Titelbild: In pink gefärbter Zaun mit Hecke dahinter. Darüber in orange die Frage: Was bleibt privat?
Hörversion des Artikels (9 min 59 s)
Neben den juristischen sind es oft die moralischen Grenzen, die beim Thema Datenschutz im Internet im Generellen und im Fediverse im Speziellen heiß diskutiert werden.
Darum, ein Bewusstsein für diese Grenzen zu schaffen und wo sie überschritten sein könnten, geht es in diesem Meinungsbeitrag.
Wo sind meine Grenzen?
Die erste und eigentlich offensichtlichste Frage bei der Nutzung von Sozialen Netzwerken ist die Frage nach den eigenen Grenzen. Denn es können sehr viele Grenzen gezogen werden, die wiederum viele Folgefragen aufwerfen. Möchte ich meinen bürgerlichen Namen oder ein Pseudonym auf Social Media nutzen? Möchte ich mein Gesicht im Internet zeigen? Möchte ich Daten wie Wohnort, Alter oder Beruf teilen, um Gleichgesinnte zu finden oder möchte ich solche Informationen für mich behalten? Und möchte ich überhaupt, dass meine Online-Persona mit meinem privaten offline Leben in Verbindung gebracht werden kann?
Die Beantwortung solcher Fragen steht oft im direkten Zusammenhang mit den Zielen der Nutzung von Sozialen Netzwerken und die Antworten können sich auch mit der Zeit ändern. Als ich beispielsweise vor 18 Jahren vor allem in Musik-Foren unterwegs war, habe ich wenig Angaben zu mir als Person geteilt und mit der Zeit immer bewusster darauf geachtet, möglichst wenig Informationen über mich online Preis zu geben. Seit einigen Jahren engagiere ich mich jedoch in mehreren Themenfeldern ehrenamtlich und nutze vor allem das Fediverse, um über meine Arbeit zu berichten. Dadurch habe ich automatisch nicht nur mehr über meine Arbeit, sondern auch mehr über mich geteilt. Somit haben sich meine Grenzen zwar verschoben, was ich über mich im Internet Preis gebe, aber meine Grenzen haben sich auch bei einigen Themen verhärtet. So sind zwar viele (Bewegt-) Bilder, Tonaufnahmen und (politische) Meinungen von mir im Internet zu finden und ich teile auch ab und an privatere Momente, aber ich halte bewusst Details zu meiner Lohnarbeit, meiner Familie und meinem Liebesleben aus meinem Online-Leben raus.
So eine bewusste Trennung von Privatleben und Online-Präsenz ist vielen wichtig, gerade wenn es um Themen wie (psychische) Gesundheit, politische Ansichten oder Liebe und Familie geht.
Um sich klarzumachen, wo die eigenen Grenzen sind, können auch folgende Fragen helfen: Was würde meine Chefin sagen, wenn sie dieses Bild sieht? Wie würde mein Opa diesen Kommentar finden, den ich hier verfasse? Oder kann diese Information von einem beruflichen Konkurrenten gegen mich verwendet werden?
Denn wie es immer so schön heißt: Was einmal im Internet ist, bleibt dort für immer. Das gilt im übrigen auch für das Fediverse, auch wenn dort die Moderation oft schnell reagiert oder die Posts viele Privatsphäreneinstellungen haben. Alle Informationen, die im Fediverse außerhalb privater Nachrichten geteilt werden, strahlen auch aus dem Netzwerk hinaus und können kopiert und missbraucht werden.
Mit dieser Feststellung möchte ich keine Panik verbreiten, aber manchmal habe ich den Eindruck, dass viele das Fediverse gar nicht als richtigen Teil des Internets, sondern als privates Wohnzimmer betrachten. Es ist schön, dass sich so viele auf verschiedenen Servern und Netzwerken so wohlfühlen, dass es sich für sie wie in einem Wohnzimmer anfühlt. Aber es ist eben nie das kleine private Wohnzimmer in einer Single-Wohnung, sondern die große WG-Wohnküche vom besten Kumpel aus der 12er-WG, in der du immer wieder Leute triffst, die du zuvor noch nie gesehen hast.
Am Ende liegt es an euch, was ihr in dieser Wohnküche mit den fremden Leuten über euch teilt, Hauptsache ihr trefft diese Entscheidung bewusst.
Wo sind die Grenzen anderer?
Ein zerknitterter weißer Zettel auf dem Folgendes zu lesen ist: Willst du mit mir gehen? Ja, Nein, Vielleicht
Nicht so einfach ist die Antwort auf die Frage nach den Grenzen der Personen, über die wir in Sozialen Netzwerken schreiben, zu finden. Denn diese Fragen betrifft nicht nur unser eigenes Wohlempfinden und Gewissen, sondern immer auch die Person, über die wir schreiben.
