja häufig der Fall …

orbit
Geschrieben von orbit am 25. April 2024 um 19:53

Hier wurde ein 22 Jahre alter PC reanimiert, um alte IDE-Festplatten (P/ATA) und Disketten auszumisten. Das Teil hat leider nicht so viel RAM wie das im Artikel besprochene System, sondern sage und schreibe nur 768 MiB auf 2 DIMM-Modulen. Platine ist ein ASUS A7N266-C, cpu ist ein AMD Athlon(TM) XP 2000+ (i686), Single Core, 1666MHz und gpu ist eine NVidia GeForce4 MX 460, AGP 4x. Auf dem Rechner läuft nativ Windows XP Prof x32, eine DOS-Installation auf der ersten Partition wurde auf FreeDOS 1.2/1.3 angehoben. Ein paar angelegte Floppy-Images wurden mit DiskCopy von Caldera-DOS (kopiert nach FreeDOS) angelegt. Eingebaut sind 5 1/4" und 3,5" Diskettenlaufwerke. Mit einem Bootsektor von VGA-Copy (DOS) auf Diskette kann man ohne Kabel-Tausch das jeweils andere Laufwerk booten, da die Reihenfolge nicht im BIOS schaltbar ist: das machte man damals mit gedrehtem Kabel. Auf einer dritten Partition wurde MX-Linux 19.4 i386 mit Xfce installiert, welches derzeit noch über eine aktive Repository verfügt. Da bleibt einem die Spucke weg: sicher - ein aktueller Firefox auf derart beschränktem Arbeitsspeicher startet gar nicht erst, aber das was noch zu tun ist läuft - trotz spärlichem RAM - wunderbar. Ein schlanker Browser, der aber gar nicht benötigt wird, wurde nachinstalliert. Jetzt werden noch ein paar IDE-Festplatten eines anderen Haushaltes zur Sichtung angeschlossen und dann wird der Rechner nach dem Test meiner allerersten Festplatte - einer ST157a - wohl ausrangiert. Behalten werde ich möglicherweise nur die alte Chiconey-Tastatur (DIN-Stecker) aus den 90er-Jahren und vielleicht für die Vitrine die 157a. Wenn mich nicht nicht alles täuscht hat die Chiconey damals über 200 DEM gekostet und läuft auch heute noch wunderbar. Eine Nostalgie-Kiste macht aus meiner Sicht nur Sinn wegen der alten Controller und Laufwerke. Die Floppy-Routinen aus dem Linux-Kernel sollen irgendwann demnächst entfernt werden, weil dem Maintainer die alte Hardware abgeraucht sein soll. Bevor hier eine Diskussion einsetzt: es gibt weltweit immer noch Firmen die alte Hardware einsetzen. In meiner Umgebung hier kenne ich ein Krankenhaus, daß in einzelnen Fällen (man glaubt es nicht) noch Diskettenlaufwerke einsetzt.

Der ziemlich laute PC benötigt mit 5:4 TFT (kein LED) um die 145 Watt. Für Retro-Computing ist das einfach zu viel. Macht aber echten (zeitlich begrenzten) Spaß... ;-)

Al di Hintertuxer
Geschrieben von Al di Hintertuxer am 25. April 2024 um 20:44

Ein Aldirechner aus 2009? - DU SNOB!!! 😉️ NUR SPASS!.. Aber in der "Hinterhand" habe ich bei den Eltern tatsächlich noch ein Laptop "MSI m-670" mit 64-bit AMD "Turion-64 X2", von 2006(?):

Mit "Debian 12" netinstall und LXDE läuft das Ding ..sagen wir mal.. "akzeptabel". Allerdings rennt der Lüfter (hätte ich mal das BIOS upgedated!), und "stromsparend" –wie von Dir schon erkannt– ist es tatsächlich nicht. Daher ist es auch nur ein (absolutes) "Notfallgerät".

Zu Schwierigkeiten mit dem Brenner kann ich nichts berichten, d.h. der scheint zu funktionieren. Was nicht (mehr richtig) ging, ist die antike WLAN Karte, die mir auch "gelockert" erscheint.

Falls ich das Ding mal verwende, arbeite ich also mit einem -weniger antiken?- USB WLAN Stick. Der hatte letztens nach dem 'Hibernating' stets neu initialsiert werden müssen, was so vorher auch nicht der Fall war.

Die 3D Effekte der (zusätzlichen) 'plank' Leiste ließen sich nicht aktivieren, meine ich mich zu erinnern, (d.h. trotz des dafür erforderlichen Pakets).

Helmut
Geschrieben von Helmut am 26. April 2024 um 15:09

Mein Arbeitsrechner ist ein Notebook HP 6910p von 2007 (Core2Duo T7300, 4 MB Ram). Letztes Jahr habe ich ihm eine SSD spendiert und MX Linux 23 (Debian 12) mit Openbox installiert. Alles (außer Fingerabdruck-Scanner) funktionierte out of the box.

Für Internet, Office und einfache Bildbearbeitung taugt er allemal. Größere Programme wie Firefox, LibreOffice oder Gimp starten in 4 bis 5 Sekunden, YouTube-Videos laufen mit 720p ruckelfrei, und das Lüftergeräusch hält sich auch in Grenzen, nachdem ich einen dicken Staubteppich aus der Staubkammer entfernt habe. Einziges Manko: Laut Testbericht bei notebookcheck.de verbraucht das Ding im Leerlauf 18 bis 30 Watt.

Christian Becker
Geschrieben von Christian Becker am 27. April 2024 um 07:52

Wer gerne so alte Möhren weiter benutzen mag, dem empfehle ich als Distribution Bodhi Linux. Das zielt speziell auf ältere Systeme. Antix wäre noch eine weitere gute Wahl. Wobei das Problem ja wirklich meistens das moderne Internet zu sein scheint, egal welche Distribution jetzt letztendlich den Browser mitbringt.