Zum Wochenende: Leihen statt besitzen?

  Ralf Hersel   Lesezeit: 10 Minuten  🗪 8 Kommentare

Das Abo-Modell für das Fairphone 4 ist gescheitert. Dafür gibt es gute Gründe.

zum wochenende: leihen statt besitzen?

"Leihen statt besitzen" hat in den letzten Jahren viele Anhänger gefunden; sowohl im Positiven als auch im Negativen. Ich selbst besitze seit 20 Jahren kein Auto, weil ich mir eines mieten kann, wenn ich es brauche. Daraus folgt auch, dass ich keine Ski besitze. Es wäre mir viel zu mühsam, diese zusammen mit den Skischuhen und dem Gepäck in öffentlichen Verkehrsmitteln auf die Skipiste zu befördern. Deshalb miete ich vor Ort genau den Ski, den ich brauche. Und wenn er nicht passt, tausche ich ihn kostenlos gegen einen anderen aus.

Das Ausleihen kommt auch gut in der Nachbarschaft an. Nicht jeder muss einen eigenen Hochdruckreiniger besitzen, um einmal im Jahr den Balkon abzuspritzen. Meine geerbte Hilti-Schlagbohrmaschine habe ich bereits x-mal an die Nachbarn ausgeliehen. Es macht überhaupt keinen Sinn, wenn sich jeder für 1'500 Euro einen TE-30 Bohrhammer kauft.

Dieser Idee folgend, hat die Firma Fairphone aus den Niederlanden das Easy-Angebot 2022 auf den Markt gebracht. Damit konnten Konsumenten in den Niederlanden ein Fairphone 4 (in Grün, mit 8GB/256GB) – gegen eine feste monatliche Gebühr nutzen, statt es zu kaufen. Die Firma schreibt:

Fairphone Easy Abonnent*Innen brauchen sich weder um Austausch noch um Reparatur ihres Smartphones zu bemühen, falls etwas beschädigt ist oder nicht mehr funktioniert. Wir kümmern uns um die Wartung. Zudem werden alle Nutzer*Innen mit geringeren monatlichen Gebühren belohnt, wenn sie ihr Smartphone pflegen und länger behalten: Für jedes schadenfreie Jahr des Smartphones erhöht sich der monatliche Rabatt. So belohnen wir die Nutzer*Innen für ihre Teilnahme an unserer Mission für Smartphone-Langlebigkeit.

Fairphone bot das Fairphone 4 im Abonnement an: Anstatt es für 650 Euro direkt zu kaufen, konnte man das nachhaltige Smartphone aus den Niederlanden für 21 Euro im Monat abonnieren. Der Clou: Je länger man das Handy unbeschadet behält, desto günstiger wird das auf fünf Jahre ausgelegte Abonnement.

Im Idealfall zahlte man im ersten Jahr 21 Euro pro Monat, im zweiten Jahr 19 Euro pro Monat und im dritten Jahr 17 Euro pro Monat. Im vierten und im fünften Jahr zahlt man dann 13 Euro pro Monat. Das ergibt Gesamtkosten von 996 Euro für die Handymiete, wenn keine Reparaturen anfielen.

Das ergabt einen Aufpreis von mehreren 100 Euro im Abonnement im Vergleich zum Direktkauf. Den begründete Fairphone mit kostenlosen Reparaturen: Abonnentinnen und Abonnenten konnten ihr Gerät jederzeit einschicken, wenn sie einen Defekt feststellten. Das Handy wurde ohne Aufpreis repariert – allerdings fiel dann die jährliche Kostenreduktion weg. Das Abonnement umfasste ausserdem die Möglichkeit, den Akku bis zu einmal im Jahr tauschen zu lassen.

Fertig easy!

Am Mittwoch hat Fairphone mitgeteilt, dass das Easy-Programm eingestellt wird.

Die Firma begründet diesen Schritt folgendermassen:

Schweren Herzens haben wir die nicht ganz einfache Entscheidung getroffen, Fairphone Easy einzustellen; zumindest im Moment.

Das Abo-Modell von Fairphone Easy bekräftigt unser Engagement für eine Kreislaufwirtschaft. Als wir das Programm 2022 in den Niederlanden starteten, war die Idee, dass es eine nachhaltigere Alternative zu dem eher linearen Marktansatz des Produzierens-Verkaufens-Entsorgens bieten würde, den wir heute beobachten. Leider können wir den Dienst aus verschiedenen Gründen im Moment nicht weiterführen.

Fairphone Easy war eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Der Endverbraucher erhielt nicht nur ein Smartphone, sondern auch eine Garantie für den Kundendienst. Reparaturen und Ersatzgeräte waren in der Gesamtgebühr enthalten, mit einer kostenlosen Displayreparatur pro Jahr und einem vorrangigen Kundensupport. Wir haben uns ein Beispiel an der Kfz-Versicherungsbranche genommen und bieten bestehenden Kunden mit jedem Jahr bessere Preise, um sie zu ermutigen, bei ihrem Gerät zu bleiben.

