Serie – Fediverse-Dienste: Friendica: Funktionsreich und doch verständlich

  Fabian Schaar   Lesezeit: 17 Minuten  🗪 4 Kommentare

Das soziale Netzwerk Friendica ist eine der vielseitigsten Plattformen im Fediverse, die sich angesichts ihrer nützliche Funktionen nicht vor Mastodon verstecken muss.

serie – fediverse-dienste: friendica: funktionsreich und doch verständlich

Soziale Medien sind und bleiben ein zweischneidiges Schwert. Einerseits bieten sie grosses Potential, was demokratische Bewegungen im Netz angeht, andererseits findet sich auch immer wieder die Gefahr der Beeinflussung durch laute Minderheiten oder der diskursverschiebenden Vereinnahmung durch mächtige Konzerne.

Gerade in Zeiten, in denen der reichste Mann der Welt sich einfach mal so eine der einflussreichsten Plattformen kaufen und nach seinen ganz persönlichen Vorlieben, aber natürlich auch politischen Gesinnungen umbauen kann, besteht ein nicht zu brechender Bedarf an unabhängigen, durch die Allgemeinheit kontrollierbaren Netzwerken: Die Antwort lautet "Fediverse"!

Nicht nur seit dem Twitterkauf durch Elon Musk steht fest, dass Mastodon mit Abstand der erfolgreichste Dienst im Fediverse ist. Nichtsdestotrotz bietet das föderierte Netzwerk noch einiges mehr; in diesem Beitrag soll es um Friendica gehen. Einen freien Fediverse-Dienst, der für mich wie kaum ein anderer für den Funktionsreichtum des Fediverse steht und dabei dennoch einfach und gut verständlich bleibt.

Wie vermutlich viele andere habe ich meine ersten Erfahrungen mit sozialen Netzwerken über proprietäre Dienste gemacht. Nach einiger Zeit konnten mich Twitter und Instagram dann aber nicht mehr abholen: Twitter bleibt für mich eine Plattform, die zwischen Werbung, Shitstorms und einer ungesunden Debattenkultur nicht mehr wissen kann, wo oben und unten ist; von Instagram brauche ich gar nicht anzufangen: Für alle, die auf die absolute Form von Internetkommerz stehen, mag das ja vielleicht interessant sein, für mich auf keinen Fall.

Im April 2021 wollte ich mich deswegen mal nach Alternativen umsehen, so bin ich auf Mastodon gestossen. Natürlich ist es ersteinmal eine ganz schöne Umgewöhnung, von einem algorithmusbasierten Netzwerk wie Twitter auf eine Fediverse-Plattform zu wechseln und doch hat sich das gelohnt. Nach einigen Monaten, einigen Gehversuchen und dem ein oder anderen Instanzwechsel kommt man meiner Erfahrung nach gerade dann mit Leuten ins Gespräch, wenn man aktiv auf sie zugeht:

Für mich hat Mastodon ein Problem: Seine Restriktionen. Ich verstehe bis jetzt noch nicht, warum sich die meisten Mastodoninstanzen auf lediglich 500 Zeichen begrenzen -- Debatten lassen sich gerade dann gut führen, wenn sie nicht künstlich beschränkt werden, wenn sie nicht eingeschränkt sondern vollständig argumentativ untermauert werden können.

Auf der Suche nach einer Mastodoninstanz, die mir zumindest ein wenig mehr Raum gewähren könnte (ja, die gibt es tatsächlich), haben mich nette Fedinauten auf Friendica aufmerksam gemacht. Für mich wirkte das ganze erstmal ein wenig fern, aber auch sehr faszinierend.

Diejenigen, die Friendica einsetzen schwören oftmals darauf, auch im Vergleich mit Mastodon und Konsorten: Friendica ist nicht nur auf Microblogging ausgelegt, sondern bietet seinen Nutzerinnen und Nutzern so ziemlich alle Möglichkeiten, die man von den bekannten sozialen und im Falle der proprietären Dienste eher unsozialen Medien kennt: Mit Friendica lassen sich kurze wie lange Texte absetzen, Bilder und Videos teilen, Kontakte pflegen, Termine planen und vieles mehr.

Die Friendica-Einstellungen ermöglichen eine umfassende Konfiguration, sowohl was die Oberfläche, als auch das Verhalten der Plattform angeht.

