Zum Wochenende: Die Geister, die Sam rief

  Ralf Hersel   Lesezeit: 11 Minuten Auf Mastodon ansehen

KI-Chat-Bots zerstören das Internet nachhaltig. Eine unvollständige Einordnung aus wirtschaftlicher, rechtlicher und positiver Sicht.

zum wochenende: die geister, die sam rief

Goethe, Der Zauberlehrling

In diesem Beitrag habe ich ganz unterschiedliche Sichtweisen und Argumente zusammengetragen. Sie alle nehmen eine kritische Haltung gegenüber KI ein. Halt, das ist nicht ganz korrekt. Sie nehmen eine kritische Haltung gegenüber allgemeinen Chat-Bots ein, die auf Large Language Models (LLM) basieren. Ich gehe später in diesem Artikel darauf ein, was den Unterschied ausmacht.

Die wirtschaftliche Sicht

Eine aktuelle Studie der Deutschen Bank spricht Klartext: Das KI-Wachstum stützt derzeit die gesamte US-Konjunktur – könnte aber schon bald an seine eigenen ökonomischen Grenzen stossen. George Saravelos, Devisenstratege der Deutschen Bank, vergleicht die Lage mit einem Ausnahmezustand:

Ohne die Investitionen in Rechenzentren und KI-Infrastruktur wäre die US-Wirtschaft 2025 wahrscheinlich bereits in einer Rezession.

Der Grund: Allein die „Magnificent 7“ – von Nvidia bis Alphabet – stemmen Investitionen in dreistelliger Milliardenhöhe, die kurzfristig das BIP nach oben treiben. Goldman Sachs schätzt, dass die kumulierten Ausgaben für KI-Capex bereits auf 368 Milliarden Dollar gestiegen sind.

Doch Saravelos warnt: Damit der Effekt aufrechterhalten werden kann, müsste das Wachstum dieser Investitionen „parabolisch“ bleiben. Genau das hält er für „höchst unwahrscheinlich“. In nüchternen Worten: Wachstum entsteht derzeit nicht durch produktive KI-Anwendungen, sondern durch das Bauen der Fabriken, die künftig vielleicht einmal KI-Leistung liefern sollen.

Hierbei kann man eine "selbstvernichtende Prophezeiung" beobachten. Die grossen KI-Firmen (MAGAM plus OpenAI) kaufen Prozessoren von Nvidia, die für nichts anderes zu gebrauchen sind, als für KI-Training und KI-Inferenz (Abfragen). Fatal ist, dass Nvidia hunderte Milliarden Dollar in die KI-Firmen investiert. CNBC hat das gut beschrieben und visualisiert. Hier wird das Prinzip von "rechte Tasche, linke Tasche" im grossen Massstab vollzogen.

Damit das verständlicher wird, versuche ich, eine Analogie zu konstruieren. Nehmen wir an, der Grossteil einer Volkswirtschaft dümpelt vor sich hin und trägt nur marginal zum Wachstum bei. Jedoch gibt es zwei grosse Player, A und B. A ist Monopolist und verkauft Teddybären. Kein anderer Marktteilnehmer ist in der Lage, Teddybären zu produzieren, weder in der Menge noch in der Qualität. Nun gibt es die Firma B, die Teddybären in grossen Mengen benötigt, weil sie die einzige ist, die Teddybären das Sprechen beigebracht hat. B kauft für Milliarden Teddybären von A. (Geldfluss: B zu A). Damit quellen die Kassen bei Firma A über. Dieses Geld investiert A in die Fabriken von B, weil sie sich davon eine hohe Rendite verspricht. (Geldfluss: A zu B). Somit hängt das Wachstum der Volkswirtschaft mehrheitlich nur von A und B ab. Zwar hat B sehr hohe Kosten, macht jedoch keine Gewinne, weil niemand bereit ist, für halluzinierende Teddybären zu zahlen. Da A stark in B investiert ist, hängt deren Wohl indirekt vom ausbleibenden Erfolg von B ab. Falls dieser Erfolg ausbleibt, platzt die Blase und reisst die Volkswirtschaft in den Abgrund.

Die rechtliche Sicht

Damit die statistischen Ergebnisse der LLMs funktionieren, sind sie auf Trainingsdaten angewiesen. Mittlerweile haben die KI-Firmen den Grossteil des verfügbaren Materials abgegraben, als da wären:

  • das gesamte Internet, inklusive Reddit, Social Media, Wikipedia, Spotify, usw.
  • alle analogen Medien: Zeitungen, Bücher, Filme, Radiosendungen, Musik

In seltenen Fällen haben Firmen wie OpenAI, die Rechteinhaber für ihre Inhalte bezahlt. Dokumentiert sind Lizenzvereinbarungen zwischen OpenAI und grossen Verlagen, wie Associated Press, Axel Springer, The Financial Times und Reddit. Daneben gibt es laufende Verfahren mit der New York Times, der deutschen GEMA und dem Fachbuchverlag O’Reilly.