Gegenwärtig liegt die Verantwortung für das Recycling und die Wiederaufbereitung beim Endnutzer, der sich vielleicht nicht genug dazu motiviert fühlt. Infolgedessen verstauben viele alte Geräte und erhöhen die Menge an Elektroschrott in der Welt, während sie für niemanden von Nutzen sind. Fairphone Easy war auch hierfür die perfekte Lösung. Indem wir Fairphones leasen, anstatt sie zu verkaufen, konnten wir sicherstellen, dass diese Geräte jedes Mal zu uns zurückkamen und am Ende ihres Lebenszyklus ordnungsgemäß aufbereitet und recycelt wurden. Wir hatten sogar einen Anreiz, dies zu tun, sofern die Zahl der Geräte weiter stieg.

Leider war das nicht der Fall.

Im Juni 2022 haben wir das Fairphone Easy-Pilotprogramm in den Niederlanden gestartet. Die Idee war, zu sehen, wie gut das Programm auf dem relativ kleinen niederländischen Markt funktioniert, um es dann später auf andere Länder auszuweiten. Leider wuchs die Zahl der Abonnenten trotz hervorragender Kritiken in der Presse und positiver Rückmeldungen von Kunden nicht so schnell, wie wir es uns gewünscht hätten. Anfänglich gab es Bedenken hinsichtlich der Preisgestaltung. Die Kunden verglichen den Einzelhandelspreis des Fairphone 4 mit den Gesamtbetriebskosten durch Fairphone Easy. Auf den ersten Blick schien es viel billiger zu sein, es zu kaufen als zu leasen. Dabei wurden jedoch die Vorteile des Leasings nicht berücksichtigt, wie z. B. die Tatsache, dass man sich nicht um den Austausch des Telefons oder die Reparatur kümmern muss, wenn etwas kaputt geht. Es gab eine klare Kommunikationslücke zwischen potenziellen Kunden und uns, die wir durch bessere Verbraucheraufklärung zu schließen versuchten. Und es funktionierte. Eine Zeit lang. Die Zahl der Abonnements stagnierte jedoch allmählich. Wir erkannten, dass das Hauptproblem nicht wirtschaftlicher Natur war. Es war ein Verhaltensproblem.

Nach zahlreichen Interviews mit unseren Kunden und einer Menge Verbraucherforschung kamen wir zu der traurigen Erkenntnis, dass die Menschen es vorziehen, ihre Smartphones zu besitzen, anstatt sie zu mieten. Die Wahrscheinlichkeit, ein Fairphone zu kaufen, war fünfmal größer als die, es zu mieten. Als einer der Gründe wurde der Schutz der Privatsphäre genannt, aber für die meisten Nutzer schien die Entscheidung eher emotionaler Natur zu sein als alles andere. Das Smartphone ist im Vergleich zu Fahrrädern und Haushaltsgegenständen ein sehr viel persönlicheres Gerät. Und diese psychologische Barriere zu durchbrechen, wurde mit der Zeit immer schwieriger, insbesondere als wir das Fairphone 5 auf den Markt brachten. Wir hatten zwar vor, das Fairphone 5 irgendwann in unser Fairphone Easy-Bouquet aufzunehmen, aber es konnte uns nicht schnell genug gehen. Inzwischen hatte der Kunde gesprochen. Sie wollten ein Upgrade, und zwar so schnell wie möglich. Und als das mit Fairphone Easy nicht möglich war, begannen sie, ihre Abonnements zu kündigen.

All dies hat uns gezwungen, das Fairphone Easy-Programm zu überdenken und es vorerst auszusetzen. Wir sind immer noch ein relativ kleines Unternehmen, und angesichts unserer Ambitionen müssen wir extrem wählerisch sein, was wir priorisieren wollen. Und als wir unseren Spielplan unter Berücksichtigung dieser Tatsache bewerteten, machte es keinen Sinn, weiterhin Zeit und Geld in Fairphone Easy zu investieren, vor allem, während wir noch versuchen, unsere Position auf dem Markt zu festigen.

Auch wenn Fairphone Easy in den Niederlanden nicht mehr existiert, bedeutet das nicht, dass Sie nicht auch in anderen Teilen Europas ein Fairphone leasen können. Wir werden weiterhin mit Everphone in Deutschland und Commown in Frankreich zusammenarbeiten, um Fairphone als Abonnementdienst zu fördern.

Soweit die Erklärung der Firma Fairphone zur Einstellung des Eays-Angebots in den Niederlanden.

