Zum Wochenende: Haltung zeigen

  Ralf Hersel   Lesezeit: 6 Minuten  🗪 20 Kommentare Auf Mastodon ansehen

Die Vereinfachung des politischen Spektrums in Links und Rechts ist veraltet und fördert Haltungslosigkeit. Ich biete einen besseren Kompass an.

zum wochenende: haltung zeigen

Das ist ein Meinungsartikel

In den letzten Wochen nahm das Thema "Meinung" einen höheren Stellenwert als üblich ein. Da wurde über Meinungsfreiheit, das Fediverse und politische Präferenzen diskutiert, sowohl auf Mastodon, als auch in den Kommentaren zu unseren Artikeln. So mancher Technik-Nerd mag sich die Augen gerieben haben.

Bei GNU/Linux.ch geht es um Freie Software und Freie Gesellschaft, weil sich beide Themen in der heutigen Zeit nicht unabhängig voneinander betrachten lassen. Freie Software funktioniert nicht ohne Gesellschaft; eine Freie Gesellschaft funktioniert nicht ohne Freie Software.

Die Idee für diesen Artikel entstand beim Lesen der Kommentare zu Lars Artikel: Meinungsfreiheit am Beckenrand. Zwei Dinge daran haben mich beschäftigt:

  1. Die Einordnung des politischen Spektrums in Links und Rechts
  2. Die Aussage: "Weder rechts, noch links"

Beide Punkte hängen eng miteinander zusammen. "Weder rechts, noch links" zu sein, zeugt entweder von einer Haltungslosigkeit oder von Politikverdrossenheit. Beide Gründe unterstelle ich Lars nicht. Obwohl ich ihn kaum kenne, halte ich ihn weder für haltungslos (Hallo, er ist Bademeister) noch für politikverdrossen (sonst würde er nicht solch einen guten Artikel schreiben). Ich glaube, dass er mit "weder rechts, noch links" seine berufliche Unvoreingenommenheit der Gesellschaft (Schwimmbadbesucher:innen) zum Ausdruck bringen wollte. Doch bevor ich hier länger mutmasse, komme ich zu den zwei Kernen dieses Beitrags.

Haltung

Haltung meint die Grundhaltung oder Denkweise einer Person; besser als Gesinnung benannt:

Die Gesinnung ist die durch Werte und Moral begrenzte Grundhaltung bzw. Denkweise eines Menschen, die den Handlungen, Zielsetzungen, Aussagen und Urteilen des Menschen als zugrunde liegend betrachtet werden kann.

Ich meine, dass es keine neutrale Gesinnung gibt, weil Gesinnung zum Einen subjektiv ist und zum Anderen auf vielen Skalen messbar ist. Es gibt niemanden, dessen Gesinnung auf allen Skalen auf dem Nullpunkt liegt. Gesinnung (Haltung) ist etwas zutiefst menschliches; es unterscheidet uns von Maschinen. Philosophisch ausgedrückt, kann es keine Seele ohne Gesinnung geben.

Doch wie kommt jemand auf die Idee, "weder rechts, noch links" zu sein? Darum geht es im nächsten Kapitel.

Politisches Spektrum

Zuerst die Definition des Begriffs:

Der Ausdruck politisches Spektrum bezeichnet Klassifikationen der Ideologien, Haltungen und Wertvorstellungen der Personen, Gruppierungen oder Parteien innerhalb eines politischen Systems. Die Darstellung erfolgt dabei klassisch in Form einer Linie, die entlang einer Konfliktlinie in eine linke und eine rechte Hälfte unterteilt wird. Historisch geht diese Links-Rechts-Aufteilung auf die Sitzordnung in der französischen Nationalversammlung zurück.

Im letzten Satz steckt das Problem. Was interessiert uns die Sitzordnung in der Nationalversammlung? Die Begriffe "Links" und "Rechts" bedeuten gar nichts. Genauso gut könnte man es oben/unten, schwarz/weiss oder Hund/Katze nennen. Diesen Begriffen wohnt keinerlei Bedeutung für ein politisches Spektrum inne.