Gegenüber anderen Plattformen aus dem Fediverse besticht Friendica dabei eindeutig mit seinem Umfang: So gut wie alles lässt sich einstellen, egal ob es dabei um das Erscheinungsbild von Friendica selbst, die Verwaltung von Kontakten oder Benachrichtigungen geht. Im Folgenden möchte ich daher auf einige Funktionen eingehen, die mir an Friendica besonders gut gefallen und die Plattform in meinen Augen von anderen abhebt:

Beginnen möchte ich mit den Benachrichtigungen. Das mag vielleicht langweilig klingen; das kann ich verstehen. Benachrichtigungen sind halt Benachrichtigungen, was soll daran schon besonders sein? In der Tat dachte ich mir das auch, als ich Friendica das erste mal genutzt habe. Über die Zeit habe ich das dahinterstehende System aber lieben gelernt.

Bei sozialen Medien ist es üblich, die Nutzerin zu informieren, wenn besondere Ereignisse in Relation mit den eigenen Beiträgen geschehen -- schön und gut. Während Mastodon und Twitter allerdings darauf setzen, die Benutzer zu benachrichtigen, wenn ein Beitrag favorisiert oder geteilt wurde, geht Friendica einen anderen weg.

Hier wird der Benutzer auch dann informiert, wenn ein Beitrag, mit dem zuvor interagiert wurde, von einem anderen beantwortet wurde. Ich meine hier ausdrücklich nicht, dass ich dann informiert werde, wenn meine eigenen Antworten aufgenommen werden, nein. Mir geht es darum, dass mich Friendica in dieser Hinsicht permanent auf dem Laufenden hält.

Wenn ich mit einem Beitrag interagieren, abonniere ich dieses Thema in einem gewissen Mass. Sobald ich beispielsweise eine Antwort auf einen Beitrag verfassen, weiss Friendica, dass ich mich dafür interessiere und teilt mir folgerichtig alle inhaltsbezogenen Interaktionen mit.

So offenbart sich mit der Zeit eine überdurchschnittliche Stärke der Plattform: Gerade da Friendica, wie im Fediverse üblich, nicht auf filternden Algorithmen aufbaut, muss ich mir hier meine Kontakte selbst aussuchen. Was ist dabei bitte nützlicher, als über die Themen selbst Leute zu finden, die meine Interessen teilen?

Als ich neu auf Mastodon war fiel es mir relativ schwer, Accounts zu finden, denen ich hätte folgen können. Noch immer sind Menschen, die sich im Fediverse aufhalten und dann auch noch zu meinem relativ begrenzten Bekanntenkreis gehören, eine absolute Rarität; die wenigen Ausnahmen sind in der Regel auch nur deswegen Ausnahmen, weil ich ihnen vom Fediverse erzählt habe.

Gerade, wenn man wenige analoge Kontakte auf eine digitale Plattform mitnehmen kann, ist es umso wichtiger, interessante Leute in der digitalen Welt zu treffen -- Friendica leistet hierbei einen wichtigen Beitrag, um den Stein ins Rollen zu bringen.

Hat man einmal Kontakte gefunden, sieht man in der Timeline natürlich auch die Beiträge, die von bestehenden Kontakten geteilt wurden -- an dem Punkt ist es leicht, die Plattform für sich selbst interessant und Abwechslungsreich zu halten. Am Anfang kann es hingegen einigermassen mühsehlig sein, nur durch Suchanfragen einen Feed zu füllen.

Mittlerweile ist mein Friendicafeed voll, aber noch nicht übervoll -- ich sehe nicht nur Beiträge von ein paar Leuten, die viel Posten oder von Nachrichtenseiten, die ihre Beiträge nicht nur nach Interessen schreiben. Entgegen meinem längst in Vergessenheit geratenen Twitterfeed sieht meine Friendicatimeline bunt aus, jedesmal wenn ich die Seite lade, könnte ich Eindrücke von jemand anderem mitbekommen und das ist ziemlich interessant.

Sollte ich darauf mal keine Lust haben oder schlicht und ergreifend zu faul zum Scrollen sein, kann ich auch einfach meinen Senf zu den Beiträgen von mittlerweile entstehenden Fediverse-Persönlichkeiten geben; dann muss ich nur noch darauf warten, bis mich der grandiose Benachrichtigungsmechanismus von Friendica mit Inhalten versorgt.

Natürlich kommt es auch mal vor, dass mir selbst irgendetwas einfällt, was ich gern loswerden würde. Auch hier schränkt mich Friendica nicht ein. Wenn ich das will, kann ich wirklich, wirklich viel schreiben. Dabei gibt es eben kein, oder nur ein irrelevantes Zeichenlimit. So eignet sich Friendica natürlich auch als eine interaktive Bloggingplattform; für mich wird die Seite mehr und mehr zu einer einer eierlegenden Wollmilchsau in Sachen Social Media.

