Wie steht es eigentlich um den Mate-Desktop?

  Fabian Schaar   Lesezeit: 12 Minuten  🗪 6 Kommentare

Seit langem ist keine neue Hauptversion der Mate-Arbeitsumgebung erschienen. Können Anwender auf eine neue Ausgabe hoffen? Und wie geht es dem Projekt insgesamt?

wie steht es eigentlich um den mate-desktop?

Korrektur: Der Mate-Desktop ist bereits in Version 1.28 verfügbar, allerdings hat das Entwicklerteam keine Ankündigung auf der Webseite getätigt. Daher haben wohl am ehesten diejenigen von der neuen Freigabe mitbekommen, die eine rollend aktualisierte Distribution wie Arch Linux nutzen. Vielen Dank für den Hinweis, Ephraim!

Der Mate-Desktop sieht sich selbst als Fortführung des klassischen Gnome-Workflows. Klassisch meint hierbei die Arbeitsabläufe, die Nutzer bis 2011 von Gnome gewohnt waren. Ein Panel oben, eines unten. Oben Menüs, Schnellstarter und Tray-Icons, unten vor allem aktuell geöffnete Programme: Diese Bildschirmaufteilung, gepaart mit Dateisymbolen auf dem Desktop hat Gnome groß gemacht. Weil sich das Gnome-Projekt von der klassischen Desktop-Metapher abgewandt hat, entstand der Mate-Desktop als Fork.

Mit der Zeit hat es Mate in immer mehr Distributionen geschafft. Besonders prominent sind heute Ubuntu Mate oder auch Linux Mint Mate zu nennen - aber auch unter Debian, Fedora, Arch oder openSUSE ist die traditionelle Arbeitsumgebung leicht zu haben. Nach eigenen Angaben wurde die kontinuierliche, inkrementelle Verbesserung der liebgewonnenen grafischen Oberfläche über die Jahre zum zentralen Ziel der Mate-Entwickler.

Im Dezember 2011 wurde der Mate-Desktop angekündigt, seitdem erschienen in unregelmäßigen Abständen immer wieder neue Versionen. Zwischen den Hauptversionen 1.2 und 1.4 lagen nur etwa dreieinhalb Monate. Jahrelang wurde die Arbeitsumgebung alle paar Monate aktualisiert, meistens innerhalb von etwa sechs Monaten, später auch in einem eher jährlichen Zyklus. Doch mit der Zeit scheinen die Durststrecken für Anwender immer länger geworden zu sein. Zwischen den Versionen 1.24 vom 10. Februar 2020 und der darauffolgenden Version 1.26 lagen schon ziemlich genau eineinhalb Jahre.

Mate 1 26 8

Bild 1: Mate-Desktop in Version 1.26 unter Fedora Linux

Für Fans des klassischen Desktops dürfte eins aber noch viel bedenklicher sein: Die eben angesprochene Version 1.26 stammt vom 8. Oktober 2021 - und ist die letzte bisher veröffentlichte Hauptversion. Mittlerweile leben wir schon im Jahr 2024: Die letzte offiziell freigegebene Hauptversion ist bereits knapp zweieinhalb Jahre alt. So lange mussten Anwender noch nie auf einen frischen Mate-Desktop warten. Da stellt sich ganz unweigerlich die Frage: Was ist eigentlich los im Mate-Projekt? Um es noch ein bisschen drastischer zu formulieren: Lebt das Projekt noch - oder ist der Mate-Desktop tot?

Mate hat schon aktivere Zeiten erlebt

Betrachtet man nur die nackten Zahlen, kann einem Angst und Bange werden. Selbst wer versucht, sich die Situation schön zu reden: So war der Begriff "stabil" eigentlich nicht gemeint. Die Mate-Flaggschiff-Distro Ubuntu Mate liefert mittlerweile sogar schon Pakete aus der Entwicklerversion 1.27 aus - und auch das Projekt selbst scheint schon aktivere Zeiten gesehen zu haben. Die Distribution Solus, einst für die Entstehung des Mate-Menüs Brisk verantwortlich, hat den Desktop mittlerweile sogar über Bord geworfen. Stattdessen bietet man nun eine Xfce-Variante an und möchte Nutzer langfristig umziehen.

