Meinungsfreiheit am Beckenrand – und im Fediverse?

  Lars Müller   Lesezeit: 3 Minuten  🗪 10 Kommentare Auf Mastodon ansehen

Im Fediverse wird Meinungsvielfalt oft durch politischen Gleichklang ersetzt. Ein Freibad zeigt, wie echter Respekt auch bei Unterschieden möglich ist.

meinungsfreiheit am beckenrand – und im fediverse?

Im Freibad bin ich einiges gewohnt: Familien mit Picknickdecken, Teenies mit Bluetooth-Box, Rentner, die morgens und abends ihre Bahnen ziehen, und Kinder, die mit Anlauf vom Beckenrand hüpfen – obwohl sie’s nicht dürfen. 😄

Was ich dabei in den 20 Jahren, in denen ich diesen Beruf ausübe, gelernt habe: Hier kommen alle zusammen. Egal, wie sie ticken, was sie denken, welcher Kultur sie angehören oder wie sie reden. Und genau das macht ein Freibad aus – es ist für alle da. Es gibt klare Regeln für Sicherheit und Respekt, aber keine Vorschrift, wie man politisch drauf sein muss.

Seit 4 Jahren bin ich im Fediverse (also Plattformen wie Mastodon, Sharkey & Co.) aktiv. Zuerst aus dem Wunsch heraus, Teil eines Netzwerks zu sein, das ohne die großen Konzerne auskommt. Primär habe ich mir aber mehr Kommunikation mit anderen gewünscht, als das beispielsweise bei Facebook der Fall war. X bzw. Twitter hatte ich nie genutzt. Der Hintergedanke war: Ideen und Gedanken teilen, nette Menschen kennenlernen. Hier kommt die ungefilterte Timeline – ganz ohne Algorithmen. Finden könnt ihr mich unter dem Handle https://fedihub.space/@lars

Der politische Wandel im Fediverse

Aber – und das muss ich einfach mal loswerden – mir fällt auf, dass im Fediverse zunehmend der Eindruck entsteht, eine bestimmte Meinung sei die einzig richtige. In der Anfangszeit, als das Netzwerk noch klein war, ging es vor allem darum, neue Menschen zu erreichen und einen offenen Austausch zu fördern. Heute dominiert – so mein Eindruck – eine überwiegend linkspolitische Haltung. Das ist per se nicht schlimm. Ich selbst bin keiner, der „gegen alles“ ist oder sich rechts verortet.

Ich sehe mich irgendwo in der Mitte. Weder rechts, noch links – einfach interessiert an fairen Diskussionen. Aber wenn Menschen mit gemäßigteren oder konservativeren Ansichten plötzlich belehrt, ausgegrenzt oder direkt blockiert werden, wird es problematisch.

Denn oft wird Meinungsfreiheit zwar eingefordert – aber nicht wirklich gelebt, sobald es um andere Perspektiven geht. Das merke ich auch bei scheinbar banalen Themen: Stell jemandem im Fediverse eine Frage zu Windows 11, oder sag, dass du ein iPhone nutzt – und du wirst nicht selten direkt zurechtgewiesen oder „aufgeklärt“. 

Als Schwimmmeister bin ich wie der Admin einer Fediverse Instanz. Ich bin der Admin der Freibades und ich bestimme die Regeln. Diesen muss man am Eingang zustimmen, wenn nicht kann man wieder nach Hause gehen. 

Mein Job als Schwimmmeister ist ganz klar:

  • Ich halte die Regeln im Blick (für alle gleich)
  • Ich greife ein, wenn jemand andere stört oder gefährdet
  • Und ich sorge dafür, dass alle wieder heil aus dem Wasser rauskommen – egal, wie sie ticken.
  • kümmere mich um die Technik das alles läuft
  • schaue das alle anderen Rahmenbedingungen passen, damit sich jeder wohl fühlt

Warum klappt das im Freibad – aber im Fediverse nicht?

Vielleicht, weil wir online zu schnell vergessen, dass hinter jedem Account ein echter Mensch sitzt. Jemand, der auch mal danebenliegt. Oder anders denkt. Oder einfach mal still mitliest, ohne gleich zu diskutieren.

Ich finde: Das Fediverse hat das Potenzial, ein echter digitaler Marktplatz der Ideen zu sein – frei, offen, unabhängig. Aber dazu gehört auch, dass alle Meinungen Platz haben, nicht nur die, die gerade im Trend liegen. Ich erinnere mich an Beispiele wie Diskussionen über Messenger, „das richtige Betriebssystem“ oder die Vorstellung, dass Mastodon gleichzusetzen sei mit dem gesamten Fediverse.

Das mag für Nerds interessant sein – aber nicht für den Otto-Normal-Nutzer.

Natürlich gibt’s Grenzen: Hass, Hetze, Diskriminierung – das geht gar nicht. Aber unterschiedliche Sichtweisen aushalten? Das gehört zu einer gesunden Plattformkultur dazu. Genauso wie im Freibad mal jemand laut ist, während ein anderer seine Ruhe will. Man findet Kompromisse. Man redet. Man lässt sich leben.

