Serie - Strukturierte Notizen: TiddlyWiki
Do, 20. Oktober 2022, Ralf Hersel
In dieser Serie haben wir viele Note-taking Apps betrachtet; einige waren ganz normal, andere etwas exotisch. Heute gibt es wieder einen Exoten, der zwar ziemlich bekannt ist, aber nicht einfach zu verstehen ist. Es handelt sich um die Ein-Dateien-Anwendung TiddlyWiki.
Beginnen wir, mit dem Marketing-Sprech des Projektes:
Willkommen bei TiddlyWiki, einem einzigartigen nicht-linearen Notizbuch zum Erfassen, Organisieren und Teilen komplexer Informationen.
Verwende es, um deine To-Do-Liste zu führen, einen Aufsatz oder Roman zu planen oder eine Hochzeit zu organisieren. Halte jeden Gedanken fest, der dir durch den Kopf geht, oder erstelle eine flexible und reaktionsschnelle Website.Im Gegensatz zu herkömmlichen Online-Diensten kannst du bei TiddlyWiki selbst entscheiden, wo deine Daten gespeichert werden, sodass du auch in Jahrzehnten noch auf deine Notizen von heute zurückgreifen kannst.
Um sich diesem Wiki zu nähern, kann man die einzige Datei, aus dem die Anwendung besteht, herunterladen. Damit erhält man die gut 2 MB grosse Datei empty.html, die die gesamte App enthält. Ja, ihr habt richtig gelesen, die Datei ist vollgestopft mit HTML, CSS und JavaScript. Es ist keine Installation notwendig, man öffnet diese Datei lediglich im Webbrowser und sieht dann das:
Nachdem ihr dem Wiki einen eigenen Namen verpasst habt, könnt ihr loslegen und mit dem Plus-Zeichen auf der rechten Seite, neue Tiddlers anlegen, wie die Wiki-Seiten in TiddlyWiki genannt werden. Die ersten Schritte sind nicht sehr intuitiv, aber man findet sich zurecht. Es empfiehlt sich, im Feld Default tiddlers 'Main' (oder so) einzutragen, damit man beim Aufruf der Datei nicht auf 'GettingStarted', sondern auf der eigenen Hauptseite landet.
Struktur: Hierarchie, Tags, Weiteres
TiddlyWiki kennt nur wenige Strukturelemente, nämlich verlinkte Seiten und Tags, so wie man es von anderen Wiki-Systemen gewohnt ist. Auf der Startseite 'Main' (oder wie auch immer ihr sie nennen möchtet), könnt ihr nun eine Hierarchie von Seiten und Unterseiten anlegen.
Zudem bietet das Wiki die Möglichkeit, Schlagworte (tags) anzulegen. Diese Funktion ist einfach zu bedienen, wie ihr im nächsten Kapitel sehen werdet.
Editor
Der Wiki-Editor unterstützt kein Markdown, sondern eine eigene Syntax namens WikiText, die eine gewisse Ähnlichkeit mit der Markdown-Syntax aufweist. Es lohnt dich, das Content-Menü auf der Projektseite zu besuchen, da man dort viele Antworten auf Anfängerfragen findet.
Um den Editor zu bedienen, muss man sich nicht unbedingt von Markdown auf die Tiddler-Syntax umgewöhnen. TiddlyWiki bietet eine Toolbar für die Text-Formatierung:
Im Screenshot sieht man oben, die Dropdown-Liste für Schlagwörter und darunter die Formatierungs-Schaltflächen. Unter dem Editor gibt es zwei interessante Felder: Man kann den Inhaltstyp festlegen und eigene Felder anlegen.
Der Content-Type bestimmt, wie eure Eingaben im Editor interpretiert werden. Wählt man hier ein Image-Format aus, kann direkt im Editor gezeichnet werden. Der Vorschau-Modus (Auge-Symbol ganz rechts) erlaubt, das gerenderte Ergebnis in einem eigenen Panel anzuzeigen.
Eine ganz starke Funktion, ist die Möglichkeit, Artikel mit eigenen Feldern anzureichern. Man kann auf eine vordefinierte Liste von Zusatzfelder zurückgreifen, wie z. B. Autor, Name, Beschreibung, Abhängigkeiten oder ganz eigene Felder erzeugen.
Suchfunktion
Die Suche ist permanent in der Seitenleiste verfügbar. Es werden die Anzahl der Treffer angezeigt, und ob sie auf einen Titel oder Inhalt zutreffen. Aus den Suchergebnissen kann direkt zum Artikel gesprungen werden. Eine Markierung der Suchergebnisse im Artikel gibt es nicht.
Import/Export
Im Tool-Menü gibt es eine Import- und Export-Option. Diese kann man anhaken, um die Funktionalität im direkten Zugriff zu haben. Das gilt auch für die vielen anderen Optionen im Tool-Menü.
