Zum Wochenende: Ist Gaia-X der Weg zu Europas Datensouveränität ?

  Norbert Rüthers   Lesezeit: 8 Minuten  🗪 2 Kommentare

Gaia-X ist Europas Gegenpol zu den grossen amerikanischen Tech-Konzernen.

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Ist Gaia-X der Weg zu Europas Datensouveränität?

Gaia-X ist ein Projekt, das Europa zu einer leistungs- und wettbewerbsfähigen, sicheren und vertrauenswürdigen Dateninfrastruktur verhelfen möchte, bei dem auch Open-Source-Software eine bedeutende Rolle spielen soll.

Zur Geschichte

Der breiten Öffentlichkeit wurde das Projekt beim Digital-Gipfel 2019 in Dortmund vorgestellt. Primäres Ziel von Gaia-X ist (war) es, von den grossen amerikanischen Tech-Konzernen wie Google, Amazon, Facebook, Microsoft und Apple unabhängig(er) zu werden. Zu den 22 Gründungsmitgliedern gehören auf der deutschen Seite unter anderem Beckhoff Automation, BMW, Robert Bosch, DE-CIX, die Deutsche Telekom, German Edge Cloud, PlusServer, SAP und Siemens.
Ausserdem sind die Fraunhofer-Gesellschaft, die International Data Spaces Association und die europäische Cloudanbietervereinigung Cispe Mitgründer der GAIA-X-Entität. Auf französischer Seite sind Amadeus, Atos, Docaposte, EDF, IMT – Institut Mines-Télécom, Orange, Outscale, OVHcloud, Safran und Scaleway (mittlerweile aus dem Konsortium ausgetreten) mit dabei. Mittlerweile sind mehr als 300 Unternehmen beteiligt.

Angestrebte Ziele

Ziel von Gaia-X ist, die Akzeptanz von Cloud-Diensten (vor allem bei KMUs) zu erhöhen und Unsicherheiten abzubauen.

  • Europäische Datenschutzstandards garantieren
  • Unabhängigkeit wahren von den Vorgaben fremder Rechtsordnungen
  • es gestatten, Daten untereinander branchen- und länderübergreifend sicher auszutauschen
  • der gefährlichen Monopolisierung beim Umgang mit Daten vorbeugen
  • wirtschaftliche und global konkurrenzfähige Cloud-Services

Der Prozentsatz der europäischen Unternehmen, die Clouddienste nutzen, liegt zurzeit bei 26 %. In Amerika dagegen bei 74 %. Diese Differenz will Gaia-X beseitigen. Ein Grund ist, dass viele Unternehmen der Meinung sind, dass der Weg in die Cloud eine Einbahnstrasse ist. Einmal drin und man kommt nie mehr raus.  Auch der Wechsel von einem Anbieter zu einem anderen wird als zu schwierig angesehen.

Gaia-X will Interoperabilität bieten und einen Anbieterwechsel einfach gestalten. Es soll keine neue europäische Cloud entstehen, sondern schon vorhandene Infrastrukturen über standardisierte und offene Schnittstellen verbunden werden. Wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, sollen aus der entstandenen Struktur Innovationen und neue Anwendungen entstehen.

Realität

Der erste Dämpfer für dieses ambitionierte Projekt kam, als Microsoft, Alibaba, Amazon und Google im März 2021 beitraten. Also gerade diejenigen, von denen man unabhängig werden wollte. Diese "Unterwanderung" wurde und wird von vielen hitzig diskutiert. Es sei jedoch aus "Gründen des Wettbewerbsrechts" nicht zu verhindern, heisst es. In Europa scheut man sich davor, die europäischen Player zu schützen, aus Angst vor Diskriminierungsvorwürfen.

Ein paar kleinere Teilerfolge gibt es jedoch. Die deutsche Telekom und Nextcloud gaben im Januar 2021 bekannt, dass sie gemeinsam kooperieren, und eine DSGVO-konforme Infrastruktur für Geschäftskunden aufbauen wollen. Damit wird von einer Lösung, die auf Office 365 basiert, Abstand genommen.

Die aktuelle Entwicklung ist, dass im Zuge des Krieges von Russland gegen die Ukraine die erwarteten Fördermillionen für fünf Projekte nun nicht mehr zur Verfügung gestellt werden. Und es wird aktuell infrage gestellt, ob diese Entscheidung irgendwann wieder rückgängig gemacht wird. Diese Absage ist ein weiterer Schlag für das einst vom damaligen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) vorangetriebene Projekt.