Die oben erwähnten Organisationen können sich Gerichtsverfahren gegen OpenAI und andere KI-Firmen leisten, was bei mittelgrossen, kleinen oder privaten Inhaltsschaffenden nicht möglich ist. Das Geschäftsmodell der KI-Firmen funktioniert aus mindestens zwei Gründen nicht:

  1. Potenzielle Kunden zahlen nicht genug für das verarbeitete Diebesgut.
  2. Falls das Diebesgut (Trainingsmaterial) bezahlt werden müsste, gäbe es kein Geschäftsmodell mehr.

Auch hier bietet sich wieder eine Analogie an. Angenommen, du bist Räuber und klaust aus dem Louvre in Paris wertvolle Schmuckstücke. Dann funktioniert dein Geschäftsmodell nicht, weil du dem Louvre nichts für das Diebesgut bezahlt hast und weil es niemanden gibt, der die Beute abkaufen will. Doch was machst du als gewiefter Räuber? Du klaust noch mehr, in der Hoffnung, dass dadurch dein Angebot attraktiver wird.

Für den unwahrscheinlichen Fall, dass einer der Leser:innen KI verwendet, möchte ich auf den Straftatbestand der Hehlerei aufmerksam machen:

Hehlerei ist im deutschen Strafgesetzbuch (StGB) in § 259 geregelt. Sie umfasst den Erwerb, das Veräussern oder das Verbergen von gestohlenen Waren. Ziel der Hehlerei ist es, dem Vortäter (z. B.: OpenAI), also dem Dieb, einen Vorteil zu verschaffen oder sich selbst zu bereichern. Dabei ist es unerheblich, ob der Hehler die Ware selbst gestohlen hat oder nicht. Entscheidend ist, dass er weiss oder zumindest billigend in Kauf nimmt, dass die Ware aus einer rechtswidrigen Tat stammt.

Die Inzucht führt zur Verarmung der Inhalte

Inzucht ist ein Begriff aus der Biologie. Darunter versteht man im Allgemeinen die Paarung relativ naher Blutsverwandter. Folge der Inzucht ist die Erhöhung der Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Extremen in beiden Richtungen, also sowohl möglicher krankhafter als auch besonders leistungsfähiger Genkombinationen.

Die LLMs sind auf von Menschen erzeugte Inhalte angewiesen, weshalb die KI-Firmen diese originären Inhalte jagen, wie der Teufel die Seele. An dieser Stelle beisst sich die Katze (Sam Altman) in den Schwanz. Das erinnert an Goethes Zauberlehrling:

Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
Werd’ ich nun nicht los.

Indexbasierte Suchmaschinen werden durch LLM-gestützte Suchmaschinen und Browser ersetzt, wodurch sich die Inhalte im Internet mehr und mehr von durch Menschen erzeugten Inhalten verabschieden (Atlas, Comet). Dadurch wird das Trainingsmaterial für die LLMs immer inzestuöser. Die KI frisst sich selbst. Welche Auswirkungen das hat, habe ich in diesem Artikel anhand von Golden-Retriever-Bildern erklärt. Das Internet verkommt durch diese Inzucht zu einer grauen Masse, die keinerlei Wert hat.

In diesem Kontext ist auch interessant, dass die grösste kuratierte Informationssammlung im Internet, die Wikipedia, immer mehr von KI-Bots, als von Menschen besucht wird. Diese Tendenz ist fatal, weil weniger echte Besucher auch weniger Beitragende und weniger Spenden bedeuten. Die KI-Firmen saugen die Wikipedia aus, um ihr eigenes Konkurrenzangebot zu stärken. Wenn die KI-Blase nicht bald platzt, gibt es die Wikipedia in drei Jahren nicht mehr.

Wartet, es kommt noch schlimmer: 45 Prozent der KI-Antworten sind fehlerhaft:

Eine Studie der Europäischen Rundfunkunion (EBU) zur News-Integrität von KI-Chatbots kommt zu dem alarmierenden Ergebnis, dass Künstliche Intelligenz weiterhin keine verlässliche Quelle für den Nachrichtenkonsum darstellt. Die grossangelegte, marktübergreifende Untersuchung, bei der 22 öffentlich-rechtliche Medienanstalten aus 18 Ländern in 14 Sprachen führende KI-Assistenten wie ChatGPT, Copilot, Perplexity und Gemini bewerteten, zeigt: Fehler im Umgang mit Nachrichten treten bei diesen nicht isoliert auf. Sie sind systemisch und erstrecken sich über alle Sprachen und Plattformen.

