Zum Wochenende: Prinzipien

  Ralf Hersel   Lesezeit: 8 Minuten  🗪 2 Kommentare

Drei einfache Prinzipien helfen der Community, bessere Entscheidungen zu treffen, alte Zöpfe abzuschneiden und mehr Verantwortung zu übernehmen.

zum wochenende: prinzipien

Während meiner Mitarbeit in Freien Projekten in den vergangenen 20 Jahren, und bei meinen beruflichen Aufgaben in den letzten 30 Jahren, sind mir einige Unterschiede aufgefallen. Auf beiden Seiten gibt es Licht und Schatten, wenn es um das Verhalten, und die Motivation der Beteiligten geht. Aus diesem Potpourri der sozio-kulturellen Unterschiede möchte ich in diesem Beitrag nur den Aspekt der Einstellung zu sich selbst und zur Community herausstellen.

Von den vielen Arbeitskulturen, die ich kennenlernen durfte, ist bei mir ein Satz von Prinzipien hängengeblieben. Solche Regeln, oder besser Einstellungen, bleiben nur dann im Kopf hängen, wenn sie sich über mehrere Jahre als gut erweisen haben. Und zwar für einen selbst und für das Projekt, in dem man arbeitet. Bei mir haben sich diese drei Prinzipien als nützlich erwiesen:

  • Denke 80/20 - Konzentriere deine Bemühungen auf die 20 % des Aufwands, der 80 % der Ergebnisse erbringt.
  • Handle 30/30 - Wirf 30 % der überflüssigen Arbeitsschritte weg und investiere 30 % in bessere Arbeitsschritte.
  • Lebe 90/10 - Übernehme 90 % der Verantwortung für das Team und verlasse dich 10 % auf die Anderen.

Allen, denen jetzt schon die McKinsey-Galle hochkommt, sollten nicht weiterlesen, sondern überlegen, wie ihre eigenen Prinzipien aussehen. Wer wissen möchte, was diese drei Regeln tatsächlich bedeuten, findet hier die Erklärung dafür.

In jeder Form der Zusammenarbeit stellen Entfernungen sowie sprachliche und kulturelle Barrieren eine Herausforderung für die effektive Kommunikation dar. Deshalb ist es wichtig, Prinzipien zu vereinbaren, an die sich alle am Projekt Beteiligten halten können.  Die hier beschriebenen Prinzipien sehen nach Mathematik aus, sind aber eher Verhältnismässigkeiten für den eigenen Arbeitseinsatz. Die Prinzipien - 80/20, 30/30 und 90/10 - haben sich tief in mein Verständnis von Zusammenarbeit, eigener Arbeit und Kommunikation eingegraben, weil sie für mich erfolgreich warum und sind.

Denke 80/20

80/20 ist dem Pareto-Prinzip nachempfunden, das besagt, dass 80 Prozent der Auswirkungen von 20 Prozent der Ursachen herrühren. Auf organisatorischer Ebene bedeutet dies, dass der Schwerpunkt auf den 20 Prozent der Arbeit liegen sollte, die 80 Prozent des Wertes für dich selbst, die Leute im Team und für die Community ausmachen. Auf individueller Ebene bewerte ich die Projektprioritäten mit einem 80/20-Filter. Mit diesem Filter kann ich leicht feststellen, worauf ich mich konzentrieren sollte - auf die 20 Prozent der Arbeit, die 80 Prozent der Ergebnisse ausmachen, um sicherzustellen, dass meine Entscheidungen mit dem grössten Nutzen für die Community übereinstimmen.

Eine Gefahr dieses Prinzips besteht darin, dass wichtige Arbeiten nicht vollständig abgeschlossen werden. Das beruht auf einer Fehlinterpretation des Pareto-Prinzips. Es geht nicht darum, einzelne Arbeiten nur zu 80% auszuführen (Bananen-Software), sondern die wichtigen von den unwichtigen Aktivitäten auf einer höheren Ebene zu trennen. Die Frage lautet: "Mache ich A oder B?", und nicht etwa "Mache ich A nur zu 80% fertig". Dies sollte nicht mit einem iterativen Ansatz verwechselt werden, dessen Ziel es dennoch ist, qualitativ hochwertige Ergebnisse zu liefern.

Um ein wenig konkreter zu werden, möchte ich Beispiele nennen: Angenommen, es gibt mehrere Freie Projekte, die dich interessieren und an denen du tatsächlich mitarbeiten kannst und möchtest. Dann lauten die entscheidenden Fragen für dich:

  • Für welches Projekt kann ich den grössten Beitrag leisten?
  • An welchem Projekt habe ich am meisten Spass?
  • Welches dieser Projekte bietet den höchsten Nutzen für die Community?

