Mögt ihr Tier Lists?

  Ralf Hersel   Lesezeit: 4 Minuten  🗪 5 Kommentare

Chris Titus Tech bewertet in diesem Tier List Video GNU/Linux-Distributionen ganz speziell. Es gibt sogar den Devil-Tier.

mögt ihr tier lists?

Manche kratzen sich verlegen am Kopf, weil sie nicht wissen, was Tier Listen sind. Nun, wenn ihr in den Zoo geht, schreibt ihr euch vorher eine Liste der Tiere auf, die ihr sehen möchtet; oder etwa nicht? Bullshit, eine 'tier list' ist eine Kategorisierung von Elementen nach dem Geschmack einer bestimmten Person. In der FLOSS-Blase sind das oft GNU/Linux-Distributionen, wobei die Tiers (also die Schichten, oder Einordnungsstufen) ganz im Ermessen der Erstellerin der Liste stehen.

Im Titelbild seht ihr eine Tier-List von Chris Titus Tech, in der 40 GNU/Linux-Distribution in sieben Kategorien eingeordnet werden. Tier-Listen werden in der Regel in Videos vorgestellt, damit der Autor die Gründe nennen kann, warum eine bestimmte Distro in einer der Kategorien landet. Dabei wird ein Spannungsbogen gespannt, weil sich die endgültige Tier-Liste im Laufe des Videos entwickelt. Typisch ist auch, dass Symbole für die Einordnung verwendet werden

Manche von euch haben schon viele dieser Tier-List-Videos gesehen. Das Besondere an diesem Video ist die Menge der Distributionen und die Auswahl der Kategorien (Tiers). Hervorzuheben sind die Kategorie 'Devil', mit der Chris auf das aktuelle Geschehen rund um die Red Hat Affäre eingeht und Canonical wegen Snaps only abstraft. Zudem wirft er sehr viele Distros in die Kategorie 'Pointless' (nutzlos), was vielen Anwender:innen sauer aufstossen wird.

Die Kategorie 'Devil' kann man als temporären Spass im Sommerloch deuten. Hintergründiger ist jedoch die Kategorie 'Pointless', weil damit die Grundsatzfrage nach der Distributionsvielfalt angesprochen wird. Chris argumentiert so (paraphrasiert):

Forks, Kopien und Distros, die nur eine eigene Auswahl an Anwendungen hinzufügen, welche man selbst in Debian oder Arch hinzufügen kann. Talentierte Entwickler sollten die Upstream-Distros unterstützten, statt ihre Kraft in ein Derivat mit minimalen Unterschieden zu stecken.

Dieser Ansicht möchte ich energisch widersprechen. Vielleicht gibt es einige wenige Distributionen, die keinen Mehrwert zum Distro-Universum hinzufügen, doch die meisten, die Chris in den 'Pointless' Tier gezogen hat, bieten eben doch Alleinstellungsmerkmale, die von manchen Anwender:innen geschätzt werden. Seien es auch nur kleinere Anpassungen, die den grossen Unterschied machen. Als Beispiel möchte ich Manjaro nennen (ja, auch weil ich selbst Manjaro-User bin). Seine Argumente, warum Manjaro 'pointless' ist, sind:

  • Anfänger installieren AUR-Pakete und zerstören damit ihre Installation. Mein Gegenargument: AUR ist im Paketmanager von Manjaro nicht aktiviert. Wer AUR einschaltet, sollte wissen, welche Konsequenzen das hat. Ich verwende AUR-Pakete sporadisch, und habe mir damit in den letzten Jahren noch nie das System zerschossen.
  • Pacman -Syu hat bei Chris 2019 das System lahmgelegt. Mein Gegenargument: wo steht geschrieben, dass man Manjaro mit 'pacman -Syu' updaten soll? Ausserdem gibt er selbst zu, dass er die Release Notes nicht gelesen hat.
  • Dann sagt er, wenn man eine solche Expertise benötigt, um ein Update einer Distribution machen zu können, sollte man doch besser das Original Arch Linux verwenden. Mein Gegenargument: Arch und Manjaro sind völlig unterschiedliche Distributionen. Das fängt schon beim Release-Modell und den Repositories an. Manjaro ist nicht 'rolling', sondern 'curated rolling'. Manjaro verwendet eigene Repositories, die zwar auf den Arch-Repos aufbauen, Änderungen aber eine Weile zum Testen zurückhalten. Ausserdem ist Manjaro in Bezug auf die Benutzungsfreundlichkeit in vielen Teilen auf Anwender:innen mit einer durchschnittlichen Erfahrung ausgelegt, während sich Arch Linux immer noch an Profis richtet.

