Zum Wochenende: Web0

  Ralf Hersel   Lesezeit: 9 Minuten  🗪 5 Kommentare

Das Web0-Manifest stellt einen Gegenentwurf zum libertären Web3-Entwurf dar.

zum wochenende: web0

Web0! Welche Sau wird jetzt schon wieder durchs Dorf gejagt? Das ist die falsche Frage; die richtige Frage heisst: "Was ist Web3 und wollen wir das haben?". Bevor man den Sinn von Web0 verstehen kann, muss zuerst das Web3 erklärt werden. TLDR: Web0 ist der Gegenentwurf zum Web3. Dezentralisiert, aber besser.

Bild: Stable Diffusion + Real-ESRGAN

Bevor ich meine Sicht des Web3 erläutere, lehnt euch bitte entspannt zurück, und überlegt, was ihr euch unter dem Konzept Web3 vorstellt. Zur geistigen Anregung streue ich ein paar Begriffe in eure Gedanken: Blockchain, NFTs, dezentralisiert, Meta, Metaversum, Identität, virtuelle Realität, Avatare ohne Beine, Next Hype, Token-basierte Wirtschaft. Spürt ihr schon den Würgereiz, oder kommt der noch?

Haltet eure Reize zurück und lest weiter.

Der Begriff Web3 wurde 2014 vom Ethereum-Mitbegründer Gavin Wood geprägt und bezeichnete ein „dezentrales Online-Ökosystem auf Basis der Blockchain“. Im Jahr 2021 gewann die Idee des Web3 an Popularität, was vor allem auf das Interesse von Kryptowährungsenthusiasten und Investitionen von hochkarätigen Technologen und Unternehmen zurückzuführen ist.

Konkrete Visionen für das Web3 wurden bisher nicht formuliert. Der Begriff wurde von Bloomberg als „verschwommen“ beschrieben, und dreht sich um die Idee der Dezentralisierung und beinhalten oft Blockchain-Technologien, wie verschiedene Kryptowährungen und Non-Fungible Token (NFTs). Bloomberg hat Web3 als eine Idee beschrieben, die „finanzielle Vermögenswerte in Form von Token in das Innenleben von fast allem, was du online machst, einbauen würde“. Einige Visionen basieren auf dem Konzept der Dezentralisierten Autonomen Organisation (DAO). Ein weiteres Schlüsselkonzept ist das dezentrale Finanzwesen (DeFi), bei dem die Nutzer ohne Beteiligung von Banken oder Regierungen Geld tauschen. Eine selbstbestimmte Identität ermöglicht es den Nutzern, sich wie mit SSH Keys zu identifizieren, ohne auf eine externe Partei angewiesen zu sein, wie es z. B. beim Authentifizierungssystem OAuth der Fall wäre.

Ein guter Ansatz, um dieses Wirrwarr zu entschlüsseln, ist die Betrachtung der einzelnen Komponenten:

Blockchain

Das Konzept eines dezentralisierten, verketteten Hauptbuches ist grundsätzlich eine gute Idee, für die es jedoch nur wenige sinnvolle Anwendungsfälle gibt. Hinzu kommt die massive Energieverschwendung beim Absichern dieser Buchhaltung (proof-of-work), bzw. der drohenden Plutokratie (proof-of-stake).

Kryptowährungen und NFTs

Dazu möchte ich nichts schreiben, ausser dass es sich bei Kryptowährungen und NFTs um die grösste organisierte Kriminalität des 21. Jahrhundert handelt. Hierzu verweise ich auf Fefes Video: Opferschutz für NFT- und Bitcoin-Gläubige.

Meta und Metaversum

Hier kommen vier verschiedene Begriffe ins Spiel:

Identität

Die Identifikation und Fakturierbarkeit einer jeden Teilnehmer:in ist ein zentrales Konzept im Web3. Jeder Klick, jede Online-Handlung, jeder Besuch soll identifizierbar und abrechenbar sein. Dabei wirst du zum vollständigen "Werbungs-werten" Produkt im Web3.

Virtuelle Realität

Weg vom zweidimensionalen Monitor, hinein in die dreidimensionale Immersion. Damit sitzt du nicht mehr nur in der ersten Reihe, sondern bist Teil des Geschehens. Stelle dir die Gewinnchancen für die Augenärzte, Gastroenterologen und Psychiater vor. Das ist Wirtschaftsförderung im medizinischen Sektor. Bist du schon drin, oder wird dir noch schlecht?

Dezentralisierung

Ich komme zum einzigen positiven Punkt im Web3-Konzept, der Dezentralisierung. Viele mögen mir widersprechen, weil das Web2 durch die Zentralisierung von Diensten geprägt war und positiv aufgenommen wurde. Die Zentralisierung und Monopolisierung von Services hat uns in den letzten 10 Jahren so viel Fortschritt gebracht. Da gibt es die SaaS-Dienste wie AWS und Azure, die Social-Dienste wie Twitter, Instagram und TikTok, die Collaboration- und Messaging-Dienste wie WhatsApp, Teams und LinkedIn, die Content-Dienste wie YouTube und Spotify. Behaftet mich bitte nicht auf die richtige Kategorisierung; ihr wisst, was ich meine.

Das Tragische an dieser Entwicklung ist, dass sich die Menschen daran gewöhnt haben, dass es für eine Dienstleistung nur einen Anbieter gibt. Projiziert diese Situation bitte einmal auf euren Wochenendeinkauf: Es gibt nur den Danone-Joghurt, es gibt nur das Heinz-Ketchup.

Dezentralisierung (auch Vielfalt genannt) ist ein wirtschaftliches, gesellschaftliches und politisches Konzept, welches sich seit Jahrhunderten bewiesen hat. Beispiele gefällig?

  • Wirtschaft: Die Auswahl zwischen vielen verschiedenen Fahrradherstellern fördert den Wettbewerb, die Innovation und die Wahlfreiheit der Konsumenten.
  • Gesellschaft: Es gibt nicht nur "Bayern München", sondern viele Fussballvereine, denen man beitreten kann, oder für die man Fan sein kann.
  • Politik: Deutschland, Österreich und die Schweiz haben ein Mehrparteien-System, in dem man die Wahl zwischen ca. fünf verschiedenen politischen Geschmacksrichtungen hat. Das Gegenbeispiel sind die USA, in der sich die Gesellschaft wegen nur zweier Blöcke spaltet und am Rande eines Bürgerkrieges steht.

Somit betrachte ich die Dezentralisierung als positiven Bestandteil des Web3.

Mein Web3-Fazit

Das Metaversum, aka Web3, ist eine vielversprechende Kulisse, die von den Big-Tech-Bros (GAFAM) inszeniert wird, um euch den Einstieg in die nächste Evolutionsstufe des Internets schmackhaft zu machen. Im Kern geht es darum, die Nutzer besser zu identifizieren, besser abzurechnen, besser abhängig und besser kontrollierbar zu machen. Dafür bekommt ihr eine Entlastung von eurem traurigen Leben und eine neue Religion unter der VR-Brille versprochen.

Nun habe ich viel über das Web3 geschrieben, aber noch nichts über das Web0. Da Bilder mehr als tausend Worte sagen, beginne ich damit:

Web0 entfernt die schlechten Bestandteile aus dem Web3 und belässt den einen guten Teil, die Dezentralisierung. Dabei handelt es sich zurzeit nur um ein Manifest, welches lediglich aus dem oben gezeigten Bild und einer langen Unterschriftenliste besteht. Bei einem Manifest handelt es sich um eine öffentliche Erklärung von Zielen und Absichten. Der Begriff Web0 spielt mit der Nummerierung von Phasen in der Internet-Geschichte: Web 1.0, Web 2.0, Web3. Dabei wird bewusst auf die Punktnotation verzichtet, um einen Kontrapunkt zum Web3 zu setzen, welches meistens ebenfalls ohne Punktnotation geschrieben wird. Die Kernaussage des Web0 Manifestes ist:

Gebt uns das Internet in der Form zurück, in der es gedacht war!

Quellen:

Tags

Web3, Web0, Internet, Konzept, Manifest

chris_blues
Geschrieben von chris_blues am 9. Dezember 2022 um 18:55

Schöner Artikel und gutes Hirnfutter. Vor allem gut, das über eure Plattform in die Menge zu streuen! Vielen Dank!

Geht mir auch schon etwas länger so, daß ich die Auswüchse des Webs nur noch kopfschüttelnd ablehnen kann. Manche Dinge sind auch ganz praktisch geworden, wie digitales bezahlen - an sich - auch wenn dabei viel zu viele Daten in wildfremde Hände gelangen. Naja, vielleicht ist das innerhalb Europas meckern auf hohem Niveau - da geht's in anderen Regionen noch ganz anders ab - aber meine Daten sind mir schon wichtig. Und so ohnmächtig daneben zu stehen und nicht zu wissen wo überall meine Daten landen ist schon Sch3/ß3...

joerg
Geschrieben von joerg am 10. Dezember 2022 um 00:53

:) wo ist der like-Button

Aaron
Geschrieben von Aaron am 10. Dezember 2022 um 11:29

Hervorragender Artikel!

Mancus Nemo
Geschrieben von Mancus Nemo am 11. Dezember 2022 um 00:08

Gibts doch, einfach Gemini verwenden. Fertig.

Mancus Nemo
Geschrieben von Mancus Nemo am 11. Dezember 2022 um 11:51

Die Wiederbelebung des klassischen Netzes, so wie es gedacht war gibt es doch. Nennt sich heute Gemini. Kann man mit Larange nutzen. Verstehe also das Problem nicht. Muss halt nur bekannter werden!