Einordnung

Wie gewohnt, kommuniziert die Firma Fairphone nicht im üblichen Marketing-Jargon, sondern schenkt den Kunden reinen Wein ein. Die Hauptgründe für das Scheitern dieses Abo-Modells werden klar genannt:

  • Zu teuer im Vergleich zum Neukauf
  • Ein Smartphone ist nicht gut für ein Miet-Modell geeignet

650 Euro (Neukauf) im Vergleich zu knapp 1'000 Euro für das Abonnement, war ein unattraktives Angebot, und zwar aus zwei Gründen. Erstens, liegen die Fairphone-Preise für die Mittelklasse-Handys ohnehin über der Schmerzgrenze der meisten Konsumenten. Für eine China-Plaste zahlt man weniger als die Hälfte, bei gleicher Leistung. Wer sich für ein Fairphone entscheidet, macht das nicht aus ökonomischen, sondern aus ethischen Überlegungen. Bei diesen Käufern wiegt Nachhaltigkeit, Reparierbarkeit, eine europäische Herkunft und ein freieres Betriebssystem (z. B. /e/OS) den hohen Preis auf. Dabei darf man nicht vergessen, dass viele potenzielle Käufer:innen diese ethischen Gedanken zwar teilen, sich es aber nicht leisten können.

Der zweite Grund wiegt mehr. Zu Beginn dieses Artikels habe ich Beispiele für Leihgüter genannt. Diesen ist gemeinsam, dass es Gelegenheitsgüter sind, zu denen es wenig emotionale Bindung gibt. Nun gut, der passionierte Skifahrer mag hier widersprechen. Doch für den Otto-Normaly, wird ein Ski oder eine Bohrmaschine selten genutzt und diesen Gegenständen werden keine Namen gegeben (Hasi, Bohri). Beim Auto (insbesondere in Deutschland) kann das anders aussehen. Manche sehen in ihrem Auto das Ein-und-Alles; für andere ist es ein Haufen Blech, der einen von A nach B bringt.

Doch was bedeutet den Menschen ihr Smartphone? Hier sind drei Beobachtungen:

  1. Es wird ständig benutzt
  2. Es wird auf sich getragen
  3. Es speichert sensible Daten

Manche hängen sich ihr Handy an einer Goldkette um den Hals. Andere kaufen eine Hülle für ihren Schatz. Es würde mich nicht wundern, wenn Leute ihr Handy häufiger berühren als ihren Partner. Gebt es zu, euer Handy hat einen Spitznamen (Hasi?, Bohri?). Die oben genannten drei Punkte treffen übrigens auch auf eine Unterhose zu.

Ausserdem finde ich, dass Langlebigkeit einem Abo-Modell im Wege steht. Wer ein Fairphone kauft, möchte es mindestens 8 Jahre lang verwenden; lieber noch länger. Nachhaltigkeit ist der natürliche Feind der Ausleihe. Der Kurznutzer mietet, die Langnutzerin kauft.

Unter diesen Bedingungen kann ein Abonnement für ein Smartphone nicht funktionieren. Das hätte die Marketing-Abteilung bei Fairphone auch vorher erkennen können. Aber gut; hinterher ist man immer schlauer.

Quellen:

https://www.fairphone.com/de/2022/06/15/fairphone-easy-a-smartphone-subscription-for-a-fairer-future/

https://www.heise.de/news/Fairphone-Easy-Smartphone-Abo-wird-guenstiger-je-laenger-man-das-Handy-nutzt-7142446.html

https://www.fairphone.com/en/2024/03/06/were-stopping-fairphone-easy-for-now/

Tags

Fairphone, Abo, Abonnement, Miete, Leihe, Nachhaltigkeit

tuxnix
Geschrieben von tuxnix am 8. März 2024 um 19:00

Ich gebe der Einordnung recht. Viel zu teuer, denn die Reparaturgarantie bringt keine Vorteile bei einem ohnehin leicht selbst zu reparierenden modularen Smartphone. Dazu kommt, dass ein upgrade selbstverständlich immer möglich ist, wenn man das Teil besitzt und es jederzeit auch wieder verkaufen kann. Übrigens, wann kommt endlich das Fairphone mit Linux support? https://wiki.postmarketos.org/wiki/Fairphone_5_(fairphone-fp5) Das wäre wirklich mal eine Investition der Firma wert. Echte Nachhaltigkeit kann es nur mit Linux geben.

Ralf Hersel Admin
Geschrieben von Ralf Hersel am 8. März 2024 um 19:54

Das Fairphone mit Linux Support kommt nicht. Ich verweise auf unsere Podcast-Folge 033: https://gnulinux.ch/gln033-podcast in der ich mit den Fairphone Leuten darüber gesprochen habe. Fairphone verweist explizit auf Murena und bietet das FP4 im /e/OS in ihrem eigenen Shop an.

