Zum Wochenende: Jack, du hast mein Förmchen geklaut!

  Ralf Hersel   Lesezeit: 8 Minuten  🗪 3 Kommentare

Warum Twitter und Bluesky aus einer anderen Welt als das Fediverse und Mastodon sind.

zum wochenende: jack, du hast mein förmchen geklaut!

In dieser Woche gab es einige Beiträge zum Thema "X, Bluesky und Mastodon". Nicht bei uns, sondern bei Netzpolitik.org und anderen (siehe Quellen). Anlass für dieses "Wort zum Sonntag" war in erster Linie der Artikel "Warum Bluesky gerade durch die Decke geht – und was Mastodon daraus lernen kann" von Markus Reuter. Darin stellt er die Fragen, warum Bluesky zurzeit gehypt wird und weshalb Mastodon das nicht kann. Die Antworten auf diese und noch weitere Fragen gibt er nicht selbst, sondern "hat sich umgehört".

Anhand einer Analyse des Netzpolitik.org-Beitrags möchte ich meine Meinung zu den dort genannten Aussagen kundtun. Das erste Stirnrunzeln kam mir bereits beim Titel "Warum Bluesky gerade durch die Decke geht – und was Mastodon daraus lernen kann". Warum soll Mastodon daraus lernen? Nun gut, beides sind Kurznachrichtendienste, womit alle Gemeinsamkeiten genannt sind.

Vergleiche zwischen Unvergleichbarem haben wir in der Tech-Welt schon oft gesehen. Manche finden LibreOffice doof, weil es nicht exakt gleich aussieht wie Microsoft Office. Einige haben mit GNU/Linux-Distributionen Probleme, weil sie nicht wie MS-Windows aussehen. Wenige haben mit Ausländern Probleme, weil sie nicht wie Deutsche aussehen. Ok, das hätte ich mir sparen können; sorry. Ihr seht den Punkt? Warum werden Dinge miteinander verglichen, die gar nicht miteinander verglichen werden wollen?

Doch jetzt geht es zur Analyse des Artikels.

Markus Reuter hat sich bei Luca Hammer (Datenspezialist), Anne Roth (Netzaktivistin) und Ingrid Brodnig (Twitter-Urgestein) umgehört.

Viele schreiben, dass sie Bluesky weniger umständlich, weniger kompliziert finden und spontan besser damit klarkämen“, sagt Anne Roth, bestätigt von Luca Hammer "Aus dieser Wahrnehmung von Mastodon habe Bluesky offenbar gelernt."

Dem kann man entgegenhalten, dass Bluesky einen Bruchteil der Funktionalität von Mastodon bietet. Ein Kurznachrichtendienst, der kaum etwas kann, ist natürlich auch einfacher zu bedienen. Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen.

„Aktuell im Beta-Stadium funktioniert vieles nicht, was wir von Twitter gewohnt sind: Keine DMs, keine Hashtags, keine Gifs oder Videos und die Verifizierung des eigenen Accounts ist noch komplizierter als bei Mastodon“, so Roth.

Dazu möchte ich ergänzen, dass Bluesky ein selbst entwickeltes Protokoll verwendet. Im Gegensatz dazu läuft bei Mastodon Activity Pub als Protokoll. Dabei handelt es sich um einen W3C-Standard für Social Networks. Zudem ist Mastodon nicht irgendein Kurznachrichtendienst, sondern Bestandteil des Fediverse, dessen Dienste alle auf dem Activity Pub Standard aufbauen.

Anne Roth: „Sehr, sehr häufig gibt es zu Posts bei Mastodon ungebetene Erklärungen, oft von oben herab, klassisches Mansplaining.“

Phantomschmerzen

Argh, "Mansplaining". Mir sind solche sexistischen und gesellschaftsspaltenden Begriffe zuwider. Ich verbuche das als Phantomschmerzen aus der Twitter-Zeit. Als ich vor einem Jahr bei Mastodon eingestiegen bin, empfand ich die Begrüssung, Einführung und die Anleitungen als sehr höflich und hilfreich. Das ist es, was ich mir unter Social Network vorstelle. Zum Glück rückt Luca Hammer das zurecht:

Es liege daran, dass das Fediverse eine eigene Kultur entwickelt hätte, lange bevor Musk Twitter übernommen habe. Wenn alte Nutzer:innen die Neuen auf diese Kultur oder etablierte Verhaltensweisen hingewiesen hätten, habe sich das für die Neuen wie Ablehnung angefühlt. Er ist der Meinung, dass sich das Fediverse und Mastodon grundsätzlich ändern müssten, denn es wolle ja nicht Twitter ersetzen, sondern es besser machen. So setze Mastodon auf Rücksicht und Gemeinschaft statt maximale Reichweite für emotionale Themen.

