Der Fall des Durow

  Ralf Hersel   Lesezeit: 14 Minuten  🗪 8 Kommentare Auf Mastodon ansehen

Die Verhaftung von Pawel Durow in Frankreich lässt grundsätzliche Fragen zu Telegram und anderen Messengern aufkommen.

der fall des durow

Das ist ein Meinungsartikel.

Zuerst die Fakten

  • Letzten Samstag nahmen französische Behörden Pawel Durow, den Leiter des Messengers Telegram in Paris fest.
  • Gegen ihn laufen in Frankreich Vorermittlungen wegen mangelnder Moderation von Telegram-Inhalten: Kriminelle Aktivitäten könnten auf der Plattform ungehindert aufgenommen und fortgesetzt werden. Untersucht wird Medienberichten zufolge zudem, ob er sich durch mangelnde Zusammenarbeit mit den Ordnungskräften des Drogenhandels, Betrugs und Vergehen im Zusammenhang mit Kindesmissbrauch mitschuldig gemacht hat.
  • Vorgestern wurde bekannt, dass Emmanuel Macron seit vielen Jahren Telegram nutzt.
  • Mittlerweile wurde Durow gegen Kaution aus der Vorermittlung entlassen, muss sich aber in Frankreich zur Verfügung halten.
  • Die Verschwörungserzählungen treiben Blüten. Gestern wurde spekuliert, ob Durow ein Doppelagent sei.
  • Da alle Medien über diesen Fall berichten, überlasse ich euch die weitere Faktensammlung.
  • Hinweis: diese Angelegenheit ist sehr undurchsichtig und ein Nährboden für Spekulationen, Fake News und Verschwörungserzählungen. Bitte beachtet beim Lesen der Nachrichten über dieses Thema eure Medienkompetenz.

Was ist Telegram?

Neben den üblichen Messenger-Funktionen (Eins-zu-Eins, Gruppen mit max. 200'000 Teilnehmern) bietet Telegram Kanäle an, in denen die Kanalbetreiber an eine unbegrenzte Personenzahl Inhalte posten können. Selbstverständlich muss man einem solchen Kanal beitreten; selbst schreiben, kann man dort nicht. Wegen dieser Funktion wird Telegram rechtlich nicht als Messenger, sondern als Social Media Angebot betrachtet. Damit fällt der Dienst unter den Digital Services Act (DSA) der EU. Diese Verordnung soll die Verbreitung illegaler Inhalte verhindert und Nutzer besser schützen.

Der EU-Kommissar für den Binnenmarkt, Thierry Breton, formuliert den Sinn des DSA so:

„Sachen, die man in echt nicht sagen darf, darf man auch im Netz nicht sagen.“ Niemand habe das Recht, zu beleidigen, Antisemitismus, Kinderpornografie, oder Todesdrohungen zu verbreiten oder Drogen zu verkaufen, alle illegalen Inhalte müssen entfernt werden. Breton forderte deshalb „die gleichen Strafen, ob online oder auf der Straße“.

Aus einer technischen Perspektive kann ich über Telegram Folgendes sagen:

  • Telegram ist nicht Ende-zu-Ende verschlüsselt, sondern verwendet lediglich Transportverschlüsselung (TLS) und Ende-zu-Ende Verschlüsselung für Eins-zu-Eins Gespräche, falls man diese explizit einschaltet. Der Algorithmus für diese Verschlüsselung (MTProto) wird von Fachleuten kritisiert.
  • Bezüglich der Stabilität und Funktionalität bietet Telegram vermutlich das beste Angebot aller Messenger.
  • Die Telegram-Server sind über die ganze Welt verteilt, weshalb sie sich einer technischen Regulation durch nationale Behörden entziehen.

Was sagt Pawel Durow?

Pawel Durow und sein Bruder Nikolai sind "Wunderkinder". Pawel ist der Geschäftsmann, Nikolai ist der Techniker bei Telegram. Nachdem ich Thierry Breton zitiert habe, soll auch Pawel Durow zu Wort kommen. Es gibt nur wenige Interviews mit ihm; hier ist ein einstündiges Interview vom April 2024. Leider führte dieses Interview der Rechtsextreme Tucker Carlson, was den Aussagen von Durow jedoch nicht schadet:

In diesem Interview präsentiert sich Durow als Weltbürger, der über den Gesetzen von Nationalstaaten steht. Das mag arrogant klingen, folgt aber einer Logik. Was in Europa verboten ist, ist in China erlaubt. Was in China verboten ist, ist in Europa erlaubt. Durow hat sich dafür entschieden, die nationalen Gesetze zu ignorieren, um seine eigene Vorstellung von Meinungsfreiheit umzusetzen.