Wer sich ein wenig mit diesem Thema beschäftigt, stösst schnell auf bessere Kategorien. Man stellt aber auch fest, dass es in den Politikwissenschaften keinen Konsens über die einheitliche Darstellung des politischen Spektrums gibt. Einigkeit besteht dahingehend, dass eine Dimension (links/rechts) nicht hinreichend ist. Es sollten mindestens zwei, besser drei Dimensionen sein. Ich schlage diese vor:

  • Staat (stark/zentralistisch vs. schwach/dezentral)
  • Wirtschaft (egalitär vs. marktorientiert)
  • Gesellschaft (liberal/progressiv vs. konservativ/traditionell)

... welche ich mir aus den Fingern gesogen habe. Ihr könnt selbst einmal recherchieren und schauen, ob ihr eine bessere Dimensionen findet.

Spannt man diese Dimensionen grafisch auf, ergibt sich ein Würfel, was ein wenig unpraktisch ist. Das ist auch ein Grund dafür, warum sich das Rechts/Links-Schema einer grossen Popularität erfreut. Selbst eine zweidimensionale Darstellung erfordert mehr Hirnleistung, als Rechts/Links. Ganz zu schweigen vom Dreidimensionalen.

Lasst mich den Versuch wagen. Beginnen möchte ich mit einer Dimension:

Bildquelle: https://www.britannica.com/topic/political-spectrum

Bei dieser Darstellung ist interessant, dass man versucht hat, zwei Dimensionen zu kombinieren. Das ist doppelt falsch, weil left/right bedeutungslos ist und weil die Kombination left/conservative in der Darstellung unmöglich ist, obwohl es sie in der Realität gibt.

Schauen wir uns eine zweidimensionale Abbildung an:

Bildquelle: https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/Demokratiemonitor/Grafik_Waehler_der_Parteien_nach_Populismus_und-Links-Rechts_Orientierung_20170725.jpg

An dieser Darstellung habe ich zwei Kritikpunkte: die nichtssagende Links-Rechts-Einstufung und die seltsamen Skalen. Wie dem auch sei, diese Darstellung zeigt wesentlich mehr, als das eindimensionale Bild. Nämlich, dass die FDP rechter als die CDU/CSU eingestuft wird und, dass keine der demokratischen Parteien als populistisch bewertet wird.

Exkurs: Webseiten zur Einordnung der eigenen politischen Haltung

Wer nach dem Stichwort "politischer Kompass" im Internet sucht, findet einige Webseiten, auf denen man seine politische Haltung ausloten kann. Die meisten dieser Seiten versuchen, keine Suggestivfragen zu stellen, um ein möglichst neutrales Ergebnis ermitteln zu können. Das Ergebnis wird in zwei Dimensionen abgebildet, ähnlich wie im vorherigen Bild zu sehen ist. Allerdings genügen diese Dimensionen, sowohl ihrer Art nach, als auch in der Menge, nicht meinen Ansprüchen.

Alles bisher Gezeigte ist unbefriedigend, weil zu wenige Dimensionen gezeigt werden und diese falsch benannt sind. Hier kommt mein Entwurf einer dreidimensionalen Darstellung mit sinnvollen Dimensionen:

Um die Extrema in den drei Dimensionen deutlich zu machen, nenne ich einige Beispiele:

  • Staat
    • start/zentralistisch: ausgeprägte Kontrolle, hohe Regulierungskompetenzen, Zentralisierung, Sicherheit als Priorität
    • schwach/dezentral: Subsidiarität, föderale Strukturen, geringe Einmischung ins Privatleben, Autonomie lokaler Einheiten
  • Wirtschaft
    • egalitär: Umverteilung, starker Sozialstaat, kollektives Eigentum, Regulierung
    • marktorientiert: Freier Markt, niedrige Steuern, Deregulierung, individuelle Verantwortung
  • Gesellschaft
    • liberal/progressiv: Offenheit für Vielfalt, Minderheitenschutz, gesellschaftlicher Wandel, postmaterialistische Werte
    • konservativ/traditionell: Betonung von Ordnung, kultureller Kontinuität, nationaler Identität, Hierarchie

Diese Dimensionen bieten mehrere Vorteile ...

