"Take back (some) control": Alte Android-Geräte reanimieren und entgooglen mit dem Custom ROM "DivestOS"

Mo, 5. September 2022, Caos

Letztes Jahr hatte ich verschiedene Custom ROMs getestet und etwas vollmundig in dem Artikel "Freie Fahrt für freie Androiden!" eine Serie zu diesem Thema angekündigt, die ich leider aus Zeitgründen noch nicht realisieren konnte.
Da nun auf Mastodon noch eine Nachfrage an mich zu DivestOS kam, greife ich dies als Erstes noch mal auf, da es tatsächlich eines der alternativen Betriebssysteme für Mobilgeräte ist, das noch weitgehend unbekannt ist und zu dem nur wenige unabhängige Informationen vorliegen.

Hintergrund: Besonderheiten von DivestOS

Es handelt sich bei DivestOS um einen "Soft-Fork" von LineageOS. Es ist im Wesentlichen ein spendenfinanziertes "Ein-Mann-Projekt" dessen Motto lautet: "A mobile operating system divested from the norm. Take back (some) control of your device".

DivestOS ist ein Projekt, das laut Selbstbeschreibung "seit 2014 aus Leidenschaft von Tad (SkewedZeppelin) betrieben wird. Es hat viele Ziele, die wichtigsten sind: die Verlängerung der Lebensdauer von Mobilgeräten, die Verbesserung der Privatsphäre der User und die Erhöhung der Sicherheit, wo/ wann immer es möglich ist."

DivestOS zielt darauf ab, so weit wie möglich die proprietären Android-Komponenten zu entfernen, und das System enthält ausschliesslich freie Software.  Alle von DivestOS unterstützten Geräte sollen monatliche Sicherheitsupdates erhalten. Es werden relativ viele Geräte unterstützt.


Erfahrungsbericht
Ich nutze DivestOS momentan u.a. auf einem Samsung S4 Mini (GT-I9195). Das Gerät ist von 2013, also in Smartphone-Zeitaltern gerechnet aus der Steinzeit.
Es hat 1,5 GB Arbeitsspeicher, 8 GB Speicher und einen SD-Kartenslot, der Karten bis maximal 64 GB verarbeiten kann.
Kann man so etwas im Jahre 2022 noch sinnvoll verwenden? Ich meine: Ja (aber das hängt natürlich von den jeweils individuellen Ansprüchen ab).
Vorzüge sind aus meiner Sicht der wechselbare Akku, über den moderne Standard-Geräte leider nicht verfügen, und die handliche Grösse mit einem 4,3-Zoll-Display, die man bei modernen Android-Geräten ebenfalls vergeblich sucht.

Als ich das Gerät letztes Jahr erhielt, war das ursprüngliche Stock-Android installiert, es lief damit auf Android 4.2 (!).
Da mir DivestOS damals noch nicht bekannt war, musste ich relativ lange recherchieren, fand jedoch als einzige offizielle Version eines Custom ROMs ein Build von eOS, jedoch nur mit Android 7. Die letzte offizielle LineageOS-Version war 14.1, ebenfalls mit Android 7.
Daraufhin installierte ich schliesslich zunächst eine inoffizielle LineageOS-Version aus dem xda-Forum. Damit lief der kleine Oldtimer auf Android 10. Auch diese Version lief zufriedenstellend, aber als ich im Zuge meiner Recherche zu dem oben genannten Überblicks-Artikel zu Custom ROMs auf das DivestOS-Projekt stiess, wollte ich dieses noch relativ unbekannte ROM gerne ausprobieren.
Weiterer Vorteil gegenüber der inoffiziellen LOS-Version war, dass es mit DivestOS sogar auf Android 11 laufen kann.

Unterstützte Geräte und Apps von DivestOS
Auf der Homepage sind Builds für 147 verschiedene Geräte verfügbar. Die Auswahl umfasst sowohl sehr alte Geräte wie das Samsung S2 (2011), das Nexus 10 Tablet (2012) , das HTC One M8 (2014), viele Geräte aus den Jahren 2015-2018, aber auch einige neuere wie das OnePlus 7 Pro (2019) bis hin zum Fairphone 4.

Hier sollte jedoch unbedingt auf die Details geachtet werden und zwar zum einen auf den korrekten Gerätenamen bzw. Codenamen (z.T. gibt es mehrere Modellvarianten), zum anderen auf den jeweiligen Entwicklungsstand des Builds.

Für das S4 Mini lautet die Einstufung des Entwicklungstands "Reported Working", andere Builds sind jedoch mit dem Label "Likely Working", "Very likely working" oder gar "Broken" versehen. Die Anzahl der stabilen Builds reduziert sich damit auf "nur" noch 62 Geräte (16 mit Android 12.1, 20 mit Android 11, 11 mit Android 10, 15 mit Android 7.0-9.0). Zum Teil besteht die Möglichkeit, den Bootloader wieder zu sperren.

Wer plant, das Gerät produktiv zu nutzen, sollte sich an die Geräte mit dem Status „Tested Working“ oder zumindest "Reported Working" halten. Die anderen dienen eher zu Testzwecken bzw. sind noch in der Entwicklung.

