Wer tagtäglich am Computer arbeitet, kann sicherlich bestätigen, dass so ein angeheftetes Firefox-Symbol in Kombination mit einem Mastodon-Lesezeichen ziemlich ablenken kann. Dabei möchte man sich manchmal, man mag es kaum glauben, auf die eigene Arbeit konzentrieren, auf das Zeug, was eigentlich bis gestern fertig werden sollte und wovor man sich Wochen lang gedrückt hat. Ähnlich geht es auch mir, wenn ich etwas schreiben möchte.
Gerade, wenn ich mich durch irgendetwas ablenken lasse, ist es oftmals kein weiter Weg, bis ich eine Idee für einen Text komplett verwerfe. Und ich scheine nicht der einzige mit derartigen Problemen zu sein. Anwendungen, die sich speziell an Autoren richten und versprechen, alle Ablenkungen eines Desktops auszublenden, gibt es schon lange. Neben einigen proprietären und/oder web-basierten Werkzeugen finden sich auch wunderbare, bessere, freie Lösungen. Eine davon ist „FocusWriter“, eine Qt-basierte Anwendung, die nicht unterschätzt werden sollte.
Beim ersten Start wartet ein weißes Blatt Papier geduldig darauf, vollgeschrieben zu werden.
Eigentlich ist das Anwendungskonzept und Ziel von FocusWriter und ähnlichen Programmen ziemlich einfach: Das, was das eigentliche Schreiben stört, wird ersteinmal ausgeblendet, damit sich Tippende auf das konzentrieren können, was sie eigentlich schreiben möchten. Doch anders als ein Texteditor ist FocusWriter eher als ein Textverarbeitungsprogramm anzusehen; die Anwendung richtet sich also nicht an die Entwickler unter uns. Damit Code zu editieren wäre prinzipiell zwar möglich, aber keine Freude.
Diese Tatsache fällt mir an allen Ecken und Enden auf. Wer FocusWriter das erste mal startet, wird begrüßt von der Furcht einflößenden ersten, leeren Seite und einem Schreibtisch-Holzmuster im Hintergrund. Die Anwendung belegt dabei standardmäßig den vollen Bildschirm, alle Menüs sind nur über einen Maus-Wisch an den Bildschirmrändern zugänglich und mischen sich somit nicht in die Schreibumgebung ein.
Jetzt mag der eine oder die andere sagen, dass diese Menüs doch ablenken können, wenn man sich eigentlich konzentrieren möchte. Natürlich ist das Geschmackssache, mich stört die Menüführung jedenfalls wenig, da der Mauszeiger so oder so relativ schnell ausgeblendet wird; wenn ich tippe, besteht also nicht die Gefahr, die Menüs aus Versehen hervorzurufen.
Über den Einstellungsdialog lässt sich FocusWriter genau an die eigenen Bedürfnisse anpassen. Somit wird die Anwendung zu einer ganz persönlichen Schreibumgebung.
Neben der Voreinstellung bietet FocusWriter auch eine Reihe an Designs, mit denen sich die Schreibumgebung an individuelle Bedürfnisse anpassen lässt. Mit der Installation der Anwendung landen auch ein paar Standardthemen mit auf der Platte, meistens sind das mehr oder weniger beruhigende Hintergrundbilder mit einem Textkasten davor. Diese lassen sich duplizieren und so konfigurieren, es ist aber auch möglich, eigene Designs von Grund auf neu zu erstellen.
Die mitgelieferten Designs können angepasst werden. Außerdem lassen sich eigene Designs von Grund auf neu erstellen.
Eine weitere nette Funktion ist das Setzen von Schreibroutinen und -zielen. So kann etwa ein Wecker eingestellt und ein Tagesziel in Worten oder Minuten festgesetzt werden. Dahingehend ermöglicht FocusWriter auch die Überwachung der eigenen Schreib-Statistiken, sollte ein Tagesziel über einen längeren Zeitraum wieder und wieder erreicht werden, zeigt die Anwendung das im Menüpunkt „Täglicher Fortschritt“ an. Das motiviert vermutlich gerade bei Buchprojekten und langen Essays.