Bei den weiteren Distributionen, die Chris als 'nutzlos' bewertet, könnte ich genauso viele Gegenargumente anbringen, die die Existenz dieser Distros rechtfertigen.

Fazit

Die Welt der GNU/Linux-Distributionen lebt von ihrer Vielfalt und grenzt sich damit von monolithischen Betriebssystemen wie MS Windows und Apples macOS ab. Das ist einerseits ein Alleinstellungsmerkmal und eine Stärke, andererseits erschwert es den Einstieg für Umsteiger und Anfängerinnen. Es gehört zum Reiz von GNU/Linux-Distributionen, sich in den unendlichen Weiten seinen Lieblingsplaneten auszusuchen, wobei einem die Community hilfreich zur Seite steht.

Daher ordne ich das Tier-List-Video von Chris Titus Tech in die Kategorie 'pointless' ein.

Hinweis: Eigentlich wollte ich in diesem Artikel auch noch über das "Making of Tier Lists" schreiben. Das kommt dann in einem eigenen Beitrag.

Quelle: https://invidious.tiekoetter.com/watch?v=KyADkmRVe0U

Tags

TierList, Distributionen, Einordnung, Bewertung, Distro

Fedorauser
Geschrieben von Fedorauser am 13. Juli 2023 um 09:10

Nun ja, tier lists kann man auf alles anwenden inkl. als Bewertungssystem der eigenen Präferenz. Als Maßstab dienen sie eigentlich nicht und dennoch spiegelt es eine Muster wieder. Ist ja im Prinzip nichts anderes als ein initiiertes Umfragesystem das genau eine Auswertung abbildet. Aus tier lists von 100 Personen kann die gleiche Erkenntnis abgeleitet werden wie bei einer Umfrage. Ich sehe das nicht so dramatisch sondern maximal zu Meinungsabbildung und der Möglichkeit der Einschätzung dieser.

tuxnix
Geschrieben von tuxnix am 13. Juli 2023 um 09:33

Lieber, lieber Ralf. Dieser Chris redet Stuss. Mit einer Information wie ich habe mir mit Pacman das System zerschossen kann man dem Herrn mal an den Kopf greifen, aber es ist wirklich keine Aussage aus der man irgendetwas schliessen kann. Und ja !!!!!!!!! man soll auch Manjaro mit pacman -Syu updaten. Und wenn du was anders behauptest dann fragen wir den P. Müller wie viele seine Tools da drauf zugreifen.

Ralf Hersel
Geschrieben von Ralf Hersel am 13. Juli 2023 um 21:35

Sage ich doch, dieser Chris redet Stuss. Bei "Manjaro Pacman Update" muss ich widersprechen; man sollte eine Distro mit dem Paketmanager updaten, der dafür vorgesehen ist. Natürlich funktioniert pacman -Syu, das ist aber nur die halbe Miete. Was ist mit den AUR-Paketen, den Flatpaks und den Snaps (falls man diese verwendet)? Pamac kümmert sich um mehr, als die Arch-Pakete.

A_User
Geschrieben von A_User am 13. Juli 2023 um 19:01

Ich würde mich über ein Umfrage über gute Linux-Webvideoproduzenten freuen. Wenn man nach Linux-Videos direkt sucht, kommt IMHO nichts gescheites. Hat jemand Tipps?

Art
Geschrieben von Art am 13. Juli 2023 um 21:02

Naja. Ich kann seine Argumentation zu "zuviele Distros" durchaus nachvollziehen, auch wenn ich ihr nicht zustimme - und nicht weil ich Devil (Fedora) und Pointless (Pop!OS) verwende.

Dass Chris eigentlich nur Debian oder Arch als valide Optionen ansieht wusste ich vorher und daher hatte ich kein Bedürfnis mir die Tierlist anzusehen, obwohl ich von seinen beiden Kanälen immer recht gut unterhalten werde..