Meine Meinung

Es geht nicht um Telegram, sondern um die technische Umsetzung der Meinungsfreiheit. Telegram ist sehr stabil und funktionsreich, aber in Bezug auf Sicherheit und Privatsphäre bewusst schlecht gemacht. Es gibt keine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, dafür aber unbegrenzte Gruppen und Kanäle. Falls einem der Inhalt der eigenen Post bezüglich Sicherheit und Privatsphäre egal ist, hat man mit Telegram eine praktische und weit verbreitete Lösung.

Meistens wird über Telegram als Drogenhölle, Terroristensammelpunkt und Kommunikationsmittel für alle illegalen Geschäfte berichtet. Das ist eine einseitige Sichtweise. Dasselbe könnte man über alle Messenger oder Social-Media-Kanäle sagen. Es gibt Berichte über Briefbomben, geheime Treffen unter Autobahnbrücken, Telefongespräche oder das Benutzen von Strassen, um Pistolen zu transportieren. Dieses Framing negiert die Tatsachen der digitalen, als auch der realen Welt. Das Verbrechen ist Bestandteil der Gesellschaft und hat sich immer Kommunikationskanäle geschaffen.

Ich halte die aktuelle Berichterstattung über den Fall Durow für scheinheilig und zwiespältig, weil der Begriff "Meinungsfreiheit" unterschiedlich ausgelegt wird:

“Die Meinungsfreiheit schützt ein Grundbedürfnis der Menschen”, sagt Maya Hertig, Professorin für Schweizer und europäisches Verfassungsrecht an der Universität Genf. Die Idee der Meinungsfreiheit basiert auf der aufklärerischen Vorstellung, dass wir alle denkende, vernünftige Wesen sind, die ihre Meinung im Dialog bilden.

“Für die Demokratie ist die Meinungsfreiheit und auch die Informationsfreiheit wesentlich”, sagt Hertig. Das Gleiche gelte für die Forschung: “Fortschritt ist nur möglich, wenn die vorherrschende Meinung in Frage gestellt werden kann.”

Deshalb ist die Meinungsfreiheit ein Menschenrecht. Sie ist unter anderem in Artikel 10 der europäischen Menschenrechtskonvention und in Artikel 19 des UNO-Paktes über bürgerliche und politische Rechte verankert.

Laut der Verfassungsrechtlerin Hertig schützt die Meinungsfreiheit sowohl Äusserungen von überprüfbaren Tatsachen als auch von subjektiven Meinungen und Emotionen – zum Beispiel in der Kunst – und symbolische Handlungen – zum Beispiel in Form eines Sitzstreiks. “Geschützt ist der ganze Kommunikationsprozess, vom Verbreiten bis zum Empfangen”, sagt sie. Das heisst: Grundsätzlich darf niemand vom Staat daran gehindert werden, seine Meinung zu äussern.

“Das Recht, eine Meinung zu haben, ist nicht einschränkbar”, erklärt sie. So ist es also nicht strafbar, eine rassistische Einstellung zu haben. Rassistische Äusserungen zu verbreiten, hingegen schon.

Denn: Auch der Meinungsfreiheit sind gesetzliche Schranken gesetzt. “Die Freiheit, eine Meinung zu äussern, ist nicht absolut”, sagt Hertig. Ein absolutes Recht ist eines, das niemals eingeschränkt werden kann – auch nicht in aussergewöhnlichen Lagen wie Krieg, Krise oder Pandemie. “Es gibt nur ganz wenige absolute Rechte, die uneingeschränkt gelten, zum Beispiel das Folterverbot.” Foltern ist nie erlaubt, weder im Krieg noch im Frieden, und auch nicht, wenn die Informationen, die man durch die Folter zu erlangen erhofft, viele Leben schützen könnten.

Die Meinungsfreiheit endet dort, wo andere Schutzgüter wie zum Beispiel die Menschenwürde verletzt werden. Dies gilt bei der Leugnung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie dem Holocaust. Doch auch zum Beispiel Verbreitung von Hass gegen einzelne Personen oder Personengruppen ist strafbar.