Als Motivation kann FocusWriter den eigenen Schreibfortschritt protokollieren und veranschaulichen. Die entsprechenden Ziele lassen sich natürlich selbst festlegen.
Den letzten Beweis, dass FocusWriter eine Anwendung für Schreiberlinge ist, liefert wohl die Option, Schreibmaschinengeräusche zu aktivieren. Diese sind allerdings standardmäßig abgeschaltet und das vermutlich auch aus gutem Grund. Vielleicht gefällt das aber ein paar Nostalgikern.
Obwohl FocusWriter wenig ablenken möchte und diesem Ziel in meinen Augen auch einigermaßen gerecht wird, zeigt es doch Elemente einer klassischen Textverarbeitungs-Software im Stile von LibreOffice oder AbiWord. Beispielsweise kann eine Rechtschreibprüfung aktiviert werden, wobei das standardmäßige Rot auch in eine etwas dezentere Farbe abgeändert werden kann.
Daneben gibt es auch Formatierungsoptionen, die ein Dokument zwar übersichtlicher machen, aber natürlich auch einiges an Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Das gleiche gilt natürlich auch für fetten, kursiven, unter- oder durchgestrichenen, hoch- oder tiefgestellten Text. Zur Verteidigung: Diese Formatierungsmöglichkeiten sind in einem Aufklappmenü versteckt, welches wiederum voreingestellt ausgeblendet ist.
Über eine Zeichenkette lassen sich Texte auch in Abschnitte aufteilen, voreingestellt ist dafür ##. Zu diesen Abschnitten kann dann über das ausgeblendete Menü an der linken Bildschirmkante navigiert werden. Somit lassen sich auch Fließtexte übersichtlich handhaben. Sinnvoll ist diese Funktion gerade daher, weil FocusWriter nicht zwischen Seiten unterscheidet. Diese können zwar anhand einer definierbaren Zeichen-, Wort- oder Absatzzahl gezählt werden, sind aber beim eigentlichen Schreiben nicht voneinander zu trennen -- warum auch?
Texte, die in FocusWriter erstellt und bearbeitet wurden, lassen sich in den Formaten .odt, .fodt, .rtf, .docx oder als reiner Text abspeichern und können somit mit allen gängigen Textverarbeitungsprogrammen und -editoren geöffnet und bearbeitet werden. Welches Format bevorzugt werden soll, lässt sich festlegen. Dabei sollte klar sein, das reiner Text schlecht Formatierungen darstellen kann, die zum Beispiel bei LibreOffice üblich sind.
FocusWriter ist keine Anwendung, ohne die jemand nicht leben könnte. Die Funktionen, die das Programm bietet, lassen sich sicher auch anderweitig umsetzen und wer das machen möchte, der kann das natürlich auch gern tun. FocusWriter sitzt gewissermaßen zwischen den Stülen und ist weder ein reiner Texteditor, noch eine vollständige Büro-Suite. Mal ganz nebenbei ist FocusWriter dafür auch wesentlich schneller als LibreOffice.
Trotzdem mag ich FocusWriter, denn gerade die Kleinigkeiten machen das Programm irgendwie besonders. Gerade für mich, der regelmäßig verschiedenste Texte, gerne auch länger als eigentlich notwendig, aufschreibt, ist es sehr angenehm, eine speziell darauf ausgelegte, grafische Anwendung nutzen zu können.
Wer den FocusWriter ausprobieren möchte, wird ihn vermutlich in den Paketquellen der eigenen Lieblingsdistribution finden können, so stehen etwa Pakete für Debian, Ubuntu, openSUSE Tumbleweed, Fedora und Arch zur Verfügung. Außerdem kann FocusWriter als Flatpak installiert werden. Neuere Versionen beruhen dabei bereits auf Qt 6, ältere noch auf Qt 5. FocusWriter wird unter der GPLv3 herausgegeben und nutzt Teile des Oxygen-Symbolthemas, das unter der LGPLv3 veröffentlicht wurde.
Weitere Informationen sind auf der Webseite des Entwicklers Graeme Gott zu finden:
https://gottcode.org/focuswriter/
Bilder: Screenshots von FocusWriter 1.8.3 unter Fedora 37 (KDE).