  • Klarheit: Jede Achse steht für einen grossen, unterscheidbaren Politikbereich.
  • Flexibilität: Man kann Akteure anhand einfacher Parameter einordnen (z. B. Partei X: gesellschaftlich liberal, wirtschaftlich marktorientiert, staatsstark.
  • Zeitlosigkeit: Alle drei Dimensionen spielen in fast jedem politischen System eine Rolle.

... aber auch den Nachteil, den die drei Dimensionen mit sich bringen. Eine 3D-Darstellung ist uns weniger geläufig und schwerer zu lesen, als ein- oder zweidimensionale Grafiken. Zur Verdeutlichung möchte ich zwei deutsche Parteien in den Würfel einordnen. Die CDU/CSU würde sich im Würfel 7 befinden; die Partei Die Linke belegt den Würfel 1. Die Zuordnung einzelner Würfel ist sehr plakativ, aber nicht für eine persönliche Einordnung geeignet. Dafür verwendet man besser -1 bis +1 Skalen auf den Dimensionen. Dann könnte man seinen politischen Kompass mit X, Y, Z Werten angeben.

Fazit

Der Sinn dieses Artikels ist es, die veraltete politische Einordnung in links/rechts zu hinterfragen. Dazu habe ich mir ein dreidimensionales Schema überlegt, welches die Begriffe links/rechts bewusst vermeidet. Stattdessen beschreiben die Dimensionen Aspekte, mit denen jeder etwas anfangen kann. Damit kann man sich einordnen und Haltung zeigen.

Jetzt wollt ihr noch wissen, wo ich mich im Würfel verorte. Wie vorhin beschrieben, müsste ich dafür X, Y, Z Koordinaten nennen. Das leistet der Würfel im Moment noch nicht. Dann sage ich mal 3.

Schönes Wochenende!

Titelbild: https://pixabay.com/photos/compass-navigation-direction-5812294/

Quellen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Gesinnung

https://de.wikipedia.org/wiki/Politisches_Spektrum

Tags

Links, Rechts, Politik, Haltung, Kompass

Fabian Schaar
Geschrieben von Fabian Schaar am 15. August 2025 um 17:40

Danke für den spannenden Artikel, Ralf! Das Links-Rechts-Schema zu hinterfragen, finde ich richtig. Vielleicht als kleine Ergänzung: Es stimmt schon, wie die Nationalversammlung zusammen gesessen hat, ist heute nicht mehr wichtig. Aber: Die Begriffe Links und Rechts sind über die Zeit auch als Kategorien konstruiert worden. Gerade für die politischen Akteure selbst kann das dann auch von Vorteil sein: Positioniert sich eine Politikfeld-spezifische Bewegung zum Beispiel als "links" könnte sie ihre Diskurspunkte in einem breiteren "linken Spektrum" verankern. Das führt dann möglicherweise zu mehr Unterstützung und Aufmerksamkeit. Ähnlich könnte man Parteinamen wie "Die Linke" interpretieren: Daraus spricht einerseits der eigene Anspruch, mehrere progressive Strömungen abzubilden. Und andererseits stilisiert man sich so auch zur "wahren" linken Partei - was dann evtl. Menschen anspricht, die sich selbst als "links" bezeichnen würden. Und das obwohl sich Grüne, SPD, Piraten und andere ja auch auf dem "linken Spektrum" bewegen. Die Kategorien "Links" und "Rechts" sind sicherlich verkürzt. Aber sie sind teilweise Instrument für politische Akteure und manchen Menschen bieten sie eine (missverständliche?) Orientierung. Daher würde ich auch das Würfel-Modell ein bisschen infrage stellen: Je höher der Abstraktionsgrad so einer Darstellung wird, desto feingliedriger wird dann natürlich auch die Unterteilung. Differenziertheit ist wichtig, macht es (für Laien?) aber auch komplizierter. Das hast du ja mit deinen Anmerkungen angeschnitten, zu den Schwierigkeiten, die eine 3D-Darstellung mit sich bringt. Wie stark man also abstrahieren möchte, kommt vermutlich auf die eigene Herangehensweise und den Kontext an. LG :)

Ralf Hersel Admin
Geschrieben von Ralf Hersel am 15. August 2025 um 18:45

Hallo Fabian und danke für Deinen Kommentar.