But wait, there is more.

Der Arbeitsmarkt

Die Frage, ob maschinelles Lernen (aka KI) neue Arbeitsplätze schafft, ist beantwortet. Darüber habe ich im Januar 2025 einen Artikel geschrieben. Meldungen aus den letzten Wochen bekräftigen meine Einschätzung, dass KI keine neuen Jobs schafft, im Gegenteil. Am Mittwoch verlautbarte die Firma Meta, dass 600 Stellen in ihrer Abteilung für Künstliche Intelligenz, den Superintelligence Labs, gestrichen werden. Von neuen Berufsbildern und Neueinstellungen lese ich nichts, und zwar gar nichts.

Die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf den Arbeitsmarkt sind umstritten. Während manche Fachleute vor massivem Stellenabbau warnen, erwarten andere sogar einen Aufbau an Arbeitsplätzen. Laut einer aktuellen Umfrage des Branchenverbandes Bitkom erwarten knapp 67 Prozent der Unternehmen in Deutschland, dass KI keinen Einfluss auf die Anzahl der Beschäftigten haben wird. 20 Prozent glauben, dass die Anzahl der Beschäftigten durch KI sinken wird – und zwar im Durchschnitt um sieben Prozent.

Ich sehe einen politischen Bias. Der linke Demokrat Bernie Sanders geht von 100 Mio. Arbeitsplätzen aus, die in den USA verloren gehen werden. Eher rechtsorientierte Medien prognostizieren geringe Auswirkungen von KI auf den Arbeitsmarkt. Ein Beitrag von Steven Melendez (Harvard Business School - Institute for Business in Global Society) fasst die Bandbreite der unterschiedlichen Einschätzungen gut zusammen.

Denkt doch mal an die Kinder

Nein, in diesem Absatz geht es nicht um ein Argument für (bzw. gegen) die Chat-Kontrolle, sondern um die Auswirkung von KI-Chat-Bots in der Schule. Die Oxford University Press hat im August 2025 insgesamt 2.000 Schüler:innen im Alter von 13 bis 18 Jahren in Großbritannien zu ihrer KI-Nutzung befragt. Das Ergebnis:

Rund acht von zehn gaben an, Tools wie ChatGPT für die Bearbeitung ihrer Schul- und Hausaufgaben zu verwenden. Viele der Befragten sagten, dass KI ihnen dabei helfe, komplexe Aufgaben zu lösen und schneller zu denken. Mit 90 Prozent gab außerdem die überwiegende Mehrheit an, dass KI-Tools ihnen in mindestens einem Schulfach essenziell weitergeholfen hätten. Aber die neue Technologie hat auch ihre Schattenseiten: So gab ein Viertel der Schüler:innen an, dass KI das Lernen zu sehr vereinfache. Jede:r Zehnte findet außerdem, dass dadurch die Kreativität eingeschränkt und die Notwendigkeit zum kritischen Nachdenken verringert wird. Ein 13-Jähriger antwortete in der Umfrage sogar, dass er beim Lernen jetzt von KI-Tools abhängig sei.

In diesem Zusammenhang finde ich die Ergebnisse eines Schreibwettbewerbs interessant, der mit Schüler:innen (SuS) durchgeführt wurde (leider finde ich die Quelle nicht mehr). Bei diesem Wettbewerb konnten die SuS ihre literarischen Fähigkeiten unter Gleichen messen. Die Teilnehmenden durften (in einem kontrollierten Rahmen) keine Chat-Bots verwenden. Die Auswertung der abgelieferten Schriftstücke ergab, dass ein Grossteil der Texte KI-Sprache aufwies. Doch was ist "typische KI-Sprache"? Dazu gibt es eine Untersuchung des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung. Diese Studie bezieht sich auf die Auswertung von 280'000 YouTube-Videos und nicht auf SuS. Auch beim oben genannten Wettbewerb fanden sich Redewendungen, die man von KI-Chat-Bots kennt.

Wenn ich die Aussage des 13-Jährigen lese, dass er sich beim Lernen von KI-Tools abhängig fühle, möchte ich den Einsatz von KI-Tools als den besseren Taschenrechner infrage stellen.

