Das Thema Kartografie erfreut sich in der GNU/Linux-Community einer grossen Beliebtheit. Auch bei uns gab es schon viele Artikel zu Anwendungen, Projekten und Mitmach-Beispielen. Erst kürzlich fand mein Beitrag zum Projekt Schüler schaffen Orientierung grossen Zuspruch. Aktuell läuft bei uns eine Umfrage von caos zu Karten-Apps und dem Mitmachen bei der Kartografie. Vermutlich liegt die Beliebtheit darin begründet, dass jede:r Karten verwendet und die Schwelle für die Unterstützung zur Verbesserung des Kartenmaterials sehr niedrig liegt.
Doch nun kommt Google um die Ecke und sucht nach Freiwilligen, die die Lücken von Google Maps füllen sollen. Wohl gemerkt, wir reden hier von einer der reichsten Konzerne der Welt, der ehrenamtliche Arbeit einfordert. Heise schreibt dazu:
Seit 2021 helfen auserkorene Freiwillige, im Rahmen des Programms die Lücken bei Google Maps zu verkleinern und fehlende Straßen hinzuzufügen. Dazu wird Road Mapper ein Stück weit geöffnet: Wer möchte, darf sich bei Road Mapper um Aufnahmen bewerben. Außerdem dürfen jene, die bereits an Road Mapper teilnehmen, bis zu fünf vertrauenswürdige Personen vorschlagen. Road Mapper besteht parallel zur Möglichkeit, als "Local Guide" Karteninhalte zu Google Maps hinzuzufügen. Während Local Guides tendenziell vor Ort sind, können Road Mapper Satellitenaufnahmen nutzen, um Straßen zu erkennen und für Google Maps vorzuschlagen. Damit ist die Teilnahme weltweit möglich, auch wenn der Teilnehmer noch nie vor Ort war.
Aha, man darf sich bewerben, um unentgeltliche Arbeit zu leisten. Wie schräg ist das denn? Wenn Google wenigstens 1 Euro für jeden erfassten oder korrigierten Datenpunkt zahlen würde, könnte ich das Projekt Road Mapper noch verstehen. Doch Google springt frech auf den Crowd-Sourcing-Zug auf, der vor Jahrzehnten von Organisationen wie Wikipedia und OpenStreetMap etabliert wurde.
Hört man sich in der Bekanntschaft und auf Social Media um, so scheint eine Mehrzahl der Leute Google Maps als das Mass aller Dinge in puncto Kartografie zu betrachten. Ich gehe so weit zu behaupten, dass "Google Maps" ein Gattungsbegriff für Karten-Apps geworden ist, ähnlich wie "Tempo" für Papiertaschentücher und "Tesa" für Klebeband; zumindest in Deutschland.
Die Begeisterung für Google Maps habe ich noch nie verstanden, wobei das an meinen Mobilitätspräferenzen liegen mag. Ich bin Fussgänger, Öffi-Fahrer und Pedalen-Treter. Mein Auto habe ich vor 20 Jahren abgeschafft. Vermutlich richtet sich Google Maps eher an Verbrenner-Typen und Navigations-Abhängige. An der Genauigkeit und dem Detailreichtum kann es nicht liegen. Die OpenStreetMap ist in diesen Punkten Jahre voraus. Beispiel gefällig?
Bildnachweis für den Google Maps Teil: Kartendaten © Google 2023
Ihr seht selbst, wie armselig Google Maps im Vergleich zur OpenStreetMap aussieht. Es fehlen: Bäume, Fahrtrichtungen, Brunnen, Geschäfte, Gebäude, Points of Interest und viele Details, wenn es um Öffnungszeiten, Infrastruktur für Behinderte, Öffi-Linien und vieles mehr geht. Haben Treppen Geländer, sind Haltestellen beleuchtet, gibt es Strassenmarkierungen für Blinde? Fehlanzeige bei Google Maps; solche Informationen gibt es dort nicht. Auch bei der Aktualität kann Google Maps nicht mithalten. Versucht mal, dort ein Kunstobjekt zu finden, welches für zwei Monate aufgestellt wird, wie zum Beispiel der Zürcher Hafenkran oder der zweite Turm der Kirche Fraumünster.
In seltenen Fällen kann die Navigation mit Google Maps auch zum Tod von Menschen führen, wie dieses Beispiel zeigt. Ein Mann fuhr über eine Brücke, die bereits vor neun Jahren einstürzte. Mit den wenigen verfügbaren Ortsangaben habe ich versucht, die Brücke auf der Karte zu finden (ohne Gewähr):
Bildnachweis für den Google Maps Teil: Kartendaten © Google 2023
Ich glaube nicht, dass sich für das Road Mapper Programm von Google viele Crowd Sourcer finden werden. Die grosse Masse der privaten Mapper ist bereits bei OpenStreetMap engagiert. Dort gibt es zwar auch keinen Euro für einen Mapping-Beitrag, weil man das von einem Freien Projekt nicht erwartet. Im Gegenteil, viele OSM-Nutzer:innen spenden für das Projekt, um einen Beitrag zu deren Infrastrukturkosten zu leisten.
