Zum Wochenende: Lalala, ich kann dich nicht hören

  Ralf Hersel   Lesezeit: 6 Minuten  🗪 13 Kommentare Auf Mastodon ansehen

Die Schweizer Bundesregierung gesteht ihre Abhängigkeit von Microsoft und plant eine Exit-Strategie. Wie weit ist diese gediehen?

zum wochenende: lalala, ich kann dich nicht hören

In der Psychologie kennt man den Ostrich-Effekt, auch Vogel-Strauss-Taktik genannt. Diese Begriffe beschreiben das Phänomen, bei dem Menschen Probleme oder unangenehme Realitäten ignorieren oder verdrängen, anstatt sich ihnen zu stellen. Das wissenschaftlich korrekte Wort dafür lautet Kognitive Dissonanz.

Das Titelbild (Der Fuchs und die Trauben) verdeutlicht es: Der Fuchs verspürt den Wunsch nach süssen Trauben. Zugleich bemerkt er ihre Unerreichbarkeit. Die Dissonanz löst er mit der Überzeugung, die Trauben seien ohnehin sauer.

Alles wissen es, alle haben es gelesen und verstanden. Doch alle verweigern sich den Konsequenzen. Das liegt an der Binsenweisheit, dass noch niemand entlassen wurde, der bei Microsoft eingekauft hat. Wer nicht bei Microsoft einkauft, riskiert seine berufliche Karriere. Entscheidungsträger (ich spare mir hier das ":innen") in Firmen, Organisationen und Behörden haben üblicherweise das 50ste Lebensjahr überschritten. Damit möchte ich nicht die Weisheit von gut abgehangenen Managern infrage stellen (ich bin ja selbst einer), sondern die Nähe zur Pensionierung und die Schwierigkeit, einen neuen Job ab diesem Alter zu finden. Ab 50 triffst Du keine riskanten IT-Entscheidungen. Ausser, Du hast wirklich Ovale im unteren Kleidungsstück.

Wie so oft zum Wochenende gibt es eine Vorrede, bei der niemand weiss, worum es dem Autor geht. Der Auslöser für diesen Beitrag ist eine Medienmitteilung des Schweizer Bundesrats (ähnlich wie die deutsche Bundesregierung, bzw. das Kabinett). Diese Mitteilung ist zwar schon ein Jahr alt, deshalb jedoch nicht weniger bedeutsam:

Bern, 15.02.2023 - Nach einer gründlichen Prüfung und einer bereits länger andauernden Testphase wird die Bundesverwaltung Microsoft 365 als neue Office-Version einführen. Der Bundesrat hat dafür am 15. Februar 2023 einen Verpflichtungskredit über 14,9 Millionen Franken genehmigt. Die Migration wird bis voraussichtlich 2025 dauern.

So weit, so schlecht. Der interessante Teil findet sich am Ende dieser Mitteilung. Dort heisst es:

Faktisch ist die Bundesverwaltung heute abhängig von Office-Produkten des Herstellers Microsoft. Ein Anbieter- und Produktewechsel wird zurzeit als zu risikoreich und aufgrund der zahlreichen Abhängigkeiten zu Fachanwendungen als zu aufwendig beurteilt.

Da fehlt nur noch das Wort "alternativlos". Ich empfinde es als bemerkenswert, dass eine Regierung ihre Abhängigkeit erklärt und diese offenbar hinnimmt. Man kann den Vergleich zur Gasabhängigkeit von Russland in Deutschland ziehen. Dort hat man die Abhängigkeit entdeckt, aber nicht hingenommen. "Gas aus Russland" wurde nicht als "alternativlos" erklärt, sondern erhebliche Anstrengungen unternommen, um sich aus der Abhängigkeit zu lösen. Dort wurden im letzten Jahr 59 % des Energiebedarfs durch Erneuerbare gedeckt; 3 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr.

Doch zurück in die Schweiz. Unter dem oben genannten Zitat heisst es weiter:

Zur mittel- bis langfristigen Reduktion der Abhängigkeit wird die Prüfung von Alternativen zu Microsoft 365 weitergeführt. Im Rahmen einer Exit-Strategie prüft der Bereich DTI der Bundeskanzlei auch Open-Source-Alternativen.