KI ist auch gut

Damit der Artikel zum Wochenende euch nicht hoffnungslos in selbiges entlässt, möchte ich betonen, dass ich bisher nur über LLMs und Chat-Bots geschrieben habe. Abgesehen von dieser "allgemeinen KI", gibt es viele Fachbereiche, in denen maschinelles Lernen sinnvoll ist. Hier sind zwei Beispiele von vielen:

Die deutsche Bundesärztekammer schreibt:

KI birgt für die Medizin zweifelsohne ein großes Potenzial, sowohl was die Kernbereiche der medizinischen Versorgung angeht als auch in Bezug auf Optimierung administrativer Prozesse. KI-Technologien kommen bereits heute vielfach bspw. in der Radiologie zur Optimierung der Bildqualität, Verkürzung der Aufnahmezeit und Bilddatenanalyse zum Einsatz. KI-unterstützte bildgebende Diagnostik spielt darüber hinaus auch in der Pathologie und Dermatologie eine zunehmende Rolle. KI-Technologien sind Treiber und Voraussetzung für die Weiterentwicklung einer personalisierten Präzisionsmedizin, bei der medizinische Therapie und Präventionsstrategie mittels integrierter Datenauswertung aus verschiedenen Kontexten auf den individuellen Patienten zugeschnitten werden.

Aus dem Bereich der Materialforschung hört man:

Künstliche Intelligenz revolutioniert die Materialwissenschaft und macht nachhaltige Innovationen möglich, die bislang als unerreichbar galten. Wo chemische Prozesse bisher aufwändig und oft umweltschädlich waren, beschleunigen KI und Supercomputing heute die Entwicklung ungiftiger und ressourcenschonender Materialien. Der internationale Wettlauf um nachhaltige Alternativen in Industrie, Bau und Mobilität zeigt: Die klügsten Algorithmen bestimmen über die grünen Werkstoffe der Zukunft.

Fazit

Mit diesem Artikel habe ich mir zu viel vorgenommen. Zu den wichtigen Bereichen Medien, Kunst und Ethik konnte ich nichts schreiben, weil mir die Zeit fehlte und ansonsten der Artikel noch länger geworden wäre. Mein Ziel war es, ein breiteres Bild zu zeichnen. Ich halte es für wichtig, KI in all ihren Perspektiven zu betrachten und zu bewerten. Die obige Aufzählung ist unvollständig und zeigt, dass KI einen Einfluss auf fast alle Lebensbereiche hat.

Etwas möchte ich euch ins Wochenende mitgeben: "Denkt KI nicht positiv oder negativ, sondern so breit und kritisch wie möglich."

Titelbild: https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Zauberlehrling#/media/Datei:Tovenaarsleerling_S_Barth.png

Quellen:

https://www.boerse-online.de/nachrichten/aktien/ki-boom-vor-dem-kollaps-deutsche-bank-warnt-ohne-parabolische-investitionen-droht-ai-aktien-crash-20387355.html

https://www.cnbc.com/2025/10/15/a-guide-to-1-trillion-worth-of-ai-deals-between-openai-nvidia.html

https://the-decoder.de/openai-fuehrende-ki-modelle-unmoeglich-ohne-urheberrechtlich-geschuetzte-trainingsdaten/

https://ki-snack.de/ki-news/openai-droht-milliardenstrafe-wegen-urheberrechtsverletzungen-bei-trainingsdaten/

https://www.mpg.de/25487660/ki-quellen-und-urheberrecht

https://www.mind-verse.de/news/urheberrechtsfragen-openai-trainingsdaten-gpt4

https://rechtecheck.de/hehlerei-wann-macht-man-sich-strafbar-2/

https://de.wikipedia.org/wiki/Inzucht

https://www1.wdr.de/nachrichten/openai-chatgpt-browser-atlas-agenten-100.html

https://www.perplexity.ai/comet

https://gnulinux.ch/zum-wochenende-von-hunden-und-alpakas

https://www.derstandard.de/story/3000000292411/wikipedia-wird-immer-mehr-von-ki-besucht-immer-weniger-von-menschen

https://www.heise.de/news/Europaeische-Rundfunkunion-KI-Systeme-geben-Nachrichteninhalte-oft-falsch-wider-10796779.html

https://www.handelsblatt.com/technik/ki/kuenstliche-intelligenz-meta-streicht-600-stellen-in-seiner-ki-einheit/100167310.html

https://www.fr.de/wirtschaft/ki-wandel-bei-statista-80-jobs-fallen-weg-reale-menschliche-auswirkungen-93988551.html

https://fortune.com/2025/10/07/100-million-jobs-at-risk-of-elimination-senator-bernie-sanders-report-ai-kill-40-hour-workweek/

https://www.hbs.edu/bigs/will-artificial-intelligence-improve-or-eliminate-jobs

https://www.bundesaerztekammer.de/themen/aerzte/digitalisierung/ki-in-der-medizin

https://www.techzeitgeist.de/ki-gestuetzte-materialforschung-durchbruch-fuer-gruene-innovation/

https://t3n.de/news/ki-oxford-studie-schule-1712822/

https://www.heise.de/news/Studie-Veraendert-KI-die-menschliche-Sprache-10458136.html

Tags

KI-Chat, Chat-Bot, Künstliche Intelligenz, OpenAI, Geister

Es wurden noch keine Kommentare verfasst, sei der erste!