Vielleicht braucht das Fediverse einfach ein bisschen mehr Bademeister-Energie: Weniger erhobene Zeigefinger, mehr Überblick. Weniger Umerziehung, mehr Raum für Vielfalt.

Denn echte Freiheit heißt eben auch, dass du aushältst, wenn jemand anders denkt – ohne ihn gleich zu blockieren oder zurechtzuweisen.

Text: eigene Gedanken 

Artikel Bild: ChatGPT

Tags

Fediverse, meinungsfreiheit, Toleranz, Diskussionskultur

Fred vom Jupiter
Geschrieben von Fred vom Jupiter am 8. August 2025 um 18:28

Du sprichst mir total aus der Seele. Es ist wirklich sehr traurig zu sehen wie bestimmte Meinungen richtig sind und "bevorzugt" werden, während anderer, davon abweichendender, Meinungen gefiltert, zensiert oder gar vollkommen unterdrückt werden.

Meiner Wahrnehmung nach betrifft das inzwischen eine riesige Menge Ansichten, die nicht links oder (linker) Mainstream ist. Viele haben schon die Erfahrung von linken Shitstorms, persönlicher Diffamierung (durch Linke), bis hin zu echten Gewaltandrohungen durch die Antifa gemacht. Oft nur, weil man einfach anderer Meinung ist und diese aber vom aktuellen (linken) Narrativ abweicht. Ganz besonders erschreckt dabei, dass die allermeisten Linken offenbar vollkommen unfähig sind ihr eigenes - unzweifelhaft selbst faschistoides - Verhalten zu erkennen. Dinge, die angeblich als Hass, Hetze oder "rechts" erkannt wurden, werden sofort und OHNE Diskussion mit ALLEN Mitteln im wahrsten Sinn des Wortes "bekämpft".

Viele trauen sich wegen dem "Meinungsterror" einer Linken Minderheit nicht mehr bestimmte Dinge an- bzw. auszusprechen, also offen ihre Meinung zu sagen. Das gilt nicht nur fürs Fediverse sondern insgesamt für die Meinungskultur in unserer "freien" Gesellschaft. All das führt uns meiner Meinung nach überhaupt nicht weiter, im Gegenteil immer weiter in die Sackgasse, bis es vermutlich zwangsläufig irgendwann platzen tut!

Lars Müller
Geschrieben von Lars Müller am 9. August 2025 um 08:16

Genau aus diesem Grund musste ich mir Luft machen.

“ Viele trauen sich wegen dem "Meinungsterror" einer Linken Minderheit nicht mehr bestimmte Dinge an- bzw. auszusprechen, also offen ihre Meinung zu sagen. Das gilt nicht nur fürs Fediverse sondern insgesamt für die Meinungskultur in unserer "freien" Gesellschaft. All das führt uns meiner Meinung nach überhaupt nicht weiter, im Gegenteil immer weiter in die Sackgasse, bis es vermutlich zwangsläufig irgendwann platzen tut!”

Wenn das so weiter geht, trauen sich immer weniger ihre wirkliche Meinung kund zu tun und schwimmen lieber mit dem Strom.

Kai
Geschrieben von Kai am 9. August 2025 um 12:45

Alle reden immer vom FREIEN Fediverse, einer freien demokratischen Gesellschaft, während gleichzeitig von einer politischen Ideologie betrieben all unsere Kommunikation analysiert, bewertet, gestört und notfalls unterbunden wird. Der Tenor "Keine Plattform bieten" der von linken im Fediverse ... und gesamtgesellschaftlich ... betrieben wird ist in Wahrheit nichts anderes als ein Diskussionsverhinderer, der den Austausch von verschiedenartigen Gedanken, Meinungen, Argumenten in bestimmten Themengebieten unmöglich macht. Viele Menschen empfinden diese Art der "political correctness" als grobe Einschränkung von Vielfalt bei der Meinungsbildung und Meinungsunterdrückung. Das wirklich Absurde daran ist, das die sonst überall so vielbeschworende Vielfalt, ausgerechnet hier wo es wirklich wichtig ist, nicht existiert! Eine Unterdrückung von Diskursen behindert die Entwicklung neuer Gedanken auf allen Seiten und löst keinerlei Probleme, bringt keine neuen Erkenntnissen und führt uns zu keinerlei Fortschritt. Eine andere Debattenkultur ist dringend notwendig!

Jens
Geschrieben von Jens am 8. August 2025 um 21:30

Ich hätte jetzt eine rege Diskussion zu deinem Artikel erwartet. Nun ja, mir gefällt er jedenfalls. 🙂

Lars Müller
Geschrieben von Lars Müller am 9. August 2025 um 08:11

Ich hatte auch mit mehr gerechnet. Selbst im Fediverse wurde nicht soviel drüber diskutiert.

