Zum Wochenende: Die Cloud ist nicht alternativlos

  Ralf Hersel   Lesezeit: 5 Minuten  🗪 15 Kommentare

Europa und die Schweiz brauchen mutige IT-Entscheider, für die es kein "alternativlos" gibt.

zum wochenende: die cloud ist nicht alternativlos

Das ist ein Meinungsartikel.

Einen habe ich noch, bevor ich mich in die Ferien verabschiede. Vorhin habe ich einen Beitrag des geschätzten Chefredakteurs, Reto Vogt von Inside-IT gelesen. Unter dem Titel "Die Cloud ist alternativlos, aber ..." schildert er die anhaltende Migration von Behörden und Firmen in die Microsoft 365 Cloud. Als Hauptgrund für diese Alternativlosigkeit nennt er die Verfügbarkeit, Sicherheit, Funktionsumfang und den Preis. Dem On-premise-Betrieb attestiert er weniger Sicherheit und höhere Kosten.

Vogt sieht in dieser Alternativlosigkeit ein Dilemma:

Einerseits gibts keine technologische Alternative zu amerikanischen Konzernen, andererseits gibts für öffentliche Verwaltungen sowie Unternehmen des regulierten Umfelds eine Rechtsunsicherheit. Das ist eine schlechte Grundlage, um die alternativlosen Produkte einzusetzen.

Bei der Rechtsunsicherheit bezieht er sich auf den Cloud Act, der es US-amerikanischen Behörden erlaubt, auf Daten, die von US-Firmen gespeichert werden, zugreifen zu können. Dabei spielt es keine Rolle, wo diese Daten gespeichert sind. Als Lösung schlägt Vogt eine Neuverhandlung des Cloud Acts vor, um den Zugriff auf in Europa gespeicherte Daten zu verhindern. Er hält die Entwicklung einer eignen Cloud in der Schweiz oder Europa für aussichtslos, weil sie zu teuer wäre und zu lange dauern würde.

Grundsätzlich stimme ich dem Artikel zu, jedoch nicht in jedem Punkt:

Den Vergleich zwischen Cloud und On-premise halte ich irreführend. Selbstverständlich kann sich eine Behörde oder ein Unternehmen zwischen Cloud und dem Selbstbetrieb entscheiden. Wie Vogt richtig schreibt, ist dabei sowohl die Souveränität als auch die Verantwortung höher, als bei einer Cloud-Lösung. Doch darum geht es nicht. Auch beim Selbstbetrieb entscheiden sich die meisten Organisationen für das tödliche Trio: Windows, Active Directory und Office. Ob die Firmendaten und -prozesse in der Cloud oder On-premise kompromittiert werden, spielt keine Rolle.

Tatsache ist, dass ein zentralisiertes Angebot von SaaS und Storage kostengünstiger ist. Ob es verfügbarer und sicherer ist, wage ich zu bezweifeln, wenn ich auf die Cloud-Ausfälle und Sicherheitsprobleme der grossen Anbieter schaue. Bestes Beispiel ist das Jahrhundertversagen der Firma Microsoft, die ihren Hauptschlüssel im Juli verloren hat. Diese Causa hat es sogar in die deutsche Tagesschau geschafft. Welches Ziel ist für Black-Hacker interessanter, Microsoft 365 oder die Server der Firma Kraut und Rüebli?

Falls wir uns darin einig sind, dass eine Cloud-Lösung für fast alle Behörden und Unternehmen die bessere Lösung ist, stellt sich die Frage nach der richtigen Cloud. "Bessere Lösung" heisst "Profit-optimierter" im neo-kapitalistischen Umfeld. Wer sagt denn, dass eine hinreichende Cloud-Lösung in einem souveränen Umfeld nicht teuer sein darf und lange dauern kann? Warum sind die Begriffe "teuer" und "langsam" überhaupt negativ belegt? Sie können auch die langfristige Sicherung von Arbeitsplätzen im Land bedeuten.

Dann gibt es das Argument "Funktionsumfang". Ja, Microsoft 356 hat einen riesigen Funktionsumfang. Wer kennt ihn, wer nutzt ihn, für wen ist dieser Funktionsumfang Geschäfts-entscheidend? Aus langjähriger Erfahrung in einigen Schweizer Unternehmen und Organisationen kann ich sagen, dass der Funktionsumfang gerne als Scheinargument für die eigene Unfähigkeit angeführt wird. Beispiele gefällig: "Horst braucht Photoshop, um ein Bild drehen zu können", "Anna braucht InDesign, um drei Zeilen und ein Bild designen zu können", "Hans-Kaspar braucht Word, für einen Serienbrief, hat aber keine Ahnung, wie es geht".