Dass "sie teilweise Instrumente für politische Akteure sind und für manche Menschen eine missverständliche Orientierung bieten" ist ja genau mein Kritikpunkt. Es vereinfacht zu sehr und führt zur Polarisierung. Menschen sind viel mehr, als rechts oder links. Das Würfel-Modell (und auch das Spider-Modell) abstrahieren nicht, sondern verfeinern. Dadurch wird Mensch aufgefordert, sich mit genaueren Dimensionen zu beschäftigen.

omega16
Geschrieben von omega16 am 15. August 2025 um 18:05

Danke für den Artikel.

Mir sind dazu noch die Radar-Charts / Smartspider Grafiken von smartvote.ch eingefallen. Wie jede Methode stehen und fallen diese natürlich mit der Definition bzw der Gewichtung der Kategorien. Aber gefallen mir noch.

Erläuterung Smartvote Smartspider: https://sv19.cdn.prismic.io/sv19%2Fc76da00f-6ada-4589-9bdf-ac51d3f5d8c7_methodology_smartspider_de.pdf

Selber generieren: https://politspider.ch/de

Peter
Geschrieben von Peter am 15. August 2025 um 19:00

Ein interessanter Artikel, herzlichen Dank! An deinem Schema würde ich deinen Gebrauch des Wortes "liberal" nicht teilen. Du gebrauchst ihn in sehr angelsächsischer Lesart, der in Europa m.E. eine ganz andere Historie hat.

Im Gegenteil könnte ich mir ein eindimensionales Spektrum mit beliebig vielen Zwischenpunkten vorstellen, das an seinen Enden "Freiheit des Individuums" gegen "Freiheit eines Kollektivs" markiert. In meinen(!) Wertvorstellungen lässt sich jede Frage zu Politik, Wirtschaft und Gesellschaft problemlos in diesem Spektrum einordnen (was so natürlich nur in Gesellschaften mit einem sicheren Rechtsstaat möglich ist). Ob das andere hier ähnlich sehen, würde mich sehr interessieren :)

Ralf Hersel Admin
Geschrieben von Ralf Hersel am 15. August 2025 um 22:30

Bei der Unterscheidung des Begriffs «liberal» im europäischen vs. angelsächsischen Sinn, lässt du mich ratlos zurück. Mir sind die Unterschiede wohl bewusst, ich kann sie jedoch nicht vollständig einordnen. Da muss ich leider passen.

Deinem Vorschlag, alle Dimensionen auf einer Achse zu vereinen, kann ich nicht folgen. Wie willst du orthogonale Aspekte auf einen Vektor abbilden? Das ist logisch nicht möglich.

Peter
Geschrieben von Peter am 15. August 2025 um 22:54

Ich verstehe die Frage leider nicht, m.E. sind die beiden Liberalismus-Definitionen nicht orthoginal zueinander, sondern linear verbundene Gegensätze.

Keine Steuern: Individuelle Freiheit 100% Steuern: Umverteilung zugunsten einer Gruppe

Aber vielleicht übersteigt die Komplexität des Themas jetzt die Möglichkeiten einer geschriebenen Diskussion - zumal ich ja maximal mit Halbwissen trotzen kann :)

Und in einer Kernaussage bin ich ja 100% bei dir: "Links/Rechts" ist als Schema untauglich, um eine Ideologie klar einzuordnen.

Carsten
Geschrieben von Carsten am 16. August 2025 um 00:13

Für "Freiheit des Individuums" gegen "Freiheit eines Kollektivs" reicht eine Spektrallinie aus. Ich kann nachvollziehen, das du für Dich alleine alle Fragen zu Politik, Wirtschaft und Gesellschaft problemlos in das Spektrum einordnen kannst. Bedenke jedoch das Politik immer mehrdimensional ist und du damit nur eine einzige Dimension bewertest. Außerdem hat jeder von uns eine individuelle Definition von Freiheit. Das heißt jeder müsste sich seine personalisierte Skala erstellen (je nach Wichtigkeit wird die Linie entweder mehr in die eine oder mehr in die andere Richtung gezogen) und natürlich passiert das gleiche auch bei der Gewichtung, damit meine ich die Einteilung und Abstände zwischen den Freiheitswerten. Für dich hast du zwar ein gut funktionierendes System, doch ohne vorherigen Konsens in einer Gruppe bzw. in der Gesellschaft ist es nicht allgemein anwendbar. Grüsse aus Berlin.