Dem stimme ich zu, bis auf den Teil, dass sich das Fediverse und Mastodon grundsätzlich ändern müssen. Mastodon will eben nicht Twitter ersetzen. Das Fediverse und Mastodon sind eine Neuimplementierung der ursprünglichen Idee des Internets, bevor es dem totalen Kapitalismus verfallen ist.

„Ganz offensichtlich spielt UI/UX eine zentrale Rolle, also Usability, gewissermaßen die ‚Haptik‘ bei der Benutzung. Da würden eingefleischte Fediverse-Fans sagen: Es steht ja allen frei, alles kann angepasst werden, aber das ist der Mehrzahl der Nutzer:innen natürlich nicht mal eben so einfach möglich", sagt Roth.

Selbstverständlich spielt Usability eine Rolle, was der grosse Vorteil des Fediverse, bzw. Mastodon ist. Wie viele Bluesky-Clients gibt es? Welchen Einfluss haben Anwender:innen auf die Usability von Bluesky? Ihr kennt die Antwort. Im Gegensatz dazu gibt es Mastodon-Clients wie Sand am Meer. Da kann sich jede:r aussuchen, was am besten passt. Damit ist es der Mehrzahl der Nutzer:innen eben "so einfach möglich".

Hinzu komme, dass Mastodon bewusst keine Algorithmen habe. „Für alle, die Social Media für mehr als das reine Geplauder in der kleinen eigenen Community benutzen, ist das ein Problem“, sagt Roth. Wer nicht den ganzen Tag davorsitze, verpasse viele wichtige Infos.

Äh, einer der grössten Kritikpunkte an Twitter ist die algorithmische Timeline. Bei Mastodon gibt es genügend Möglichkeiten, sich die Tröts und Profile auf die passenden Inhalte und Mengen zu konfigurieren, ohne dem Diktat eines unbekannten Algorithmus ausgeliefert zu sein.

Die Organisation hinter dem Dienst Bluesky ist die gemeinnützige Bluesky PBLLC mit Sitz in Seattle. Sie wird geleitet von Jay Graber (CEO); Jack Dorsey und Jeremie Miller sitzen im Board of Directors. Der Milliardär Dorsey hat 2006 Twitter gegründet. Im März 2021 versteigerte Dorsey die Rechte am ersten Tweet "Just setting up my twttr" für 2,9 Millionen US-Dollar. Wo seht ihr die grundlegenden Unterschiede zwischen Elons X und Jacks Bluesky? Ich sehe sie nicht. Aber der Postillion hat eine Antwort auf diese Frage.

Spass beiseite. Ich möchte mit euch die Einschätzung von Mike Kuketz teilen. Er schrieb gestern auf Mastodon:

Bluesky-Hype: Man sollte meinen, dass der Niedergang von #Twitter/#X gezeigt hat, warum Plattformen, die von einem einzigen Unternehmen kontrolliert werden, eine miese Idee sind. Bei #Mastodon liegen Inhalte auf verschiedenen Instanzen (Servern), die von Nutzern/Institutionen selbst betrieben werden und kein Unternehmen einen Besitzanspruch darauf hat. Die dezentrale Struktur von #Bluesky ist zwar ähnlich, aber man ist weiterhin vom Wohlwollen eines Unternehmens abhängig.

Zum Schluss bringt es Ingrid Brodnig auf den Punkt:

„In vielen Fällen siegt Usability über hehre Netz-Ideale.“ Viele Menschen seien eben keine Technik-Afficionados, denen Open Source oder eine nicht-kommerzielle Ausrichtung digitaler Angebote ein Herzensanliegen ist. Solche idealistischen, nicht-kommerziellen Angebote fänden zwar viele in der Theorie gut, in der Praxis setzten sich aber oft jene Angebote durch, die besonders leicht zu benutzen sind und die bereits von vielen Bekannten im eigenen Umfeld genutzt würden.

