Gründe für Rolling Releases

  Ralf Hersel   Lesezeit: 5 Minuten  🗪 22 Kommentare

Unerfahrene Anwender sollten sich nicht vom Einsatz einer Rolling-Release-Distribution abschrecken lassen.

gründe für rolling releases

Ihr habt die Wahl zwischen zwei Arten von Desktop-Distributionen:

  • Fixed-Release-Systeme, die zwar Sicherheitsaktualisierungen bieten, aber in der Regel Anwendungsaktualisierungen bis zur nächsten Versionsveröffentlichung hinauszögern; oder
  • Rolling-Release-Systeme, bei denen alle Pakete regelmässig aktualisiert werden, sodass unter normalen Umständen keine Neuinstallation oder Versionsaktualisierung erforderlich ist.

Es gibt mehrere Gründe, eine Rolling-Release-Distribution zu wählen:

1. Aktuelle Anwendungen

Viele Anwender:innen stört es nicht, wenn sie mit alten Versionen ihrer Programme arbeiten, solange diese funktionieren und machen, was nötig ist. Ein Rolling-Release-Benutzer hat immer die neuesten Versionen seiner Anwendungen zur Verfügung und damit in der Regel auch eine verbesserte Funktionalität und Sicherheit. Dass sich mit aktuellen Versionen häufiger Fehler einschleichen als bei abgehangenen Versionen, ist verständlich. Diese Fehler werden für gewöhnlich in kurzer Zeit behoben. Ich arbeite seit einem Jahr mit einem Rolling-Release und kann mich an keinen Fall erinnern, bei dem mich ein solcher unentdeckter Fehler bei der Arbeit gestört hätte.

2. Neuester Kernel

Wenn ein Linux-Benutzer einen neuen Laptop oder Desktop-Computer besitzt, kann der Zugang zu einem aktuellen Linux-Kernel den Unterschied ausmachen, ob sie Linux installieren und ausführen kann. Mit jeder neuen Kernel-Version werden neue Funktionen (einschliesslich Treibern) eingeführt, die Funktionen in das Basissystem einbetten.

Bei einer Rolling-Release-Distribution erfolgt der Zugriff auf den neuesten Kernel normalerweise automatisch. Zwar ist es bei einer Fixed-Release-Distribution oft möglich, einen neueren Kernel zu installieren, aber es besteht die Gefahr, dass dies zu Instabilitäten führt. Bei den meisten Distributionen, egal ob fixed oder rolling, kann der Benutzer mehrere Kernelversionen behalten (zwei oder drei sind üblich), sodass sie im Falle eines Ausfalls einer dieser Versionen mit einer früheren Version booten kann.

3. Früher Zugang zu Innovationen in der Desktop-Umgebung

Aktiv entwickelte Desktop-Umgebungen (DE) wie Gnome, KDE, Cinnamon, Budgie, Mate und LXQt veröffentlichen regelmässige Updates, die oft Fehler beheben und neue Funktionen bieten. Es stimmt zwar, dass eine neue DE beim ersten Start manchmal lästige Regressionen mit sich bringt, aber diese Fehler werden meistens mit den nachfolgenden Point-Releases behoben. Für viele Benutzer lohnt es sich, sich mit kleinen Problemen (wie der Inkompatibilität von Gnome-Erweiterungen) abzufinden, um in den Genuss der neuen Funktionen zu kommen.

4. Kein System-Upgrade erforderlich

Mit einer Rolling-Release-Distribution wird das System ständig aktualisiert und die Notwendigkeit, alle 6, 9, 12 oder 24 Monate ein grosses Release-Upgrade oder eine Neuinstallation durchzuführen, entfällt. Da Release-Upgrades die Ursache für fast alle Probleme mit Fixed-Release-Systemen sind, ist die Möglichkeit, dieses Ritual zu vermeiden, ein wichtiger Grund, sich für eine Rolling-Release-Distribution zu entscheiden.

5. Rolling kann so stabil wie Fixed sein

Die gängige Meinung besagt, dass Distributionen mit festen Releases wie Debian, Ubuntu und OpenSUSE Leap sehr stabil sind, während Rolling-Release-Distributionen wie Arch, OpenSUSE Tumbleweed und Debian Sid von Natur aus instabil sind, da sie ständig neue Paketversionen einführen, die nicht so gründlich getestet werden wie bei festen Releases.

