NomadBSD im Alltag? Ein Erfahrungsbericht

  Niklas   Lesezeit: 10 Minuten  🗪 1 Kommentar

Ich habe das FreeBSD-Derivat NomadBSD auf einem gebrauchten Computer als einziges Betriebssystem installiert und über einen längeren Zeitraum getestet.

nomadbsd im alltag? ein erfahrungsbericht

NomadBSD habe ich bereits in der ersten Jahreshälfte im Rahmen meiner BSD-Reihe vorgestellt. Ich war damals begeistert und bezeichnete es als interessantestes Projekt aus der FreeBSD Reihe. Inzwischen habe ich einen weiteren Desktop Computer, auf dem ich NomadBSD ausführlicher testen kann. Nach anfänglichen Schwierigkeiten habe ich meinen durchaus positiven Eindruck wieder gewonnen.

Es begann mit Treiberproblemen. Mein Computer ist ein HP Compaq aus dem Jahre 2009 mit AMD Athlon X3 CPU, 4 GB RAM und Nvidia Grafikkarte. Ich hatte absolut nicht damit gerechnet, auf einem Desktop Computer aus diesem Baujahr noch auf Treiberprobleme zu stossen. Allgemein werden Desktops ja oft besser unterstützt, als Laptops. "Noch" ist vielleicht auch das falsche Wort, denn eigentlich war das Problem ein veralteter Treiber.

NomadBSD startete mit einer Bildschirmauflösung von 1024x768 und VESA Grafik. Da ich einen Full-HD Bildschirm nutze, war so alles viel zu gross und sehr unscharf. In den Einstellungen standen auch nur zwei weitere Auflösungen zur Verfügung, die noch kleiner waren. Der richtige Treiber für meine Grafikkarte wäre eigentlich der proprietäre nvidia-304 Treiber, aber der wird nicht mehr gepflegt und ist nicht mehr mit der aktuellen Xorg Version kompatibel. Abhilfe schafft der Open-Source Xorg Treiber xf86-video-nv. Nach Anpassungen in der Xorg Config und einer eigenen Modeline läuft das nun einwandfrei.

Alle anderen Treiber funktionieren, hier gibt es nichts zu beanstanden. Auch WLAN mit einem ganz normalen WLAN USB-Stick funktioniert ohne weiteres. Noch bevor ich die Grafikprobleme behoben hatte, führte ich ein vollständiges Systemupdate durch. Es kann ja nie schaden, alle Programme auf dem aktuellsten Stand zu haben. Die Geschwindigkeit hierbei war unterirdisch.

Ich habe Pakete im Schnitt mit etwa 50 kbit/s heruntergeladen, schneller als 100 kbit/s wurde es nie. Das deckte sich überhaupt nicht mit dem Speedtest, der auch meinem NomadBSD Computer eine hervorragende Anbindung bescheinigte. Nun, in meinem ersten Review von NomadBSD nannte ich noch den "Vorteil", dass es direkt auf FreeBSDs Repository zugreift und damit eine riesige Softwareauswahl zu bieten hat.

Leider sind FreeBSDs Server aber alles andere als schnell und chronisch überlastet. Dazu finden sich einige Berichte im Internet, alle mit der Antwort, dass man da auch nichts machen kann: Das FreeBSD Projekt besitzt eine handvoll offizielle Mirror Server unter .freebsd.org Subdomains und hat sie unter pkg.freebsd.org als CDN zusammengeschaltet, aber inoffizielle Mirror Server mit möglicherweise besseren Geschwindigkeiten existieren nicht. Diese sind vom FreeBSD Projekt nicht gewünscht und die Hardwareanforderungen an so einen Mirror wären für die meisten auch zu hoch.

Ich konnte die Downloadgeschwindigkeit massiv erhöhen, indem ich die Anfragen über Tor leitete. Ja, wirklich, Tor machte ausnahmsweise mal etwas schneller als die direkte Verbindung. Mit torsocks pkg upgrade bekam ich durchschnittlich 500 kbit/s, zeitweise sogar mehr. Nicht beeindruckend, aber eine spürbare Verbesserung. Deshalb mein Tipp: Wenn ihr beim Download von Paketen bei NomadBSD, FreeBSD oder anderen Systemen auf FreeBSD Basis Probleme habt, probiert doch mal Tor.

Wie ich nach dem Update schnell herausfinden musste, macht ein vollständiges Update im aktuellen NomadBSD 130R-20210508 die gesamte grafische Oberfläche kaputt. Wenn man sich richtig vorbereitet, kann man das aber vermeiden. Hier sind einige manuelle Eingriffe nötig, die NomadBSD auf einer speziellen Seite ausführlich beschreibt. Wenn man sich daran hält, geht mit dem Update nichts mehr schief.