Falls ich euch überzeugen konnte, nicht unentgeltlich für Google Maps zu arbeiten, sondern stattdessen die OpenStreetMap mit eurem lokalen Geografie-Wissen zu unterstützen, habe ich ein paar Tipps für Einsteiger:innen parat:
- Wer die OpenStreetMap bisher noch nicht für sich entdeckt hat, kann für ein paar Monate auf Google Maps verzichten und die OSM als Alternative verwenden, um sie besser kennenzulernen.
- Für den Einsatz auf dem Smartphone empfehle ich die Apps OsmAnd oder OrganicMaps für alle, die es einfacher mögen. OsmAnd ist ein Funktionsmonster und eher für Fortgeschrittene geeignet.
- Der Einstieg ins Mapping gelingt sehr einfach und auf spielerische Art mit der App StreetComplete. Darin werden konkrete Fragen gestellt, die man beantworten kann, falls man sich im Zielgebiet auskennt. Bei den Antworten erhält man eine gute Unterstützung durch die App.
- Hat man Gefallen am Geo-Mapping gefunden, bietet die OSM-eigene Anwendung iD den Schritt zum nächsten Level. Bei StreetComplete wird man geführt, wohingegen es in iD die volle Mapping-Freiheit gibt.
StreetComplete bietet spielerisches und einfaches Geo-Mapping
Fazit
Ich halte das Google Programm "Road Mapper" für ein unmoralisches Angebot. Wenn eine Mega-Firma nach Freiwilligen für unentgeltliche Mitarbeit fragt, die anschliessend durch Werbeeinnahmen in einem konstanten Millionen-Dollar Profit resultiert, ist das unredlich. Google hat das Crowd-Sourcing weder erfunden noch hat die Firma einen moralischen Anspruch darauf. Dieser gebührt Organisationen wie OpenStreetMap. Deshalb empfehle ich allen, die zur Verbesserung des Kartenmaterials beitragen möchten, das freie Original.
Quelle: https://www.heise.de/news/Google-sucht-Freiwillige-die-Strassenkarten-ergaenzen-9310477.html
So sehr ich inhaltlich hinter dem Fazit stehe (Selbstverständlich sollte Google Leute dafür bezahlen, ihre Karte zu fixen.), halte ich Einlassungen á la "In seltenen Fällen kann die Navigation mit Google Maps auch zum Tod von Menschen führen [...]." für Bildzeitungsniveau und weder relevant noch hilfreich. Wer im Straßenverkehr (egal, mit welchem Fortbewegungsmittel!) die ganze Zeit auf sein Smartphone glotzt, statt die Welt um sich herum wahrzunehmen, muss sich nicht wundern, wenn er Unfälle baut.
Du hast natürlich recht, dass sich niemand auf das Navi verlassen, sondern die Augen auf der Strasse halten sollte. Mir ging es darum, dass die OSM-Daten wesentlich zeitnäher sind, als die GoogleMaps-Daten. Auf der Basis von OSM hätte die Navigation ihn nicht über eine eingestürzte Brücke geführt. Ich verstehe nicht, was Dein Hinweis auf "Bild-Zeitungs-Niveau" bedeuten soll; es handelt sich um einen dokumentierten Gerichtsfall.
Stimmt - vermutlich landen aktue Änderungen wie Baustellen oder kaputte / reparierte Brücken schneller in OSM als in Maps, sofern es in dem Gebiet jemanden gibt, der das ehrenamtlich einträgt.
Mein Hinweis bezog sich darauf, dass die Bildzeitung einen Artikel über den dokumentierten Gerichtsfall vermutlich mit "Google Maps tötet!", "Smartphones töten!" o.Ä. betitelt hätte und ich das für unseriös und reißerisch halte. Zudem ist es falsch. Was den Mann laut dem Artikel von Golem getötet hat, war seine Ignoranz für seine unmittelbare Umgebung. Und Stichwort "dokumentierter Gerichtsfall" - ja, in den USA kann man ja jeden wegen allem erdenklichen verklagen - selbst dafür, dass man selbst beim Autofahren nicht nach vorne schaut.
StreetComplete macht richtig Spaß! Seit caos' Umfrage und dem darin genannten Tipp zu StreetComplete bin ich der OSM-Sucht verfallen und kartografiere spielend meine Umgebung. 😀
Sehr guter Artikel und Hinweis. Osmand nutze ich schon länger, besonders eben für Wanderwege und kleinste Brücken oder Rad/Fußpfade ist oben street maps deutlich besser aufgestellt. organic Maps werde ich mal ausprobieren und dann wahrscheinlich auch meinen Bekannten empfehlen dir eher Einsteigerprogramme brauchen. Street complete werde ich mir auch mal anschauen um in meiner eigenen Umgebung OpenStreetMaps zu verbessern und vielleicht dann auch dem einen oder anderen Bekannten vorzuschlagen.
🫵😂 Soweit kommt es noch das ich für Google gratis mappen gehe! 🤪 Ziemlich frech. Nein ich mache einfach bei OSM gratis weiter 👍
Leider ist OSM für die Navigation beim Autofahren nutzlos. Durch die Verkehrslage bei "Google Maps" können Staus umfahren werden. Baustellen ploppen schnell auf und werden umschifft... etc.
