Zum Wochenende: The Good, the Bad and the Elitist?

Fr, 3. Februar 2023, Fabian Schaar

Hinweis: Das ist ein Meinungsbeitrag.

GNU/Linux-Distributionen scheinen sich nicht nur auf technische Fragen und Hintergründe reduzieren zu lassen, es scheint nicht nur auf den Paketmanager hier, das grafische Werkzeug da, den Installationsvorgang dort anzukommen: Immer wieder hört man, gerade, wenn jemand nach einer neuen Distribution sucht, die einen oder anderen Argumente, die weder mit Technik noch mit Lizenzfragen zu tun haben.

Manchmal scheint es auch darum zu gehen, wie eine Distribution öffentlich wahrgenommen wird. Du nutzt Linux Mint? Ewiger Anfänger. Du nutzt Ubuntu? Werbe-Opfer von Canonical! Du nutzt Slackware oder Debian? Früher war alles besser, nicht wahr? Fedora? Du Fortschritts-geiler Red Hat-Apologet!

Die Wahl einer Distribution wird nicht selten auch zu einer persönlichen Entscheidung, oder zumindest dazu gemacht. In der Vergangenheit ist mir das hauptsächlich bei solchen Distros aufgefallen, die sich explizit an „Fortgeschrittene“ richten. „I don’t use Arch btw“ hört man selten im Internet.

Das Bild, welches mit einer Distribution assoziiert wird, scheinen sich heute viele gerne in ihren Lebenslauf schreiben zu wollen. Die eigentlich technischen Unterschiede zwischen den Ansprüchen, die Distributionen an ihre Nutzer stellen, scheinen heute schnell zu einer Art sozialen Rangfolge unter den Nutzern zu werden.

Ich möchte nicht sagen, dass das die Norm wäre, und doch frage ich mich, warum es noch so kleinste Minderheiten an Nutzern geben kann, die hinter einer solchen Einteilung tatsächlich unironisch stehen können. Ist es nicht traurig, wenn die eigenen Erlebnisse in der GNU/Linux-Welt dadurch getrübt werden, dass gewisse Internet-Foren ständig davon überzeugen möchten, dass sie die selbst erklärte „Master-Race“ unter den Linux-Nutzern wären?

Manchmal kommt es mir so vor, als würde der Abstand zwischen denjenigen, die das Nerd-Image von GNU und Linux verabscheuen und denen, die das für ihr Selbstbewusstsein benötigen, immer weiter auseinanderklaffen. Doch ist diese Annahme wirklich gerechtfertigt? Ist das wirklich eine Realität, mit der sich die Gemeinschaft auseinandersetzen sollte oder zumindest könnte? Oder ist das doch wieder der Schein, den nur eine kleine aber laute Minderheit hervorgerufen hat?

Die Debatten rund um unser geliebtes freies Betriebssystem scheinen stark von nicht technischen Fragen geprägt zu sein – und ich bin der Letzte, der das in Grund und Boden kritisieren wollen würde: Philosophische Betrachtungen machen in der Linux-Welt meiner Meinung nach immer dann Sinn, wenn sie sich auch mit technischen Antworten lösen lassen.

GNU/Linux und freie Software im Allgemeinen bieten meiner Ansicht nach ein Potenzial, das wir auch dann nicht unterschätzen sollten, wenn das „Jahr des Linux-Desktops“ auf ewig ein ferner Traum bleibt.

Freie Software ermöglicht, Nutzerinnen und Nutzern die Kontrolle über ihr Leben im Zeitalter der Digitalisierung zurückzugeben, nicht nur da, wo Google, Facebook und ChatGPT die digitale Selbstbestimmung infrage stellen. Freie Software ermöglicht, sich selbst in einer Gemeinschaft zu organisieren und überwindet ganz nebenbei den Dissens, der zwischen den Entwicklern proprietärer Programme und deren Nutzerinnen entsteht.

Doch genau da, wo dieses Potenzial freier Software beginnt, fängt auch die Gefahr des Elitismus an: Einer hat Arch installiert, also ist er jetzt der überkrasse Herr über seinen PC. Ein anderer nutzt Gentoo, also ist er jetzt der unangefochtene Meister der Stromrechnung.