Das Wort "alternativlos" erinnert mich an Dantes Göttliche Komödie: "Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!" Das Wort "alternativlos" gibt es nicht; insbesondere im IT-Umfeld. Es gibt im Leben und in der IT immer eine Alternative; eine bessere oder eine schlechtere. Wer sagt denn, dass es im europäischen Umfeld keine Cloud-Alternativen gibt?

Nehmt zum Beispiel Nextcloud Hub 5, welche in europäischen Firmen, Behörden und Bildungseinrichtungen eingesetzt wird:

  • Siemens
  • Technische Universität Berlin
  • Raiffeisen Informatik
  • Max-Planck-Gesellschaft
  • Stadtsparkasse München
  • Deutschlandradio (von ARD und ZDF)
  • University of Twente
  • Land Oberösterreich
  • Französisches Innenministerium
  • Stadtverwaltung Genf

.. um nur einige zu nennen. Diese Cloud kann sowohl On-premise als auch extern gehostet werden. Selbstverständlich gibt es Alternativen zur Microsoft 356 Cloud. Man muss es nur wollen und offen für Alternativen sein. Daraus wird jedoch nichts, wenn IT-Manager nach der Devise handeln: "Wer Microsoft kauft, wird nicht entlassen". Wer sich vom Mainstream verabschiedet, braucht einen festen Sitz, Durchhaltevermögen, Nervenstärke, gute Mitarbeitende und die Unterstützung des Managements.

Die zukunftsorientierte und souveräne IT braucht keine Feiglinge.

Falls ihr ihn einer Organisation arbeitet, die alternativ und mutig ist, würde mich euer Kommentar freuen.

Bildquelle: https://g.foolcdn.com/editorial/images/577857/microsoft-better-cloud-mf.jpg

Tags

Cloud, On-premise, Microsoft365

Patrick
Geschrieben von Patrick am 8. September 2023 um 21:48

Ich sitz zwar nicht in einem mutigen Unternehmen, kann das hier Geschriebene mal wieder zu 300% unterschreiben!

Adrian
Geschrieben von Adrian am 8. September 2023 um 22:25

Danke für den Artikel, spricht mir us dem Herzen.

Robert
Geschrieben von Robert am 9. September 2023 um 00:19

Leider kann ich hier nicht deinem Eunsch entsprechend kommentieren – was mich die Inkompatibilitäten schon an Nerven gekostet haben … Egal ob E-Mail (geht nur noch mit Evolution), Dokumente (gehen meistens gar nicht) oder Meetings (laufen jetzt mittlerweile relativ stabil).

this.ven
Geschrieben von this.ven am 9. September 2023 um 00:51

Danke für diese Argumente! Ich weiß nicht wie mutig mein jetziges Unternehmen sein wird, v.a. da es (noch) ZOOM für Videokonferenzen einsetzt solange auch das als alternativlos gilt, aber die Hochschule bei der ich mein Studium abgeschlossen habe, ist auf jeden Fall alles andere als mutig.

M365 ist spätestens seit der Pandemie die eine Antwort auf alle Anfragen und mit unwissenschaftlichen Methoden zur Feststellung, dass nur diese Lösung die Studierenden nicht beim Lernen behindert, Einschüchterungen gegenüber Kritikern und Verweigerung von Support zu allen Alternativen setzt sich eine unprofessionelle Campus IT immer wieder durch.

Letztendlich können die auch alle Kommunikationsflüsse kontrollieren, Märchen verbreiten und so die Hochschulpolitik zu ihrem Gunsten manipulieren. Nachweisbar ist natürlich nichts, denn wer überwacht die Überwacher (mit der Closed Source Spionage-Suite)...

Da kann man nur auf weitere Super-GAUs wie Storm-0558 mit Ransomware und/oder schlimmer hoffen. Denn: Kein (Off-Cloud) Backup, kein Mitleid! ;)

Daniel
Geschrieben von Daniel am 9. September 2023 um 08:11

Bravo, besser kann man es nicht formulieren! Leider darf ich nicht kommentieren weil ich die Bedingung in einer alternativen und mutigen Organisation zu arbeiten nicht erfülle ;)

Robert
Geschrieben von Robert am 9. September 2023 um 16:09

Was heute als "On-premise-CLOUD"bezeichnet wird, nannte man früher in den 80er & 90er Jahren "Novell Netware". War damals zwar NUR etwas mehr als ein gemeinsamer Fileserver, aber der kannte bereits verschiedene Benutzerrechte und auch einige Groupware-Funktionalitäten (Mail etc.) waren schon vorhanden. Die haben dann irgendwann den Absprung in Richtung Internet verschlafen und ihr System war proprietär. Dennoch hat es tadellos funktioniert. https://de.wikipedia.org/wiki/NetWare

Es wäre vielleicht wünschenswert wenn - in nicht allzuferner Zukunft - Teile der Nextcloud-Funktionalität direkt in ein paar Linux-Distros als erweiterte Netzwerkdienste / im Dateimanager / etc. integrierbar und verfügbar wären.