Ist das also die Zukunft für Mate-Nutzer? Müssen Fans nun zähneknirschend nach Alternativen Ausschau halten, wie einst als Gnome seinem klassischen Desktop-Aufbau untreu wurde? Bekommen Xfce oder gar KDE in Zukunft Zulauf von denjenigen, die sich eigentlich nur eine neue Mate-Version wünschen?

Klar, wenn große Aktualisierungen derartig lange auf sich warten lassen, ist verständlich das Nutzern mit der Zeit mulmig wird. Nichtsdestotrotz: Der Mate-Desktop ist nicht tot! Weiterhin erscheinen Point-Releases, wie etwa Mate 1.26.2, was auch in Ubuntu Mate 23.10 steckt. Derartige Veröffentlichungen beinhalten vor allem Bugfixes, also kleinere Verbesserungen, die Fehler ausmerzen.

Ubuntu MATE 23.10

Bild 2: Ubuntu Mate 23.10 - "stable MATE Desktop on top of current Ubuntu"

Vergessen sollte man auch nicht: Der Linux-Desktop wandelt sich heutzutage an vielen Stellen. Wo einst X11 unangefochten für jegliche Grafik verantwortlich war, wird heute immer mehr über Wayland diskutiert. Nutzer sind mittlerweile auch eher an Touch-Oberflächen gewohnt - zu einem ganz anderen Grad, als das noch vor zehn, zwölf, dreizehn Jahren der Fall war. Damals, als der Mate-Desktop ins Leben gerufen wurde. Heute stellt sich die Frage, wohin ein klassischer Desktop steuert, wenn die klassischen Desktop-Anwender immer weniger werden.

Mit Wayland und Meson in die Zukunft

Für die Zukunft haben hat das Mate-Entwicklerteam zwei wesentliche Ziele ausgegeben: Zum einen soll die Arbeitsumgebung Schritt für Schritt kompatibel mit dem modernen Anzeigensystem Wayland gemacht werden. Zum anderen sollen wesentliche Desktop-Komponenten mit dem Build-System Meson gebaut werden können. Wie der Stand der Dinge diesbezüglich ist, können Interessierte auf einer eigens dafür vorgesehenen Seite im Mate-Wiki nachvollziehen.

Wer die Seite einmal ansteuert, dem könnte es vielleicht warm ums FOSS-Herz werden: Alle der aufgelisteten Pakete unterstützen mittlerweile Wayland, ein Großteil auf der Liste auch Meson. Leider sind auf der Wiki-Seite nicht alle Komponenten der Oberfläche genannt, so dass es schwer fällt, eine allgemeine Aussage zum Stand der Entwicklung zu treffen. Für Anwender dürften die Fortschritte hinsichtlich Wayland und Meson jedoch sehr gute Omen sein. Immerhin sehen viele insbesondere Wayland als die Zukunft des Linux-Desktops an.

Der Mate-Desktop ist ein wesentlich kleineres Projekt als Gnome oder KDE, deren Gemeinschaften hunderte Entwickler umfassen. Eine ganze grafische Oberfläche auf Wayland zu portieren - oder sie allgemein in Stand zu halten - erfordert viele Ressourcen und vor allem auch Zeit. Dass solche Mammutaufgaben nicht von heute auf morgen erledigt werden können, ist nachvollziehbar.

Eine gut gefüllte Roadmap und regelmäßige Updates auf GitHub

Surft man weiter durch das Mate-Wiki findet sich auch eine Roadmap, die zukünftige Ziele der Entwickler ausgibt. Einzelne Punkte auf der Roadmap beziehen sich etwa auf den Dateimanager Caja oder den Texteditor Pluma, teils aber auch auf kleinere Teile des Desktops wie die Mate-Applets oder umgekehrt auf den Desktop ganz allgemein. Blickt man auf die Roadmap, kommt eigentlich kein Eindruck von Stagnation auf. Klar, die vorgesehenen Änderungen erfinden das Rad - oder hier: die klassische Arbeitsumgebung - nicht neu. Aber das passt zu den allgemeinen Zielen des Mate-Desktops.

