Zum Wochenende: Einen Dubler bitte!

  Ralf Hersel   Lesezeit: 5 Minuten  🗪 11 Kommentare

Eine Einordnung von woke und unwoke zum Wohle der freien Gesellschaft.

zum wochenende: einen dubler bitte!

Der Begriff 'woke' ist das Partizip Perfekt des englischen Verbs 'to wake', also 'aufwachen' oder 'erwacht sein'. Die Bedeutung im Duden lautet „In hohem Maß politisch wach und engagiert gegen rassistische, sexistische, soziale Diskriminierung“, wobei auf einen möglicherweise abwertenden Gebrauch hingewiesen wird. So wird der Ausdruck 'woke' unabhängig vom politischen Spektrum auch genutzt, um Kritik am Vorgehen von Progressiven auszudrücken.

Die Firma 'Robert Dubler' stellt seit 1970 die vermutlich besten Schokoküsse der Welt her. Vielleicht gibt es noch Bessere, aber die süssen Bomben aus Waltenschwil in der Schweiz schmecken wirklich sehr gut. Vor einigen Jahren gab es im Rahmen der Black Lives Matter-Bewegung Kritik an der Namensgebung dieser Süssigkeit. Viele fanden den Begriff 'Mohrenkopf' nicht angemessen für das Produkt. Andere sahen das als Angriff der Woke-Bewegung gegen das egoistische Selbstverständnis der konservativen Schweizer Bevölkerung. Man wollte sich den liebgewonnenen Begriff 'Mohrenkopf' nicht wegnehmen lassen. Viele hatten mit dem Wort aus ihrer Perspektive kein Problem. Und genau darin bestand das Problem; etwas nur aus der eigenen Perspektive zu betrachten, blendet andere Sichtweisen aus, bzw. negiert diese. Die naheliegende Chance, das Produkt in 'Den Dubler' umzubenennen, wurde nicht erkannt, es blieb beim 'Mohrenkopf'.

Der Auslöser für diesen Artikel war ein Beitrag beim Standard, mit dem Titel 'Donald Trump plant Streaming-Dienst mit "nicht-wokem Content"'. Darin heisst es:

Trump Media & Technology Group (TMTG), das Unternehmen hinter Donalds Trumps Social Network "Truth Social", plant einen eigenen Streamingdienst im Stil von Netflix, Disney+ und Amazon Prime, der sich auf "nicht-woke" Inhalte konzentrieren soll. Die Bewegtbild- und Podcast-Inhalte sollen unter anderem Sendungen beinhalten, welche das Second Amendment gutheißen – also jenen Zusatzartikel zur US-Verfassung, der verbietet, das Recht zum Tragen von Waffen einzuschränken. Trump hatte sich nach dem Schulmassaker in Texas bei einer Tagung der NRA dafür ausgesprochen, noch mehr Amerikaner zu bewaffnen.

Die Gefahr bei Dubler und Trump liegt in der Spaltung der Gesellschaft über Begrifflichkeiten und Deutungen. 'Woke' wird, insbesondere in libertären Kreisen als Schimpfwort verwendet, um überbordende Political Correctness zu verunglimpfen. Der woke Teil der Gesellschaft macht viel, um Öl in dieses Feuer zu giessen, indem sie Haarspalterei betreibt und damit viele überfordert. Jüngstes Beispiel ist der Ausschluss der preisgekrönten Autorin Mercedes Lackey von einer Konferenz der "Science Fiction and Fantasy Writers of America" (SFWA) wegen der Verwendung eines "rassistischen Schimpfworts". Sie hatte den dunkelhäutigen Autor Samuel R. Delany als 'coloured' anstatt als 'person of colour' bezeichnet. Angeblich hatte Delany mit dieser Bezeichnung kein Problem.

Der letzte Satz ist für mich sehr wichtig. Bei der Wortwahl geht es nicht darum, was man selbst als richtig und angemessen empfindet, sondern darum, wie Betroffene angesprochen werden möchten. Wenn dunkelhäutige Personen nicht mit 'Mohrenköpfen' verglichen werden wollen, ist das ihre Entscheidung, die respektiert werden muss. Ich habe auch keine Lust, mich als 'Scheissdeutscher' benennen zu lassen, wenn mich ein Schweizer Radfahrer mal wieder fast auf dem Zebrastreifen umgefahren hat. Es fühlt sich auch nicht gut an, 'alter weisser Mann' genannt zu werden; sagt doch einfach Ralf zu mir.