Ende 2024 verabschiedet der Bundesrat die Strategie Digitale Schweiz 2025. Darin werden drei Fokusthemen für 2025 formuliert:

  • Künstliche Intelligenz: Regulierung in der Schweiz und Einsatz von KI-Systemen in der Bundesverwaltung
  • Informationssicherheit und Cybersicherheit für die gesamte Schweiz stärken
  • Open Source in der Bundesverwaltung fördern

OK, ich muss den Artikeltitel relativieren:

"Lalala, ich kann dich nicht hören", ist Realitätsverweigerung und vermeintliche Alternativlosigkeit. Das ist hier nicht der Fall. Die Abhängigkeit wurde erkannt und eine Exit-Strategie wurde aufgerufen. Diese Strategie wird durch einen Aktionsplan untermauert, der 104 Einzelaktionen umfasst. Sucht man darin nach "Open Source", findet sich ein Dokument mit dem Titel:

Umsetzung der Open Government Data Strategie (2019 – 2023) und Einführung von «open by default»

Merkt ihr es? Das bezieht sich auf den Zeitraum 2019 bis 2023. Zur Exit-Strategie für 2025 konnte ich leider nichts finden. Vielleicht habe ich nicht gründlich genug gesucht. Ich werde bei der Bundeskanzlei nachfragen, ob ich etwas übersehen habe.

Während ich frage, wünsche ich euch ein entspanntes Wochenende.

Moooment, einen habe ich noch:

Stadt Zürich sichert sich Microsoft-Lizenzen für über 100 Millionen Franken

Titelbild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Fox_%26_Grapes.jpg

Quellen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Kognitive_Dissonanz

https://www.careelite.de/vogel-strauss-taktik/

https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen/bundesrat.msg-id-93076.html

https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2025/20250103_smard.html

https://www.bk.admin.ch/bk/de/home/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-103560.html

https://digital.swiss/de/aktionsplan/

https://digital.swiss/de/aktionsplan/massnahme/umsetzung-der-open-government-data-strategie-2019-%E2%80%93-2023)-und-einfuhrung-von-open-by-default

https://www.inside-it.ch/stadt-zuerich-sichert-sich-microsoft-lizenzen-fuer-ueber-100-millionen-franken-20250207

Tags

Schweiz, Strategie, OSS-Strategie, Kognitive Dissonanz

martin
Geschrieben von martin am 7. Februar 2025 um 20:23

Sehr interessanter Artikel, beschäftigt mich gerade sehr :) Ich denke die "Abhängigkeiten zu Fachanwendungen" ist die Hauptursache, warum ein Umstieg zu risikoreich ist. Da lässt es sich nur hoffen, dass dies in Zukunft besser wird, oder mit genügend Know-How es besser machen kann.

Frank
Geschrieben von Frank am 10. Februar 2025 um 19:15

Wenn sie auf Windows laufen. Aber auch das kriegt man günstiger hin. Einen Partner-Vertrag, wenn auch teurer als das Action Pack (ca. 400 CHF) früher, kriegt man für 830 CHF. Fieser-weise, hat wenn man das Action-Pack noch im Dez erneuert hat, dieses keine 2025 Lizenzen mehr drinnen. Typisch M$. Aber ja, Updaten muss man dann wieder selber.

rlx
Geschrieben von rlx am 7. Februar 2025 um 21:35

Das Problem der Abhängigkeit von Microsoft und insbesondere Microsoft 365 ist natürlich kein typisch schweizerisches. Aber Alternativen sind langsam dabei zu entstehen. OpenDesk etwa, ein Behördendesktop in Deutschland, ist inzwischen in einer ersten Version erschienen. Ihr hattet hier auf GNULinux vor einiger Zeit schon mal berichtet. inzwischen ist sogar der ganze Code auf einer Behörden-Git-Plattform veröffentlicht. Die verantwortliche Bundeseinrichtung (Zendis) ist zwar klein, aber besteht aus einem Team kompetenter Leuten und meint es ernst mit dem Begriff "Souveränität". Die Zendis-Leute sind inzwischen schon in regem Austausch mit Partnern aus Frankreich und anderen Ländern. Da sehe ich wirklich eine Chance, dass hier mittelfristig eine ausgewachsene Alternative zu Microsoft heranwächst. Da werdet ihr in der Schweiz einfach weiterhin Lobbyismus für mehr IT-Souveränität betreiben müssen.