Deine Antworten sollten ausgewogen sein, weil sie sich widersprechen können. Nicht alles, was dir gefällt, bietet den grössten Nutzen für die Anwender:innen. Mein Tipp: priorisiere die ersten beiden Punkte.

Handle 30/30

Bei diesem Prinzip geht es um den inneren Schweinehund. In schwierigen Zeiten versuchen viele Projekte, die Aufwände zu senken und vernachlässigen dabei die Vermeidung von Verschwendung. Sie konzentrieren sich auf die Senkung der Aufwände, anstatt die Effizienz zu steigern und die Abläufe zu verbessern. Gut beraten ist, wer die Balance wahrt. 30/30 ist ein Lean Six Sigma Prinzip, bei dem es darum geht, unnötige Prozessschritte zu erkennen und zu beseitigen.

Die Freie Software Community ist der beste Nährboden, um von anderen zu lernen. Die Tipps und Tricks sind nahezu unerschöpflich, wenn es darum geht, zu lernen. Wir sehen das bei GNU/Linux.ch jeden Tag, sowohl bei den Artikeln als auch bei den Diskussionen in den Chat-Räumen. Viel lesen, hilft viel. Viel fragen, hilft viel. Es gibt hunderte Beispiele, bei denen wir voneinander gelernt haben, wie wir unsere eingetretenen Abläufe hinterfragen und verbessern konnten. Wenn du unnötige Zeitfresser beiseite räumen kannst, bleibt dir mehr Zeit und Energie für Neues. Springe über deinen Schatten, lass Altes zurück und entdecke Neues für dich.

Lebe 90/10

Obwohl ich dieses Prinzip als letztes erwähne, ist es das Wichtigste für mich. In der Kurzfassung lautet es:

Wir halten dir den Rücken frei. Ich halte euch den Rücken frei.

Dabei geht es um die Mentalität, 90 Prozent der Verantwortung für das Projekt seines Teams zu übernehmen und nur 10 Prozent dem Team zu überlassen (das gilt gegenseitig!). Dies verhindert Feindbilddenken und motiviert die Community zur Zusammenarbeit. Es lehrt auch, Verantwortung zu übernehmen, und hilft dem Einzelnen, sich nach oben zu orientieren, anstatt darauf zu warten, nach unten geführt zu werden, oder sich ganz aus der Verantwortung zu stehlen.

Die drei Musketiere - Einer für alle - Alle für einen

Mit dem 90/10-Prinzip schafft man ein globales Teamumfeld, in dem sich alle Mitarbeitenden am Ergebnissen beteiligt fühlen. Diese Mentalität vermisse ich in Freien Projekten am meisten. Dafür nenne ich gerne ein Beispiel: 2022 hat die FSFE eine Initiative gestartet, in der öffentliche Einrichtungen aufgefordert wurden, auch die Fediverse-Dienste für die Kommunikation mit der Öffentlichkeit zu verwenden, anstatt ausschliesslich auf proprietäre und zentralisierte Dienste wie Twitter, Facebook, Instagram, YouTube, TikTok und sonstige zu setzen. Bei der Umsetzung des Projekts zeigte sich überwiegend eine 10/90 Mentalität, die ich auch schon bei anderen Community-Projekten beobachten konnte. Wenn sich nur 10 % der verfügbaren Ressourcen für ein Projekt verantwortlich fühlen, kann daraus nichts werden. In einer Gemeinschaft darf es nicht sein, dass das Haupt-Engagement nur auf 10 % der Schultern lastet. Erst recht nicht, wenn ein Projekt die 80/20-Hürde genommen hat und das 30/30-Prinzip zur Anwendung kam.

Fazit

Das Schöne am 80/20 - 30/30 - 90/10 Prinzip ist, dass es leicht verständlich und nahezu allgemeingültig ist. Mit einer solchen Einstellung kann man jeder Beteiligten überall auf der Welt in wenigen Minuten erklären, wie man die richtigen Entscheidungen trifft, unnötigen Aufwand zu mehr Freiraum wendet und eine Teamplayerin für die Community wird.

Tags

Prinzipien, Pareto, Effizienz, Verantwortung, Community

Helmut
Geschrieben von Helmut am 14. Januar 2023 um 13:49

Hallo Ralf, interessanter Artikel! Etwas überrascht hat mich das 90/10 Prinzip. Erst dachte ich, dass ich verstanden habe was es bedeutet, aber dein Beispiel hat mich verwirrt. Kannst du das nochmal erläutern?

Klaus
Geschrieben von Klaus am 17. Januar 2023 um 22:35

Hallo Ralf, vielen Dank für deinen coolen und inspirierenden Beitrag.Ich sitze gerade am Ende meines zweiten Urlaubstages und freue mich übera) eure Website undb) diesen Artikel. Viele Grüße von der Nordsee in den Süden...Ciao, Klaus