Zum Wochenende: Softwarefreiheit in Schule und Betrieb erkämpfen

  Lian Begett   Lesezeit: 5 Minuten  🗪 5 Kommentare

Ein Plädoyer für die Notwendigkeit der Selbstorganisation von Beschäftigten, Studierenden und allen anderen.

zum wochenende: softwarefreiheit in schule und betrieb erkämpfen

Es gibt heutzutage viele gute Gründe, Aktivist zu sein. Im Vergleich zu Themen wie Klimawandel, Krieg und sozialer Ungerechtigkeit aber wirkt die Softwarefreiheit nur wie ein guter Zweck mit niedrigerer Priorität. Kein Wunder, schliesslich sind diese anderen Themenbereiche viel präsenter in unserem Alltag, und tragen viel erfahrbarere, gravierendere und globale Konsequenzen mit sich.

Meine Sichtweise darauf hat sich aber - wie so vieles - mit der Covid-19-Pandemie geändert; und einige Monate später gründete ich so eine Streit- und Arbeitsgruppe für freie Software an meiner Universität. Was hat sich denn getan? Ein Plädoyer für die Notwendigkeit der Selbstorganisation von Beschäftigten, Studierenden und allen anderen.


Die Kamera im Kinderzimmer

Vor der Pandemie haben mich Neuigkeiten über Spionageskandale und proprietäre Softwareschweinereien nur tangential betroffen. Ich habe die Nutzung Freier Software als Hobby betrieben und war damit praktisch "immun": Meine eigene Blase war nicht in Gefahr. Mit Corona einherging aber in Studium und Schule die Fernlehre. Plötzlich war es nicht mehr eine simple persönliche Entscheidung, freie Software zu verwenden, sondern die Nutzung proprietärer Software wurde jetzt von der Universität erzwungen.

Zoom, Citavi, Teams und sogar teilweise Discord waren nun Pflicht, um an der Lehre teilzunehmen. Erst dann wurde mir die Realität der Sache bewusst: Ich war jetzt von all den gerade erwähnten Problemen auch betroffen. Meine Daten, meine persönlichen Informationen, standen jetzt zur Debatte.

Mit der Fernlehre im Studium waren ich und Millionen andere auf der Welt plötzlich mit der Situation konfrontiert, proprietäre Software nutzen zu müssen, um das Studium oder die Arbeit fortführen zu können. Was vorher selbst für mich wie ein abstraktes Nerd-Hobby mit hohen Idealen und gesellschaftlichen Zukunftsvisionen war, war jetzt auf einmal real und fassbar. Die negativen Aspekte proprietärer Software waren nicht mehr nur durch die Vorteile der Nutzung freier Software erkennbar, sondern waren jetzt plötzlich meine eigenen Probleme; Dinge, die ich nach Jahren
der Nutzung freier Software längst nicht mehr präsent hatte.

Es wurde mir klar, dass sich etwas in meinem hochpersönlichen Raum auf meinem Computer einnistete, das ich nicht inspizieren oder kontrollieren konnte, und das vor allem (wie etwa Zoom) etliche Privatsphäreskandale mit sich zog.

Es kann doch nicht sein, dass man von der Schule, der Uni oder dem Arbeitsplatz gezwungen wird, sich selbst und seine Daten in fassbare Gefahr zu bringen und aufs Spiel zu setzen. Sich eine Kamera und ein Mikrofon in die Wohnung zu stellen, die von einer Firma kontrolliert werden, die bekannt dafür ist, auf Privatsphäre nichts zu geben. Eine Windows-VM laufen lassen zu müssen, nur um das Zitierverwaltungsprogramm Citavi zu verwenden. Und anderswo hat man es noch schlimmer: Schulen in den USA (und auch einige europäische Institutionen) beispielsweise erzwangen (Windows-exklusive) Malware, die bei Prüfungen eingesetzt werden musste, um den gesamten Computer unter Lockdown zu stellen, Augenbewegungen zu tracken, und den Internetverkehr zu überwachen, damit nicht gemogelt werden konnte.

Alles für die Profitmotive einiger Tech-Konzerne, die undemokratisch bestimmen, wie, wozu, unter welchen Bedingungen und in welcher Menge gesellschaftliche Arbeit in Produktion umgewandelt wird, mussten wir jetzt unsere Freiheiten opfern: Privatsphäre, finanzielle Freiheit, die freie Wahl der Werkzeuge, mit denen wir unsere Freizeit und Arbeit gestalteten. Staatlich und institutionell genehmigt und abgesegnet.

Ich wollte das nicht hinnehmen, also habe ich mich selbst organisiert - zur Arbeitsgruppe für Freie Software. Wir setzen uns für das Recht der Studierenden, Lehrenden und Beschäftigten ein, auf den eigenen Computern freie Software zu verwenden. Das heißt aktuell vor allem: kein Zoom- und Windows-Zwang! Wir wollen langfristig erreichen, dass aus öffentlichen Geldern keine unfreie Software finanziert wird, und dass in der Forschung möglichst gar keine unfreie Software mehr zum Einsatz kommt, und dass die Öffentlichkeit selbstbewusster und aufgeklärter mit Technologie umgehen kann.

Mittlerweile fast zwanzig aktive Personen fasst unsere recht junge Gruppe, obwohl die Pandemie uns viel Werbepotenzial gekostet hat und auch die Aktivität schwierig aufrechtzuerhalten war. Dafür finden sich bei uns nicht nur studentische Mitglieder, sondern auch Beschäftigte und Lehrende, die ebenso unter den Entscheidungen der
Politik und Verwaltung leiden. Dieses Modell einer aktivistischen Interessengruppe könnte es an jeder Institution geben, und vielleicht wäre dann hier und da eine Schule nicht mehr bereit, ihre Schüler und Schülerinnen dazu zu forcieren, Software mit unbekannter Funktionalität, Kamera-, Mikrofon- und Dateizugriff auszuführen.

Beschäftigte, Schüler und Studierende, die eben keine freie und informierte Wahl über das haben, was auf ihren Computern, Smartphones und Tablets läuft, sind schliesslich diejenigen Gruppen, die aktuell unter mangelnder Softwarefreiheit materiell leiden. Auf dass kein Kinderzimmer mehr eine direkte Audio- und Videoverbindung
auf einen Firmenserver haben muss, damit das Kind eine gute Ausbildung bekommt, und dass man mit einem GNU/Linux-System für die Profit- und Lobbyinteressen von Microsoft keine künstlichen Hürden in den Weg
gesetzt bekommt.

Tags

Universität, Schule, Studium, Fernlehre, Citavi, Zoom

kaligule
Geschrieben von kaligule am 5. August 2022 um 23:32

Gute Sache, danke für dein Angagement. Was tut denn eine Arbeitsgruppe?

Robert Retro
Geschrieben von Robert Retro am 6. August 2022 um 13:51

Wichtiges Thema, sehr guter Artikel. Wuensche viel Erfolg mit der Arbeitsgruppe! [rr]

David
Geschrieben von David am 7. August 2022 um 18:14

Toll, dass du da aktiv geworden bist. Kann ich nur unterstützen.

weva
Geschrieben von weva am 11. August 2022 um 07:36

Vielen Dank für den Artikel! Kannst du vielleicht ein bisschen aus der Gründungszeit erzählen? Wie bist du die Arbeitsgruppe angegangen, wen hast du angesprochen? Hasst du die Studierendenschaft oder Fachschaften involviert (falls es so etwas in deinem Bundesland gibt)?

Hieronymus
Geschrieben von Hieronymus am 14. August 2022 um 10:55

Wie heisst denn Eure Arbeitsgruppe? Link?