Das steht im Einklang mit dem Freiheitsbegriff, wie er in der französischen "Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte" am 26. August 1789 im Artikel 4 formuliert wurde:

Die Freiheit besteht darin, dass man alles das tun kann, was einem anderen nicht schadet.

Hinweis: Das ähnliche Zitat von Immanuel Kant ist falsch.

Was bedeutet das für Messenger wie Telegram oder Social Media oder die Presse oder für uns alle? Alle erwähnten Kommunikationsmittel benötigen eine Aufsicht durch ihre Betreiber. Es wird berichtet, dass Telegram mit einem sehr kleinen Team unterwegs ist (ca. 30 Personen). Diese Aussage kann ich nicht überprüfen. Wenn dem so ist, wird es Telegram nicht schaffen, die Milliarden von Messages auf Verstoss gegen geltendes Rechte in verschiedenen Ländern zu überprüfen. In Russland müsste man dieses melden, in Europa etwas anderes den Behörden melden. Wenn ich mich in die Wunderkind-Position eines Pawel Durows versetzen müsste, kann ich mir gut vorstellen, dass ihm solche Regulative am Allerwertesten vorbeigehen. Das entspricht nicht seinem Denkmodell. Er denkt an die Dissidenten in Russland, im Iran und sonst wo. Ich kann diese Position nachvollziehen.

Deshalb möchte ich euch dieses Gedankenspiel anbieten: Nehmen wir an, es gäbe einen Messenger, der vollverschlüsselt ist und keine Daten an Behörden oder Hacker veröffentlichen kann, weil es technisch nicht möglich ist. Alle Daten und Metadaten sind verschlüsselt, wobei die Schlüssel bei den Nutzer:innen liegen, jedoch nicht beim Provider. Behörden müssten mit Richterbeschluss zu euch kommen, um eure Daten zu erreichen.

Exkurs:
Wir haben dieses Jahr in der EU gegen die Chat-Kontrolle gekämpft und vorerst gewonnen. Eine Erkenntnis aus dieser Diskussion war, dass es keine aufgeweichte Verschlüsselung gibt. Entweder ganz oder gar nicht war das Argument aller Experten. Bei Telegram scheint dieses Argument nicht mehr zu gelten.

Gibt es solche Messenger? Ich meine, es gibt sie nicht. Signal kann es nicht, weil es eine Stiftung unter US-amerikanischem Recht ist, die sich an den Patriot Act halten muss, und deshalb gesetzlich zum Lügen verpflichtet ist. Bei Threema bin ich mir nicht sicher. Sie selbst formulieren es so:

Sowohl Signal als auch Threema sind auf Sicherheit und Datenschutz ausgelegt. Signal geniesst unter Experten einen hervorragenden Ruf und ist zweifellos eine solide Lösung, was Sicherheit betrifft. Im Vergleich mit Threema tritt jedoch bzgl. Datenschutz ein markanter Schönheitsfehler zum Vorschein.

Im Unterschied zu Threema lässt sich Signal nur mit Angabe personenbezogener Daten verwenden, wohingegen Threema völlig anonym, ohne Angabe einer Rufnummer oder E-Mail-Adresse nutzbar ist. Der Umstand, dass Signal als US-amerikanischer IT-Dienstleister dem CLOUD Act unterliegt, verschärft dieses Datenschutz-Defizit noch.

Dann gibt es noch Matrix, das Protokoll, was von vielen in der Community verwendet wird. Threema schreibt dazu:

Auf dem Matrix-Protokoll basierende Messenger wie z.B. Element wurden ausser Acht gelassen, weil aus der Föderation erhebliche Nachteile hinsichtlich Datenschutz erwachsen. Zum Beispiel werden jegliche Chat-Inhalte sowie umfassende Metadaten permanent auf allen involvierten Servern gespeichert, so dass für jeden Server-Betreiber ersichtlich ist, wer wann mit wem kommuniziert und welche Gruppen welche Mitglieder enthalten. Weiter sind persönliche Informationen sowie die gesamte Kontaktliste jedes Nutzers auf dessen Home-Server gespeichert und für den Server-Betreiber prinzipiell einsehbar.

