Ocenaudio - die Alternative zu Audacity
Do, 14. April 2022, Daniel Schär
Audacity ist zweifelsohne die Go-To-App, wenn es um Audiobearbeitung geht. Schnell mal aber eine Audioaufnahme mit Effekten in Echtzeit und/oder mit externen Plugins bearbeiten geht leider beides bei Audacity nicht. Das hingegen kann ocenaudio. Im folgenden Kurztest möchte ich auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von oceanaudio und Audacity eingehen.
Ocenaudio ist gleich wie Audacity ein freier Audio-Editor für Linux, macOS und Windows. Der wohl wichtigste Unterschied zu Audacity ist, dass keine Mehrspurbearbeitung möglich ist, dafür die Einbindung von VST (Virtual Studio Technology)-Effekten, wodurch sich dem Benutzer eine grosse Fülle von Effekten bietet.
Geschichte
Ocenaudio basiert auf dem Ocen Framework, einer leistungsstarken Bibliothek für die Entwicklung von Anwendungen zur Audiobearbeitung und -analyse auf verschiedenen Plattformen. Die Entwicklung von ocenaudio begann, als eine brasilianische Forschungsgruppe an der Universität von Santa Catarina (LINSE) einen einfach zu bedienenden Audio-Editor benötigte, der mit Funktionen wie der Unterstützung mehrerer Dateiformate, Spektralanalyse und Audiosignalerzeugung ausgestattet war. Bei der Entwicklung von ocenaudio stand vor allem die Benutzerfreundlichkeit im Vordergrund.
Ansichten
Audio-Dateien werden in beiden Apps durch Drag-n-Drop eingefügt werden. Die geöffneten Dateien präsentieren sich in ocenaudio nicht wie bei Audacity in separaten Fenstern sondern am linken Rand in einer Liste, wobei man rasch zwischen einzelnen Dateien wechseln kann. Als Ansicht bietet sich nebst der gewohnten Waveform- zusätzlich die eingebaute Spektrogramm-Ansicht. Mit dieser Ansicht kann man die Frequenzanteile einer Audiodatei mit höchster Genauigkeit darstellen. Besonders sticht heraus, dass auch die Einstellungen des Spektrogramms in Echtzeit angewendet werden, z.B. wenn man die Anzahl Frequenzbänder oder die Dynamikrange anpasst. Hinzu kommt eine FFT-Analyse, wo man die Berechnungsart der Analyse auswählen kann. Abgespielt wird via Jack, PulseAudio oder Alsa. Tastenkombinationen können personalisiert werden. Was ich persönlich an Audacity schätze und bei ocenaudio vermisse, ist die automatische Anzeige eines roten Balken, wenn eine Übersteuerung bei einer Aufnahme vorliegt.
Bearbeitung
Ähnlich wie bei Audacity hat man eine Werkzeugleiste, die nebst den Butter-und-Brot-Funktionen wie Rückgängig, Ausschneiden, Kopieren, Einfügen und Löschen aber noch weitere häufig verwendete Werkzeuge (Normalisieren, Umkehren, Fade-In, Fade-Out) bietet, was den Workflow angenehm macht. Weitere Funktionen wie Kanäle tauschen oder in Mono konvertieren finden sich dagegen im Menü Bearbeiten. Die automatische Geräuschunterdrückung funktionierte in meinem Fall (Laptop-Mikrofon) auch mit einem Klick sehr gut - genauso wie diejenige in Audacity, wo zuerst ein Rauschprofil erstellt werden muss, bevor sie angewendet werden kann. Das Laden von LinuxVSTs muss evtl. in den Einstellungen noch aktiviert und danach ocenaudio neu gestartet werden. Anschliessend konnten diese im Untermenü VST mit entsprechendem GUI geladen werden. Gleich wie in Audacity kann man in oceanaudio Stille, Töne, Rauschen und DTMF (Mehrfrequenztöne) erzeugen und Tags (inkl. Bild) können für MP3 gesetzt werden. Zusätzlich können in einer Markerspur Marker gesetzt werden, was gerade z.B. bei der Bearbeitung von längeren Dateien (Interviews, etc.) hilfreich sein kann. Was bei Audacity sehr praktisch ist, ist das Hüllkurven-Werkzeug, wo man das Volumen grafisch mit einer Hüllkurve zeichnen kann, dies bietet oceanaudio nicht.
Fazit
Für mich ist der Workflow irgendwie griffiger als bei Audacity. Oceanaudio bietet zudem ein gutes Speichermanagement, so dass viele geöffnete und/oder lange Dateien keine bemerkbare Beeinträchtigung der Usability darstellen. Unterstützung für VSTs und Marker sind Features, die für einige den Unterschied ausmachen können. Ein Pluspunkt ist für mich auf jeden Fall das Design der App, das nicht so altbacken wie bei Audacity ist und die Möglichkeit, die Skin und Tastenkombinationen anzupassen. Auch andere Seiten vergleichen die beiden Audio-Editoren, wobei hier Ocenaudio leicht die Nase vorne hat.
Wenn man auf Mehrspur und Hüllkurven verzichten kann, ist ocenaudio eine gute Wahl - auch gerade für alle, die MuseCY nicht trauen, welche ja mit Audacity Datensammlerei betreiben wollte, was im letzten Jahr zu grossem Aufruhr in der Community führte.
Die Entwickler danken für Spenden, um das Programm und die Dokumentation zu verbessern, für Bug-Reports und für alle, die ocenaudio bekannter machen (so wie ich das hier versucht habe).