Genau dort liegt der Hund begraben. Gibt es so etwas wie die mündige Anwenderin? Gibt es den reflektierenden User, der über seinen persönlichen Komfort hinausdenkt? Das Fediverse ist ein Denkangebot an alle Internet-User. Es bringt die ursprünglichen Ideen von Dezentralisierung, Ausfallsicherheit, globaler Teilhabe und Unabhängigkeit von exzentrischen Milliardären zurück. Dafür ist es ein bisschen anders als der x-te Kartoffelbrei.

Vielen Dank an Markus Reuter, dass er sich umgehört hat.

Quellen:

https://netzpolitik.org/2023/soziale-netzwerke-warum-bluesky-gerade-durch-die-decke-geht-und-was-mastodon-daraus-lernen-kann

https://netzpolitik.org/2023/irgendwas-mit-internet-der-exodus-von-twitter-zu-bluesky-und-die-hoffnung/

https://netzpolitik.org/2023/soziale-netzwerke-twitter-jetzt-weniger-wert-als-die-schulden-die-es-hat/

https://www.der-postillon.com/2023/10/ratgeber-bluesky.html

https://social.tchncs.de/@kuketzblog/111182118911833894

https://www.deutschlandfunkkultur.de/wer-kann-macht-rueber-der-hype-um-bluesky-als-alternative-zu-twitter-x-dlf-kultur-7a8c035d-100.html

Tags

Bluesky, Twitter, Mastodon, Fediverse, Netzpolitik

crossgolf_rebel
Geschrieben von crossgolf_rebel am 6. Oktober 2023 um 17:20

Danke für das gerade rücken des Netzpolitik.org Artikels

Mir haben sich auch die Haare gesträubt beim Lesen. Einseitig und wenig differenziert. Wer eine Plattform im Pre-Alpha Stadium besser findet als das Fediverse ober besser gesagt - es wird ja nur über Mastodon gerantet, hat ganz andere Probleme. Was Anne Roth als Nansplaining diffamiert, hat auch mit ihrer Kritikresistenz zu tun und ihres wiederholten vortragens von "Fehler in Mastodon", die aber eigentlich nur ein Fehler ihrerseits bleibt, sich einem von ihr neu betretenen Netzwerk anzupassen. Ob sie dieselben Vorwürfe auch dann BS macht, wenn etwas nicht geht? Ach, da geht ja noch nichts....

Vielmehr ist das zu einem Zusammenprallen von Kulturen geworden, denen die das Fediverse gestaltet und denen die "eine schnelle Alternative" gesucht haben, ohne aber im Geringsten auf die Menschen zuzugehen, die das Fediverse bisher bewohnt haben und ihnen das Wissen absprechen, weil "Jetzt kommen die MacherInnen" die es besser wissen.

Noch mal, in dem Beitrag fehlen Stimmen aus dem Fediverse, die solchen Rant auch einordnen, der da geschrieben steht

Wolfgang  Kobel
Geschrieben von Wolfgang Kobel am 7. Oktober 2023 um 00:38

Vielen Dank für diesen Artikel! Er zeigt mir auch deutlich, dass die Netzpolitik nicht mit der objektiven Haltung berichtet, wie es sein sollte. Es drängt sich mir den Eindruck auf, dass man sich wirtschaftlich – politisch ein Hintertürchen offenhalten möchte, sollte Bluesky es erreichen, so groß zu werden wie Twitter, jetzt Xwitter, oder Facebook. Aus welchem Grund sonst fehlten in diesem Artikel jegliche Meinungen aus dem Fediverse? Persönlich habe ich Twitter bereits 2021 verlassen. Seit Juni 2023 habe ich bei Mastodon eine neue glückliche Heimat gefunden. Der Umgang ist wesentlich freundlicher als es bei Twitter jemals war. Natürlich sehe ich auch, um so größer Mastodon wird, um so mehr fragliche oder extreme Personen tummeln sich auf der Plattform.

fedora
Geschrieben von fedora am 8. Oktober 2023 um 12:22

Eigentlich muss die Mastodon Gemeinschaft froh sein, dass eben die angesprochenen Probleme nicht auf Mastodon übergeschwappt sind. Ich erkenne das sich einige meiner Technikportale einen Mastodon Zugang geschaffen haben und dieser wird durch Bots befüllt und kein Mensch liest die oder interagiert. Am Beispiel, Computerbase, DerStandard, Apfeltalk, Golem usw. diese fluten resp. überfluten das Netz und es kommt zu keiner Interaktion. Die User konsumieren diese Inhalte noch nicht einmal und ich bin mit einem News Reader 100x besser bedient und habe diese wieder aus meinem Filter auf Mastodon entfernt.