ubu
Geschrieben von ubu am 20. August 2025 um 06:13

Gib mal ein paar konkrete Beispiele von deinem eindimensionalen Spektrum mit beliebig vielen Zwischenpunkten

Javier Flores
Geschrieben von Javier Flores am 15. August 2025 um 21:04

Die Klassifikation der vorgestellten Spektren ist nicht immer eindeutig. Es gibt zwar das beschriebene traditionelle/konservative und liberale/progressive, doch es gibt genauso gut Liberale die Traditionen verteidigen und Konservative die progressiv denken. Bestimmt findet man auch marktorientierte Linke oder egalitäre Rechte. Ein starker zentralistischer Staat kann z.B.bei Gas, Wasser, Energie für viele als konservativ & traditionell gelten, während der gleiche zentralistische Staat in zu vielen Wirtschaftsbereichen tätig eher an Marxismus oder Kommunsmus erinnert. Die Grenzen sind fliessend und im Würfel kann man an zwei Stellen gleichzeitig sein. Wie in der Quantenphysik !

Ralf Hersel Admin
Geschrieben von Ralf Hersel am 15. August 2025 um 22:03

Bei der Idee der Superposition im Würfel stimme ich dir zu. Doch bei der genauen Betrachtung zerfällt die Superposition in eine Haltung: ∣Ψ⟩=∑ici∣ai⟩

Lars Müller
Geschrieben von Lars Müller am 15. August 2025 um 22:00

Hallo Ralf,

danke für den Artikel. Ja, ich bin als Bademeister eher wie ein Schiedsrichter bei einem Fußballspiel. Für mich gibt es keine Linke oder rechte Seite, ich mache keine Unterschiede bei den Gästen egal, ob schwarz/weiß, Mann/Frau, Erwachsen/Kind. Alle müssen die gleichen Regeln einhalten.

Ich habe auch eine politische Meinung, wie die meisten von uns, aber würde mich weder der einen extremen noch der anderen zuordnen. Genau um diese Extreme ging es mir in dem Artikel. Extreme sind nie gut. Im Fediverse beobachte ich leider die eine Extreme immer wieder. Egal ob es auf schlecht moderierten Servern sind oder auf gepflegten Servern. Es tritt immer mehr auf und andere Meinungen werden nicht toleriert oder diejenigen werden "belehrt".

Danke für deine offene Meinung. Diese Art der thematischen Auseinandersetzung mag ich :-)

Gruß Lars

Uwe
Geschrieben von Uwe am 16. August 2025 um 19:05

"Es tritt immer mehr auf und andere Meinungen werden nicht toleriert oder diejenigen werden "belehrt". "

Das hat der Lenin/Stalin/Mao-ismus so an sich.

thomy46
Geschrieben von thomy46 am 16. August 2025 um 09:55

Danke Ralf für deinen spannden Artikel . Ich kann mich ( noch ) nicht einordnen. Für mich ist dein Würfel mit 8 Teilwürfeln nicht geiegnet. Irgendwie fühle ich mich so wie Rubiks Würfel - es gibt das Resultat nur kurze Zeit, dann verdreht jemand meinen Würfel wieder. Aber es gibt mir immer wieder einen Denkanstoss - LG:

Folker
Geschrieben von Folker am 16. August 2025 um 10:02

Ich finde es gut, dass zwischendurch etwas mehr Fokus auf das Thema Freie Gesellschaft gelegt wird. Deinen Beitrag empfinde ich als guten Denkanstoß dazu, Ralf.

Was du gemacht hast, ist eigentlich übliches Handwerkzeug in den Politikwissenschaften: Theorien und Methoden entwickeln, um politische Prozesse besser verstehen zu können. Ein Beispiel dafür wäre auch die sog. Cleavage-Theorie. Aber auch in anderen Sozialwissenschaften und insbesondere Naturwissenschaften ist die Modell-Bildung zentral. Leider wird viel zu selten hinterfragt, was Modelle eigentlich leisten sollen und auf welche Weise man feststellen kann, ob sie das Gewünschte tatsächlich leisten können. Meistens werden Modelle als „etabliert“ bezeichnet (=„das haben wir schon immer so gemacht“) – so auch das übliche Links-Rechts-Schema.