GNU/Linux.ch ist vor Jahren von Telegram auf Matrix umgestiegen. Mittlerweile bin ich mir unsicher, ob das der Weisheit letzter Schluss war. Ich werde mal bei den Matrix-Expertinnen nachfragen, wie es sich mit der Privatsphäre bei Matrix tatsächlich verhält.

Fazit

Kommunikation spiegelt die Menschheit wider, oder eben nicht. Lässt man allem freien Lauf (keine Moderation) bildet sich die Gesellschaft eins zu eins ab; im Guten und im Bösen. Das Recht wurde geschaffen, um den Menschen zu bändigen, und um ein gesellschaftliches Miteinander erst zu ermöglichen. Bei der Skalierung der grossen Messenger und Social-Media-Plattformen, ist die Moderation der Inhalte nicht mehr möglich (kommt mir jetzt nicht mit KI). Eine Möglichkeit wäre, die grossen Lösungen auf kleine herunterzubrechen, um verwaltbare Einheiten zu schaffen, die sowohl die Freiheit, als auch die Gesetze und Freiheiten der anderen garantieren können. Und damit sind wir wieder bei dezentralen Lösungen aus dem Fediverse.

Quellen:

https://www.zeit.de/2024/37/telegram-pawel-durow-kommunikation-ueberwachung-messenger

https://www.derstandard.de/search?query=telegram

https://yewtu.be/watch?v=1Ut6RouSs0w

https://www.politico.eu/article/telegram-pavel-durov-arrest-emmanuel-macron-france-social-media/

https://de.wikipedia.org/wiki/Gesetz_%C3%BCber_digitale_Dienste

https://www.humanrights.ch/de/ipf/grundlagen/kuerze/privatsphaere/privatsphaere/

https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/aussenpolitik/voelkerrecht/internationale-uebereinkommenzumschutzdermenschenrechte/internationaler-pakt-buergerliche-politische-rechte.html

https://www.swissinfo.ch/ger/politik/schweiz-demokratie-meinungsfreiheit-corona-pandemie-grundrecht/46535150

https://falschzitate.blogspot.com/2021/08/die-freiheit-des-einzelnen-endet-dort.html

https://de.wikipedia.org/wiki/USA_Patriot_Act

https://threema.ch/de/messenger-vergleich

https://www.tagesschau.de/ausland/europa/chatkontrolle-eu-100.html

https://www.golem.de/news/festnahme-in-frankreich-ist-durow-ein-doppelagent-2408-188531.html

Tags

Telegram, Durow, Verschlüsselung, Messenger

mw
Geschrieben von mw am 30. August 2024 um 13:25

Grundsätzlich gibt es keinerlei Einschränkungen, was ein Mensch einem anderen sagen darf. Nur für öffentliche äußerungen gibt es Einschränkungen. Es gibt auch keine Vorschrift, daß zur Kommunikation offene Sprache genutzt ewrden muß, auch geheimsprache ist erlaubt. Verschlüsselte Nachrichten sind eine Geheimsprache und daher erlaubt. Insofern gibt es keinerlei Einschränkungen für Ende-zu-Ende verschlüsselte Nachrichten. Normalerweise handelt es sich um 1:1 Kommunikation oder zumindest geschlossene Benutzergruppen, die nicht öffentlich sind. Einen Messenger verstehe ich zunächst als Tool für 1:1 Kommunikation und soweit ist es in Ordnung wenn keinerlei Informationen an staatliche Einrichtung fließen. Warum ein Messenger offene Kanäle haben muß, erschließt sich mir nicht.

tuxnix
Geschrieben von tuxnix am 30. August 2024 um 22:38

"Leider führte dieses Interview der Rechtsextreme Tucker Carlson, was den Aussagen von Durow jedoch nicht schadet."