Max
Geschrieben von Max am 9. August 2025 um 10:12

Vielleicht hat der Artikel bei dem ein oder anderen ja einen Nachdenkprozess ausgelöst :)

Folker
Geschrieben von Folker am 9. August 2025 um 10:15

Vielen Dank für diesen mutigen und differenzierten Kommentar, Lars! Das, was du für Mastodon ausgeführt hast, kann man direkt auf unsere gesamte Gesellschaft und die strafrechtlichen Regeln unseres Zusammenlebens übertragen. Da ist leider (in Deutschland) eine parallele Entwicklung zu beobachten. Auch ich habe bis vor einigen Monaten überhaupt keine Sozialen Medien genutzt – weder aktiv noch passiv –, habe mir dann aber doch einen Mastodon-Account eingerichtet, auch um GNU/Linux.ch dort zu folgen. Wenn ich aber in „Angesagte Beiträge“ schaue, sehe ich leider fast nur Beiträge, die ich als (linke) Hass-Posts einstufen würde. Bestimmt gibt es auf anderen Plattformen viel krassere Sachen auch aus anderen politischen Richtungen. Aber mir reicht das schon, sodass ich überhaupt keine Lust verspüre, auf irgendeine Weise in Interaktion zu treten.

Wenn es nur um Meinungsdominanz ginge, zugleich aber Widerspruch oder andere Ansichten möglich wären, könnte ich noch damit leben. Wenn aber unterschiedliche Regeln und Maßstäbe für die eine oder die andere politische oder gesellschaftliche Vorstellung gelten, haben wir nicht mehr den „Markt der Ideen“, der für eine liberale und deliberative Demokratie konstitutiv ist, sondern Autoritarismus und Zensur.

Ich habe wenig Hoffnung, dass ein Umdenken in Sachen gelebter Meinungsfreiheit „von oben“, also von politischer Ebene kommen wird. Vielleicht müssen zuerst im Kleinen wieder Räume für faire Diksussionen ohne Ausgrenzung, aber mit Respekt und Ambiguitätstoleranz, entstehen. Böte das Fediverse denn nicht zumindest technisch gesehen dafür eine große Chance? Gibt es womöglich schon solche Räume?

thomy46
Geschrieben von thomy46 am 9. August 2025 um 12:12

Was bedeutet in Deinem Artikel Nerd ? Bin ich ein Nerd ?
Bin ich Links oder Rechts ? Ich bin ein NchtMitSchwimmer , aber ich habe das Lebensretterbrevet .

Harry
Geschrieben von Harry am 9. August 2025 um 18:43

Zuerst war ich ganz angetan von dem Artikel. Dann las ich noch einmal genau. Auch die Reaktionen auf den Beitrag. Über die Aussagen war ich ziemlich erschrocken: "Überwiegend linkspolitische Haltungen, "... abweichende Meinungen werden gefiltert, zensiert oder vollkommen unterdrückt", "(linker) Mainstream)", "Meinungsterror....).

Interessant zu wissen, woher diese Narrative ursprünglich stammen. Eine Recherche lohnt. Sie stammen nicht von der neuen gemäßigten (rechten) Mitte. Sie werden nur von ihr neuerdings vermehrt übernommen.

Ansonsten freue ich mich darüber, in einem Staat mit garantierter Meinungsfreiheit und ohne Zensur zu leben. Und wenn auf meine Äußerungen im öffentlichen Raum heftig reagiert wird, muss ich damit umgehen. Gehört zum Diskurs.

Arepo
Geschrieben von Arepo am 9. August 2025 um 22:10

Ach, ich finde man darf den politischen Gegenwind im Fediverse nicht so ernst und persönlich nehmen. Klar, viele haben sich dort in einer naiven, kleinbürgerlichen Wohlfühllinkstümelei eingerichtet - niedlich, harmlos und so ernst zu nehmen wie ein Dackelwelpe - aber mei, lasst sie doch.

Und klar, viele dort reagieren auf Widerspruch und andere Sichtweisen verschnupft bis weinerlich. Das wirkt dann nicht gerade souverän aber, und das ist der Trick, auch das ist ok. Man kann die Leute in ihrer Dünnhäutigkeit, ihrer Naivität, mit ihren Irrtümern trotzdem als Mensch annehmen und wertschätzen, noch in dem Moment in dem sie offensichtlich falsch liegen.

Klar sitzt bei manchem der Blockbutton locker. Ist doch ok. Mach dir deine Timeline widdewiddewie sie dir gefällt! Und wenn meine Beiträge nicht zu deinem Wohlbefinden beitragen, dann, ich bitte darum, sperr sie weg! Kein noch so richtiges Argument im Fediverse ist es Wert, schlechte Laune zu bekommen.

Und vielleicht als Letztes: Was im Fediverse meiner Wahrnehmung nach toll klappt, ist, dass Diskussionen fast nie mit persönlichen Angriffen geführt werden. Eher blockt man jemanden, bevor man ihn einen Deppen schimpft. Sehr angenehm. Ich hatte da schon mit den bizarrsten Typen zu tun. Fahrradfahrer, Leute die Hunde ernsthaft gut finden (als Haustiere!), Menschen die freiwillig Zug fahren. Selten wird man sich einig. Fast immer ist ein respektvoller Austausch, manchmal sogar mit feiner Ironie, möglich. Ich finds Klasse.