Tatsächlich ist es so, dass Arch, Tumbleweed, Debian "Unstable" (Sid) und die meisten anderen Rolling-Release-Distributionen eine Art Test- oder Evaluierungsphase durchlaufen, bevor Pakete in den Haupt-Repositories veröffentlicht werden. Im Fall von Manjaro, das drei separate Repository-Kanäle anbietet (Stable, Testing und Unstable), ist Unstable fast identisch mit Arch Mainstream, sodass die Arch-Pakete, wenn sie den Stable-Kanal von Manjaro erreichen, genauso gründlich getestet wurden wie viele andere Fixed-Release-Distributionen. Dieses Vorgehen nennt man auch 'curated rolling release' oder 'semi rolling'.

Fazit

Wer Zugriff auf die neueste Software haben und Versions-Upgrades vermeiden möchte, sollte auf eine Rolling-Release-Distro setzen. Diese kann genauso stabil sein wie Fixed-Release-Distros, solange man auf Update-Benachrichtigungen in Foren und E-Mail-Listen achtet und bereit ist, im Internet nach Lösungen für kleinere Probleme zu suchen. Habt ihr bisher einsteigerfreundliche Distribution wie Ubuntu oder Linux Mint verwendet, ist es an der Zeit eine Rolling-Distro auszuprobieren. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass ihr dabei bleiben werdet.

Beispiele für Rolling-Release-Distributionen

Wenn ihr in die 'immer aktuelle Welt' der Rolling-Distros einsteigen möchtet, ist es gut einen Überblick über das Angebot zu haben. Deshalb habe ich mit Minder eine Mindmap erstellt, die aktiv gepflegte Distributionen zeigt:

In der Grafik ist ersichtlich, welche Distro auf welcher anderen aufbaut. Die Zahlen in Klammern geben das Popularitäts-Ranking von DistroWatch wieder (welches mit Vorsicht zu betrachten ist). Meine persönliche Empfehlung für eine rollende Distribution ist Manjaro, weil sie 'curated rolling' ist und somit einen mehrwöchigen Testzyklus durchläuft, bevor die Updates auf euren Rechnern ankommen. Die offiziellen Desktop-Umgebungen bei Manjaro sind KDE-Plasma, GNOME und Xfce.

Tags

Rolling, Rolling-Release-Distribution, Rolling-Release-Distributionen, OpenSUSE, Versionen, Desktop, Linux, Ubuntu

Ruhrpott Mann 😎
Geschrieben von Ruhrpott Mann 😎 am 4. April 2022 um 09:49

Hallo Ralf, dein Beitrag ist super gemacht! Persönlich benutze ich, ein PC mit drei Festplatten, auf Nummer 1 läuft openSUSE Tumbleweed mit dem Gnome Desktop unter Wayland. Auf Nummer 2 läuft Fedora 35 mit dem KDE Desktop unter Wayland, und auf Nummer 3 Solus Linux mit dem Desktop Mate unter X11. Sollte sich jetzt einer fragen, warum ich das mache, weil ich Rolling-Release-Systeme mag und damit auch keine Probleme habe.

Hugo
Geschrieben von Hugo am 4. April 2022 um 09:49

Wegen Punkt 4 habe ich auf Siduction gewechselt. Ich hatte keine Lust und keine Ahnung mein System neu aufzusetzen. (Ich bin nur Nutzer, der das System bedienen kann, mehr nicht) Bei meinem Debian-basierendem System war es so, dass ich vorher mittels verschiedener Tools meine Konfigurationen gesichert habe. Dann habe ich das Upgrade mit einer Neuinstallation durchgeführt (inklusive /home löschen) und wollte die Sicherung vom Backup wieder zurückspielen. Das Backupprogramm wurde auch aktualisiert. Anschließend konnte es seine alten Sicherungen nicht mehr lesen und ich somit keine Wiederherstellung durchführen. Das passt dann wie die Faust aufs Auge, wenn man keine tiefergehenden Kenntnisse hat.

Wenn man als Linux-Nutzer - ich betone Nutzer - das System im täglichen Leben nur benutzt, ist man solchen Upgrades, die eine Neuinstallation erfordern, ausgeliefert. Deshalb habe ich meinen Frieden mit Siduction gefunden. Die Routine beim Update bleibt immer gleich. Ich habe meine Ruhe.

mb
Geschrieben von mb am 4. April 2022 um 10:25

Ich habe Debian von 10 auf 11 durch upgrade aktualisiert. Neuinstallation ist da nicht nötig gewesen. Dauer insgesamt ca 30 Minuten (incl download der Pakete), downtime keine 5 Minuten

Johannes
Geschrieben von Johannes am 4. April 2022 um 09:53

Danke für die Meinung! Gegenmeinung: Ich habe Rolling Releases (Manjaro, Debian Sid) verwendet und verwende sie noch - auf meinem Entwicklungs-PC. Auf meinem Daily Driver für den täglichen Einsatz läuft Debian Stable und das aus Erfahrungsgründen aus zwei Jahren Einsatz.