Heute läuft die Fortentwicklung von Mate hauptsächlich über die Code-Plattform GitHub ab. Auch ein Blick auf die dort befindlichen Repositories des Projekts gibt Hoffnung für die Zukunft des Desktops. Bei den meisten Komponenten verheißt die Regelmäßigkeit der Aktualisierungen eigentlich nur gutes: "Updated 9 hours ago" oder "Updated 3 days ago" liest sich ziemlich positiv. Selbst wenn es nur kleine Verbesserungen oder Wartungen der Codebasis sein mögen: Mate scheint als ganzes in Bewegung zu sein; die Entwicklung geht also weiter.

Auf der Subdomain pub.mate-desktop.org findet man überdies ein Verzeichnis mit Zugriff auf alle bisher veröffentlichten Versionen der Mate-Pakete. Neben archivierten Entwicklungsständen liegen hier auch die aktuelle Veröffentlichung 1.26, die aktuelle Entwicklungsversion 1.27 und die daraus abgeleitete kommende Freigabe 1.28.

Im Ordner der letzten Hauptveröffentlichung 1.26 finden sich derzeit 247 Dateien, also inklusive Quellcode-Tarballs, .news-Dateien und Prüfsummen. Für die Entwicklungsversion kommt man auf 186 Dateien im entsprechenden Verzeichnis, der Zweig der kommenden Version zählt schon 141 Dateien.

Es lebt...

Was lässt sich nun aus diesem Zahlensalat ableiten? Geht man ungeachtet der unterschiedlichen Größe der einzelnen Pakete und ungeachtet des damit verbundenen Entwicklungsaufwands an die Sache heran, ist die Antwort einfach: Mittlerweile haben es die Mate-Entwickler geschafft, mehr als die Hälfte der nötigen Pakete mehr auf eine neue Version zu hieven.

Natürlich sollte man vorsichtig sein mit derart verallgemeinernden Aussagen. Trotzdem verdichtet sich angesichts der Roadmap, der Fortschritte hinsichtlich Meson und Wayland sowie der stetig wachsenden Sammlung an Paketen im 1.28-Verzeichnis ganz klar ein Eindruck: Dem Mate-Desktop geht es recht gut. Die Entwicklung scheint weiterzugehen, wenngleich mit womöglich etwas weniger Momentum als noch vor ein paar Jahren. Dennoch sollte man nicht vergessen, dass das Entwicklerteam aktuell vor großen Aufgaben und Umbrüchen auf dem Linux-Desktop insgesamt steht.

Natürlich senden Nachrichten wie das Wegfallen von Solus Mate kein gutes Zeichen an die Anwender. Allerdings ist Mate weiterhin in den Repositories der großen wie der kleinen Distributionen vertreten. Mit Ubuntu Mate und Linux Mint Mate existieren weiterhin zwei sehr Anwender- und Einsteigerfreundliche Linux-Betriebssysteme, die den thematisierten Desktop ausliefern. Ob diese nun aktuell wirken, funktionieren oder aussehen, ist eine Frage des persönlichen Geschmacks.

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/e/ec/Linux_Mint_20_MATE_eng.png/1280px-Linux_Mint_20_MATE_eng.png

Bild 3: Der Mate-Desktop unter Linux Mint 20

Nach eigenen Angaben der Entwickler ist es ein zentrales Ziel des Mate-Desktops, dass zu bewahren, was vielen als bewahrenswert erscheint. Hält man sich das vor Augen, fällt auf: Vielleicht braucht es bei einem solchen Projekt gar keine pfeilschnelle Entwicklung, die halbjährlich eine neue Version abwirft.

Totgesagte leben länger

In einer ähnlichen Situation wie der Mate-Desktop heute, befand sich vor einigen Jahren auch die Arbeitsumgebung Xfce: Zwischen den Hauptversionen 4.10 und 4.12 lagen bereits zwei Jahre und zehn Monate Entwicklung - zwischen 4.12 und 4.14 waren es satte 4 Jahre und fünf Monate. Daraufhin verringerte sich aber das Abstand zur Version 4.16 und deren Nachfolgeausgabe.

