Zum Wochenende: Kommentare entlarven

  Ralf Hersel   Lesezeit: 5 Minuten  🗪 15 Kommentare Auf Mastodon ansehen

Wer seine obskure Meinung in unseren Kommentaren platzieren will, kommt nicht weit. Hier lest ihr, wie wir damit umgehen.

zum wochenende: kommentare entlarven

Wir sind froh über die Kommentare, die ihr zu den Artikeln schreibt. Diese Kommis machen die Artikel runder, weil ihr eure Perspektive zu einem Thema mitteilt. Da wir keine Statistik über angenommene oder abgelehnte Kommentare führen, kann ich nur schätzen, dass wir 95 % der Äusserungen annehmen. Wir sind diesbezüglich wohlwollend und freuen uns insbesondere über kritische Kommentare, die den Horizont der Leser:innen erweitern.

Bei den 5 % der abgelehnten Kommentare ist es meistens einfach, eine Entscheidung zu treffen. Da gibt es die, die gegen unsere Regeln verstossen. Es gibt die, die offensichtlich unsinnig oder Trollerei sind. Manchmal fällt uns die Entscheidung nicht leicht. In solchen Fällen besprechen wir uns im CORE-Team oder starten unseren Debunking-Prozess.

Der Kommentar

Zur letzten Podcast-Folge gab es einen solchen Kommentar, den wir abgelehnt haben. Da bei uns Transparenz grossgeschrieben wird, möchte ich diesen Kommentar näher betrachten. Hier ist der Kommentar, der von M. am 19.02.2025 geschrieben und abgelehnt wurde:

Was genau jetzt Elon Musk oder die von Trump unterzeichneten Executive Order jetzt mit Freier Software oder Freier (inklusiver) Gesellschaft zu tun haben, habe ich im gesamten Podcast nicht verstanden. Und eine Erklärung, wieso es negativ oder moralisch verwerflich ist wenn viele Tech-CEO-Bros bei Trumps Vereidigung anwesend sind, habe ich leider auch nicht raushören können. Das war freiwillig, niemand von denen wurde zur Teilnahme gezwungen und Bill Gates (Microsoft) und Larry Ellison (Oracle) blieben fern.

Euch ist schon bewusst, dass Trump in seiner ersten Amtszeit weniger Executive Order unterzeichnet hat als viele seiner Vorgänger? https://en.wikipedia.org/wiki/Executive_order#Table_of_U.S._presidents_using_executive_orders

Man muss Trump nicht mögen und ich will ihn hier auch nicht in allen seinen Sachen verteidigen, aber immerhin ist er einer der sehr selten gewordenen Politiker, die nicht nur reden sondern tatsächlich genau das tun, was sie sagen. Er macht gerne Deals ... Na und? Das ist per se nichts schlechtes und eigentlich sogar besser als alle moralisch oder ideologisch festgefahrenden Fundamentalisten. Beispiel: Wenn er von den Nato-Staaten 5% des SozialProduktes für die Verteidigung fordert, dann tut er dass weil er ganz genau weiss das am Ende nur 2 oder 3 Prozent herauskommen werden. Trump ist da wirklich leicht zu durchschauen und deshalb teile ich Eure Bedenken und "Vorurteile" diesbezüglich nicht!

Der Prozess

Da ich mir nicht sicher war, wie damit umzugehen ist, habe ich die Angelegenheit mit Lioh besprochen, weil sie an der Podcast-Folge teilgenommen hat und sie ihre Erfahrungen geschildert hat. Nach einer ersten ablehnenden Reaktion haben wir den Debunking-Prozess gestartet. Dieser besteht aus drei Stufen:

  1. KI-gestütztes Debunking
  2. Überprüfen der Quellen
  3. Entscheidung über Annahme oder Ablehnung

Für Schritt 1 habe ich Perplexity verwendet, da dieses Modell Quellen angibt. Der Prompt beginnt mit dieser Aufforderung: "Debunk folgenden Text:." Danach folgt der Kommentartext. Hier ist das Ergebnis:

Der Kommentar enthält mehrere Ungenauigkeiten und Fehlinterpretationen, die einer Richtigstellung bedürfen:

  1. Executive Orders von Trump: Entgegen der Behauptung hat Trump in seiner ersten Amtszeit mehr Executive Orders unterzeichnet als viele seiner unmittelbaren Vorgänger. Er erließ 220 Executive Orders in seiner ersten Amtszeit1, was mehr als Barack Obama (276 in zwei Amtszeiten)5 und deutlich mehr als jeder andere Präsident der letzten 30 Jahre pro Jahr war5.