Nachdem ich, wie das so üblich ist, einen #neuhier-Beitrag abgesetzt hatte, hatte ich das erste Mal das Gefühl auf einer Plattform gelandet zu sein, die dem allgemein zugeschriebenen Namen des "sozialen" Netzwerks tatsächlich gerecht wird.

Die Instanz, auf der mein Friendicaaccout wohnt, ist so vorkonfiguriert, dass ich nicht explizit über das Favorisieren oder Teilen meiner Beiträge benachrichtigt werde. Am Symbol für den Bereich der eigenen Beiträge wird mir zwar eine kleine Benachrichtungsmarke angezeigt, das war es dann aber auch. So legt Friendica den Fokus subtil auf die Inhalte und eben nicht auf die Jagt nach Likes und Shares. Das ist, gerade im Vergleich zu Instagram und Twitter sehr erfrischend.

Friendica ist in mehrere Sektionen aufgeteilt, durch die sich Inhalte sinnvoll filtern lassen.

Eine weitere tolle Eigenschaft von Friendica ist die Vielfalt an Protokollen, die Unterstützt werden: So kann ich Beiträge sehen, die über Mastodon, Pleroma, Peertube oder writefreely geteilt wurde, also das ActivityPub-Protokoll verwenden oder auch mit Menschen in Kontakt kommen, die Diaspora verwenden. Auf Plattformen wie Mastodon werden diese gar nicht angezeigt, da Diaspora ein hauseigenes Protokoll nutzt, das Mastodon nicht kennt -- umgekehrt sieht es dementsprechend natürlich auch leer aus.

Dazu kommen auch noch die vielen interessanten Beiträge von Friendica-Nutzer/innen, die über das DFRN-Protokoll übermittelt werden. Ausserdem kann Friendica als RSS/Atom-Reader verwendet werden, Feed können einfach dem Feed hinzugefügt und dementsprechend fast wie reguläre Account behandelt werden. Dazu gibt man die Adresse des Feeds einfach in die Suchzeile ein und folgt dem dann angezeigten Pseudo-Profil.

In Friendica können RSS-Feeds wie reguläre Accounts behandelt werden.

Anders als Mastodon bietet Friendica ausserdem Gruppen an, diese kann man hier nicht nur abonnieren; bei Friendica lassen sich auch eigene Inhalte darin posten. Gerade forenbasierte Plattformen wie Lemmy als Reddit-Alternative des Fediverse werden in Zukunft dementsprechend vermutlich wesentlich besser in Friendica als in Mastodon oder Pleroma integriert werden können.

Natürlich ist das nur ein Bruchteil der Möglichkeiten, die Friendica bietet -- für mich sind es aber auch, wenn nicht gerade Kleinigkeiten, die die Plattform interessant machen. Sicherlich muss man sich erst einmal einarbeiten, wenn das dann aber einmal geschehen ist, kann man sich auf Friendica richtig wohlfühlen.

Doch nur, weil man sich einmal "eingearbeitet" hat, heisst das nicht, dass auf interessierte Nutzer/innen keine positiven Überraschungen mehr warten; so habe ich zum Beispiel erst heute mitbekommen, dass der Friendica-Kalender nicht nur von einem selbst, sondern auch von Kontakten befüllt werden kann: So werden mir hier beispielsweise die Geburtstage oder auch die Veranstaltungen von Leuten angezeigt, denen ich folge.

Das ist schon eine gute Sache, wenn man daran erinnert wird, wie viele Geburstage man diesen Monat vergessen hat!

Eine weitere Funktion, die ich wirklich lieben gelernt habe, ist das Spiegeln von Accountaktivitäten: Friendica lässt seine Nutzerinnen und Nutzer einrichten, dass die Beiträge bestimmter Profile immer geteilt werden sollen -- für mich ist das eine der nützlichsten Funktionen, die eine soziale Plattform haben kann. Zum Beispiel habe ich einen Mastodonaccount; wenn ich mit diesem etwas poste, teilt mein Friendica-Profil innerhalb von Sekunden den entsprechenden Beitrag und erleichtert es so, mehrere Plattformen zeitgleich oder in einer Übergangsphase von der einen zur anderen zu nutzen.

Eine derartige Option würde ich mir von so vielen anderen textbasierten Fediverse-Diensten wünschen -- ja, ich meine dich, Mastodon!