Nun ist meine NomadBSD Installation also auf dem neuesten Stand und einsatzbereit. Meine erste Tätigkeit am neuen System war natürlich die Installation der aktuellen Firefox Version. Vorinstalliert ist die ESR Version. Vorteilhaft: Der normale Firefox ersetzt die ESR Version vollständig und behält dabei alle Einstellungen und Add-ons, die man vorher in der ESR Version vorgenommen/installiert hat.

Ich mache also alle meine Einstellungen wie auf jedem neuen Gerät üblich und installiere die gleichen Add-ons, wie immer. Was sofort auffällt: Webseiten laden wesentlich schneller, als auf dem Raspberry Pi 400. Das erstaunt mich, denn dort läuft ebenfalls Firefox und die Konfiguration ist nahezu identisch. Beide sind mit dem gleichen WLAN Netzwerk verbunden. Beide leiten den Traffic durch eine lokale Tor-Installation.

Vielleicht liegt es daran, dass auf dem NomadBSD Firefox noch keine Nutzerdaten von fast einem Jahr lasten. Vielleicht ist die 12 Jahre alte 3-Kern-CPU aber auch schneller, als das Quad-Core-SoC des neuesten Raspberry Models. Oder es liegt am Festplattenzugriff, der bei einer SATA Festplatte natürlich schneller ist, als bei einer SD-Karte. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass das Betriebssystem FreeBSD einfach performanter ist, als Linux. Nun, so ganz genau wird sich der Fall wohl nicht aufklären lassen. Es bleibt aber ein sehr positiver Gesamteindruck, was die Performance auf der betagten Hardware betrifft.

Weil mich der Unterschied wirklich interessierte, entschloss ich mich, das SilverBench Benchmark zu starten. Der NomadBSD Computer kommt auf 1572 Punkte, der Raspberry Pi 400 nur auf 939 Punkte. Am besten schneidet der Haiku Computer mit seiner 8-Kern i7 CPU ab. Normalerweise wäre das nicht erstaunlich, aber da der Otter Browser dort nur einen einzigen CPU Kern nutzt, sind die 2919 Punkte doch beeindruckend.

Vieles, was man so für die alltägliche Arbeit am Computer braucht, bringt NomadBSD direkt mit. Dass hier Qt und GTK Programme gemischt werden, merkt man kaum. Sie haben alle das gleiche Systemtheme und sind damit gut aufeinander abgestimmt. Als komplette Office Suite ist LibreOffice vorinstalliert. Weil mir das für meine Zwecke zu überladen ist, installiere ich mir AbiWord dazu. Gar kein Problem: Es ist im FreeBSD Repository verfügbar und kann mittels OctoPkg Paketmanager mit ein paar Klicks installiert werden.

Wenn ich nicht gerade Artikel schreibe, dann schreibe ich meistens Software. Eine erfreuliche Überraschung ist, dass NomadBSD mit Geany sogar das passende Programm vorinstalliert hat. Die leichtgewichtige IDE auf GTK-Basis macht einen übersichtlichen Gesamteindruck und scheint zu funktionieren. So kann ich mir den über 200 MB grossen Download von KDevelop erst einmal sparen. Falls ich es später doch brauche, ist es im FreeBSD Repository nur einen Klick entfernt.

Damit es mir nie langweilig wird, will ich auch ein paar Spiele ausprobieren. Auch das ist gar kein Problem. Ich finde Teeworlds und Minetest sehr gut. Beide sind Open-Source und sind im FreeBSD Repository verfügbar. Beide starten ohne Schwierigkeiten. Bei Minetest bewegt sich das Bild leider überhaupt nicht flüssig, was an der alten Grafikkarte liegen dürfte. Für Teeworlds reicht sie noch, das läuft problemlos.

Aber nun zurück zu NomadBSD selbst und seiner Desktopumgebung. Diese Eigenentwicklung, die aus Openbox Window Manager und Plank Dock zusammengesetzt ist, gefällt mir auf den ersten Blick sehr gut. Sie ist modern und übersichtlich und benötigt nur wenige Systemressourcen. Auf den zweiten Blick beginnt sie, etwas chaotisch zu werden. Ein grosses Programm, das alle möglichen Systemeinstellungen abdeckt, gibt es nicht. Stattdessen gibt es im Startmenü eine Kategorie für Einstellungen, wo die Einstellungsprogramme der einzelnen Desktop-Komponenten zu finden sind. Sie haben alle ein unterschiedliches Bedienkonzept, nur das gleichbleibende GTK und Qt Theme sorgt für einen halbwegs einheitlichen Eindruck.