Ralf Hersel Admin
Geschrieben von Ralf Hersel am 7. Februar 2025 um 22:00

Bezüglich OpenDesk bin ich ganz Deiner Meinung. Dazu hatten wir mal ein Interview: https://gnulinux.ch/ciw085-podcast In der Schweiz sehe ich, dass eher Geld auf Probleme geworfen wird, statt sich um eine nachhaltige Lösung zu kümmern. Ich werde die Verantwortlichen befragen und darüber berichten.

rlx
Geschrieben von rlx am 7. Februar 2025 um 22:38

Das ist nicht nur in der Schweiz so, dass Geld auf Probleme geworfen wird. Aber früher war der Diskurs um freie Software einer, bei dem es um Prinzipien/hehre Ziele oder auch die Hoffnung auf Kostenersparnis ging. Seitdem hat sich aber die Welt schon ganz gut verändert und dem Argument der Souveränität kann man sich als öffentliche Verwaltung kaum verschließen.

Frank
Geschrieben von Frank am 10. Februar 2025 um 19:17

Na, wir mögen Qualität und wissen, was nichts kostet, ist nichts wert. 😉

Christopher
Geschrieben von Christopher am 8. Februar 2025 um 10:27

Ich bin der Meinung, dass es sich hier um Schleswig-Holstein handelt und um genauer zu sein, dreht ed sich bei dem Piloten um Itzehoe ...wenn ich mich nicht täusche. Das war zumindest den Lokalnachrichten so zu entnehmen (Wohne im Umkreis). Ist aber in DE nicht der erste Anlauf und mMn ist Schwäbisch-Hall die einzige Stadt, die ein OpenSource Konzept erfolgreich und nachhaltig umgesetzt hat. Dazu gibt es von dem verantwortlichen IT Projektleiter auch min. einen interessanten und öfffentlich zugänglichen Vortrag.

F4age
Geschrieben von F4age am 7. Februar 2025 um 23:31

"Ausser, Du hast wirklich Ovale im unteren Kleidungsstück."

Was bedeutet das? Ich verstehe es gerade nicht. 😇

Ralf Hersel Admin
Geschrieben von Ralf Hersel am 8. Februar 2025 um 23:46

Netter Versuch. Natürlich weisst Du, was ich meine :)

Klaus
Geschrieben von Klaus am 8. Februar 2025 um 14:29

Ich habe Berichte gesehen, dass Schleswig-Holstein gerade dabei ist, 30000 Behörden-PCs auf Linux ind LibreOffice umzustellen. Ist nicht der erste Bericht hierzu, aber jetzt scheine sie so weit zu sein. Die haben das schon ein paar Jahre vorbereitet. Könnte auch für die Schweiz interessant werden weiter zu verfolgen.

https://blog.documentfoundation.org/blog/2025/02/05/libreoffice-at-the-univention-summit-2025/

Frank Dekker
Geschrieben von Frank Dekker am 8. Februar 2025 um 19:56

Heute im Tagi dazu auch ein Interview welches in eine ähnliche Richtung zeigt: https://www.tagesanzeiger.ch/interview-mit-dem-proton-chef-die-schweiz-und-europa-sind-heute-kolonien-der-usa-609246808446

Ralf Hersel Admin
Geschrieben von Ralf Hersel am 8. Februar 2025 um 23:47

Frank, vielen Dank für diesen Link. Sehr interessant.

Frank
Geschrieben von Frank am 10. Februar 2025 um 19:11

Ja, es ist absolut nicht nachvollziehbar, das ein Staat nicht auf Open Source setzt. Das würde die Vorgaben zur Ausschreibung enorm vereinfachen. Den man bräuchte nur einen Partner, der die Fachkräfte für die verwendete OSS Lösung anbietet. Dazu könnte man als Staat ja noch Einfluss auf das Endprodukt nehmen und somit auch das eigene Ökosystem stärken. Man denke nur was für Vorteile das hätte, wenn alle europäischen Staaten am OSS Strang ziehen würden. Ein Ruf nach eigener "Cloud" wäre gar nicht mal mehr nötig. Aber wir CH sind extrem Brand-Orientiert. M$, Cisco, HPE und VMWare alles andere kostet nicht und ist somit Schrott. 😅 Meine Firma, die gerade so um den Konkurs rum schlittert hat auch M365 und VMWare im Einsatz und der alte Chef hat das Offsite-Backup ins Azure verlegt. Jetzt kriegt der neue Chef (= Finanzchef) jeden Monat einen roten Kopf, wenn er die Blob-Kosten sieht. Mich hat man nicht gefragt und die bestehende Hosting-Lösung (400 CHF/M + 1x kl. Syno) wurde abgeschafft. Dafür hat man jetzt gegen 2000 pro Monat. 🤐