Das, was so hoffnungsvoll begann, gerät soeben gehörig (wie erwartet?) ins Straucheln. Es sei mir als persönliche Meinung gestattet, dass ich angesichts der vergangenen Projekte in Deutschland mehr als skeptisch bin, ob es mit Gaia-X besser laufen wird. Es ist wirklich ambitioniert, sich vorzustellen, die deutschen Probleme auf europäische Ebene hochzuskalieren. Jeder kann sich noch gut erinnern, dass Deutschland sich in der Vergangenheit, was digitale Projekte betrifft, wirklich nicht mit Ruhm bekleckert hat, und bei denen Steuergelder in hundertfacher Millionenhöhe vernichtet wurden.

Beispiele

  • elektronische Gesundheitskarte
  • elektronischer Personalausweis
  • Digitalisierung von Ämtern und Onlineservices für Bürger.
  • Corona-Warn-App
  • PKW-Maut (Scheuer)
  • Sicherheitslücken in der Länder- und Bundes-IT

Ich möchte glauben, dass Gaia-X allen Unkenrufen zum Trotz eine Erfolgsgeschichte wird, aber schon als klar war, dass sich grosse amerikanische Tech-Konzerne beteiligt haben, war absehbar, dass das die ursprünglichen Ziele untergraben würden und nicht vermittelbar sind.

Dabei ist es heute mehr als wichtig, sich unabhängig zu machen und Firmendaten, schützenswerte persönliche Kunden- und Bürgerdaten und kritische Infrastrukturen im eigenen Land bzw. im europäischen Raum zu managen. Ebenso wenig sollte die reale Gefahr von Hackerangriffen ausser Acht gelassen werden. Es ist schwer genug, Daten und Firmengeheimnisse zu schützen, die sich in lokaler Infrastruktur befinden; fast unmöglich ist es, wenn die Daten über die ganze Erde verteilt sind und niemand so recht weiss, wohin sie synchronisiert werden.

Ein Beispiel für die Verwundbarkeit ist der sogenannte "Bundestagshack" Anfang 2015, bei dem über Monate im grossen Stil Daten abgesaugt wurden und als Folge ein grosser Teil der Hardware ausgetauscht werden musste. Nach Ansicht von Experten hätte eine Infrastruktur mit Open Source Betriebssystemen und Software diesen Angriff verhindern können.

Abhängigkeiten verringern

Gerade der aktuelle Konflikt mit Russland in Bezug auf Gas und andere Rohstoffe zeigt es mehr als deutlich. Wer weiss, ob nicht irgendwann auch Amerika (der nächste Präsident?) meint, uns (Europa) aus irgendwelchen Gründen sanktionieren zu müssen, wie es unter fadenscheinigen Gründen mit Huawei bereits geschehen ist? Die Idee einer rein europäischen Dateninfrastruktur war und ist wichtig, aber leider fehlt es am nötigen Durchsetzungswillen. Sowohl von Deutschland als auch vom Rest Europas.

Die Ampelregierung weiß, dass Deutschland dringend mehr digitale Souveränität braucht und hat es auch im Koalitionsvertrag festgelegt. Die dramatischen Folgen unauflösbarer Abhängigkeiten waren während der Coronakrise bei den Chips überdeutlich und sind es jetzt beim Gas. Trotzdem tut die Regierung sehenden Auges das Gegenteil von dem, was sie sich laut Koalitionsvertrag vorgenommen hat.  Das ist desaströs, verhindert innovative Digitalisierung von Wirtschaft und Verwaltung und führt zu neuen, noch gefährlicheren Abhängigkeiten und massiv erhöhten Kosten in der Zukunft.

2022 wird zu einem Bewährungsjahr für Gaia-X werden. Viele Beteiligte warten ab und wollen erstmal sehen was passiert

Hierzu ein interessanter Artikel der Wirtschaftswoche.

Quellen:

Tags

Europa, Cloud, Gaia-X, google, amazon, Europas, Daten, Weg, Gaia, Infrastruktur, Deutschland

bla
Geschrieben von bla am 22. April 2022 um 18:59

Das Problem ist doch, dass kaum einer der "beteiligten" Stellen das Konzept verstanden hat bzw. das Konzept nicht "schmeckt". Die Architektur und Ideen hinter dem Projekt erlauben sehr wohl eine Beteiligung von nicht-EU Partnern. Das ist ja gerade der Charme daran... Die mit an den Tisch zu holen, damit auch sie Ihre Services anbieten, ist eigentlich nur vernünftig. So wie es jetzt läuft, werden wir wohl sehen dass das Projekt mehr oder weniger scheitert. Vielleicht ist jemand noch so firm und überträgt das Konzept auf nationale Ebene... Wir könnten es brauchen

mick
Geschrieben von mick am 22. April 2022 um 23:32

Da kann man nur sagen viel Glück mit Gaia X