Das Beispiel mit der Brücke ist lächerlich. Bei OSM werden grundsätzlich Baustellen frühestens erst ab sechs Monaten dauer eingetragen. Das weiß ich von einem >15 Jahren sehr aktiven OSMler der auf dem CCC Camp kurzen Talk gehalten hat. Die Zielgruppe von OSM sind die "Kartenausdrucker". Da soll der Idealzustand in der Karte sein. Es nützt den Ausdruckern nichts, wenn er jetzt eine Karte mit Baustelle Ausdruckt und in 2 Jahren fährt er deshalb einen Umweg.... Das war so sein Beispiel.
Also wäre auch eine entfernte Brücke beim Brückenneubau nicht in OSM.
Abgesehen davon soll der Fahrer auf die Fahrbahn schauen und nicht stumpf nach Navi Fahren.
Es mag sein, dass die OSM für die Navigation beim Autofahren nutzlos ist; das habe ich ja auch geschrieben. Dein Hinweis, dass Baustellen erst ab 6 Monaten eingetragen werden, ist erstens falsch und zweitens irrelevant. Es handelt sich im Beispiel mit der Brücke nicht um eine Baustelle, sondern um eine seit neun Jahren nicht vorhandene Brücke. Der Screenshot zeigt es doch: OSM zeigt die Strasse als unterbrochen an; GoogleMaps eben nicht (nach neun Jahren). Falls ich Fehler in den OSM-Daten entdecke, korrigiere ich diese sofort, und nicht erst nach neun Jahren.
Die Geschichte erinnert mich daran, dass mich Osmand vor Kurzem ebenso über eine schon seit drei Jahren nicht mehr vorhandene Brücke führen wollte. Die Brücke selbst ist auf OSM zwar tatsächlich weg, aber eine Wegroute geht noch da lang – und zwar der Jakobsweg von Rom nach Santiago di Compostela!
Also "nutzlos" definitiv nicht. Ich fahre ab und zu mit OSM da mein Navi im Auto recht veraltet ist. Das ganze "Google-Zeugs" ist halt einfach bequem. Vielen ist es egal das die Daten ungenau sind, der Komfort ist ihnen wichtiger. Und genau das ist fatal. Alle modernen Tech-Konzerne arbeiten mit der Faulheit/Bequemlichkeit der Menschen und treiben sie so in eine Abhängikeit. Viele sind leider zu blöd das zu realisieren. Und wenn sie es dann merken ist es oft bereits zu spät. 🙈
Btw Magic Earth bietet z.B. Echtzeit Verkehrsdaten und OSM Karten.
Ich stimme dir völlig zu, man sollte sich nicht auf solche Gratisarbeit einlassen, mit der dann nur Google prahlen und kassieren kann. Allerdings scheint es mir auch AO, dass bei Normalnutzern, Presse und PR-Abteilungen oft nur der Blick auf Google gerichtet ist und dafür bereitwillig auch Arbeit in Infos und deren Aktualisierung zu stecken. OSM, Wikipedia / Wikidata fallen da leider oft runter und werden nicht als wichtig genug angesehen. Egal ob es den freien Austausch von Infos und die Nutzung / Einbindung in Portale Dritter hilft. Naja ist leider so dass das schon wieder ein Schritt zu viel ist ;-)
Danke für den motivierenden Artikel! OSM stand lange schon auf meiner Mitmach-Liste, zumal ich seit vieeelen Jahren schon von davon profitiere, aktuell via Organic Maps. Streetcomplete ist installiert, die ersten Fragen in Familien-Engagement beantwortet. So muss das.
Danke für den Artikel. Aus Bequemlichkeit habe ich bisher immer Google Maps auf meinem Smartphone genutzt. Da ich gerade Urlaub und die Muße habe mich mit alternativen Apps zu beschäftigen habe ich mir Organic Maps installiert. Der erste Eindruck: super! Habe mir auch schon die GPS Daten einer Wanderung importiert, die ich demnächst mit meiner Frau machen möchte. Ich werde jetzt die App und das Kartenmaterial testen. Sehr gut finde ich das man die Karten herunterladen und offline verwenden kann.
Ich gehe davon aus, dass es sich exakt um diese Bruecke handelt - inzwischen ist sie naemlich an dieser Stelle bei google maps nur noch in den Satelittenbildern sichtbar. Bei Street View kann man sich die Bruecke sogar ansehen (inkl. der Betonpoller und rot-weissen Absperrungen, die zumindest jetzt im Wege stehen). Mir voellig unverstaendlich, wie man (auch ohne Absperrungen) da reinfahren koennte.
Danke fuer den Artikel, ich werde damit einen weiteren Schnitt an "nicht Open Source" in meinem Leben vornehmen. :)
Klingt sehr interessant. Da ich (neben)beruflich LKW fahre, stellt sich die Frage, ob OsmAnd auch für die Routenplanung mit einem LKW geeignet ist.