Ein Modell kann (und soll) aber nie die gesamte Komplexität der Wirklichkeit abbilden, sondern immer nur ausgewählte Aspekte, die einen dabei unterstützen, bestimmte Fragestellungen zu bearbeiten. Auch ein Modell mit drei (oder noch mehr endlich vielen) Dimensionen wird immer an bestimmten Stellen Defizite aufweisen. In anderen Kommentaren wurden schon entsprechende Kritikpunkte an deinem Würfel-Modell angebracht. Das ist nicht schlimm, aber man muss sich dessen bewusst sein.

Um zu einem besseren Austausch über deskriptive und normative Fragen unseres Zusammenlebens zu kommen, ist es meiner Ansicht nach essenziell, die grundlegenden „Denk-Werkzeuge“ zu beherrschen. Natürlich gehört dazu das Hinterfragen der üblichen Links-Rechts-Kategorien, welche die Wirklichkeit unzureichend abbilden. Aber soll das Links-Rechts-Modell die Wirklichkeit vollständig abbilden? Wird das Modell überhaupt als deskriptives Instrument benutzt? Oder nutzen manche Akteure diese Kategorien absichtlich zur normativen Einordnung und Abgrenzung? Je stärker die Komplexität der politischen „Gesinnung“ von Individuen reduziert wird und je gröber die Instrumente zur Beschreibung gesellschaftlicher Phänomene sind, desto leichter lassen sich Freund-Feind-Erzählungen aufbauen und nutzen.

Wir alle können uns selbst und unsere Mitmenschen ein Stück weit dagegen immunisieren, indem wir uns bewusst sind, dass Modelle und Kategorien immer Defizite haben und damit nur eingeschränkt anwendbar sind – und indem wir hinterfragen, mit welcher Absicht sie angewendet werden.

Ralf Hersel Admin
Geschrieben von Ralf Hersel am 16. August 2025 um 21:58

Folker, danke für deinen klugen Kommentar. Wie du richtig schreibst, bilden Modelle immer unzureichend die Realität ab. Sie sind jedoch als Hilfsmittel und Instrument zur Näherung sinnvoll. Ich meine, dass, je einfacher Modelle sind (links/rechts-Modell), sie die Freund-Feind-Erzählung befördern. Beschäftigt man sich mit mehreren relevanten Dimensionen (siehe mein Würfel-Modell). Damit ist es viel wahrscheinlicher, eine Diskussion nicht mit "du linke Sau" und "du rechter Nazi" zu beenden, sondern Meinungen zu den Dimensionen: Wirtschaft, Gesellschaft, Staat (oder was auch immer) miteinander auszutauschen.

Niko
Geschrieben von Niko am 17. August 2025 um 13:44

Mir fiel auf, in der zweidimensionalen Abbildung taucht das Wort Populismus auf. Interessanterweise ist es im Englischen kein "Kampfbegriff" mit dem oft negativen Beiklang wie im Deutschen. Der Duden erklärt den Begriff als (opportunistische) Politik, die „die Gunst der Massen zu gewinnen sucht“ https://de.wikipedia.org/wiki/Populismus#Begriff

Opportunistischen Politikern, die ihre Nasen immer nach dem gerade herrschenden Wind drehen und ausrichten, kann man schon kritisch gegenüber stehen. Aber es ist nichts Schlimmes, wenn Dinge populär sind (Popmusik, Popkultur) und Populismus als die Suche nach Wählerstimmen ist ureigener Sinn & Zweck jedes politischen Handelns. MMn wird der Begriff unzulässig instrumentalisiert und seit geraumer Zeit leider missverstanden.

