Verliert die Free-Software-Community ihre Werte?

  Niklas   Lesezeit: 14 Minuten  🗪 11 Kommentare

Wie Chats über Discord, Foren auf GitHub Discussions und Projektseiten mit Google Services dafür sorgen, dass eine Beteiligung an freier Software nicht mehr ohne die Nutzung von unfreier Software erfolgen kann.

verliert die free-software-community ihre werte?

Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Meinungsbeitrag!

Open-Source, also die Möglichkeit, den Quelltext lesen zu können, bringt alleine gar nicht so viel, wie man glauben mag. Viel wichtiger sind die vier Freiheiten, die Richard Stallman im Februar 1986 veröffentlicht hat. Zunehmend schränken Projekte die Freiheit 3 ein, indem sie den Nutzer und Beitragenden dazu zwingen, unfreie Software zu verwenden, um Freiheit 3 wahrnehmen zu können.

Die vier Freiheiten der Freien Software, das sind:

  • Freiheit 0: Die Freiheit, das Programm auszuführen, wie man möchte, für jeden Zweck.
  • Freiheit 1: Die Freiheit, die Funktionsweise des Programms zu untersuchen und eigenen Bedürfnissen der Datenverarbeitung anzupassen.
  • Freiheit 2: Die Freiheit, das Programm weiterzuverbreiten und damit seinen Mitmenschen zu helfen.
  • Freiheit 3: Die Freiheit, das Programm zu verbessern und diese Verbesserungen der Öffentlichkeit freizugeben, damit die gesamte Gemeinschaft davon profitiert.

Eigentlich war GitHub schon immer ein Paradoxon. Die weltweit grösste Plattform zum Hosting von Freier Software, zum Organisieren von Fehlerberichten und Feature-Wünschen und zur gemeinsamen Arbeit am Code nutzt selbst keine freie Software. Es ist eine proprietäre Plattform mit zentralisierten Servern und sie ist nicht mal gemeinnützig, sondern profitorientiert und mittlerweile eine Tochter des Microsoft-Konzerns, der Freie Software verachtet. Wie passt das zusammen?

Ich habe mich immer wieder gefragt, warum wir als Free Software Gemeinschaft das zugelassen haben. Wie wir das überhaupt zulassen konnten. Vielleicht einfach deshalb, weil es im Jahr 2008 die einzige Möglichkeit war, Quelltext unkompliziert ins Internet zu stellen und zugänglich zu machen, ohne einen eigenen Server zu brauchen. Nur ein kleiner Teil der Freien Software Projekte hosten ihren Code noch selbst, obwohl wir mittlerweile quelloffene GitHub Alternativen wie Gitea und GitLab haben.

Der Einfluss von unfreien Netzwerken auf die Entwicklung von Freier Software wird aber trotz der Verfügbarkeit von freien Alternativen immer kritischer. War es 2008 nur der Quellcode, so sind es heute oft auch die Gespräche in der Community. Aus dem freien IRC Protokoll wurde das proprietäre Discord, aus den eigenen Foren der Projekte oder Mailing Listen wurden GitHub Discussions. Und um dem Durchschnittsnutzer, der nichts mit GitHub am Hut hat, einen einfachen Kommunikationsweg zu gewähren, werden oft auch Supportanfragen über Social-Media-Giganten wie Twitter und Facebook bearbeitet.

Der eigene Blog hat sich natürlich auch längst in einen Twitter Account verwandelt, da sind die Posts wenigstens schneller geschrieben. Oder man nutzt das proprietäre Medium, wenn man doch mal etwas mehr zu sagen hat. Und wenn doch noch eine eigene Webseite vorhanden ist, die sogar Kommunikationsmöglichkeiten bietet, dann verwanzt man die natürlich mit einem Google ReCaptcha, sodass ich sie nicht nutzen kann.

Wie passt das alles noch mit der Philosophie der Freien Software zusammen? Wie kann man so noch die Freiheit 3 gewährleisten? Ich kann das Programm zwar verbessern, ohne unfreie Software nutzen zu müssen, aber wie soll ich meine Verbesserungen so den ursprünglichen Entwicklern zurückgeben? Als es nur der Code auf GitHub war, konnte ich auch einen Patch an die Mailing Liste schicken, um GitHub aus dem Weg zu gehen. Oder ich konnte im IRC Chat auf meine Gitea Instanz verweisen.