Viel störender finde ich aber die Art und Weise, wie Tray Icons hier funktionieren. Nur die WLAN-Einstellungen öffnen tatsächlich ein ganz normales Menü unter dem Icon, wie man es von anderen Systemen gewohnt ist. Wenn ich die Lautstärke ändern will und dazu auf den Lautsprecher klicke, öffnet sich ein Fenster vom DSBMixer mit allen möglichen Einstellungsmöglichkeiten, die ich an der Stelle höchstens bei Rechtsklick → Erweitert erwarten würde. Mit Linksklick erwarte ich einen ganz simplen Schieberegler, der bei NomadBSD scheinbar gar nicht existiert.

Klicke ich auf den USB-Stick, öffnet sich ein ganzes Fenster mit USB Datenträgern in einer grossen Kachelansicht. Ja, das funktioniert, aber ist meiner Ansicht nach auch wieder zu komplex. Wenn ich hier klicke, erwarte ich eine kompakte Liste mit eingehängten USB Datenträgern, die ich durch einen Klick auf den jeweiligen Eintrag unmounten kann, um sie sicher zu entfernen. Vielleicht ist das ja Meckern auf hohem Niveau, aber an der Stelle würde ich mir schon wünschen, dass NomadBSD das noch vereinfacht und vereinheitlicht.

Natürlich könnte ich auch einfach eine andere Desktopoberfläche installieren. Das FreeBSD Repository bietet alle beliebten Desktops von Linux ebenfalls an. Dann hätte ich mir den Umweg über NomadBSD aber sparen können und direkt eine FreeBSD Installation von Hand einrichten. Ausserdem ist der NomadBSD Desktop sehr leichtgewichtig. KDE Plasma würde die alte Hardware sicherlich stärker beanspruchen. Ich bleibe also dabei.

Nun muss aber auch gelobt werden, was funktioniert. Das ist erst einmal FreeBSD 13.0 als Basis für NomadBSD. Es ist ein sehr stabiles und schnelles System und bringt in der aktuellen Version alle notwendigen Treiber mit. Bei Version 12.3 hatte ich noch Probleme mit dem Internet. Ungewohnt für mich als langjähriger Linux Nutzer ist vor allem das Init System. Hier gibt es kein Systemd, sondern rc.d. Wenn man sich einmal daran gewöhnt hat, funktioniert das aber ebenso gut. Ansonsten ist die Bedienung von FreeBSD sehr ähnlich zu Linux, die meisten Terminalprogramme sind identisch, das macht den Einstieg für mich relativ einfach.

Was ich ebenfalls nochmal positiv hervorheben möchte, ist die fish Shell, die ich schon bei meiner ersten Vorstellung von NomadBSD gelobt habe. Vor allem für Anfänger, an die sich NomadBSD ganz klar richtet, ist diese ein grosser Vorteil. Sie gibt Vorschläge, wenn man beginnt einen Befehl zu tippen, so muss man diesen nicht ganz auswendig können. Und selbst für mich ist sie eine Hilfe, muss ich doch so nicht immer alle Befehle, Datei- und Ordnernamen ausschreiben, sondern bekomme von fish Vorschläge beim Schreiben und kann den Vorschlag mit der rechten Pfeiltaste übernehmen. Wenn man sich einmal daran gewöhnt hat, möchte man nicht mehr darauf verzichten.

Fazit: NomadBSD überzeugt. Es ist ein schnelles, stabiles System, das noch viel aus der alten Hardware rausholt und alles mitbringt, was ich für meine alltäglichen Aufgaben brauche. Ich finde zwar hier und da ein paar Kleinigkeiten, wo ich Verbesserungspotenzial sehe, aber welches System ist schon perfekt? Wer mal über den Linux-Tellerrand hinausblicken möchte, dem kann ich NomadBSD wirklich empfehlen. Es ist ein benutzerfreundlicher, unkomplizierter Einstieg in ein höchst interessantes Betriebssystem, dessen Geschichte schon lange vor Linux begann und das für Stabilität und Performance steht.

Tags

NomadBSD, FreeBSD, WLAN, Computer, Version, Desktop, Firefox, Linux

kamome
Geschrieben von kamome am 29. November 2021 um 21:37

Interessant, danke für den (erneuten) Einblick!

muss ich doch so nicht immer alle Befehle, Datei- und Ordnernamen ausschreiben

Das muss man zwar mit [Tab] auch in anderen Shells nicht ganz, aber fish geht definitiv noch weiter als sonst üblich (bash) und sorgt dabei für mehr Übersichtlichkeit.