Thomas
Geschrieben von Thomas am 17. August 2025 um 22:25

Hallo Ralf, vielen Dank für deine Arbeit hier bei gnulinux.CH. Als Volumtarist möchte ich darauf hinweisen, dass ich als bereits Junger Schüler vor 30 Jahren mehr politische Bildung als vermutlich alle Anderen Mitschüler meines Jahrganges hatte und wohl gerade deshalb seit mindestens 20 Jahren nicht mehr innerhalb der verschiedenen Diagramme zu verorten bin. Dies liegt daran, dass die Idee der Freiwilligkeit ohne Akzeptieren einer übergeordneten Autorität im Kern das Gegenteil von Links und Rechts und Allem dazwischen oder auch von Libertär bis Sozialistisch/Kommunistisch und Allem dazwischen ist. Konkret: Kein Staat, kein Monarch, kein Reich sowie kein gesetzliches Zahlungsmittel und kein Eigentum, da ja auch keiner freiwillig die Ordnungsmacht unterhält, die Beides besichern müsste. Superreiche und super Mächtige sind damit aus meiner Sicht nicht möglich. Ich hoffe damit einen kleinen Einblick und einen Startpunkt zu eigener Recherche vermittelt zu haben.

Ralf Hersel Admin
Geschrieben von Ralf Hersel am 18. August 2025 um 21:58

Danke, gerne.

Natürlich kannst du die Anarchie vertreten. Ich halte diese Sichtweise für unrealistisch. Ich bin gerne Teil des Staates und beteilige mich aktiv an seiner Gestaltung, weil ich Teil des Staates bin.

Thomas
Geschrieben von Thomas am 19. August 2025 um 00:43

Hallo Ralf

zum Thema Anarchy habe ich noch eine Anmerkung. Schon bevor ich Voluntarismus zum ersten Mal gehört habe, waren mir der Begriff, das Zeichen und sogar die Farbe zuwieder. Es geht mir nicht darum dem Menschen zu verbieten hierarchische Strukturen zu schaffen. Firmen sind erwünscht und einer oder eine Gruppe hat den Hut auf. Selbst gemeindeartige Strukturen könnten sinnvoll sein und daher freiwillig unterstützt werden. Ich habe selbst zufällig verschiedene behördliche Stellen inne gehabt, arbeite in einer Kommune und diskutieren gern mit aufgeschlossenen aktuellen und ehemaligen Kollegen. Meist sind diese recht politik-, wenn nicht sogar demokratieverdrossen ohne zunächst alternative Ideen zu kennen. Außerdem habe ich mehr als ein Jahr in der Schweiz gearbeitet. Damals ist mir ausgerechnet beim Kontakt mit der direkten Demokratie, die Möglichkeit mich mit Demokratie zu arrangieren flöten gegangen. Ich verstehe ja, warum man als Bürger der Schweiz stolz darauf ist direkt auf Entscheidungen einzuwirken. Dass dieses Recht bewirkt, dass man besonders stolz auf das unmoralische Bestimmen einer (oft knappen) "Mehrheit" über andere Mitmenschen (einige sind und werden ja nicht Mitbürger), hat mich wohl am stärksten davon überzeugt, auch diese Form von Demokratie abzulehnen. Voluntarist zu sein hält mich ja nicht davon ab "den Staat" in seinen Wirkungen mit zu gestalten. Ganz im Gegenteil.

lebe ich aktuell nun mal in irgend einem Staat, ob ich es will oder nicht sehe und nutze ich regelmäßig die Möglichkeit aus der überbordenden Vielzahl von Gesetzen, Verordnungen und Satzungen für mein Gewissen passende "Sätze" zu wählen und andere zu ignorieren. Alle gleichzeitig einzuhalten ist ohnehin völlig unmöglich. Dafür fehlten selbst nach Abwägung und Beachtung verwaltungsmäßiger Verhältnismäßigkeit erheblich die Mitarbeiter. Ich kann also selbst jeden überzeugten Voluntaristen nur ermutigen sich als Teil des Staates an der Voluntarisierung desselben zu beteiligen.

ubu
Geschrieben von ubu am 20. August 2025 um 06:10

Die Begriffe Links und Rechts, left wing and right wing sind weltweit verbreitet und genutzt, mit oft regional, kulturell und politisch stark varierenden Bedeutungen, sie werden nicht verschwinden. Sie sind aber nur eine allererste grobe Einteilung, dessen muss man sich bewusst sein.