Es geht nicht um eine dekadente Übersteigerung in der Wahl der Worte; es geht darum, die Befindlichkeiten der Mitmenschen anzuerkennen und zu respektieren. Die Mitmenschen entscheiden, wie sie genannt werden möchten. Wenn ihr nicht wisst, ob ihr den Kollegen aus dem Iran als 'oriental' oder 'asian' bezeichnen dürft, dann fragt ihn einfach. Genauso wünsche ich mir, dass mich Schweizer Mitbürger fragen, bevor sie mich als 'Scheissdeutschen' ansprechen.

Und was hat das jetzt mit Freier Software zu tun? Auch bei freier Software haben wir es mit Begriffen zu tun, die die Zeiten überlebt haben. Öffnet doch mal ein Terminal und tippt:

mkdir test
cd test
git init
git status

Na, wie heisst die Branch: 'master' oder 'main'? Ihr könnt euch sicher an diese Diskussion erinnern. Wer sein Zeug 'Master und Slave' nennt, ist definitiv noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen. 'Client/Server' ist auch nicht so cool.

Fazit

An alten Zöpfen festzuhalten, nur weil sie eurer Sozialisation aus dem letzten Jahrhundert entsprechen, ist ziemlich unreflektiert. Statt stoisch Gender-Formulierungen auswendig zu lernen, oder überspezifische Ausdrücke nachzuplappern, kann helfen, oder in einen woken Irrgarten führen. Mein Tipp, interessiert euch für die Mitmenschen und redet mit ihnen. Dann erfahrt ihr, wie sie behandelt werden möchten. Darauf einen Dubler!

Tags

Gesellschaft, Woke, unwoke, Rücksichtnahme, Dubler, Trump, Begriff, Mohrenkopf, Schweizer, Mitmensche

kamome
Geschrieben von kamome am 3. Juni 2022 um 21:47

es geht darum, die Befindlichkeiten der Mitmenschen anzuerkennen und zu respektieren.

Genau so!

Und die „Science Fiction and Fantasy Writers of America“ sollte dann vielleicht auch gleich einen weniger vereinnahmenden Namen wählen, z. B. „… of the Southern Part of North America, That Hasn’t Been Able to Come up With a Propper Name for Itself After Almost 350 Years“.

Mir hatte mein frisches System (Debian) nach einem git init gleich erklärt, wie man den „Standard-Branchnamen“ ändert – da der Branch-Begriff aus git (u. a.) kaum wegzudenken ist, ist für mich „trunk“ die sinnvollste Variante …

In ~/.config/git/config:


[init]
    defaultBranch = trunk
Udo
Geschrieben von Udo am 3. Juni 2022 um 22:32

Nachdenkenswerte Gedanken! Schön, so etwas hier auf einer Technik-Seite zu lesen.

Ralf Hersel
Geschrieben von Ralf Hersel am 5. Juni 2022 um 22:01

Unser Themenbereich ist ja "Freie Software und Freie Gesellschaft". Das erlaubt es uns, das Technische mit dem Gesellschaftlichen zu verbinden. Für mich ist das sehr wichtig, weil Technik heute ein wesentlicher Teil der Gesellschaft ist. "Open Source" greift mir da zu kurz.

Hendrik
Geschrieben von Hendrik am 4. Juni 2022 um 06:56

Meist werden solche Themen schnell ideologisch und emotional aufgeladen. Danke, dass es bei diesem Kommentar nicht so ist, sehr schön ausformuliert :-)

Ralf Hersel
Geschrieben von Ralf Hersel am 5. Juni 2022 um 22:04

Achim, da hast Du recht. Es ist eine Gratwanderung, einen solchen Artikel zu schreiben. Ich verlasse mich da auf meinen gesunden Menschenverstand; lasse mich aber gerne korrigieren und ändere meine Meinung (das gehört beim gesunden Menschenverstand dazu).