Beim Import habe ist Text-Dateien, Bilder und PDFs ausprobiert. Alle Dateitypen wurden problemlos als neue Tiddlers importiert. Auffällig ist, dass jeweils ein Import-Tiddler erzeugt wurde, der einen Link zu dem eigentlichen Tiddler mit der importierten Datei enthält.
Die Export-Funktion kann das gesamte Wiki in den Formaten CSV, JSON und Static HTML exportieren.
Usability und Funktionalität
Nun ja, TiddlyWiki ist anders als andere Note-taking Anwendungen. Bisher habe ich nur an der Oberfläche gekratzt und entdecke immer mehr, je länger ich es teste. Es dauert eine Weile, bis man das Konzept verstanden hat. Das beginnt damit, dass es für das Abspeichern der TiddlyWiki-Datei bereits in der GettingStarted-Anleitung diesen Hinweis gibt:
Klickt man eine der Checkboxen an, erhält man mehrere Methoden und Anwendungen, um das Persistieren der TiddlyWiki-Datei umzusetzen. Das reicht von Desktop-Anwendungen über Browser-basierte Lösungen bis zu Hosting-Varianten. Dabei ist es auch möglich, die Notizen aus der Einzeldatei (empty.html) in Dateien pro Notiz zu splitten und zu verwalten. Nehmt es mir nicht übel, dass ich diese Möglichkeiten nicht näher untersucht habe.
Bei der Funktionalität sieht es ähnlich aus. Die schiere Vielfalt würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Das Projekt gibt es seit 18 Jahren und es wird immer noch aktiv weiterentwickelt. Es gibt sehr viele Anwendungen, die spezielle Aspekte von TiddyWiki implementieren und noch mehr Erweiterungen, mit denen der Funktionsumfang erweitert wird. Es lohnt sich auch einen Blick auf die Wikipedia-Seite des Projekts zu werfen.
Statt hier eine riesige Funktionsliste aufzuführen, möchte ich lieber auf einen anderen Aspekt der Anwendung hinweisen. Die Tatsache, dass sowohl das Programm, als auch alle Daten in einer Datei (empty.html) gespeichert werden, erlangt man einen sehr kleinen Footprint, kaum Abhängigkeiten und grösstmögliche Portabilität (es ist kein Problem, TiddlyWiki auf einem USB-Stick zu transportieren und zu betreiben). Anderseits habt ihr es mit Performance-Problemen zu tun, wenn die Anzahl der Artikel in die Hunderte geht. Der Browser muss bei jeder Aktion die gesamte Datei neu laden.
Multi-Plattform
TiddlyWiki ist nichts anderes als eine Webseite, bzw. eine HTML-Datei. Damit ist die Anwendung auf jeder Plattform einsatzbereit, die einen Webbrowser bereitstellt. Es gibt Implementierungen, die TiddlyWiki als Desktop-Anwendung für den GNU/Linux-Desktop implementieren (z. B. TiddlyDesktop), welches ich mit schlechtem Ergebnis ausprobiert habe. Für Android-Smartphones gibt es Tiddloid, welches ich nicht getestet habe. Auch eine WebDAV-Lösung ist vorhanden, um die Datei/en z. B. auf einer Nextcloud zu betreiben. Das TiddlyWiki-Projekt bietet auch ein kostenloses Hosting an. Auf TiddlyHost kann man sich einen Account klicken und seine Notizen dort verwalten.
Synchronisation
Die TiddlyWiki-Datei kann über die üblichen Synch-Mechanismen (Seafile, Nextcloud, usw.) mit dem eigenen Server abgeglichen werden. Wie bereits erwähnt, gibt es mit TiddlyHost auch einen Service vom Projekt selbst. Ausserdem kann man die WebDAV-Umsetzungen verwenden. Es zieht sich wie ein roter Faden durch diesen Artikel: TiddlyWiki kann fast alles, testen konnte ich nur die Basics.
Fazit
TiddlyWiki hatte ich mir vor langer Zeit schon einmal angesehen, und aufgrund seiner Exotik, nicht weiter verfolgt. Im Rahmen dieser Serie, habe ich mir mehr Zeit dafür genommen und bin, je länger, desto beeindruckter. Hat man sich erst einmal durch die seltsame Schale gefressen, kann man bei dieser Anwendung mehr und mehr Funktionen entdecken und Überraschungen erleben. Mein Artikel berührt nur die Oberfläche von TiddlyWiki. Es steckt viel mehr dahinter, als ich hier vermitteln konnte.
Für wen eignet sich TiddlyWiki? Wer dem Wiki-Konzept wohlwollend gegenübersteht, einem etwas anders geartetem Ansatz nicht abgeneigt ist und bereit ist, sich in die Tiefen eines über 18 Jahre entwickeltem Systems hinzugeben, findet in dieser Anwendung ein Juwel. Taucht ein, es lohnt sich.
Quelle: https://tiddlywiki.com/