Xfce hat sich in einer vergleichbaren Situation also auch gehalten. Vielleicht konnte diese Arbeitsumgebung auch ihren Ruf als besonders stabil weiter ausbauen. Womöglich haben die letzten Versionen dem Projekt auch wieder mehr Bewegung verschafft, allenfalls kommt nicht der Eindruck auf, dass Xfce keine Zukunft hätte. Denkbar ist, dass sich der Mate-Desktop heute in einer ähnlichen Lage befindet und womöglich auch ähnlich mit ihr umzugehen weiß.

Weder Mate noch Xfce folgen einem festen Veröffentlichungszyklus. Damit heißen selbst vermeintliche Entwicklungspausen nicht zwingend etwas Schlechtes. Denn meistens steckt in den Phasen, in denen Anwender am wenigsten von einem Projekt mitbekommen, die meiste Arbeit. Führt man sich diese vor Augen ist klar: Der Mate-Desktop ist nicht tot, höchstens totgesagt.

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MATE, MATE-Desktop-Umgebung, GNOME, Xfce, Ubuntu Mate, Linux Mint, Linux

Kater
Geschrieben von Kater am 1. April 2024 um 16:04

Danke Fabian für den sehr lesenswerten Artikel. Ich benutze Mate seit Ubuntu Mate 16.04 und habe aktuell die Vorabversion von Ubuntu Mate 24.04 laufen. Mate ist leichtgewichtig, was bei meinem schwachen PC notwendig ist und ich konnte es so einrichten das es alles tut was ich brauche.

Ich hoffe sehr das Mate den Sprung auf Wayland schafft.

Naja
Geschrieben von Naja am 2. April 2024 um 11:36

Ich denke auch, wie von dir aufgeworfen, wenn eine Desktop-Umgebung "fertig" ist braucht es nicht ständig neue Hauptversionen. Im Gegenteil finde ich es bei Mate und auch Xfce recht angenehm, das sich nicht ständig so furchtbar viel ändert.

Flohkop
Geschrieben von Flohkop am 3. April 2024 um 10:25

Ich bin gerade wegen Gome2 als dieser in Debian verschwand auf Linux Mint-Mate gegangen. Nicht nur das diese Distro locker zu installieren ist, für mich ist auch ein immer wiederkehrender Einrichtungsprozess den Debian mit sich brachte weg gefallen. Mate als Desktopumgebung möchte ich nicht missen wollen. Bei Xfce habe ich mich noch nie heimisch gefühlt. Nicht das diese Desktopumgebung schlecht wäre - ganz im Gegenteil. Aber zusagen/gefallen muss einem die Arbeitsumgebung und flockig Konfigurierbar muss diese sein. Mate ist eine sehr einfache und leicht zu erlernende Desktopumgebung die nicht unbedingt alle paar Monate ein Update braucht. Sie funktioniert einfach gut und für zukünftige Techniken wird Mate ja fit gemacht. Also - Alles Gut!!

Ralph
Geschrieben von Ralph am 5. April 2024 um 10:06

Danke für den Artikel! Ich nutze Debian stable mit Gnome, das ist, seit ich zu Linux gewechselt bin, mein Lieblingsdesktop. Und ich bin froh, dass ich nur alle 2 Jahre mit einer neuen Version beglückt werde. Ich habe auf einem Zweitrechner Fedora am laufen und finde teilweise nervig, wie aus meiner Sicht beinahe "mit Gewalt" von Version zu Version bei Gnome Dinge geändert werden. Da tut es gut, auch noch, auch noch beständigere Alternativen gibt. Und wer weiß, vielleicht steige ich dann doch nochmal auf MATE um.

MM
Geschrieben von MM am 9. April 2024 um 17:31

"Updated 9 hours ago" oder "Updated 3 days ago" ließt sich ziemlich positiv.

"Liest" kommt von "lesen", also nix mit "ß"...

Felix Daum
Geschrieben von Felix Daum am 10. April 2024 um 18:29

Hallo, vielen Dank. Der Rechtschreibfehler wurde korrigiert.

Felix vom Core-Team