Mal ganz nebenbei: Ich schreibe diesen Text hier gerade von einer Linux Mint-Installation aus und bin sehr glücklich, weil 99,5 Prozent der von mir genutzten Pakete freie Software sind, in einer unfassbar komfortablen Arbeitsumgebung.

Ist es nicht an der Zeit, klar gegen das elitäre Gehabe mancher Nutzer vorzugehen? Ist es nicht an der Zeit, das wahre Potenzial freier Software auszunutzen, auch wenn momentan nur ein Bruchteil der Nutzerinnen in den Genuss eines freien Betriebssystems auf dem Desktop kommt?

Ein Beispiel: Warum sollte Microsoft daran interessiert sein, Windows barrierefreier zu gestalten? Können wir wirklich darauf vertrauen, dass ein Konzern, der grundsätzlich von Angebot und Nachfrage getrieben und getragen wird, in Zukunft auch Nutzer mit körperlichen oder geistigen Behinderungen berücksichtigt? Nein, das können wir meiner Ansicht nach nicht.

Nur die Gemeinschaft freier Software kann perspektivisch nachhaltige und Anwender-gerechte Software produzieren, nicht zuletzt, weil hier auch Nutzerinnen und Nutzer schnell zu Entwicklerinnen und Entwicklern werden können. GNU/Linux ist Nische-genug, um jede Nische bedienen zu können, ohne darauf angewiesen zu sein, die Marktmacht an sich reißen oder halten zu können.

Sicherlich gibt es kommerzielle Interessen, die die Entwicklung freier Software beeinflussen, nicht immer ins Negative. Und doch kann der Fakt, dass das nicht die Norm sein muss, als Vorteil betrachtet werden.

Um auf die ursprüngliche Frage zurückzukommen: Nein, elitäre Nutzer sind nicht die Norm, ein Meme ist nicht ganz Linux, nein die Gemeinschaft besteht nicht nur aus wahnsinnig talentierten Entwicklern oder Bändigern der Rolling-Releases. Natürlich kann ich das nicht statistisch nachweisen oder überzeugend ausdifferenzieren – aber vielleicht reicht es auch, einen Blick auf die bunt gemischten Chatgruppen von GNU/Linux.ch zu werfen.

Manchmal habe ich das Gefühl, dass es sinnvoll oder gar notwendig wäre, die Diskussionen rund um freie Software auf eine technische Grundlage zurückzuholen. Aber andererseits frage ich mich, ob das überhaupt möglich wäre. Was ist zum Beispiel mit technischen Fragen, die politische Dimensionen annehmen? Systemd lässt grüßen.

Linux Mint war meine erste Linux-Distribution. Doch entgegen der Behauptung, das wäre eine „Anfägerdistro“ kann ich bestätigen, dass Mint auch für alles andere gut zuhaben und handhaben ist. Um eine Bash zu nutzen, muss meine /etc/os-release nicht Arch ausgeben. Um freie Software nutzen zu können, müssen wir nicht in Anfänger, Fortgeschrittene und Zsh-Warriors unterscheiden, oder?

Ich würde es schade finden, wenn Desktop-GNU/Linux ein Ding der Nerd-Blase bleibt. Weil ich glaube, dass freie Software die einzige zukunftsfähige Form der Softwareentwicklung bleibt – auch in Zeiten der Cloud, die momentan eher zu einer Gewitterwolke zu werden scheint.

Meiner Wahrnehmung nach versucht freie Software einerseits, auf technische Fragen eine ethische Antwort zu geben, andererseits werden dabei aber auch technische Fragen einem breiteren Publikum zugänglich.

In diesem Sinne: Beste Grüße aus Linux Mint 21.1, euer ewiger Anfänger. ;)

Bild: "Konzeptuelle Karte freier Software", siehe Lizenzverweis unten rechts auf der Karte, ferner: Verteilung über Wikimedia Commons: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported

Tags

Freie Gesellschaft, Distributionen, Freie Software, Elitarismus