Rembrandt van Rijn, „Der Philosoph“ (1633) – Darstellung eines Innenraums des Elfenbeinturms
Die Idee zu diesem Artikel kam mir, als ich die News durchscrollte und mir zwei neue Ubuntu-basierte Distros auffielen: VailuxOS aus Bissendorf in Deutschland und DraugerOS von Thomas Castleman. Erstere Distro ist in diesem Jahr auf den Markt gekommen; die zweite gibt es schon seit 2022, obwohl ich noch nie davon gehört oder gelesen habe. Beide Distributionen basieren auf Ubuntu. Das war mein Triggerpunkt. Ich bin durchaus für Vielfalt bei den Distributionen, aber braucht es wirklich das hundertste Dritt-Derivat?
Deshalb habe ich eine Liste von 30 populären Linux-Distros erstellt und deren Abhängigkeiten angegeben. Dafür habe ich zwei (fragwürdige) Quellen verwendet:
- Distrowatch (letzte 12 Monate). Ihr wisst, dass Distrowatch (gemäss Selbstdeklaration) eine unzuverlässige Quelle ist, weil die Seite nicht die Nutzer- oder Downloadzahlen misst, sondern die Klicks auf Distros zählt, die bei Distrowatch gelistet sind. Das ist eine selbsterfüllende Prophezeiung.
- Eine Auswertung von M. Shojaei auf der Developerseite dev.to. Dort wurde dieses Verfahren angewandt:
"Wir haben ChatGPT, Perplexity AI und xAI Grok mit 10 Millionen Beiträgen aus Reddit, X/Twitter, YouTube-Kommentaren, Mastodon, Discord-Protokollen, GitHub-Issues und Nischen-Tech-Foren gefüttert. Anschließend haben wir die Distributionen nach dem kombinierten Volumen und der Stimmung dieser Unterhaltungen bewertet. Diese Liste spiegelt wider, was echte Menschen Mitte 2025 aktiv diskutieren und empfehlen, und nicht nur die reinen Installationszahlen." - Dann habe ich Lumo befragt. Interessanterweise hat sich diese KI auch auf die dev.to-Seite bezogen.
- Ausserdem habe ich bei Statista und W3Tech nachgesehen, doch deren Zahlen waren zu alt (2023).
Von den 30 Distributionen habe ich alle aussortiert, die nicht in allen Listen erschienen und die für Server oder ARM-Systeme gedacht sind. Es sind 14 Distros übrig geblieben:
| Distribution | Derivat von |
| Arch | Original |
| Debian | Original |
| Fedora | Original |
| openSUSE | Original |
| NixOS | Original |
| EndeavourOS | Arch |
| Garuda Linux | Arch |
| Manjaro | Arch |
| Ubuntu | Debian |
| MX Linux | Debian |
| KDE Neon | Ubuntu, Debian |
| Linux Mint | (Ubuntu), Debian |
| Pop! OS | Ubuntu, Debian |
| ZorinOS | Ubuntu, Debian |
Die Liste habe ich zuerst alphabetisch nach Namen geordnet und dann nach Derivat gruppiert. Die Sortierung sagt somit nichts über die Popularität oder die Download-Zahlen aus. Ich schätze, dass über 90 % der Linux-Anwender:innen eine der oben genannten Distributionen verwenden.
Warum verwenden die Ein- und Umsteiger nicht die Originale?
Im Rahmen der EndOf10-Kampagne hat sich gezeigt, welche Distributionen bei Ein- und Umsteiger:innen beliebt sind, bzw. von Kennern empfohlen werden. Das sind: Linux Mint, ZorinOS und Ubuntu. Mit einem Marketing-Stunt konnte ZorinOS über 100'000 neue Anwender:innen verbuchen. Bei Mint und Ubuntu sind mir keine Zahlen bekannt, die sich durch das Ende von Windows 10 ergeben haben.
Bei den drei genannten Einsteiger-Distros handelt es sich um Derivate von Ubuntu und Debian. Warum ist das so? Sollte es nicht ein Anspruch der unabhängigen Distributionen sein, Neulinge für ihr Produkt gewinnen zu können? Es sieht so aus, als würden es nur die Derivate in zweiter Ableitung schaffen, eine Betriebssystem-Erfahrung zustande zu bringen, mit der Normalanwender arbeiten können.
