Zum Wochenende: Blutdruck beim Support

  Ralf Hersel   Lesezeit: 7 Minuten  🗪 2 Kommentare Auf Mastodon ansehen

Die Erfahrungen beim Kunden-Support durch die Community und proprietäre Firmen unterscheiden sich grundlegend. Das liegt an der Kultur und an der Firmengrösse.

zum wochenende: blutdruck beim support

Wer Freie Software nutzt, hat sich an bestimmte Prozesse gewöhnt, bzw. erwartet das Funktionieren dieser Prozesse. Wer es kann, trägt zur Entwicklung der Software bei. Findet man einen Fehler, ist es eine Ehrensache, diesen zu melden. Hat man eine Frage, nimmt man Kontakt zur Community auf oder wendet sich direkt an das Projektteam der Anwendung.

Für Um- und Einsteiger:innen ist diese Kultur ungewohnt. Manche sind eine Weile lang der Überzeugung, dass man für einen Preis eine Leistung erwarten kann. Der Preis wird in Geld oder durch persönliche Daten bezahlt. Als Leistung erwartet man eine Gewährleistung der Qualität und Funktionalität des erworbenen Produkts.

Beide Kulturen, bzw. Ökosysteme, gibt es nicht in ihrer Reinform. Sowohl auf der proprietären Seite als auch in der freien Szene kann man Positives erleben oder enttäuscht werden. Wir alle kennen Situationen, in denen man einen Fehler (Bug-Report) an ein freies Projekt geschrieben hat, um sich dann Vorwürfe anhören zu müssen, dass der Bug-Report nicht den Standards des Projekts entspricht (read the fucking manual). Bei unfreien Produkten scheitert die Kontaktaufnahme oft damit, dass die Firma alles versucht, um euch (die Kunden) von sich fernzuhalten. Dort gibt es dann keine Telefonnummer, keine E-Mail-Adresse, kein Kontaktformular. Und falls ihr doch etwas findet, reagiert niemand darauf oder ihr erhaltet den Passierschein A38.

Positive Beispiele

Nun, gute Beispiele für eine funktionierende Kultur in der Freien Software Welt gibt es zuhauf. Da muss ich nur einen Blick in unseren HELP-Raum werfen. Dort wurde mir und vielen anderen schon hundertmal geholfen. Ich könnte auch viele Fragen an das Manjaro-Forum nennen, bei denen ich in kurzer Zeit eine Antwort und Lösung für mein Problem erhalten habe, z. B. bei dieser Frage. Zugegeben, das ist nicht das beste Beispiel, weil ich dort angepflaumt wurde.

Aber auch von der anderen Seite, als Entwickler, kann ich mich an eine gute Support-Kultur erinnern. Vor 15 Jahren habe ich das Programm Popper geschrieben. Das war ein E-Mail-Notifier für den Ubuntu-Desktop. Damals erhielt ich viele Anfragen und Verbesserungsvorschläge aus der Community und ich habe mich über jede einzelne Meldung gefreut. Über die Jahre haben sich diese guten Erfahrungen oft wiederholt. Auch bei meinen neueren Projekten auf Codeberg kann ich überwiegend Gutes über die Zusammenarbeit mit der Community berichten.

Meine Erfahrungen mit der Community waren fast immer positiv, aber immer persönlich und emphatisch.

Ein negatives Beispiel

Auf der dunklen Seite, also bei proprietärer Software, waren meine Erfahrungen selten persönlich oder emphatisch. Es gibt einige Ausnahmen, die sich eher auf kleine Firmen beziehen, bei denen der Kunde und die Kundin einen Stellenwert haben, der über eine reine Nummer hinausgeht. Grosse Firmen sollten sich die Frage über die Bedeutung ihrer Kunden stellen:

  1. Sind es Menschen, mit denen man eine langfristige Beziehung aufbauen möchte?
  2. Oder sind es Bezahl-Entitäten, die durch optimierte Prozesse geschleust werden müssen?