  2. Trumps Umsetzung von Versprechen: Die Aussage, Trump sei einer der wenigen Politiker, die tatsächlich das tun, was sie sagen, ist zu vereinfachend. Viele seiner Versprechen blieben unerfüllt oder wurden nur teilweise umgesetzt.

  3. NATO-Ausgaben: Die Behauptung, Trump fordere 5% des BIP für Verteidigungsausgaben, ist falsch. Das NATO-Ziel, auf das sich Trump bezog, liegt bei 2% des BIP4.

  4. Deals und Verhandlungstaktik: Die Darstellung von Trumps Verhandlungsstil als positiv und durchschaubar ist zu simplifizierend und ignoriert die oft negativen Auswirkungen seiner unberechenbaren Außenpolitik.

  5. Tech-CEOs bei der Vereidigung: Der Text übersieht mögliche ethische Bedenken bezüglich der engen Verbindungen zwischen Technologieunternehmen und der Regierung, insbesondere im Kontext von Musks Rolle in der DOGE-Initiative14.

  6. Freie Software und inklusive Gesellschaft: Der Text verkennt mögliche Zusammenhänge zwischen Trumps Regierungsstil, Musks Einfluss und deren Auswirkungen auf technologische und gesellschaftliche Entwicklungen.

Diese Richtigstellungen zeigen, dass der Kommentator wichtige Fakten verzerrt oder falsch darstellt und komplexe politische Zusammenhänge übermäßig vereinfacht.

Im zweiten Schritt habe ich die Quellen geprüft, um festzustellen, ob die KI bei dieser Antwort halluziniert. Das war nicht der Fall. Beim dritten Schritt habe ich abgewogen, ob man den Kommentar doch freigeben kann, weil darin wichtige Aspekte enthalten sind. Das war nicht der Fall. Der Kommentar wurde abgelehnt.

Die Analyse

Nach einer oberflächlichen Betrachtung könnte man Ms Kommentar in die Kategorie FUD (Fear, Uncertainty and Doubt / Furcht, Ungewissheit und Zweifel) einordnen. Doch das ist nicht der Fall. Es handelt sich viel mehr um Obskurität, also Undeutlichkeit. Das bezeichnet das Vorgehen, verschwommen, mit teilweisen Halbwahrheiten gemischt mit Falschaussagen, um bewusst vom komplexen Ganzen abzulenken und die Situation positiv zugunsten der bevorzugten Position darzustellen.

Der Grund, warum wir so etwas ablehnen, ist die Patt-Situation, in die wir uns begeben würden. Wir argumentieren: "Dein Kommentar ist halb wahr und in Teilen falsch." Damit bieten wir dem Kommentierenden die gewünschte Bühne. Er wird antworten: "Deine Antwort ist halb wahr oder falsch." Und damit endet der Diskurs.

Die Ablehnung des Kommentars ist durch diese Argumente begründet:

  1. Unklarheit: Die Botschaften sind absichtlich vage oder mehrdeutig gehalten.
  2. Verschleierung: Informationen werden bewusst zurückgehalten oder verschleiert.
  3. Komplexität: Es werden unnötig komplizierte Ausdrücke oder Satzstrukturen verwendet.
  4. Distanzierung: Der Kommentierende versucht, emotionale und inhaltliche Distanz zu schaffen.

Eine tiefere Betrachtung dieses Themas liefert Joan Westenberg in ihrem Artikel. "You will never win an argument on the Internet". Zum Schluss möchte ich zitieren, wie Lioh auf den Kommentar reagiert hat:

Ich habe mich noch etwas mit dem Thema beschäftigt. Mir ist dann Folgendes klar geworden. Ich schütte in der Folge mein Herz aus, nein eigentlich ist es ein Hilferuf. Darauf geht der Kommentator in keiner Weise ein, nur auf das Drumherum. So wird bewusst eine emotionale Distanz geschaffen, um Raum für die Propaganda zu bieten und gleichzeitig meinen Appell durch das komplette Ignorieren abzuwerten. Das hat mich sehr verletzt.

Titelbild: https://pixabay.com/photos/one-against-all-all-against-one-1744086/

Quellen:

https://www.perplexity.ai/

https://de.wikipedia.org/wiki/Fear,_Uncertainty_and_Doubt

https://de.wikipedia.org/wiki/Obskurit%C3%A4t

https://medium.com/westenberg/you-will-never-win-an-argument-on-the-internet-heres-why-c35b7995d3dd

Tags

Kommentare, Kommis, FUD, Obskurität

Bostaurus
Geschrieben von Bostaurus am 21. Februar 2025 um 18:08

Spannend, die Sache. Eines vorweg: Ich habe mir die Folge nicht angehört, weil ich im bundesdeutschen Wahlkampf engagiert bin und mir allmählich die Puste ausgeht, was ich alles noch an Infos und Überlegungen in mich aufnehmen sollte. Ich hätte mir nicht diese Mühe gegeben mit dem Kommentar. M sagt, er habe es nicht verstanden, ohne zu schreiben, was er nicht verstanden hat. Er versteht auch offensichtlich nicht die Brisanz, die darin steckt, dass die politisch Mächtigen und die wirtschaftlich Mächtigen zusammen sind; die Brisanz für die Ohnmächtigen. In seiner oder ihrer Begeisterung über Deals übersieht sie, dass das deutsche Recht eine Vorstellung hat von sittenwidrigen und damit ungültigen Verträgen. Und Lioh spürt zu Recht, dass sie auf leise Art nicht ernst genommen wird. Und zwar doppelt: was ihre Befürchtungen angeht, und was das Thema angeht. ... Nun habt Ihr den Kommentar doch veröffentlicht. Beim ersten Lesen habe ich nur gedacht: kommt von einer entweder ignoranten oder naiven Person. Und ich bin der komfortablen Lage, dass ich kein Forum moderieren muss.

T
Geschrieben von T am 21. Februar 2025 um 19:15

Danke für die wirklich extrem transparente Erklärung, wie das Team mit Kommentaren umgeht! Ich hätte nie gedacht, wie viel Mühe ihr euch bei der Einordnung macht. Solch ein Vorgehen würde ich mir so oft bei tausenden anderen Portalen wünschen... Danke für eure Arbeit - weiter so!

Ralf Hersel Admin
Geschrieben von Ralf Hersel am 21. Februar 2025 um 19:34

Zum Glück kommt das selten vor, weil wir eine gute Community haben. In den meisten Fällen genügt ein Blick auf den Kommentar, um Trolle zu erkennen. In diesem Fall war es schwieriger, weshalb ich es wert fand, den ausführlichen Prozess zu beschreiben.

leachimus
Geschrieben von leachimus am 22. Februar 2025 um 21:51

Also ich kenne keinen Blog, der das so handhabt, wie GNU/Linux.ch und ich finde das sehr gut. Es bekräftigt mich in der Unterstützung der Community noch mehr. Vielen Dank dafür!

Viele Grüße Michael

Nick
Geschrieben von Nick am 21. Februar 2025 um 23:16

Entscheidend sein dürfte nicht die Anzahl der Executive Orders des POTUS, sondern –seine(?)– "Methode". Ob die Tech-Milliardäre ihn tanzen lassen, oder er sie antanzen läßt, ist da womöglich gar nicht relevant. Relevant sind hier eher die zunehmenden Parallelen zu gewissen "vorderasiatischen" Oligarchien, und womöglichen WISSEN die gar nicht, dass die Schweiz "neutral" ist - oder es interessiert sie ggf. nicht.

Ob ich das mit dem KI-gestützten Debunking gut finde, weiß ich noch nicht. Solange es aber beim Debunken hilft – warum eigentlich nicht?! "Meinungsfreiheit" heißt ja nicht, absolut JEDEN Unsinn (nicht) zu verbreiten. Dass "Techno Dreckschleudern" für Reinlichkeit sorgen, solange sie nur "hinreichend schnell" drehten, ist mindestens ein Gerücht, wahrscheinlich ist es aber letztlich eher eine dreiste Lüge 🤔️

Ralf Hersel Admin
Geschrieben von Ralf Hersel am 22. Februar 2025 um 23:05

Ich teile Deine Bedenken beim KI-gestützten Debunking. Doch wenn es skalieren soll, kommt man darum nicht herum. Die Alternative wäre, alle Kommentare abzulehnen, die komisch riechen.

Klaus
Geschrieben von Klaus am 23. Februar 2025 um 10:56

Danke für die Erklärungen zu wie Ihr eventuell zweifelhafte Kommentare untersucht. War lehrreich für mich. Ich bewundere Euch für Euren Einsatz und die Arbeit die Ihr macht und die Ihr Euch macht. Danke!

The_Raven
Geschrieben von The_Raven am 23. Februar 2025 um 14:12

Wenn ihr weniger Politik in den Themen haben würdet und euch mehr auf die Sache (Linux, OpenSource, etc.) fokusieren würdet könntet ihr euch das vermutlich sparen. Sobald da halt "Trump", "Putin", "Musk" oder "AFD" steht schaltet der Trigger auf "on". Mir ist klar das es Regeln braucht und Hass und Hetze absolut fehl am Platz sind. Trotzdem stört es mich (allgemein, nicht nur hier) das man fast schon juristisch jedes Wort auf die Goldwaage legt. Aber ja, so ist halt unsere Zeit. Als hätten wir keine anderen Probleme... 🙄 Das wird wohl auch mein letzter Kommentar zu "solchen" (nicht technischen) Themen sein. Ich habe mich entschieden nur noch auf technisches zu antworten um Problemem aus dem Weg zu gehen. Oder ich fliege einfach weiter, denn schliesslich bin ich ein Rabe. 😁

Lioh Möller
Geschrieben von Lioh Möller am 24. Februar 2025 um 09:32

Wie im Podcast besprochen, ist Freie Software natürlich immer auch politisch. Dass sich die Theo- und Technokratiker nun an die Macht gekommen sind und sich darauf eingeschossen haben, Menschen wie mich anzugreifen, macht auch meinen Alltag politisch. Das habe ich mir nicht ausgesucht. Als Rabe hast du vielleicht die Möglichkeit weiterzufliegen, die habe ich nicht.

Berliner
Geschrieben von Berliner am 24. Februar 2025 um 10:48

Du schreibst, Theo- und Technokraten haben sich darauf eingeschossen dich anzugreifen. Habe mir deshalb aus Neugier gerade eben den gesamten Podcast angehört und möchte dir sagen, dass ich ebenfalls schräge Blicke und manchmal auch blöde Kommentare auf der Strasse bekomme. Damit bist Du ganz sicher nicht alleine. Ich wohne in Berlin und da ist sowas seit Jahrzenten, lange vor Tump, an der normalen Tagesordnung das man auch mal dumm angemacht wird. Woran machst du fest das bei dir Donald & Elon die Schuldigen sind?

Herr_Dyyhl
Geschrieben von Herr_Dyyhl am 24. Februar 2025 um 20:22

Es ist schon sehr interessant, daß ihr euch so viele Gedanken macht. Das war sehr spannend zu lesen. Noch habt ihr Zeit, euch mit einem Teil der 5 % zu befassen - aber das wird sicherlich mehr.

Aptaurus
Geschrieben von Aptaurus am 25. Februar 2025 um 00:49

Danke für die Darstellung Eurer verantwortungsvollen Entscheidung.

Eure Klugheit ist "das Frühwarnsystem, welches wie der Kanarienvogel im Bergbau vor noch grösseren drohenden Gefahren warnt. Wenn der Vogel aufhörte zu singen oder sogar umfiel, war dies ein deutliches Signal für die Bergleute, dass sie sich sofort in Sicherheit bringen mussten."

Peter
Geschrieben von Peter am 25. Februar 2025 um 18:51

Sehr spannend der Einblick in euren Prozess, herzlichen Dank! Und es zeigt halt das Dilemma: Sobald man moderieren will - wie immer man das auch tut - landet man irgendwann bei Grenzfällen. Man sieht auch schön die Grenzen einer KI. Trump unterzeichnet mehr executive Orders als 'viele' seiner Vorgänger. Aber M. hat ja nie behauptet, 'alle' Vorgänger hätte mehr unterzeichnet. Also super, dass ihr euch die Mühe macht, zusätzlich 'manuell' rüberzuschauen.

Für mich persönlich war diese Podcast-Folge auch nicht das, was ich bei gnulinux.ch suche, aber da kann man ja drüberskippen wenn man möchte (was ich natürlich nicht getan habe :) ).

Bernie
Geschrieben von Bernie am 28. Februar 2025 um 17:56

Einerseits lobenswert, wie Ihr mit der Sache umgeht, andererseits: das "Debunking"-Tool ist wohl auch nicht der Weisheit letzter Schluss: Zumindest Punkt 3 hatte auch ich anders im Kopf, hab deshalb nachgeguckt und voilà: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/trump-nato-verteidigungsausgaben-100.html https://de.euronews.com/my-europe/2025/01/08/trump-fordert-5-prozent-nato-verteidigungsausgaben-so-reagieren-deutsche-politiker und das sind ja seriöse Medien, sagt man - würde ich eher über den Weg trauen als so 'ner KI. My 2ct.

Bernhard
Geschrieben von Bernhard am 17. Mai 2025 um 11:37

Muß nochmal drauf zurückkommen, nochmal mit einem klassischen Medium - wie heißt es so schön: die Verschwörungstheorien von heute sind die Nachrichten von morgen ... hab den Eindruck, daß das nicht mehr so ganz aus der Luft gegriffen ist, wenn man das liest: Die Hälfte (!) des Bundeshaushalts für Krieg: https://www.dw.com/de/deutschland-folgt-usa-bei-f%C3%BCnf-prozent-ziel-f%C3%BCr-verteidigung/a-72556384 Ganz nach Jean Claude Junker: Wir stellen was in den Raum, ... https://gutezitate.com/zitat/104255 - die Rentner und Bedürftigen werden das erst in ein paar Jahren zu spüren kriegen, wenn kein Geld mehr da ist.