Lieber Ralf Hersel ! Was ist Rechtsextremismus? Und was hat Tucker Carlson denn tatsächlich getan, damit du ihn derart bezichtigen darfst? Ich mag es prinzipiell nicht, wenn jemand (s)eine Plattform nutzt um andere in eine Ecke zu schieben um sie schlecht zu machen und zu diskreditieren. Was nichts anderes ist, als Meinungsunterdrückung und manipulative Kommunikation. Solche Bezichtigungen dienen dazu jemanden schlecht zu machen damit eine inhaltliche Auseinandersetzung erst gar nicht stattfinden kann. Wenn es einen öffentlichen Raum gibt, in dem Meinungsaustausch stattfinden kann, dann sollten die Argumente ausgetauscht werden können unabhängig vom Ansehen der Person. Du zeigst hier dieses Interview gerade deshalb weil darin Pawel Durow zu Wort kommt und es sehr wichtig ist, jemanden auch einmal selbst anzuhören, bevor man sich eine eigene Meinung über ihn bildet. Das ist auch sehr gut so. Wenn Tucker Carlson das durch sein Interview ermöglicht, dann ist dies das Gegenteil von Extrem und eine solche pauschale und diskreditierende Bemerkung, wie du sie gerade getätigt hast, ist dabei, egal wie man Tucker Carlson politisch verorten mag, völlig unnötig!

( Ich möchte damit keine Diskussion über T. C. anzetteln, es geht mir lediglich darum das Thema Kommunikation zu beackern und an Hand dieses Beispiels einmal zu verdeutlichen, wie sehr wir alle schon darin gefangen sind, jemanden in ein bestimmtes Lager abschieben bevor wir Argumenten zuhören.)

Man sollte sich immer sehr strickt entscheiden. Entweder man redet mit einander, oder man beleidigt sich. Jemanden in eine Ecke zu schieben ist kommunikativ nichts anderes, wie jemanden nicht zu Wort kommen lassen zu wollen.

Wir leben in einer Welt in der unsere Politiker uns allen das schlechteste Vorbild sind. Da wird gelogen, dass sich die Balken biegen, beleidigt, bezichtigt und genötigt in einer Tour. Politiker verbreiten Fakenews, Hassbotschaften und Völkerhass, lassen ihre Botschaften täglich millionenfach über Staatsmedien und die Medien von Milliardären verbreiten und sie senden ihre Hassbotschaften und volksverhetzende Botschaften aus, ohne dabei jemals strafrechtlich belangt werden zu können. Man sollte sich über dieses Machtgefälle einmal bewusst werden. Da ist einigen das erlaubt was sie der Allgemeinheit verbieten wollen. Dabei wird zielstrebig immer stärker polarisiert und diese Polarisierung dient allein dazu ein Lagerdenken zu etablieren, welches es der Allgemeinheit zunehmend verunmöglicht mit einander überhaupt noch normal reden zu können. Die USA ist da das beste Beispiel, wo in der öffentlichen Diskussion alles nur noch rot oder blau ist, aber eine inhaltliche Auseinandersetzung gar nicht mehr stattfindet.

"Macht ist, in Besitz der Wahrheit zu sein." S. Freud

Prinzipiell haben alle Kommunikationsmedien, wenn sie nicht lediglich 1:1 genutzt werden, die Aufgabe die Äußerungen einzelner zu vervielfältigen und damit Macht zu multiplizieren. Massenmedien sind prinzipiell undemokratisch, da sie das Prinzip ein Mensch eine Stimme außer Kraft setzen. Daher sollten Massenmedien stets kritisch hinterfragt werden. Wer kontrolliert sie? Wer kann damit seine Stimme multiplizieren und wer wird nicht ans Mikrophon gelassen? Und welche Sau wird heute wieder öffentlich durch Dorf getrieben um der Allgemeinheit klar zu machen, welche Meinung man heute nicht haben sollte?

Was die Messenger oder Social-Media-Kanäle angeht, so haben sie einen Doppelcharakter. Einerseits täuschen sie vor, dass jeder gleichberechtigt zu Wort kommen kann, andererseits dienen sie zur Ausspähung, der Kontrolle und der Manipulation. Es werden Aufstände damit angezettelt, Regierungen gestürzt, Wahlen manipuliert und Geschäfte in Milliarden Höhe ermöglicht. Die Allgemeinheit wird damit gelenkt, durch ein Überangebot von Information verdummt und der Einzelne in einem jeder gegen jedem aufgerieben. Ginge es allein um Meinungsfreiheit und Demokratie, dann wären Facebook, Whatsapp, Twitter/X und ihre manipulativen Algorithmen schon längst verboten.

Telegramm hat sich bisher jeglicher staatlichen Kontrolle entzogen und die Verhaftung Durows dient eindeutig dazu dieses jetzt zu ändern. Wenn es um Drogen-, Waffen-, Menschenhandel, Prostitution und Pädophile ginge, dann hat der Staat alle Mittel selbst in der Hand diese Verbrechen auch zu ahnden. In einer Gesellschaft in der mittlerweile jeder der nur einen Block betreibt mit exorbitanten Strafen bedroht ist, sollte er einen falschen Kommentar zulassen, ist Telegramm nicht mehr geduldet.