Ein sehr bekanntes Beispiel ist hier das Teilen von Informationen zu den eigenen Kindern oder Enkelkinder. Die eine oder der andere mag hier vielleicht abwinken und meinen, dass im Fediverse doch keine Kinderfotos geteilt werden würden und damit doch alles gut sei. Doch auch wenn solche Beiträge mit unzensierten Kinderfotos eher die Ausnahme sind, so wird sich doch viel über die Kinder unterhalten. Darüber, dass K1* schon wieder durch die praktische Führerschein-Prüfung gefallen ist, wie K2 unter akuten Liebeskummer leidet oder ob der Ausschlag von K3 nicht doch psychosomatisch sein könnte. Probleme bei Prüfungen, Liebeskummer und Krankheiten – alles Themen, bei denen wohl viele von uns nicht wöllten, dass sich Dritte darüber im Internet unterhalten. Ebenso bezweifle ich, dass es den meisten Kindern da anders geht. Auch können Kinder oft die Konsequenzen nicht einschätzen, die mit solchen öffentlich einsehbaren Details über ihr Privatleben im Zusammenhang stehen. Was würde der zukünftige Ausbildungsbetrieb davon halten, wenn der potenzielle Azubi, der regelmäßig Außeneinsätze leisten soll, fünf Anläufe für die Führerscheinprüfung gebraucht hat und das über das Online-Profil der Mutter erfährt? Über die möglichen Konsequenzen solcher Beiträge wird oft nicht nachgedacht. Und nein, es ist kein ausreichender Schutz, die Kinder zu nummerieren, statt ihre Namen im Internet zu nutzen, wenn über die Profile der Eltern schon so viele Informationen preisgegeben werden, dass leicht herauszufinden ist, um wen es sich handelt. Doch dieses ach so pseudonymisierte Berichten über die privatesten Alltäglichkeiten anderer hört nicht bei den eigenen Kindern auf, sondern erstreckt sich auch auf die eigenen Eltern oder Partner*innen.
Auch einer der beliebtesten Hashtags im Fediverse sorgt immer wieder für Grenzüberschreitungen: #FediLZ. Viele Lehrkräfte tauschen sich unter diesem Hashtag zu ihrem Alltag, Problemen mit dem veralteten Lehrplan und der Schulleitung oder große und kleine Erfolge im Klassenzimmer aus. Doch einige Accounts teilen regelmäßig Zettel und Botschaften, die sie von den Schüler*innen auf dem Boden, in ihren Heften oder sogar in Mülleimern (!) finden. Diese Zettel, bei denen es sich beispielsweise um Spickzettel, Liebesbriefe oder auch Gedankenaustausche zwischen Freund*innen handelt, werden anschließend im Internet gepostet und kommentiert und anschließend von vielen geteilt. Dabei geht es hierbei um Eingriffe in das Innerste der betroffene Schüler*innen! Dabei werden nicht nur intime Gedanken offenbart und öffentlich breit getreten, sondern die Zettelchen geben auch Aufschluss über das Schriftbild und orthografische Eigenheiten der Schüler*innen und können so Rückschlüsse zulassen, wer etwa den verschmähten und zerrissenen Liebesbrief verfasst hat.
Diese Bloßstellung der Kinder ist nicht niedlich, sondern ein Eingriff in ihr Privatleben. Kinder sind Menschen mit einem Recht auf Privatsphäre! Egal, ob es um die eigenen Kinder, die Schülis oder das Nachbarskind geht.
Doch die Liste an Menschen, über deren Privatleben wir in ihrer Abwesenheit auf Social Media schreiben, hört hier nicht auf, sie ist schier endlos.
Doch egal ob es um die nervige Nachbarin, die vorlaute Schülerin oder die eigene Mutter geht, sie alle haben ein Recht auf ihre Privatsphäre. Wenn ihr nicht wisst, ob die Person, über die ihr etwas schreibt, damit einverstanden wäre, was ihr über sie Privates teilt oder nicht wisst, ob ein Kind bereits einschätzen kann, was es bedeutet, wenn gewisse Informationen über es im Internet sind, dann schreibt den Beitrag nicht, der ihr schreiben wolltet!
Was war jetzt daran neu?
Nichts. Dieser Beitrag hat weder wirklich neue Themen aufgeworfen, noch das Thema abschließend behandelt.
Auch möchte ich euch nicht alle mit erhobenen Zeigefinger ermahnen, aber euch an etwas erinnern, was wir eigentlich alle irgendwie im Hinterkopf, aber eben doch nicht alle aktiv im Bewusstsein haben: Wir müssen nicht alles aus unserem Privatleben im Internet teilen und wir sollten uns besonders, wenn es um die Privatsphäre Dritter geht, lieber zweimal überlegen, ob dieser Post gerade okay ist oder ob wir nicht lieber darauf verzichten wollen.
* K wird häufig als Abkürzung für Kind verwendet und die Nummern zeigen an, in welcher Reihenfolge die Kinder geboren wurden
____
Dieser Beitrag ist der elfte Artikel meiner Kolumne hier bei GNU/Linux.ch. An jedem ersten Montag im Monat erscheint ein neuer Meinungsbeitrag von mir zum Fediverse.
Weiterführende Links:
https://podcasts.homes/@ueckueck_und_das_fediverse/episodes/was-bleibt-privat
https://gnulinux.ch/wzs-ueckueck-und-das-fediverse