Offensichtlich gelingt es den Derivaten, die Unterlassungen der Originale auszubügeln. Dabei geht es meistens um diese Funktionen:
- Installation
- Konfiguration
- Paketmanagement
Mehr Mergen, weniger Forken
Ich bin der festen Überzeugung, dass zu viel Geforkt und zu wenig Gemerged wird. Dabei beziehe ich mich weniger auf Anwendungen, sondern eher auf Distributionen. Es gibt über 1000 Linux-Distributionen. 90 % davon sind Hobbyprojekte von Einzelpersonen oder kleinen Gruppen. Die Linux-Welt würde besser aussehen, wenn sich diese vielen Personen in etablierte Projekte einbringen würden, anstatt jeden Tag das Rad neu erfinden zu wollen, um es nach einem Jahr wieder aufzugeben.
Fazit
Die soliden Original-Distributionen sollten vom Elfenbeinturm herabsteigen und ihre wertvolle Arbeit einer grösseren Öffentlichkeit zugutekommen lassen. Ich wünsche mir, dass Debian, Arch, Fedora und openSUSE als einsteigerfreundlich gelten. Sorry, NixOS. Und sorry, VailuxOS und DraugerOS.
Titelbild: https://de.wikipedia.org/wiki/Elfenbeinturm#/media/Datei:Rembrandt_Harmensz._van_Rijn_038.jpg
Quellen: stehen im Text

Vielleicht ist es einfacher eine neue Distribution nach den eigenen Vorstellungen abzuleiten, als sich in die bestehenden Strukturen einzugliedern und für neue Ideen erstmal Gegenwind zu erfahren.
Was an an den letzten beidem Debians und Fedora nicht einsteigerfreundlich sein soll erschließt sich mir nicht. Ebenso openSUSE, da könnte höchstens das kleinere Paketangebot ein Problem sein. Arch will es nicht sein, jedenfalls nicht im Sinn von "dreimal klicken, fertig".
Die Frage ist wohl eher, was bedeutet "einsteigerfreundlich" überhaupt? Ich habe den Eindruck, mehr und mehr soll es bedeuten "genauso wie Windows", nur kostenlos.
Ich finde Arch z.B. durchaus einsteigerfreundlich, vorausgesetzt, die Einsteigerin nimmt sich etwas Zeit zum lesen und ist lernbereit.
Einsteigerfreundlich ist aus meiner Sicht, dass der erste Eindruck einfach ist. Da muss kein OfficePaket, Passwortmanager oder sonstwas dabei sein.
Der erste Eindruck vom besuchen der Webseite bis zur ersten Anmeldung im OS muss einfach ansprechend sein. Kurze aber gute Einweisung in die wichtigsten Dinge, dies am besten schön dargestellt.
Am Ende ist es wie bei den meisten Dingen, der erste Eindruck zählt.
Das sehe ich genauso. Als nicht technikaffiner Benutzer eine Distribution zu installieren, nur um nach einem Jahr wieder alles wechseln zu müssen, weil der Support eingestellt wurde – keine gute Idee.
Allerdings machen es die ursprünglichen Distributionen den Nutzern wirklich nicht leicht. Das sehe ich auch als Hauptgrund dafür. Warum sollte man sich das System selbst zusammenbauen, wenn man das Ganze nicht als Hobby betrachtet? Man möchte zum Beispiel Debian installieren und stellt fest: „Ah, kein WLAN.“ Dann muss man sich erst irgendwo die Treiber besorgen – aber wie, wenn der Laptop nach der Installation gar kein WLAN hat? Natürlich sind diese Treiber nicht FOSS und daher nicht in den Paketquellen enthalten. Das Ergebnis ist, dass viele Nutzer zu kleineren Distributionen wechseln, bei denen so etwas einfach funktioniert.
Ein sinnvoller Anfang wäre also ein Installer, der wirklich alles installiert, was man braucht – und nicht nur die Hälfte.