Zum Wochenende: Einen Dubler bitte!
Fr, 3. Juni 2022, Ralf Hersel
Der Begriff 'woke' ist das Partizip Perfekt des englischen Verbs 'to wake', also 'aufwachen' oder 'erwacht sein'. Die Bedeutung im Duden lautet „In hohem Maß politisch wach und engagiert gegen rassistische, sexistische, soziale Diskriminierung“, wobei auf einen möglicherweise abwertenden Gebrauch hingewiesen wird. So wird der Ausdruck 'woke' unabhängig vom politischen Spektrum auch genutzt, um Kritik am Vorgehen von Progressiven auszudrücken.
Die Firma 'Robert Dubler' stellt seit 1970 die vermutlich besten Schokoküsse der Welt her. Vielleicht gibt es noch Bessere, aber die süssen Bomben aus Waltenschwil in der Schweiz schmecken wirklich sehr gut. Vor einigen Jahren gab es im Rahmen der Black Lives Matter-Bewegung Kritik an der Namensgebung dieser Süssigkeit. Viele fanden den Begriff 'Mohrenkopf' nicht angemessen für das Produkt. Andere sahen das als Angriff der Woke-Bewegung gegen das egoistische Selbstverständnis der konservativen Schweizer Bevölkerung. Man wollte sich den liebgewonnenen Begriff 'Mohrenkopf' nicht wegnehmen lassen. Viele hatten mit dem Wort aus ihrer Perspektive kein Problem. Und genau darin bestand das Problem; etwas nur aus der eigenen Perspektive zu betrachten, blendet andere Sichtweisen aus, bzw. negiert diese. Die naheliegende Chance, das Produkt in 'Den Dubler' umzubenennen, wurde nicht erkannt, es blieb beim 'Mohrenkopf'.
Der Auslöser für diesen Artikel war ein Beitrag beim Standard, mit dem Titel 'Donald Trump plant Streaming-Dienst mit "nicht-wokem Content"'. Darin heisst es:
Trump Media & Technology Group (TMTG), das Unternehmen hinter Donalds Trumps Social Network "Truth Social", plant einen eigenen Streamingdienst im Stil von Netflix, Disney+ und Amazon Prime, der sich auf "nicht-woke" Inhalte konzentrieren soll. Die Bewegtbild- und Podcast-Inhalte sollen unter anderem Sendungen beinhalten, welche das Second Amendment gutheißen – also jenen Zusatzartikel zur US-Verfassung, der verbietet, das Recht zum Tragen von Waffen einzuschränken. Trump hatte sich nach dem Schulmassaker in Texas bei einer Tagung der NRA dafür ausgesprochen, noch mehr Amerikaner zu bewaffnen.
Die Gefahr bei Dubler und Trump liegt in der Spaltung der Gesellschaft über Begrifflichkeiten und Deutungen. 'Woke' wird, insbesondere in libertären Kreisen als Schimpfwort verwendet, um überbordende Political Correctness zu verunglimpfen. Der woke Teil der Gesellschaft macht viel, um Öl in dieses Feuer zu giessen, indem sie Haarspalterei betreibt und damit viele überfordert. Jüngstes Beispiel ist der Ausschluss der preisgekrönten Autorin Mercedes Lackey von einer Konferenz der "Science Fiction and Fantasy Writers of America" (SFWA) wegen der Verwendung eines "rassistischen Schimpfworts". Sie hatte den dunkelhäutigen Autor Samuel R. Delany als 'coloured' anstatt als 'person of colour' bezeichnet. Angeblich hatte Delany mit dieser Bezeichnung kein Problem.
Der letzte Satz ist für mich sehr wichtig. Bei der Wortwahl geht es nicht darum, was man selbst als richtig und angemessen empfindet, sondern darum, wie Betroffene angesprochen werden möchten. Wenn dunkelhäutige Personen nicht mit 'Mohrenköpfen' verglichen werden wollen, ist das ihre Entscheidung, die respektiert werden muss. Ich habe auch keine Lust, mich als 'Scheissdeutscher' benennen zu lassen, wenn mich ein Schweizer Radfahrer mal wieder fast auf dem Zebrastreifen umgefahren hat. Es fühlt sich auch nicht gut an, 'alter weisser Mann' genannt zu werden; sagt doch einfach Ralf zu mir.
Es geht nicht um eine dekadente Übersteigerung in der Wahl der Worte; es geht darum, die Befindlichkeiten der Mitmenschen anzuerkennen und zu respektieren. Die Mitmenschen entscheiden, wie sie genannt werden möchten. Wenn ihr nicht wisst, ob ihr den Kollegen aus dem Iran als 'oriental' oder 'asian' bezeichnen dürft, dann fragt ihn einfach. Genauso wünsche ich mir, dass mich Schweizer Mitbürger fragen, bevor sie mich als 'Scheissdeutschen' ansprechen.
Und was hat das jetzt mit Freier Software zu tun? Auch bei freier Software haben wir es mit Begriffen zu tun, die die Zeiten überlebt haben. Öffnet doch mal ein Terminal und tippt:
mkdir test
cd test
git init
git status
Na, wie heisst die Branch: 'master' oder 'main'? Ihr könnt euch sicher an diese Diskussion erinnern. Wer sein Zeug 'Master und Slave' nennt, ist definitiv noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen. 'Client/Server' ist auch nicht so cool.
Fazit
An alten Zöpfen festzuhalten, nur weil sie eurer Sozialisation aus dem letzten Jahrhundert entsprechen, ist ziemlich unreflektiert. Statt stoisch Gender-Formulierungen auswendig zu lernen, oder überspezifische Ausdrücke nachzuplappern, kann helfen, oder in einen woken Irrgarten führen. Mein Tipp, interessiert euch für die Mitmenschen und redet mit ihnen. Dann erfahrt ihr, wie sie behandelt werden möchten. Darauf einen Dubler!