Conrad
Geschrieben von Conrad am 12. September 2023 um 08:46

So "tadellos" hatte Novell Netware auch wiederum nicht funktioniert - aber das war eher eine Folge von DOS/Windows 3.1. Nextcloud ist kein "Cloud Betriebssystem" sondern eine Oberfläche um Dienste aus dem Netz heraus anzubieten - Dateiverwaltung, Kalender, Adresslisten, Aufgabenlisten, Kanban Karten, kollaborative Bearbeitung von Office Dateien.

Um ein Directory anzusteuern benötigt man andere Software, die sich aber integrieren prinzipiell läßt. Das muß nur entsprechend weiterentwickelt werden.

M
Geschrieben von M am 13. September 2023 um 10:35

Nextcloud ist ja bereits integriert in den meisten Linux Dateimangern

Klaus
Geschrieben von Klaus am 10. September 2023 um 10:21

Wem das Wort "alternativlos" in der Informatik begegnet, muss klar sein, dass er/sie gerade belogen oder sogar betrogen wird.

Conrad
Geschrieben von Conrad am 12. September 2023 um 08:48

In Deutschland hat das Wort einen fatalen Klang - in der Schweiz und zum Teil auch in Österreich ist das anders.

Frank Bewermann
Geschrieben von Frank Bewermann am 11. September 2023 um 08:20

Hallo und vielen Dank für den Artikel! Wie ist das wenn man eine eigene Cloud nutzen möchte, ist es besser einen eigenen Server im lokalen Heimnetz zu betreiben, oder ist es vielleicht einfacher ein Angebot wie die Hetzner Storage Share zu nutzen? Für den lokalen Betrieb einer Nextcloud fehlen mir die Kenntnisse, auch müsste ich das lokale Netzwerk nach aussen öffnen um den Zugang zur Nextcloud zu ermöglichen, aufgrund von Halbwissen besteht die Gefahr hier etwas falsch zu konfigurieren und so ungebeten Gästen freien Eintritt zu gewähren. Die lokale Cloud hat natürlich den Vorteil das die Daten auf eigener Hardware liegen. Bei einer externen Cloud würde vielleicht Verschlüsselung der Daten helfen. Mich würde interessieren wie das hier von den Fachleuten eingeschätzt wird vielleicht habt ihr ein paar Tipps dazu?

mw
Geschrieben von mw am 12. September 2023 um 08:30

Ich glaube kaum, daß dieser Artikel die Entscheider erlaubt. Mein Unternehmen ist im Frühjahr Opfer des tödlichen Trios geworden und hat sich Ransomware eingefangen. Was ist das Ergebnis. Migration ind ie kompromittierte Azure/Microsoftcloud Cloud, noch mehr Schlangenöl und Sicherheitstheater und ein bis zur Unbrauchbarkeit kastrierter Windoes Rechner. Selbst vom Servicedesk kommen Empfehlungen wie z. B. die shitty ATP von Microsoft umgangen werden kann, so daß wenigstens Links wieder funktionieren. Ich bin einer den wenigen Glücklichen im Unternehmen, der zusätzlich einen nicht von der IT kontrollierten Notebook hat, sonst könnte ich meinen Job als Systemarchitekt und SW Entwickler gar nicht mehr ausführen. Die welt lernt nichts aus Katastrophen, weder bei Klima, noch bei Energie, Krieg, Hunger usw. Am allerwenigsten bei der IT. Es ist zum Heulen.

Conrad
Geschrieben von Conrad am 12. September 2023 um 08:39

Damit etwas nicht alternativlos ist, muß es erst einmal Alternativen geben. Nextcloud ist eine davon.

Reto Vogt
Geschrieben von Reto Vogt am 13. September 2023 um 18:15

Vielen Dank, sehr gerne gelesen und frische Argumente erhalten.

Daniel
Geschrieben von Daniel am 15. September 2023 um 14:12

Mein Unternehmen (öffentliches Gymnasium in der Schweiz) wird glücklicherweise immer mutiger: BBB statt Zoom, NextCloud statt OneDrive, Collabora statt Office 365, LimeSurvey statt SurveyMonkey… So darf es weitergehen. Alternativlos ist definitiv kein Argument.