V wie Vendetta
Geschrieben von V wie Vendetta am 12. März 2024 um 23:03

Ich habe Linux auf dem Smartphone ausprobiert und es ist eine Katastrophe. Es hätte mir schon gereicht, wenn Telefonie, Internet und ein paar einfache Apps zuverlässig funktioniert hätten. Pustekuchen! So toll Linux auf dem Desktop und dem Server auch ist, aber auf dem Smartphone macht es (außer Sailfish OS) keine gute Figur. Kein Wunder, wenn die spärlichen Ressourcen zwischen über einem Dutzend Distributionen und mehreren Desktopumgebungen fürs Smartphone aufgeteilt werden müssen. Besser: GrapheneOS und DivestOS. Die funktionieren wenigstens.

Christopher
Geschrieben von Christopher am 8. März 2024 um 20:15

Ich finde die Grundidee nicht so schlecht, dachte mir aber das es scheitern würde. Die Gründe passen für mich. Dazu kommt, dass Menschen die ein Custom ROM wie z.B. CalyxOS, GrapheneOS, LineageOS, ...nutzen möchten, außen vor bleiben (vermute ich mal). Schade eigentlich!

DieterMeier
Geschrieben von DieterMeier am 8. März 2024 um 20:31

Leasen ist für mich mit Reparaturargument totaler Quatsch, ist bei vielen sicher auch so. Ich habe mir vor kurzem ein zweites FP3 gebraucht gekauft für Tests mit Linux. Das ist auch im Notfall ein Ersatzteilspender.

Mir ist die letzten 25 Jahre noch nie ein Telefon kaputtgegangen. Liegt eventuell daran, dass ich es in einem kleinen Täschchen mit Kordel um den Hals bei mir trage.

Christian Becker
Geschrieben von Christian Becker am 10. März 2024 um 11:36

auch @Günter unten drunter Die Reparatur... naja, weiß auch nicht. Aber kostenloser Akkutausch ist ein Argument. Bisher habe ich meine Handys immer dann gewechselt, wenn der Akku den Geist aufgegeben hat. Allerdings ist der Akku beim FP ja ohne Werkzeug wechselbar, also zieht das dann auch nicht so richtig, wenn man die Kosten gegenrechnet. Leasing an sich ist auch nicht schlecht... nur lohnt das bei einem Handy nicht wirklich, IMO. Bei einem Auto z.B. ist ein Leasing mit Service etc. schon eine Überlegung wert; insbesondere wenn man dann keinen Kredit aufnehmen muss. Leihen bei Dingen, die man nicht ständig in Gebrauch hat (Bohrmaschine, Ski, Bohnermaschine...), ist auch sinnvoll. Ich bin mir nicht mal sicher, ob die persönliche Bindung so viel Einfluss darauf hat.

Günter
Geschrieben von Günter am 9. März 2024 um 12:05

Ich bin etwas irritiert. Ständig wird auf die Reparaturfreundlichkeit vom Fairphone hingewiesen und sogar beim "Mieten" waren kostenlose Reparaturen inbegriffen... Muss denn dieses Phone ständig "repariert" werden? Seit 15 Jahren habe ich fast alle Marken als Smartphone benutzt, reparieren musste ich noch keines. Mit etwas Sorgfalt scheint mir das auch nicht nötig. Selbst mein "Dritthandy", ein 10 Jahre altes IPhone 8 funktioniert (bisher ohne Reparatur) noch einwandfrei.

AlexanderJR
Geschrieben von AlexanderJR am 10. März 2024 um 20:39

Die emotionale Bindung zu einem Gebrauchsgegenstand ist wohl der Hauptgrund ob man was leiht oder besitzen möchte. EIn Smartphone ist ein Device das ich ständig nutze und permanent bei mir habe, da kann ich mich einfach nicht mit einem Leihgerät anfreunden. Genauso geht es mit mit einem Auto, obwohl ich durchaus auf ein eignens verzichten könnte, wenn der ÖPNV an meinem Standort eine vernünftige Alternative wäre. Dinge die ich selten benutze und zu denen ich keinen persönlichen Bezug habe, kann ich problemlos leihen, so wie deine genannten Beispiele spezieller Werkzeuge. Ich brauche z.B. keine eigenen Schlittschuhe, nur weil ich ab und an mal Eislaufen gehe. Bei Musik und Filmen geht es mir ähnlich, mir reicht es die meisten Songs und Filme zu streamen, Ausnahme sind nur meine absoluten Lieblingsfilme (Lieblingssongs), die ich unbedingt auf DVD oder BlueRay bestizen muss, wie Zurück in die Zukunft, Wargames, Tron usw.! ;-)