The Cathedral and the Community
Di, 28. Februar 2023, Fabian Schaar
Hinweis: Das ist ein Meinungsbeitrag. (Schon wieder.)
Nachdem gestern mein Essay zu kommerziellen Interessen in der GNU/Linux-Welt erschienen ist, möchte ich meine Gedankengänge noch etwas ausführen -- nicht zuletzt, weil die Kommentare unter dem Artikel relativ gemischt ausgefallen sind.
Im ersten Text habe ich es schon erwähnt: Mir geht es nicht darum, technische Details zu kritisieren, oder den Versuch, etwas zu ändern. Der Linux-Desktop ist nicht perfekt und könnte an manchen Stellen besser integriert sein. Die Frage ist, wie Veränderung umgesetzt werden soll.
Grundlegend könnte man in dieser Hinsicht zwischen zwei Problemlösungsansätzen unterscheiden: Wollen wir bestehendes umwerfen, um etwas Neues, vielleicht Besseres schaffen zu können? Oder wollen wir doch darauf aufbauen, was wir bisher erreicht, aber noch nicht zur Perfektion getrieben haben?
Der interessante Aspekt dieser Diskussion ist, dass sich technisch beides umsetzen ließe: Container-Technologien eignen sich sowohl als eine Ergänzung zur bestehenden Paketverwaltung, als auch als eigenständiges Distributionsmodell.
Nur weil eine Partition mit BTreeFS formatiert wurde, heißt das noch nicht, dass eine immutable Distribution vorliegt. Nur weil Rollbacks und abgesicherte Distributionsstände erstellt werden können, ist die Distribution noch nicht grundlegend anders als ihre klassischeren Mitbewerber. So viel sollte klar sein. Ich denke, darum besteht keine Debatte.
Die entscheidende Frage ist, inwiefern Neuerungen dem bisherigen hinzugefügt oder entgegengesetzt werden: Möchte ich beispielsweise Flatpaks aufgrund ihrer Vorteile stärker in meine persönliche GNU/Linux-Installation integrieren, brauche ich dazu nicht zwingend Silverblue oder MicroOS.
Ich kann Flatpak genauso gut unter Debian einsetzen, wie unter Fedora, wie unter Arch, wie unter openSUSE: Am Ende des Tages liegt genau da ein entscheidender Vorteil der Flatpak-Plattform.
Das ist gut möglich, allerdings nicht die einzige Herangehensweise: Natürlich lassen sich aufbauend auf Flatpaks, unveränderlichen Dateisystemstrukturen und auch ganze Distributionen aufbauen: Nur wer bestehendes hinterfragt, kann Neuerungen auch in sich integriert anwenden.
Hier liegt der Spielraum, den immutable und nicht-immutable Distributionsansätze zur Diskussion offenlassen. Hier liegt das Diskussionspotential, hier können wir uns streiten. Hier können wir darüber reden, wer seine Interessen wie ausspielt, verteidigt, einschränkt und einschränken lässt.
Hinter dieser Debatte verbirgt sich aber ein Faktor, der so omnipräsent ist, dass zumindest ich ihn leicht aus den Augen verliere. Egal, ob immutable oder nicht, egal ob hypermodern oder strukturkonservativ: Wer eine Distribution einsetzen möchte, begibt sich immer in ein Vertrauensverhältnis.
Dieser Aspekt lässt sich nicht nur auf die verschiedenen GNU/Linux-Distributionen anwenden. Am Ende des Tages kann niemand nur mit sich selbst auskommen. Jeder muss mit Abhängigkeiten, Vertrauensverhältnissen und Verpflichtungen umgehen, irgendwie damit jonglieren, irgendwie damit fortleben.
Und im Kleinen ist das ist in der Distributionslandschaft nicht anders. Wer heute openSUSE MicroOS einsetzt, muss sich vielleicht keine Gedanken über das Betriebssystem auf der Platte machen, aber darüber nachdenken, wer hier wem vertraut, ist und bleibt ein entscheidender Faktor.
Genau an dieser Stelle vermischen sich auch technische Fragen mit mehr oder minder subjektiven Wahrnehmungen. Ubuntu hat in den letzten Jahren objektiv viel an vormals bestehendem Vertrauen eingebüßt. Wer die ganze Zeit gegen den Strom schwimmt, die eigene Nutzerschaft eingeschlossen, macht sich nun einmal nicht sonderlich beliebt. Das ist eine Binsenweisheit, und doch sollte man diese im Hinterkopf behalten.
Egal, ob mein System unveränderlich ist, oder nicht: Vertrauen muss ich immer aufbringen, ob ich will oder nicht, darum herumzukommen ist nur schwer möglich.
Länger darüber nachgedacht ergeben sich hier zwei entscheidende Vorteile freier Software: Grundlegend ist sie gegenüber proprietären Entwicklungsmodellen transparent und nachvollziehbar, das aber nicht nur auf einer individuellen, kleinen, überschaubaren Ebene.
Freie Software ist eben nicht nur Software, bei der der Quellcode offen liegt. Freie Software ist auch soziale Software, da einzig freie Lizenzen erlauben es, Software auch im Kollektiv weiterzuentwickeln.
Schon zu Anfang der FLOSS-Bewegung kam die Analogie der Kathedrale und des Basars auf. Aber ist diese Analogie noch zeitgemäß? Hier kommt es wohl darauf an, wie die Metapher angewandt, wie sie verstanden werden will und wird:
Wer die Gemeinschaft rund um freie Software als einen zentralen Aspekt der FLOSS-Bewegung sieht, wird die Analogie wohl eher im Sinne der sozialen Aspekte interpretieren: Die Kathedrale steht auch für ein autoritäres Entwicklungsmodell.
Wer sich mehr mit den technischen Aspekten hinter "Open-Source"-Software identifiziert, wird die Analogie wohl eher auf das Distributionsmodell übertragen.
Vielleicht liegt es daran, dass ich selbst kein Softwareentwickler und im FLOSS-Bereich momentan eher amateurhaft informiert bin: Ich denke, dass die FLOSS-Gemeinschaft einen nicht zu unterscheidenden Teil des Konzepts "freie Software" ausmacht.
In diesem Sinne möchte ich fragen, ob der Basar wirklich die passende Gegenthese zur Metapher der Kathedrale ist: Ein Basar steht auch für Konkurrenz, ein Feilschen unter der Hand, Eigenwille und Eigennutz.
Eine Kathedrale kann als Analogie der Unterwerfung gesehen werden. Aber steht ein Basar für Vertrauen? Ist das wirklich das Bild, was wir der autoritären Softwareentwicklung nach dem proprietären Modell entgegensetzen wollen, wollten und sollten?
Sicher ist das folgende eine sprachliche Perversion dessen, was mit der ursprünglichen Analogie einst gemeint war. Trotzdem: Warum sprechen wir nicht von "The Cathedral and the Community"?
Wäre es nicht gerade innerhalb der FLOSS-Bewegung eine gute Idee, den Konkurrenzgedanken, der offensichtlich nicht immer gesund und heilsam ist, endlich ad acta zu legen?
Für Innovation braucht es kein ständiges Gegeneinander, wenn wir Probleme lösen wollen, müssen wir nicht durch Konkurrenz neue schaffen. Innovation ist nicht davon abhängig, andere übertreffen zu wollen oder zu müssen.
Ich habe immer wieder das Gefühl, dass es stattdessen zu einer Abhängigkeit von der Konkurrenz als solches, zu einer Dominanz des Wettbewerbs kommt, mit der wir uns manchmal ins Knie schießen. Vielleicht. Ich weiß es nicht.
Bild: Fundación Acceso, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons