Zum Wochenende: Der Preis der Freiheit

  Ralf Hersel   Lesezeit: 9 Minuten  🗪 4 Kommentare

Die Arbeit von Freiwilligen ist eine Säule der Freien Gesellschaft. Ohne diese Arbeit können soziale Wirtschaften nicht überleben.

zum wochenende: der preis der freiheit

Freiheit ist ein abstrakter Begriff, den die meisten von uns nur schwer definieren können. Die Frage, ob Freiheit einen Preis hat, ist vermutlich noch schwerer zu beantworten. In diesem "Wort zum Sonntag" möchte ich den Begriff und die Frage, vom Allgemeinen zum Besonderen entwickeln. Zum Thema Freiheit gab es bei uns bereits vor zwei Jahren einen Beitrag von Holger Lietz, den ich gerne zum Lesen empfehlen möchte.

Doch heute soll es um den Preis der Freiheit gehen. Was heisst denn Freiheit? Freiheit (lateinisch libertas) wird in der Regel als die Möglichkeit verstanden, ohne Zwang zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten auszuwählen und entscheiden zu können. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union wird etwas konkreter. Dort wird in den Artikeln 6 bis 19 die Freiheit in verschiedenen gesellschaftlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Bereichen formuliert.

Dort werden genannt:

  • Recht auf Freiheit und Sicherheit
  • Achtung des Privat- und Familienlebens
  • Schutz personenbezogener Daten
  • Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
  • Freiheit der Meinungsäusserung und Informationsfreiheit
  • und viele weitere Freiheitsrechte

Wir, die privilegierten Bewohner von westlichen Staaten, die eine freiheitlich-demokratische Grundordnung geniessen, sind uns der Freiheit nicht täglich bewusst, weil wir es nicht anders kennen. Die Gewohnheit und Selbstverständlichkeit führt dazu, dass wir an die Freiheit kein Preisschild hängen.

Schaut man auf den Freiheits-Index, der seit 1973 von der NGO Freedom House ermittelt wird, sieht man, dass die Mehrheit der 194 beobachten Staaten als nicht frei bewertet werden. Deshalb habe ich im letzten Absatz von einem Privileg geschrieben, in das die meisten von uns hineingeboren oder umgezogen sind.

Aber was ist nun der Preis der Freiheit? Im Amerikanischen gibt es seit den 1930er-Jahren den Spruch: "There ain't no such thing as a free lunch", zu Deutsch: "Das Mittagsessen gibt es nicht umsonst". So selbstverständlich das klingt, steckt dahinter eine Erkenntnis, die viele von uns in der heutigen Zeit vergessen haben: "Jedes Gut hat seinen Preis" oder um es weniger kapitalistisch auszudrücken: "Geben und Nehmen".

Das "Geben und Nehmen" hat zwei Ausprägungen. Wir sind daran gewöhnt, dass die Grunddienste der digitalen Welt kostenlos zur Verfügung stehen. Sei es die Google-Suche, oder der One-Drive Cloud-Speicher. Dass wir dafür mit unseren Daten zahlen, muss ich nicht weiter erklären; das wisst ihr alle. In den Tech-Medien lesen wir Tag für Tag über die neuesten KI-Errungenschaften: ChatGPT, Bart, Midjourney, Stable Diffusion, LLaMA, usw. Auch dabei zahlen wir mit unseren Prompts für die Halluzinationen.

Dazu ein kurzer Ausflug in die Literatur. Ich lese gerade das Buch Singularity von Joshua Tree. Darin werden ausgemusterte Menschen nicht mit Geld, sondern mit immersiven Video-Streams bezahlt. Würdet ihr euer Gehalt gegen ChatGPT-Resulte aufgeben? Heute noch nicht, vielleicht morgen!

Aber auch Luft, Wasser, Natur, Meere und Demokratie empfinden wir als freie Güter, die keinen (einen geringen) Preis haben. Nach der Corona-Pandemie tönt vielen noch das Klatschen für die Pflegekräfte in den Ohren. Auch das ist ein Beispiel für eine empfundene Selbstverständlichkeit des Systems, für die ein zu geringer Preis gezahlt wird.

Im nächsten Schritt gehe ich auf die Freiwilligenarbeit ein. Dazu sagt der ehemalige Uno-Generalsekretär, Ban Ki-moon:

Freiwilliges Engagement ist eine Quelle der Stärke einer Gemeinschaft, ihrer Belastbarkeit, ihrer Solidarität und des sozialen Zusammenhalts. Engagement bringt positive soziale Veränderung durch das Respektieren von Verschiedenheit und Gleichberechtigung sowie durch die Teilhabe aller Personen. Engagement gehört zu den vitalsten Werten einer Gesellschaft.

Ratet mal, welchen Anteil die Freiwilligenarbeit am Bruttosozialprodukt hat. In der Schweiz wurden vor zwei Jahren 619 Millionen Stunden Freiwilligenarbeit geleistet. Würde man die Stunde mit dem durchschnittlichen Stundenlohn von 53 Franken berechnen, kommt man auf einen Wert von knapp 33 Milliarden Franken. Im selben Jahr (2022) betrug das Schweizer Bruttoinlandsprodukt 771 Milliarden Franken. Somit entspricht die Freiwilligenarbeit 4 % des BIP. Dabei handelt es sich um nicht vergütete Leistungen an der Gesellschaft.

Ich halte den Wert von 33 Mrd. Franken für zu gering und würde ihn 5- bis 10-mal höher schätzen. Damit wären wir bei ca. 30 % des BIP. Oder glaubt ihr, dass das Bundesamt für Statistik alle FLOSS-Leistungen einbezogen hat, die in der Schweiz im Jahr 2022 geleistet wurden?

Schauen wir einmal auf die Leistung von GNU/Linux.ch im Jahr 2022. Laut unseres Transparenzberichts haben wir 860 Artikel und 12 Podcast-Folgen abgeliefert. Die vielen Stunden für die Administration lasse ich einmal weg. Wenn ich eine halbe Stunde Aufwand für einen Artikel und 4 Stunden Aufwand für eine Podcast-Folge annehme, komme ich auf einen Wert von ca. 25'000 Franken. Diese Leistung habt ihr im letzten Jahr unentgeltlich bezogen (abzüglich eurer Spenden in Höhe von ca. 2'500 Franken).

Mein Aufruf

Freie Leistungen bilden ein entscheidendes Rückgrat einer freien Gesellschaft. Wenn sich niemand mehr freiwillig um unsere alten Mitmenschen kümmert, wenn sich keiner für die faire Bezahlung von unterbezahlten Berufen einsetzt, wenn ihr alles an Microsoft, Google, Meta und Amazon delegiert, werdet ihr früher als gedacht in einer unfreien Gesellschaft enden.

Schaut auf die Software, Dienstleistungen, Distributionen und Informationskanäle, die zu eurem täglichen Wohlbefinden beitragen. Spendet an Wikipedia, die Document Foundation und an viele andere Freie Projekte, oder an eure bevorzugte GNU/Linux-Distribution. Und wenn dann noch etwas übrig ist, könnt ihr es uns spenden.

Vielen Dank, dass ihr Freiheit einen Preis gebt!

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Freiheit, Gesellschaft, Preis, Unterstützung, Freiwillige

s3nnet
Geschrieben von s3nnet am 24. März 2023 um 17:39

Sehr schöner Artikel, danke sehr!

thoys
Geschrieben von thoys am 24. März 2023 um 18:40

Es gibt auf der einen Seite knallharte Wirtschaftler und auf der anderen Seite die Freiwilligendienste. Vielen Dank, dass du sie hervorhebst.