Wenn ein Projekt aber zu 100 % auf proprietäre Kommunikationskanäle setzt, wie soll ich mich dann beteiligen? Die unfreie Software einfach zu nutzen ist jedenfalls nicht die Lösung, denn proprietäre Software ist oft Malware, wie das GNU Projekt treffend feststellt. Und gerade Discord ist definitiv Malware.

Oft werden diese Entscheidungen unter dem Vorwand der Zugänglichkeit getroffen. Es sei für die Leute einfacher, einem Discord Raum beizutreten, wenn sie diese Plattform ohnehin nutzen. Und es sei für die Leute einfacher, zu einem GitHub Projekt beizutragen, wenn sie dort sowieso auch ihre eigenen Projekte haben. Und nicht zuletzt möchte man auch mit der Zeit gehen. IRC sei veraltet, entspräche nicht mehr dem aktuellen Stand der Technik und sei heute nicht mehr als Projektchat geeignet.

Das Problem ist, dass man die Zugänglichkeit für echte Anhänger der Free Software Philosophie so massiv verschlechtert. IRC ist ein freier Standard, die Serversoftware ist Freie Software und ich kann problemlos dort beitreten, wenn ich zu einem Projekt beitragen möchte. Ich brauche nicht einmal einen Account. Discord ist proprietär. Ich müsste einem US-Unternehmen, das für extrem schlechten Datenschutz, das Durchsuchen von privaten Nachrichten und einige weitere Probleme bekannt ist, meine persönlichen Daten anvertrauen. E-Mail-Adresse und Passwort mindestens. Wenn deren proprietäre Algorithmen irgendeinen Verdacht schöpfen, auch noch die Handynummer. Dazu bin ich nicht bereit.

Ähnlich ergeht es mir mit GitHub. Ich kenne die Geschichte von Microsoft. Ich weiss, wie dieser Konzern mit Konkurrenten umgeht, wie er regelmässig seine Monopolstellung missbraucht und Gesetze bricht, wie etwa die DSGVO. Mir ist auch bekannt, dass Microsoft die Idee der Freien Software verachtet. Ja, Microsoft liebt neuerdings Open-Source. Aber das ist etwas anderes. Microsoft liebt Open-Source, um sich eine funktionierende Engine für seinen Browser klauen zu können, weil man mit Trident und EdgeHTML beispiellos gescheitert ist. Oder um durch das Windows Subsystem for Linux einige Nutzer binden zu können, die ansonsten zu freien Alternativen abwandern würden.

Trotzdem verachtet Microsoft die vier Freiheiten der Freien Software. Dass der Nutzer selbst die Kontrolle über sein System hat, ist ein Gedanke, der denen Angst macht. Und so einem Unternehmen soll ich meinen Quellcode anvertrauen? Warum sollte ich das tun? Ich fasse ja auch nicht mit nackter Hand auf eine kochende Herdplatte...

Als wahrer Verfechter von freier Software wird man so zunehmend ausgegrenzt. Natürlich könnte man alle Projekte forken und mit freier Infrastruktur weiterbetreiben, aber wer hat dazu schon die Manpower? Und würde es die Community nicht noch mehr spalten? Was sind meine Patches wert, wenn sie unbeachtet auf meinem kleinen Server liegen, während 99 % der Nutzer den Bug trotzdem noch haben?

Der Aspekt der Zusammenarbeit ist bei Freier Software unheimlich wichtig. Es ist die Voraussetzung für ein grosses und erfolgreiches Projekt, ohne dass ein Einzelner die ganze Arbeit und Verantwortung tragen muss. Um diese Zusammenarbeit für alle gleichermassen zu ermöglichen, sollten wir uns endlich zu Freie Software als kleinsten gemeinsamen Nenner bekennen.

Es ist am Ende völlig irrelevant, ob die Kommunikation über IRC, XMPP oder Matrix stattfindet, wichtig ist nur, dass es nicht Discord ist. Es ist ebenso irrelevant, ob der Code auf Gitea, Gogs, GitLab oder cgit liegt, wichtig ist nur, dass es nicht GitHub ist. Und welche Forensoftware es denn nun sein soll, oder ob man doch lieber eine einfache Mailing Liste nutzt, ist auch eher weniger bedeutsam. Worauf es ankommt, ist, dass es eben nicht GitHub Discussions ist. Und, dass sich jeder daran beteiligen kann.