In den allermeisten Fällen ist es unmöglich, zu Personen vorzustossen, die tatsächlich an dir als Kunden interessiert sind. Ob sie dein Problem lösen oder deine Anregung aufnehmen möchten, ist noch viel unwahrscheinlicher.

Mein aktueller Blutdruck-Steigerer ist die TWINT-App, bzw. die Organisation dahinter. Für alle in Deutschland und Österreich: TWINT ist die weitverbreitete Bezahl-App in der Schweiz, die von allen Banken unterstützt wird. Damit kann man überall bezahlen und privat Geld überweisen. So ähnlich wie WERO in Deutschland und Europa, falls das jemand kennt.

TWINT gibt es nur als Smartphone-App und nur aus dem Google-Playstore, bzw. aus dem iPhone-Store. Fatal finde ich, dass es keine Desktop-Anwendung gibt, ausser das Backend für Händler und dieses auch nur für Windows. Dadurch ist man vollständig vom Handy abhängig. Auf meinem Fairphone 5 mit /e/OS funktionierte TWINT lange Zeit einwandfrei. Seit ca. einem Jahr läuft die App nicht mehr. Ich kann sie installieren, doch sie reagiert nur noch mit einem Stakkato von spastischen Zuckungen.

Support

Auf der TWINT-Homepage gibt es einen Supportbereich. Die haben von Tuten und Blasen keine Ahnung und verweisen auf die Bank. Dann habe ich mit meiner Bankberaterin gesprochen, die noch weniger Ahnung hatte und mich an den TWINT-Support verwiesen hat. Dieses Spiel kann man drei Runden lang mitspielen. Irgendwann erhält man die Antwort, dass man ein nicht unterstütztes Betriebssystem (/e/OS) verwendet. Halt, halt, soweit bin ich bis jetzt nicht vorgestossen; das ist nur meine Vermutung. Seltsamerweise laufen alle anderen kritischen Apps (mehrere Banking-Apps, deren Auth-Apps, die SBB-App) ohne Probleme. Wie zuvor erwähnt, TWINT lief auch einmal unter /e/OS.

Beim Blick in das TWINT-Impressum fiel mir auf, dass sich der Hauptsitz der Firma nur 298 Meter von meinem Büro entfernt befindet. In den nächsten Tagen werde ich dort auftauchen, um einen Frühlingsstrauss zu überreichen.

Vielleicht funktioniert die Unterstützung der Kunden besser, wenn man im Hauptsitz freundlich und mit Blumen bewaffnet auftritt. Ich befürchte allerdings, dort nur Beamte, statt Developer vorzufinden. Ihr erfahrt es als Erste.

Apropos Blumen - Ich wünsche euch allen schöne Ostertage!

Titelbild: https://pixabay.com/illustrations/heart-medicine-health-disease-2372134/

Quellen:

https://blinry.org/passierschein-a38/passierschein-a38.pdf

https://matrix.to/#/#GNULinuxHelp:matrix.sp-codes.de

https://forum.manjaro.org/

https://forum.manjaro.org/t/gnome-terminal-does-not-start/175341/7

https://launchpad.net/popper

https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/digitale-welt/onlinedienste/was-ist-wero-neuer-zahlungsdienst-europaeischer-banken-97042

https://pixabay.com/photos/flower-bunch-of-flowers-spring-5232836/

Tags

Support, Community, Freie Kultur, Contribute, TWINT

Jürgen
Geschrieben von Jürgen am 18. April 2025 um 19:52

Hatte auch meine Probleme mit TWINT. Schlussendlich habe ich mein Konto und die App gelöscht. War für mich nicht mehr tragbar.

Michel
Geschrieben von Michel am 19. April 2025 um 08:06

Ich habe mir die twint von Post und die Postfinance app auf ein altes nichtmehr supportetes GraphenOS Handy installiert und dann die APKs rausgezogen und dann auf meinem LineageOS installiert. Beide funktionieren. Twint beschwert sich zwar gelegentlich dass die GoogleApp nicht da ist, tut aber sonst problemlos. Die Post Finance app tut problemlos, erlaubt mir aber richtigerweise nur ein Login verfahren mit dem gelben Tan-Code generator.