Um die genannten Vorteile hier einmal zu verbinden: So kann ich etwa einen RSS-Feed für einen Blog über Friendica einlesen und dann das automatische Spiegeln aller veröffentlichten Beiträge einrichten. Bei eigenen Blogs könnte so etwas viel Handarbeit ersparen, die ansonsten nötig wäre, um Fediverse-Follower über neue Blogeinträge zu informieren.

Wenn ein Profil gespiegelt wird, wird jeder neue Eintrag geteilt.

Am Ende bleibt es natürlich eine Frage des persönlichen Geschmacks, auf welcher Fediverseplattform man sich ansiedelt, auf welcher Instanz man wohnen möchte, oder ob man gleich selbst hostet. Pathetisch ausgedrückt kann Friendica aber zu einem wirklichen Freund werden, wenn es um soziale Medien geht. Diejenigen, die sich überleben im Zuge der Muskokalypse von Twitter in's Fediverse zu wechseln, sollten meiner Ansicht nach, Friendica zumindest in Betracht ziehen.

Vielleicht braucht Friendica etwas mehr Eingewöhnungszeit als einfachere Dienste wie Mastodon; am Ende kann sich das aber sicherlich lohnen. Manchen zu Folge, erinnere die Oberfläche von Friendica an Facebook -- ob das stimmt, kann ich nicht beurteilen, Facebook habe ich noch nie genutzt und werde das auch in Zukunft nicht tun.

Für mich ist Fakt: Einen Versuch ist Friendica definitiv wert, neben all den nützlichen Funktionen wartet auch eine herzliche Community mit offenen Armen auf Neulinge.

Friendica ist freie Software, die unter GNU Affero General Public License (AGPL), einer starken Copyleft-Lizenz freigegeben wird. Weitere, auch technische Details finden sich auf der Website des Projekts. Eine sehr empfehlenswerte Instanz ist anonsys.net.

Bilder: Screenshots von friendi.ca beziehungsweise anonsys.net.

Zur Fediverse-Artikelserie

Dieser Artikel ist Teil einer Artikelserie zu Fediverse-Diensten: Serie – Fediverse-Dienste: Die Idee
Bisher sind darin erschienen:

Microblogging:

Macroblogging:

Content-Aggregation/ Forum

Spezialisierte Dienste:

Blogging mit Fediverse-Anschluss

Tags

Fediverse, Friendica, Mastodon, Social Media

kamome
Geschrieben von kamome am 1. November 2022 um 08:25

Danke für die Einblicke! Hast Du auch Hubzilla getestet (immerhin vom selben Entwickler als Weiterentwicklung gedacht)? Wenn ja, weshalb dann doch Friendica?

Fabian Schaar
Geschrieben von Fabian Schaar am 1. November 2022 um 09:48

Nein, tatsächlich noch nicht, allerdings soll das ja auch um einiges komplizierter sein, zumindest entsprechend dessen, was man so hört.

Matthias
Geschrieben von Matthias am 1. November 2022 um 10:10

Ich stehe gerade vor der Entscheidung: Hubzilla oder Friendica. Hubzilla scheint nochmal deutlich aufwendiger zu sein und erfordert Zeit und Wissen, dass man sich aneignen muss. Ich möchte mich vernetzen, meine Beiträge "verbreiten" und suche den gepflegten Austausch mit anderen Menschen. Allerdings benötige ich so etwas wie Pixelfed, um meine Bilder der Welt zu präsentieren. Da ich auch einen VideoLog betreibe, vielleicht Peertube. Bestimmt habe ich jetzt noch das Eine und Andere vergessen.

Kann Friendica meinen Bedarf decken, oder muss ich dennoch bei Pixelfed, Peertube u.ä. einen extra Account anlegen und turne dann doch wieder auf verschiedenen Instanzen rum. Nochmal konkret: Kann ich bei Friendica Bildergalerien anlegen und auch Videos hochladen? Kann das Hubzilla? Wie ihr seht, tappe ich noch etwas im Dunkeln. Liegt allerdings auch daran, dass ich keinerlei dieser Informationen gefunden habe.

Ich hoffe ich habe mich verständlich ausgedrückt :)

kamome
Geschrieben von kamome am 2. November 2022 um 14:54

Von mir ungetestet, aber Galerien in Friendica scheinen zu gehen:

http://beta.friendi.ca/wp-content/uploads/2016/08/friendica-frio-gallery.png

Videos werden auch mit aufgezählt:

https://friendi.ca/about/features/

Könnte für Dich also alles bieten, was Du benötigst …