Ich bin kein Freud all dieser Messenagers und auch Telegramm nutze ich nicht. Aber ich sehe auch keinen Sinn in Zwangsmoderation und Kontrolle durch einen Gesetzgeber, der sich selbst an die banalsten Regeln des Miteinanders nicht mehr halten möchte. Wenn Telegramm ein Konzept betreibt, dass jedem egal mit welcher Meinung gleichermaßen zu Wort kommen lässt, dann obliegt es den Nutzern sich ihre Meinung selbst zu bilden. Wer es mit Meinungsfreiheit ernst meint, der darf diese Verantwortung seinen Bürgern nicht entziehen wollen.

Entschuldige lieber Ralf Hersel meine Zurechtweisung, die Unterstelle ich nur bestes Bemühen,

Ralf Hersel Admin
Geschrieben von Ralf Hersel am 31. August 2024 um 21:30

Tuxnix, vielen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar. Das hätte auch einen eigenen Artikel geben können.

Ich kann nicht auf alle Aspekte Deines Kommentars eingehen, weshalb ich mich auf Tucker Carlson beschränke. Ich fand bei meiner Recherche keinerlei Quellen dafür, dass er kein Rechtsextremist und Verbreiter von Verschwörungsideen ist. Doch darum ging es mir gar nicht. Mir war es wichtig, dass es im verlinkten Video um Pawel Durow geht und nicht um Tucker Carlson. In diesem Video zeigt sich Tucker Carlson weder als Rechtsextremist, noch als Verbreiter von Verschwörungsideen. Daher ist die Verortung von T.C. in diesem Fall nicht relevant. Dennoch war es mir wichtig, auf die Einstellung von T.C. hinzuweisen, um es den Leser:innen bewusst zu machen. Hätte ich das nicht gemacht, wäre vermutlich ein Shit Storm über mich hereingebrochen, weil ich ein Video von T.C. verlinke.

Auf die anderen interessanten Aspekte Deines Kommentars gehe ich nicht ein; aus Zeitgründen.

Robert
Geschrieben von Robert am 30. August 2024 um 22:50

Das Hauptproblem ist das "Hass" gar nicht definiert ist, sich nicht genau definieren lässt und deshalb auch nicht von der Meinungsfreiheit abgegrenzt werden kann! Und dann sind wir schon bei der Frage, wer entscheidet denn bitte, was Hass und was zulässig ist, was ist eine erlaubte Meinung und was ist eine strafbare Meinung? Ich finde NICHT unbedingt, dass: "Die Meinungsfreiheit dort endet, wo zum Beispiel Verbreitung von Hass gegen einzelne Personen oder Personengruppen stattfindet bzw. strafbar ist." ..... Jedenfalls nicht automatisch und sofort, weil Lügen verbreiten ist per se NICHT strafbar, genauso wenig strafbar wie Hass. Ich darf hassen wen oder was ich will, wann ich will, wo ich will und solange ich will. Denn etwas zu Hassen ist nicht verboten (Ich hasse zum Beispiel Klausuren :-D ). Genauso wenig kann ich nachvollziehen, dass Text, Sprache oder Video jeweils den gleichen Schaden bzw. denselben Impakt, wie eine echte richtige Gewalttat haben soll.

