Zum Wochenende: Der Preis der Freiheit

Fr, 24. März 2023, Ralf Hersel

Freiheit ist ein abstrakter Begriff, den die meisten von uns nur schwer definieren können. Die Frage, ob Freiheit einen Preis hat, ist vermutlich noch schwerer zu beantworten. In diesem "Wort zum Sonntag" möchte ich den Begriff und die Frage, vom Allgemeinen zum Besonderen entwickeln. Zum Thema Freiheit gab es bei uns bereits vor zwei Jahren einen Beitrag von Holger Lietz, den ich gerne zum Lesen empfehlen möchte.

Doch heute soll es um den Preis der Freiheit gehen. Was heisst denn Freiheit? Freiheit (lateinisch libertas) wird in der Regel als die Möglichkeit verstanden, ohne Zwang zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten auszuwählen und entscheiden zu können. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union wird etwas konkreter. Dort wird in den Artikeln 6 bis 19 die Freiheit in verschiedenen gesellschaftlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Bereichen formuliert.

Dort werden genannt:

  • Recht auf Freiheit und Sicherheit
  • Achtung des Privat- und Familienlebens
  • Schutz personenbezogener Daten
  • Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
  • Freiheit der Meinungsäusserung und Informationsfreiheit
  • und viele weitere Freiheitsrechte

Wir, die privilegierten Bewohner von westlichen Staaten, die eine freiheitlich-demokratische Grundordnung geniessen, sind uns der Freiheit nicht täglich bewusst, weil wir es nicht anders kennen. Die Gewohnheit und Selbstverständlichkeit führt dazu, dass wir an die Freiheit kein Preisschild hängen.

Schaut man auf den Freiheits-Index, der seit 1973 von der NGO Freedom House ermittelt wird, sieht man, dass die Mehrheit der 194 beobachten Staaten als nicht frei bewertet werden. Deshalb habe ich im letzten Absatz von einem Privileg geschrieben, in das die meisten von uns hineingeboren oder umgezogen sind.

Aber was ist nun der Preis der Freiheit? Im Amerikanischen gibt es seit den 1930er-Jahren den Spruch: "There ain't no such thing as a free lunch", zu Deutsch: "Das Mittagsessen gibt es nicht umsonst". So selbstverständlich das klingt, steckt dahinter eine Erkenntnis, die viele von uns in der heutigen Zeit vergessen haben: "Jedes Gut hat seinen Preis" oder um es weniger kapitalistisch auszudrücken: "Geben und Nehmen".

Das "Geben und Nehmen" hat zwei Ausprägungen. Wir sind daran gewöhnt, dass die Grunddienste der digitalen Welt kostenlos zur Verfügung stehen. Sei es die Google-Suche, oder der One-Drive Cloud-Speicher. Dass wir dafür mit unseren Daten zahlen, muss ich nicht weiter erklären; das wisst ihr alle. In den Tech-Medien lesen wir Tag für Tag über die neuesten KI-Errungenschaften: ChatGPT, Bart, Midjourney, Stable Diffusion, LLaMA, usw. Auch dabei zahlen wir mit unseren Prompts für die Halluzinationen.

Dazu ein kurzer Ausflug in die Literatur. Ich lese gerade das Buch Singularity von Joshua Tree. Darin werden ausgemusterte Menschen nicht mit Geld, sondern mit immersiven Video-Streams bezahlt. Würdet ihr euer Gehalt gegen ChatGPT-Resulte aufgeben? Heute noch nicht, vielleicht morgen!

Aber auch Luft, Wasser, Natur, Meere und Demokratie empfinden wir als freie Güter, die keinen (einen geringen) Preis haben. Nach der Corona-Pandemie tönt vielen noch das Klatschen für die Pflegekräfte in den Ohren. Auch das ist ein Beispiel für eine empfundene Selbstverständlichkeit des Systems, für die ein zu geringer Preis gezahlt wird.

Im nächsten Schritt gehe ich auf die Freiwilligenarbeit ein. Dazu sagt der ehemalige Uno-Generalsekretär, Ban Ki-moon:

Freiwilliges Engagement ist eine Quelle der Stärke einer Gemeinschaft, ihrer Belastbarkeit, ihrer Solidarität und des sozialen Zusammenhalts. Engagement bringt positive soziale Veränderung durch das Respektieren von Verschiedenheit und Gleichberechtigung sowie durch die Teilhabe aller Personen. Engagement gehört zu den vitalsten Werten einer Gesellschaft.

Ratet mal, welchen Anteil die Freiwilligenarbeit am Bruttosozialprodukt hat. In der Schweiz wurden vor zwei Jahren 619 Millionen Stunden Freiwilligenarbeit geleistet. Würde man die Stunde mit dem durchschnittlichen Stundenlohn von 53 Franken berechnen, kommt man auf einen Wert von knapp 33 Milliarden Franken. Im selben Jahr (2022) betrug das Schweizer Bruttoinlandsprodukt 771 Milliarden Franken. Somit entspricht die Freiwilligenarbeit 4 % des BIP. Dabei handelt es sich um nicht vergütete Leistungen an der Gesellschaft.

Ich halte den Wert von 33 Mrd. Franken für zu gering und würde ihn 5- bis 10-mal höher schätzen. Damit wären wir bei ca. 30 % des BIP. Oder glaubt ihr, dass das Bundesamt für Statistik alle FLOSS-Leistungen einbezogen hat, die in der Schweiz im Jahr 2022 geleistet wurden?

Schauen wir einmal auf die Leistung von GNU/Linux.ch im Jahr 2022. Laut unseres Transparenzberichts haben wir 860 Artikel und 12 Podcast-Folgen abgeliefert. Die vielen Stunden für die Administration lasse ich einmal weg. Wenn ich eine halbe Stunde Aufwand für einen Artikel und 4 Stunden Aufwand für eine Podcast-Folge annehme, komme ich auf einen Wert von ca. 25'000 Franken. Diese Leistung habt ihr im letzten Jahr unentgeltlich bezogen (abzüglich eurer Spenden in Höhe von ca. 2'500 Franken).

Mein Aufruf

Freie Leistungen bilden ein entscheidendes Rückgrat einer freien Gesellschaft. Wenn sich niemand mehr freiwillig um unsere alten Mitmenschen kümmert, wenn sich keiner für die faire Bezahlung von unterbezahlten Berufen einsetzt, wenn ihr alles an Microsoft, Google, Meta und Amazon delegiert, werdet ihr früher als gedacht in einer unfreien Gesellschaft enden.

Schaut auf die Software, Dienstleistungen, Distributionen und Informationskanäle, die zu eurem täglichen Wohlbefinden beitragen. Spendet an Wikipedia, die Document Foundation und an viele andere Freie Projekte, oder an eure bevorzugte GNU/Linux-Distribution. Und wenn dann noch etwas übrig ist, könnt ihr es uns spenden.

Vielen Dank, dass ihr Freiheit einen Preis gebt!

Bildquellen:

Quellen:

Tags

Freiheit, Gesellschaft, Preis, Unterstützung, Freiwillige