Nico
Geschrieben von Nico am 4. April 2022 um 10:41

Ich gehe lieber den Mittelweg mit einem aktuellen Point-Release-Zyklus ala Fedora. Silverblue ist diesbezüglich sehr stabil, Flatpaks sehr aktuell. Das Beste aus beiden Welten.

Fryboyter
Geschrieben von Fryboyter am 4. April 2022 um 11:05

Man sollte vielleicht noch darauf hinweisen, dass der Begriff "stable" zwei Bedeutungen hat. Einmal im Sinne von problemfrei. Und einmal im Sinne, dass sich bei einem Update möglichst nichts ändert, sodass keine Anpassung der Konfigurationsdateien nötig ist oder sich die Bedienung ändert.

Daher ist, ausgehend von meiner eigenen Erfahrung, Arch Linux sowohl ziemlich stable, aber gleichzeitig auch unstable.

https://bitdepth.thomasrutter.com/2010/04/02/stable-vs-stable-what-stable-means-in-software/

Ich für meinen Teil bevorzuge rollende Distributionen vor allem deswegen, weil man sich somit ein großes Update alle paar Monate / Jahre ersparen kann.

joerg
Geschrieben von joerg am 4. April 2022 um 12:23

Danke Ralf, dein Beitrag hat mich etwas grübeln lassen:

Die Frage ist ja, "muss man immer die neuste Funktionalität haben"? Durch die App-Stores von Apple und Google erwarten wir Nutzer, dass eine Anwendung regelmäßig neue Funktionen bekommt. Neue Funktionen machen das System aber nicht einfacher: Stichwort: KISS

Ich finde daher ein Fixed-Release-System von einem Release-Zyklus von 6 bis 12 Monaten einen guten Kompromiss. Solange nutze ich Debian Stable. Probier aber Arch heute mal aus ;)

Ralf Hersel
Geschrieben von Ralf Hersel am 4. April 2022 um 18:41

Hi Joerg. Selbstverständlich gibt es nicht die eine richtige Variante. Ich habe seit 16 Jahren Ubuntu verwendet und später nur noch alle 2 Jahre die LTS neu installiert. Auch bei meiner Familie. Damit bin ich immer gut gefahren und fand die Software auch nicht veraltet. Was mich genervt hat, war alle 2 Jahre auf 6 PCs neu zu installieren. Jetzt fahre ich seit 1 Jahr Manjaro und hatte damit noch keine Probleme. Die neuste Software nehme ich dabei als angenehmen Nebeneffekt mit.

joerg
Geschrieben von joerg am 6. April 2022 um 11:29

guter Punkt! Denke Debian sollte zukünftig sicherstellen, das Upgrades auf ein neues Release genau so "sauber" sind wie eine Neuinstallation.

kamome
Geschrieben von kamome am 4. April 2022 um 13:14
  1. Kein System-Upgrade erforderlich

Doch, nur ständig ;) Meistens in kleinen Schritten, aber manchmal sind auch die nicht problemfrei. Beides kann genau das Richtige sein.

Rosika
Geschrieben von Rosika am 4. April 2022 um 16:22

Hi. Eine Frage zusätzlich: Wie steht es es eigentlich um die Download-Datenmenge? "Verbraucht" ein Rolling-Release mehr Daten als ein Fixed Release? Mein Innternetzugang besteht aus eim 4G-Stick (5 GB Highspeed/28 Monate). Damit komme ich mit Lubuntu 20.04.4 gut aus. Es bleiben meist noch über 1 GB Daten am Ende übrig. Würde ein Rolling-Release mich "mehr Daten kosten"?

LG. Rosika :-)

Rosika
Geschrieben von Rosika am 4. April 2022 um 16:48

Sorry. ich merke gerade, daß ich mich verschrieben habe: Ich meint natürlich: 5 GB/28 TAGE. Das ist mein Tarif. :-)

Ralf Hersel
Geschrieben von Ralf Hersel am 4. April 2022 um 18:44

Hallo Rosika. Ja, ein Rolling Release lädt wesentlich mehr Daten herunter. Bei mir sind das (über den Daumen gepeilt) ca. 1 GB pro Woche. Ist auch klar, weil laufend (bei Manjaro getaktet, weil es curated-rolling ist) von allen Paketen die Updates kommen. Bei LTS hast du laufend die Sicherheits-Updates, aber keine neuen Versionen von Anwendungen. Das ist viel weniger.

Jx
Geschrieben von Jx am 4. April 2022 um 18:46

Also ich bin neulich zu Artix Linux (Arch Basis) gewechselt und es fallen deutlich mehr Updates an als bei Debian oder Ubuntu zum Beispiel. Es kann schon mal passieren, dass du Updates von 200 MB bekommst und wenn du zusätzlich noch ein Desktop wie zum Beispiel KDE Plasma benutzt, kann das noch mehr werden.

Es gibt natürlich auch Zeiten, in denen weniger Updates anfallen, doch aus Erfahrung würde ich sagen, dass 5 GB plus normales Surfen schon echt knapp werden könnten....

Hugo
Geschrieben von Hugo am 4. April 2022 um 18:56

Ich würde sagen, ja es verbraucht mehr Daten und nein es verbraucht nicht mehr Daten. Ja, wenn du täglich Updates lädst und: Nein, wenn du es seltener machst. Die Updates der Pakete sind ja die selben, nur eben auch in kleineren Schritten. Wenn du ein paar Tage auslässt, überspringst du eben ein paar Mini-Updates.

joerg
Geschrieben von joerg am 6. April 2022 um 11:26

Im Sinne der Datensparsamkeit ist dies auf jeden Fall ein Pluspunkt für Fixed-Release-Systeme!?

Rosika
Geschrieben von Rosika am 8. April 2022 um 13:37

@ Ralf Hersel: Vielen Dank, Ralf, für Deine Aufklärung.1 GB pro Woche ist schon viel. Da bräuchte man einen DSL-Anschluß mit Flatrate. Für mich aus bestimmten Gründen derzeit nicht machbar. So bleibe ich vorerst bei einem Fixed Release. Herzlichen Dank nochmals für die Info. LG. Roiska :-)

Rosika
Geschrieben von Rosika am 8. April 2022 um 13:41

@JX: Danke für Deine Meinung. Ja, diese Zahlen sprechen dann wohl eher für (in meinem Falle) ein Fixed Release. Aber toll ist es, Zahlen aus der Praxis zu bekommen, bevor man sich (falsch) entscheidet. Danke nochmals und LG. Rosika :-)

Rosika
Geschrieben von Rosika am 8. April 2022 um 13:43

@joerg: Danke für Deine Meinung. Das sehe ich nun genauso. LG. Rosika :-)

Helmut
Geschrieben von Helmut am 4. April 2022 um 20:08

Danke für den Artikel! Bei mir läuft seit version 0.8 nur noch manjaro. Bin auch kein nerd, würde mich als versierten Anwender sehen. Probleme? Einmal ging das update mit Pamac (grafisch) nicht. Seither mache ich es in der komandozeile. Dann gab es mal einen Wechsel der themes mit hässlichem Resultat. Am meisten beeindruckt mich, dass jedes mal mindestens 1 GB download in ca 10 Minuten installiert sind, und arbeiten kann ich auch noch nebenbei. Wenn ich daneben das bekannte 'professionelle' $ystem sehe wie es erst mal runter fährt... Bei uns im 'haus' würde man mich dienstlich gerne umbiegen. Ich bleibe bei meinem 'spielzeug'!

UbIx
Geschrieben von UbIx am 4. April 2022 um 22:31

Als (open)SUSE nutzer seit über 20 Jahren, benutze ich Tumbleweed seit Anfang an (früher musste man das noch vom Stable umstellen). In dieser Zeit gabe es bis auf den ekligen Firefox BUG eigentlich wenig, was wirklich mehr als ein paar Tage Probleme bereitet hat. Tipp: Sollte es doch mal beim Booten Probleme geben, kann neben dem Roll back (also einen alten Kernel) oder bei Verwendung von btrfs (insbesondere bei Rolling Releases empfehlenswert) einen vorherigen snapshot zu booten (geht bei Tumbleweed auf jeden Fall sehr gut). Wenn alle stricke reißen, geht auch das updaten mit dem Boot-ISO sehr gut. Danach lief bisher dann wirklich jeder PC wieder (nicht nur bei Rolling Releasesl 😉).

Thorsten
Geschrieben von Thorsten am 10. April 2022 um 15:57

Klasse Artikel!

Was ich auch sehr empfehlen kann ist Gentoo oder Funtoo, wem es zu viel gefummel und eine zu große Hürde darstellt wegen der Source-Basis der sollte sich unbedingt Redcore ansehen, quasi ein Manjaro für Gentoo. Dort hat man Sisyphus-(GUI) als Paketverwaltung, hat aber durchaus die möglich alles auch über Portage-Tools (standard-Gentoo Paketverwaltung) zu verwalten, wer weiter in Gentoo einsteigen möchte und es dann später ganz auf Gentoo oder Funtoo umzubauen. ;) P.S. kleines feines rooling = Void Linux