Natürlich gibt es und das unterstütze ich sogar ausdrücklich, insbesondere bei kleineren Plattformen wie etwa hier, ein Hausrecht. Das kann man dort ohne Aufwand machen. Doch große Plattformen (Youtube, Fratzenbook, WhatsApp, "X" etc.) können so etwas nur maschinell schaffen und Maschinen kennen leider keine Gesetze, verstehen keine Ironie und sind auch keine Richter. Dadurch trifft es dann leider automatisch sehr viele "Unschuldige". Jeder sollte verstehen, dass dies auch das automatisierte Scannen und Durchsuchen von allen Chats, Emails und vielen anderen Diensten betrifft. Auf den großen Plattformen ist das dann eine Art von Zensur, weil sie als GATEKEEPER FÜR ALLE Menschen eine wichtige, zentrale, Mitteilungform darstellen und wenn man dort ausgeschlossen wird, nimmt man plötzlich nicht mehr am allgemeinen Kommunikationsprozess teil! Eine Hass- und Meinungs-Filterung führt meiner Meinung nach zudem tendenziell viel schneller zu Extremismus und Verschwörunsgtheorien weil davon betroffene Leute sich von der Gesellschaft unterdrückt und ausgegrenzt fühlen und, das ist vielleicht am Wichtigsten, ihnen damit die Möglichkeit zur eigenen (Selbst-)Reflexion genommen wird! Und wer bestimmt überhaupt generell was ins Netz darf und was nicht, was erlaubt ist, was nicht erlaubt ist und wer kontrolliert eigentlich die (maschinellen!) Kontrolleure? Ich fühle mich da wieder an das Buch "1984" erinnert.

Was persönliche Beleidigung, Verleumdung und üble Nachrede betrifft, haben wir schon seit langer Zeit funktionierende Gesetze. Die gleichen klaren Regeln existieren ebenso bei Aufrufen zu Straftaten oder wenn es um die Verbreitung von Pädo-Bildern geht. Das ist alles nicht Neues. Doch bei der bewussten Filterung und Moderation von Nachrichten, Beiträgen oder Meinungen ist man leider ganz schnell bei einer (willkürlicher) Zensur und das finde ich um einige Kategorien gefährlicher und schlimmer als ein paar "falsche bzw. abweichende (Hass-)Meinungen". Ich glaube deshalb viel eher an die selbstreinigende Kraft der Aufmerksamkeitsökonomie: Nicht jeder liest alles und glaubt automatisch jeden Blödsinn! Zudem vertrete ich die These, dass offensichtlich unwahre oder völlig falsche Behauptungen von einer hinreichend großen Masse von Empfängern relativ leicht zu enttarnen und zu entkräften sind. Selbst Doofe fallen nicht auf jede Nachricht herein. In den Fällen wo das mal nicht so ist, ist dann aber meist irgendeine Sache nicht ganz falsch gewesen ... doch dann muss und sollte sich jeder selbst eine eigene Meinung dazu bilden, haben und auch weiterverbreiten dürfen!

KURZUM: Aufklärung und Gegenrede sind viel wirkungsvoller als Strafen und Verbote. Bei Alkohol und Drogen ist es ja durchaus ähnlich!

Was Pavel Durov und Telegram betrifft: https://blog.thc.org/keep-pavel-durov-locked-up

Was Messenger betrifft: https://www.messenger-matrix.de/messenger-matrix.html

Ralf Hersel Admin
Geschrieben von Ralf Hersel am 31. August 2024 um 21:20

Hallo Robert und vielen Dank für Deinen langen Kommentar. Ich denke, dass 'Hass' wohl definiert ist. Zumindest, wie wir (das GNU/Linux.ch CORE-Team) den Begriff verstehen. In unseren Regeln (Community, Punkt c) steht:

"Hass, Hetze oder Beleidigungen, die sich auf einzelne Personen oder Gruppen beziehen. Wir pflegen einen höflichen und respektvollen Umgangston."

Dein Beispiel "Ich hasse zum Beispiel Klausuren", halte ich für eine falsche Verwendung des Begriffes 'Hass', weil es sich nicht gegen Menschen richtet. "Ich hasse Steine" macht es vielleicht deutlicher. Man kann Steine nicht hassen. Man kann sie kalt, hart oder grau finden, aber für eine emotionale Zuschreibung ist Hass das falsche Wort.

Nach meiner Meinung ist es nicht zielführend über die Grenzen des Hasses zu diskutieren. Das Ausloten, was man noch sagen darf, um nicht strafrechtlich belangt zu werden, ist ein Mittel von Extremisten. Ich bevorzuge es, den Leuten zuzuhören und mich in ihre Position zu versetzen versuche. Ein höflicher und respektvoller Umgang mit den Menschen, insbesondere mit Andersdenkenden, war für mich immer das beste Mittel.

Bei GNU/Linux.ch haben wir sieben Personen in CORE und viele weitere in der Redaktion, die sich um die Moderation der Kommentare auf der Webseite und in unseren Social Media Kanälen kümmern. Auch aus der Community erhalten wir manchmal Hinweise, dass bestimmte Kommentare moderier werden sollten. Wir haben eine freundliche Community und darüber sind wir froh.