Im F-Droid-Forum können dem Entwickler Rückmeldungen gegeben und Bugs gemeldet werden. Für Support und Austausch gibt es einen XMPP-Muc (divestos-mobile@conference.konvers.me)



Es sind auch einige Geräte dabei, für die es meines Wissens momentan keine anderen offiziellen/ aktiven Custom ROMs mehr gibt, beispielsweise das Moto X Pure, das Nexus 5X oder Kindle Fire HDX 7/8.

Die Installationsanleitungen verweisen i.d.R. auf die Anleitungen von LineageOS, auch die passenden Recovery-Versionen sind verlinkt.
In meinem Fall war TWRP bereits installiert und ich konnte direkt mit dem Flashen starten.

Nach der Installation startet dann das neue System, das einige Parallelen zum originalen LineageOS-System, aber auch einige Besonderheiten aufweist.

Ein grosser Vorteil von DivestOS (bzw. allgemein von Custom ROMs) für ältere Geräte mit wenig Speicher ist sicher:
Nur wenige und nur sinnvolle Apps sind vorinstalliert. Nach der Installation sind insgesamt nur 3,1 GB Speicher belegt (System: 2,6 GB; Apps: 0,5 GB).
Zum Vergleich:  Beim top-aktuellen Samsung A33 sind ab Werk bereits wahnwitzige 28 GB Speicher belegt, mit dem System und mit Bloatware, die grösstenteils nicht ohne Weiteres deinstallierbar ist.

Das S4 Mini verfügt wie erwähnt über lediglich 8 GB internen Speicher. Damit sind der Installation zusätzlicher Apps natürlich relativ enge Grenzen gesteckt, aber ein wenig Spielraum ist da.
Für meine eigenen Ansprüche brauche ich über die Standard-Apps hinaus jedoch auch nur einige wenige zusätzliche Apps wie u.a. einen XMPP-Client (Conversations), einen Matrix-Client (FluffyChat), eine Fahrplanauskunft (Transportr), eine Karten-App (Organic Maps) und Tusky bzw. Fedilab für meine Fediverse-Accounts. Das DivestOS-Projekt kuratiert zusätzlich eine Sammlung "empfohlener Apps", die auch unabhängig vom Betriebssystem einen Blick wert ist.

Folgende Apps sind bei DivestOS bereits vorinstalliert:
Telefon, SMS, Kontakte, Einstellungen, Dateien, Email (FairEmail), Galerie (Simple Gallery), Kamera (Open-Camera), App-Store (F-Droid), Webbrowser (Mull), Kalender (Etar), Synchronisierung (DAVx5), Sound-Recorder, Uhr, Taschenrechner, Text to Speech (eSpeak), FM-Radio, Launcher (Trebuchet), Tastatur (AOSP), Support (Webapp).

Im F-Droid-Appstore sind bereits einige zusätzliche Repositories integriert, die einfach aktiviert werden können; neben dem Standard-Repo sind u.a. dabei: Bromite und IzzyOnDroid sowie die Repos von DivestOS (official und unofficial), die weitere vom Projekt entwickelte Apps enthalten.

Der (bereits vorinstallierte) Mull-Browser, der wöchentlich Security-Updates erhält, ist eine Eigenentwicklung von DivestOS auf Mozilla-Basis: Ein datenschutzorientierter Open-Source-Browser ohne proprietäre Bibliotheken, mit Schutz vor Fingerprinting und eingebauten Tracking Blockern wie Ublock Origin.
 
Der Mull-Browser ist Teil des projekteigenen F-Droid-Repos, das darüber hinaus u.a. noch den "weltweit ersten FOSS-Malwarescanner für Android" (Hypatia), der - im Gegensatz zu anderen Scannern - keine Tracker enthält, und einen "free space eraser" (Extirpater) enthält.

Diese Apps lassen sich natürlich auch auf allen anderen Andoid-basierten Geräten (auch mit Stock-Android) nutzen. Das Repo muss dann dafür vorab in F-Droid hinzugefügt werden.

Fazit

Falls Ihr noch ein ältere, brachliegende Android-Geräte da habt, vielleicht kann DivestOS dazu beitragen, diese wieder zum Leben zu erwecken. Bei Verfügbarkeit eines passenden Geräts ist DivestOS meiner Erfahrung nach eine interessante Option und es ist zu hoffen, dass das Projekt langfristig weiterbesteht.

Für meine Zwecke sind auch solche alten Geräte - wie das hier vorgestellte S4 Mini von 2013 - noch durchaus alltagstauglich. Aus Sicht anderer UserInnen dürfte dies zwar nicht der Fall sein, aber beispielsweise als Zweit- oder Übergangsgerät könnte es für Einige dennoch Sinn machen, das Gerät mit Hilfe eines Custom ROMs wie DivestOS wieder zu reanimieren.

Einen sehr schönen und anschaulichen Einblick in DivestOS (mit Stand von 2021) auf den Galaxys S2 und S3 sowie auf dem Fairphone 2 gewährt auch dieses Video, in dem die alten Geräte sich mit dem neuen ROM bewähren. Auch das S4 Mini hat nur eine 8MP-Kamera, was nicht nur Nachteile hat: "At this old phones we always look better, they have less pixels."



Tags

Custom ROM, DivestOS, Android, Privacy, Nachhaltigkeit,