Ich möchte noch auf den Bereich dazwischen hinweisen. Wenn wir an einer Schule 30t Euro für eine Linux-Lösung ausgeben und diese dann nicht läuft, aber der Chef der Firma die Scheine zählt und man dann erfährt, dass man für 40 Euro (Notebooklebenszeit) ein von Google verwaltetes Gerät bekommt, dann macht das einem die Freiheit wirklich sehr teuer und schwer.

Warum können IT-Firmen nicht vernünftige Preise ausrufen, sondern - ganz nach Angebot und Nachfrage - so viel verlangen, wie sie eben können. Beispielsweise finde ich 100 Euro die Stunde viel Geld, warum muss es 130+ sein, gerade im Linuxmuster-Umfeld. Warum werden bei Schulen auf die Infrastruktur 15 auf die UVP draufgeschlagen (man kann nur erahnen, wie hoch die Marge da ist).

Daher mein Appell: Auch, wenn es gerade geht. Gerade Firmen im "Freien"-IT-Bereich, sollten doch Preise ausrufen, die zwar fair und hoch sind aber nicht pervers hoch.

Grüße Thoys

Aaron
Geschrieben von Aaron am 24. März 2023 um 18:47

Das ist ein sehr schöner Artikel! Dankeschön auch für euer Engagement und eure super Artikel! Als Anmerkung möchte ich so viele andere freie Güter & Dienstleistungen hinzufügen, die unterstützenswert sind und hier gelistet werden: https://verzeichnis.handelsfrei.org/

Arjun Leines
Geschrieben von Arjun Leines am 26. März 2023 um 16:00

Danke! Es ist immer wieder so wichtig erinnert zu werden, dankbar für das zu sein, was wir als selbstverständlich betrachten. Mein Mitarbeiter sagt, wenn er für whatsapp einmalig 50 Rappen bezahlen müsste, würde er einen anderen Messenger wählen, es kann doch nicht sein, dass man dafür mit Geld bezahlt (er ist Sohn eines Grossunternehmers). Was mit seinen Daten gemacht wird, ist ihm egal, er habe nichts zu verbergen und er selber ist auch zu klein, um ins Gewicht zu fallen.

Passt jetzt nicht zum Thema Computer, mir fallen da vor allem aber auch die Dienste von Mutter Erde ein, die von vielen nicht mehr wahrgenommen werden, aber auf elementarer Ebene auch Freiheit bedeuten: die Erde produziert unser tägliches Essen, ist also unsere Ernährerin. Sehe ich z.B. den vielen Abfall, den Autofahrer einfach mal so aus dem Fenster auf die Felder werfen, dann frage ich mich, ob diese Leute ihrer eigenen Mutter auch eins ans Bein treten, nachdem sie von ihr gefüttert wurden. Ein Spaziergang im Wald zeigt uns so viel Schönheit, gibt uns frische Luft und Entspannung, doch betonieren wir alles zu, jüngst auch wieder der Entscheid mit der Umfahrung von Aarwangen (viel Natur zerstören für noch mehr Verkehr). Wir essen Fisch aus den Meeren, werfen aber unseren ganzen Müll hinein, fahren mit dem Auto für 100m zur Arbeit, dabei wird es wärmer und wärmer, fliegen in die Ferien, während die Versauerung durch CO2 in den Meeren dazu führt, dass Krustentiere keine Kruste mehr bilden können, etc etc..

Diese Entwicklung scheint mir umso fraglicher, weil Wertschätzen etwas ist, was uns gut tut. Einem kleinen, freien Softwareprojekt etwas zu bezahlen, statt es dem Moloch GAFAM in den Rachen zu werfen, gibt mir das Gefühl, etwas Gutes zu tun. Das Wissen darum, dass ich aktuell nicht gerade von dutzenden von Apps ausspioniert werde, erleichtert mich. Der Natur Danke für die vielen Wunder zu sagen, die sie täglich produziert, macht mich glücklich, ja gibt mir einen Sinn. Wertschätzung kann so glücklich machen, wie konnten wir das so verlernen?