Robert, sorry, dass ich nicht auf alles eingegangen bin, was Du geschrieben hast.

Peter Schöler
Geschrieben von Peter Schöler am 4. September 2024 um 21:45

Hallo Robert, hallo Ralf ich weiß natürlich, dieses Thema ist ein ganz heißes Eisen. Aber in Deinen Zeilen, Robert, liegt meines Erachtens ein erhebliches Maß an Naivität. Wenn sie so verstanden sein wollen, wie sie geschrieben wurden. Alle kennen die Lage in Medien wie X, zum Beispiel. Leute, die bei Whats app die bösen Nachrichten aussortieren sollen, sind persönlich massiv belastet oder gar traumatisiert von den Inhalten, die sie überprüfen müssen. Hass grassiert in den Medien. Populismus und Rechtspopulismus sind weltweit en vogue. Da nun von Selbstregulation und Vernunft zu sprechen, dünkt mir etwas weltfremd. Beispiel: die rechtsextremen Ausschreitungen vor kurzem in England aufgrund von Fehlinformation. Ich versuche, mich beim Konsum von Nachrichten zu disziplinieren, denn sonst bin ich schon beim Frühstück down. Es braucht den Schutz der Menschen vor diesem Wahnsinn aus Hass und Unsachlichkeit. Mehr möchte ich dazu jetzt nicht sagen. Telegram nutze ich nicht und bin auch auf keinem dieser Kanäle unterwegs. Peter

Poldi
Geschrieben von Poldi am 5. September 2024 um 22:14

Danke für den guten Kommentar! :) Sehe ich genau so.

"Lässt man allem freien Lauf (keine Moderation) bildet sich die Gesellschaft eins zu eins ab; im Guten und im Bösen."

Leider nein. Stichwort Trolle mit mehreren Accounts, Stichwort Bots, um nur mal zwei Beispiele zu nennen. Außerdem halte ich die Sichtweise, dass die Online-Community die reale Gesellschaft abbildet für zu idealisierend, wenn man sich anschaut, was in den sogenannten "sozialen" Medien abläuft. Es ist glaub ich inzwischen sehr gut belegt, wie enthemmend die sozialen Medien hinsichtlich Hass und Polarisierung wirken. Man kann sich in der Anonymität verbergen und muss niemandem in die Augen schauen, wenn man etwas absetzt. Und man kann sich in seiner Filterblase bewegen und muss sich nie mit anderen Sichtweisen auseinandersetzen.

"Was in Europa verboten ist, ist in China erlaubt. Was in China verboten ist, ist in Europa erlaubt. Durow hat sich dafür entschieden, die nationalen Gesetze zu ignorieren, um seine eigene Vorstellung von Meinungsfreiheit umzusetzen."

Wow, mal wieder ein Tech-Milliardär, der meint, über den Gesetzen stehen zu dürfen, weil er sie als zu einschränkend empfindet und sich dafür die passende Ideologie gebastelt hat. ;)

"Das Verbrechen ist Bestandteil der Gesellschaft und hat sich immer Kommunikationskanäle geschaffen."

Das ist meiner Meinung nach ein Totschlag-Argument. Es macht für die Zahl von Verbrechen durchaus einen Unterschied, wie leicht man es den Tätern macht.

Wer eine solche Kommunikationsplattform zur Verfügung stellt, ist für die Inhalte mit verantwortlich. Ganz einfach aus dem Grund, weil man die letzten Jahre gesehen hat, in welchem Maße diese Plattformen das gesellschaftliche Klima negativ beeinflussen (Ja, für diese Entwicklung gibt es sicher noch andere Gründe, aber ich halte deren Einfluss für signifikant). Das Beispiel mit den kürzlichen Ausschreitungen in England wurde ja schon genannt. Und ja, Gerüchte, die zu Gewalt führen, gab es schon lange vor dem Internet. Aber diese Plattformen (zumal unmoderiert) machen es eben deutlich leichter, dass sich so ein Mist verbreitet -> Quantität und Ausmaß von solchen Ausschreitungen nimmt zu.

Ralf Hersel Admin
Geschrieben von Ralf Hersel am 1. September 2024 um 20:34

Robert, ich habe Dir per E-Mail geantwortet. Leider kommt die E-Mail nicht durch.