Ebenfalls wichtig wäre eine sinnvolle Verteilung der Kommunikationskanäle. Früher war, wie bereits erwähnt, nur der Code auf GitHub. Da konnte man ausweichen. Inzwischen hat GitHub Discussions die Foren abgelöst. Nun stelle man sich einmal vor, GitHub würde auch noch Chats anbieten. Es ist nicht so unrealistisch. MS Teams mit neuem Branding, warum denn nicht? Wenn ein Projekt nun alle Angebote von GitHub vollumfänglich nutzt, ist jeder von der Beteiligung ausgeschlossen, der ein Problem mit der Plattform hat. Wo ist sie denn nun, unsere Freiheit 3?

Das besonders Traurige ist, dass ich diese Bindung an proprietäre Kommunikationskanäle besonders bei jungen Projekten immer häufiger sehe, während die etablierten Projekte doch noch an ihren Mailing Listen und IRC Räumen festhalten. Das Marketing des neuen Microsoft als Freund der Open-Source-Szene scheint also anzukommen. Aber gerade unter den neuen Projekten finden sich sehr viele spannende Ideen und interessante Konzepte und Dinge, bei denen ich mir einfach wünsche, dass sie Erfolg haben.

Es muss sich dringend etwas ändern. Die Philosophie der Free Software Foundation ist heute wichtiger denn je, nachdem wir als Free Software Bewegung so viel erreicht haben und praktisch zu jedem Problem selbst die Lösung liefern können. Wir haben es einfach nicht mehr nötig, uns in proprietäre Abhängigkeiten zu begeben, also sollten wir das auch nicht tun.

Ich hoffe, dass der eine oder andere Projektleiter oder Verantwortliche hier mitliest und seine Entscheidungen überdenkt. Eine Registrierung bei Codeberg oder NotABug kostet genauso viel wie bei GitHub, aber sie ist ethisch das Richtige, weil diese Plattformen auf freier Software aufbauen und von Menschen betrieben werden, die eure Werte teilen.

Eine Registrierung bei Matrix oder XMPP oder die Einrichtung eines IRC Channels kostet auch nicht mehr als ein Discord "Server", der eigentlich gar kein Server ist, aber gibt euch eure Freiheit zurück und erlaubt den Nutzern im Fall von Matrix und XMPP auch, selbst den passenden Server zu wählen, ohne jemanden zu einer proprietären Plattform zu drängen.

Es liegt an euch, den Unterschied zu machen. Ich bin nur ein einzelner Redakteur, der an die digitale Freiheit glaubt und gerne über Freie Software schreibt. Vielleicht bin ich in der Hinsicht auch ein unverbesserlicher Optimist, aber mir ist bewusst, dass ich alleine nicht viel erreichen werde. Ihr, die die Verantwortung für Projekte tragt, es liegt an euch, das Richtige zu tun. Und ihr, die die Software nutzt und euch aktiv beteiligt, es liegt an euch, auf die Probleme mit unfreien Kommunikationskanälen aufmerksam zu machen. Vielleicht haben sich die Verantwortlichen ja noch gar keine Gedanken darüber gemacht.

Ich würde mich über Feedback zu dem Thema freuen. Habt ihr selbst Projekte? Werdet ihr etwas verändern? Beteiligt ihr euch an Projekten? Werdet ihr eure Bedenken weitergeben? War der Artikel hilfreich? Welche Projekte verhalten sich vorbildlich, welche besonders problematisch?

Quellen:

Tags

Software, GitHub, Freiheit, Microsoft, IRC, Projekt

BoNe
Geschrieben von BoNe am 2. Dezember 2021 um 16:15

Super! Manchmal muss man es rausschreien, damit es jemand hört. Je mehr Leute mitmachen, desto größer die Bewegung. Ich hatte letztens eine Diskussion über bezahlen mit GooglePay und Konstorten. Auf die Fragen, warum man das nutzt, kam ein kühles "Convenience", "die haben eh schon meine Daten, und wenn nicht von mir, dann von den Chatpartnern"... das sind dicke Bretter, die man da bohren muss, um dort die Einstellung zu ändern. Da sind die Älteren (Ü60) eher zu überzeugen, als die Jüngeren (U30).

mstngl
Geschrieben von mstngl am 3. Dezember 2021 um 10:09

Guter Punkt. Gerade der ganze Banking-Kram hält einen durchaus bei Playstore & Co. Was sind denn so die freien Alternativen in Sachen mobile Banking und bargeldlosem Zahlen? (Natürlich ist es mir ein Dorn im Auge, dass auch vor GooglePay & ApplePay alles bargeldlose über wenige, private & instransparente Unternehmen abgewickelt wird.)

