Kampf der Textsysteme

  Ralf Hersel   Lesezeit: 4 Minuten  🗪 2 Kommentare Auf Mastodon ansehen

Wenn es um das Erfassen von Texten geht, gibt es viele Anwendungsfälle und noch mehr Werkzeuge. Dieser Artikel versucht sich an einer Einordnung und Bewertung.

kampf der textsysteme

Zugegeben, der Titel ist etwas reisserisch. Er hätte auch heissen können: "Gibt es die eine Textverarbeitung für alle (oder die meisten) Anforderungen?" Die Inspiration für diesen Artikel gab mir Roland mit seinem Kommentar unter diesem Artikel "Typst mit Typesetter schreiben". Das Wort "Textverarbeitung" eröffnet ein weites Feld. In seiner Allgemeinheit reicht es von der einfachen Notiz bis zum geschriebenen Buch oder der wissenschaftlichen Publikation.

Roland kommentiert:

Noch eine weitere Auszeichnungssprache, die man zunächst ersteinmal erlernen muss? Ich verstehe nicht, wieso es (fast) nie den umgekehrten Ansatz gibt: Als Anwender (also kein technisch Begabter, kein gelernter Informatiker, kein Computerfreak) möchte man solche Systeme wie, Markdown, Quarkdown, Typst, LaTeX etc. etc. doch eigentlich immer genau andersherum, als reine WYSIWYG-Editoren, benutzen und dann nur davon profitieren dass man den gesammelten Content auch in einer maschinennahen Auszeichnungssprache verwalten oder weitergeben kann.

Die extremen Enden möchte ich von meiner Betrachtung ausschliessen, nämlich die einfache Notiz und das Buch. Dennoch bleiben genug Anwendungsfälle für eine Textverarbeitung übrig, als da wären:

  • Längere Notiz
  • Blog-Beitrag
  • Wiki-Beitrag
  • Brief an das Finanzamt
  • Bericht
  • (Wissenschaftliche) Publikation
  • Programm-Code

Diese Liste ist unvollständig. Gemeint sind Texte, die weder trivial noch syntaktisch elaboriert sind. Warum habe ich Publikationen und Programm-Code nicht ausgeschlossen? Weil es um die Werkzeuge und weniger um die Text-Typen geht.

Zurück zu Rolands Kommentar, dem ich zustimme. Hier lohnt es sich, die Nerd-Brille einmal abzusetzen. Ich möchte in erster Linie einen Text schreiben und formatieren und erst in zweiter Linie den Code sehen und verändern können. Wenn ich auf die anderen Kommentare schaue, befinden sich Roland und ich in der Minderheit. Viele sehen es umgekehrt: Zuerst den Text codieren, danach das Ergebnis rendern. Das spiegelt sich auch in den Markdown-Editoren wider. Bei den meisten steht der Markdown-Code im Vordergrund.

Doch es gibt Ausnahmen:

  • Typora - ist sehr gut, aber leider proprietäre Software
  • MarkText - kommt nahe an Typora heran, wird aber seit 2022 nicht weiterentwickelt
  • MarkNote - ein Editor für und von KDE
  • MarkFlowy - befindet sich noch in der Entwicklung

Die letzten beiden Anwendungen kannte ich noch nicht. MarkFlowy habe ich mir (als AppImage) kurz angesehen: läuft nicht. MarkNote fällt eher in die Kategorie der strukturierten Notiz-Anwendungen.

Die Qual der Wahl

Muss man sich drölfzig Anwendungen installieren, um für jeden Text-Typ das passende Werkzeug zu haben? Nein, muss man nicht. Das gilt nicht für diese Sonderfälle:

  • Wer Code schreibt, sollte eine richtige IDE verwenden.
  • Wer eine Wissensbasis erstellen möchte, dem empfehle ich eine strukturierte Notiz-Anwendung.
  • Bei naturwissenschaftlichen Arbeiten empfiehlt sich ein Satzsystem wie LaTeX oder Typst.
  • Für andere wissenschaftliche Arbeiten genügt mehrheitlich eine normale Textverarbeitung wie LibreOffice o. ä.

Für Allerweltstexte verwende ich die kleine IDE Geany. Darin kann man Code schreiben, sie als Text-Editor verwenden und mit einem Plugin auch als Markdown-Editor einsetzen. Darüber gibt es bei uns einen eigenen Artikel. Möchte man den Brief ans Finanzamt schreiben, ist vermutlich eine Office-Textverarbeitung die einfachste Lösung.

Doch was bleibt dann noch für die Markdown-Editoren übrig? Die Antwort gibt ein Blick zurück auf den Anfang dieses Artikels:

  • Längere Notizen
  • Blog- und Wiki-Beiträge
  • Ablenkungsfreies Schreiben
  • Berichte oder kleinere Publikationen, die ohne anspruchsvolle Strukturen auskommen

Wenn euch der Inhalt wichtiger ist als die Formatierung, sind WYSIWYG-Markdown-Editoren Gold wert. Leider gibt es davon wenige, und die Wenigen überzeugen mich nicht. Das liegt weniger an den Werkzeugen, sondern an den Schwächen des Markdown-Formats. Versucht doch mal, im Markdown-Editor eurer Wahl eine Kapitelnummerierung durchzuziehen. Das geht nicht, weil Markdown zeilenorientiert ist und keine Ahnung von eurem Dokument hat. Falls euch nicht klar ist, was ich meine, hier ist ein Beispiel (geschrieben in Apostrophe):

Ja, ich weiss. Auch in Office-Suiten sind viele Leute mit dieser einfachen Aufgabe überfordert. Hand aufs Herz: Schafft ihr es in LibreOffice nummerierte Kapitel zu erzeugen? Ich habe es selbst gerade ausprobiert; so schwer ist es nicht:

Um ein passendes Ergebnis in Typst hinzu fummeln, brauchte ich eine halbe Stunde:

Während ich diesen Artikel geschrieben habe, wurden die Fragezeichen auf meiner Stirn grösser. Um diese glattzuziehen, hoffe ich auf eure Kommentare. Ich habe Fragen:

  • Welche Anwendungsfälle für Textverarbeitung habt ihr (im Allgemeinen)?
  • Schwört ihr auf wenige Werkzeuge, die Vieles können?
  • Oder habt ihr für jeden Zweck eine spezielle Anwendung?
  • Wann sind Markdown-Editoren die richtige Wahl?
  • Bevorzugt ihr bei diesen Code-first oder WYSIWYG?

Ich bin gespannt, wie ihr das seht.

Titelbild: https://pixabay.com/illustrations/fighter-boxer-boxing-kickboxing-5489472/ (modifiziert)

Quellen: im Text

Tags

Textverarbeitung, Editoren, Markdown

André
Geschrieben von André am 2. Dezember 2025 um 09:59

MarkText ist in der Community sehr aktiv was den Verbleib vom Maintainer angeht. https://github.com/Benjamin-Loison/marktext/issues/23

Es gibt aber einen Fork der versucht das Projekt wieder auf die Beine zu bekommen. https://github.com/Tkaixiang/marktext

Hier der neue Maintainer. https://github.com/marktext/marktext/issues/1290#issuecomment-3094522616

Bluelupo
Geschrieben von Bluelupo am 2. Dezember 2025 um 10:04

QOwnNotes für Markdown-Textdateien mit WYSIWYG. Für mich als einer der besten Markdowneditor.

https://www.qownnotes.org/