UbIx
Geschrieben von UbIx am 4. Juni 2022 um 14:03

Ich verstehe die Diskussion nicht. Für mich werden vor allen von Firmen nahmen viel schlimmer missbraucht um Personen in die irre zu führen.

Wer viel in internationalen Teams arbeitet muss sich ebenfalls an nicht korrekte Begriffe gewöhnen. Für mich hat das was mit Toleranz zu tun, die dank der letzten Ereignisse fast ganz den Bach runter gegangen ist. Allerdings macht der ton die Musik, dass ist mir viel wichtiger und da liegt zur Zeit viel mehr im argen. Schöne Pfingsten

Ralf Hersel
Geschrieben von Ralf Hersel am 5. Juni 2022 um 22:07

Ich habe auch in vielen internationalen Firmen gearbeitet und dabei das Gegenteil erfahren. Wegen der Internationalität wurde dort viel mehr auf Befindlichkeiten geachtet. Dort war man sich unsicherer, wie man mit den Kollegen und Kolleginnen aus den anderen Ländern umgehen sollte. Man hat sich angenähert und ausprobiert, was geht und was beleidigt.

Thomas S.
Geschrieben von Thomas S. am 4. Juni 2022 um 14:43

Das Wort "Mohr" ist eine alte Bezeichnung für dunkelhäutige Menschen. Seit vielen Jahrzehnten wird diskutiert, ob man durch den Gebrauch Stereotype verfestigt. Deshalb ist das Wort las Bezeichnung für Schwarze und PoC seit langem nicht mehr gebräuchlich. Es gibt aber viele historische Bezeichnungen wie "Morenralle" oder eben "Morenkopf", die auf die dunkle Farbe eines Tiers oder Gegenstands hinweisen. Das ist aber keinesfalls ein direkter Vergleich mit einem Menschen. Beim "Amerikaner" (Gebäck)oder "Hamburger" (Fleischklops) sehen wir ja auch keinen Vergleich.

Deshalb werden dunkelhäutige Personen eben nicht mit "Mohrenköpfen" verglichen und im Gegensatz zu "Scheißdeutscher" ist das sicher erst einmal keine Beleidigung eine Süßigkeit so zu nennen. Ich bin auch nicht der Meinung, dass "Betroffene" allein entscheiden können, wie Sprache gebraucht werden darf. Es geht dabei um Kommunikation und da dürfen und müssen alle Kommunikationsteilnehmer Einfluss nehmen dürfen.

Ich habe kein Problem damit wenn sich Begriffe mit der Zeit ändern und wir nun "Schokokuss" sagen. Aber wenn kleine Gruppen "woker" Menschen allein über den korrekten Gebrauch einer Sprache entscheiden wollen, löst das bei mir Unbehagen aus.

Ralf Hersel
Geschrieben von Ralf Hersel am 5. Juni 2022 um 22:14

Danke für deinen guten Kommentar. Die "Woken" übertreiben es, nach meiner Meinung. Ich finde jedoch, bei "Mohrenkopf" und "Negerkuss" muss man keine Bücher wälzen, oder Studien herbeiziehen. Das Schadenspotenzial liegt auf der Hand, auch bei bildungsbenachteiligten (Scheisswort) Personen. Der Herr Dubler hat seine Chance nicht genutzt. Einen Dubler bitte!

john-soda
Geschrieben von john-soda am 5. Juni 2022 um 11:41

Sprache soll genau wie Software frei sein. Dann setzt sich das Beste schon durch. Jeder sollte seine Produkte frei benennen können. Es ist doch egal wie ich eine Apotheke oder eine Süßigkeit benenne. Was nicht egal ist wie ich jemanden im 1:1 Dialog anspreche. Wer sich von einer Süßigkeit persönlich beleidigt fühlt hat entweder grundsätzliche Probleme oder hat sich das einreden lassen.

john-soda
Geschrieben von john-soda am 5. Juni 2022 um 11:46

Die weltbesten Schokoküsse sind aber natürlich die Schwedenbomben. Haben auch keinen korrekten Namen, schmecken aber einfach super gut und das ist worauf es bei den Schwedenbomben ankommt! Das sie schmecken!