Gerhard
Geschrieben von Gerhard am 2. Dezember 2021 um 18:53

Wir haben uns mit Lerntools bewusst dafür entschieden bei Codeberg zu hosten und unterstützen Codeberg, indem einer (ich) als Vertreter der Gruppe Vereinsmitglied wurde.

Niklas
Geschrieben von Niklas am 3. Dezember 2021 um 15:44

Das ist eine sehr vorbildliche Vorgehensweise, gefaellt mir! Es ist wirklich schoen, anhand der Reaktionen zu sehen, dass ich wohl doch noch nicht der einzige bin, der bevorzugt zu freier Software greift.

Michael Dietz
Geschrieben von Michael Dietz am 2. Dezember 2021 um 21:28

Volle Zustimmung!

Meine Hypothese: Freie Software wird immer beliebter und mehr Menschen kommen damit in Kontakt. Ich vermute, der harte Kern an entschiedenen FLOSS-Anhängern ist kaum gewachsen, aber es kamen viele dazu, die freie Software gut finden, aber v.a. wenn sie schick, einfach zu bedienen und verbreitet ist. Somit ändert sich das Verhältnis.

Ich selbst benutze lokal nur freie Software. Selbst zu hosten ist aber ein großer Schritt. Ich bin bei Github und fände einen Wechsel zu Gitlab angebracht.

Niklas
Geschrieben von Niklas am 3. Dezember 2021 um 15:46

Die Hypothese koennte schon teilweise stimmen, aber die Leute, die selbst ihre Freizeit opfern, um freie Software zu entwickeln, sind doch bestimmt ueberzeugte FLOSS Anhaenger. Und die haben ja die Wahl der Mittel in der Hand, mit der sie ihr eigenes Projekt entwickeln wollen. Deswegen verstehe ich nicht ganz, dass sich da mittlerweile so viel in die unfreie Richtung bewegt hat.

kamome
Geschrieben von kamome am 3. Dezember 2021 um 00:28

Schön, zu sehen, dass man nicht ganz alleine ist! :)

nutzt selbst keine freie Software

GitHub nutzt sicher viel Freie Software, nur ist es eben keine ;)

Discord war mir schon immer unlieb, aber der spezifischen Probleme war ich mir nicht bewusst – danke, jetzt noch bessere Argumente dagegen :)

Nils
Geschrieben von Nils am 3. Dezember 2021 um 11:12

Mein Grund discord nicht zu nutzen war bisher mein Laptop. Ein Centrino Duo 1.6GHz mit 2GB RAM. Ein Browser-basierter Chat ist da nicht drin - es sei denn ich stehe auf das Lüftergeräusch im "Leerlauf". Sobald man sich dann ausklinkt, nerven einen die Leute mit discord und was das alles kann oder wie auch immer die Argumente sind.

Dadurch kommt es auf die Ich-Verweigere-Mich-Total Liste. Wenn ich sage geht nicht richtig, dann versucht mich einer "zu belabern" -> bewirkt genau das Gegenteil.

Und das hatte ich nicht nur einmal, das wird dann zum Politikum und letztendlich ist meine alte Hardware schuld, dass ich nicht rein kann (will). Verweigern, verweigern, verweigern und zurück zu IRC.

Niklas
Geschrieben von Niklas am 3. Dezember 2021 um 15:49

Stimmt, der Satz war ein bisschen ungluecklich formuliert. Zu Discord: Die Probleme kann ich sogar aus eigener Erfahrung bestaetigen. Bin selbst vor einigen Jahren rausgeflogen, weil ich Tor benutzt hab. Die wollten meine Handynummer, die wollte ich nicht rausgeben und seitdem hab ich es nie wieder angefasst.

Jörg
Geschrieben von Jörg am 6. Dezember 2021 um 09:35

Hi, Danke für diesen Artikel. Da ich mich mit meiner Antwort nicht kurz fassen wollte, habe ich mal in einem eigenen Blogpost geantwortet: https://www.my-it-brain.de/wordpress/meine-antwort-auf-die-frage-verliert-die-free-software-community-ihre-werte/

Viele Grüße Jörg

shift
Geschrieben von shift am 1. Januar 2022 um 19:23

Ein förderlicher Artikel. In Zukunft werde ich bewusster mit diesem Themenkomplex umgehen.